Stix-Glukose kann in die Irre führen

Die Blutzuckerbestimmung im Kapillarblut aus der Fingerkuppe per „Stix“ ist zwar meist verlässlich. Sie kann bisweilen, abhängig vom Zustand des Patienten, aber auch zu Fehldiagnosen verleiten, wie ein Fallbericht zeigt. Patienten mit niedrigen Glukosewerten im Kapillarblut sind keine rare Spezies in Praxen und Ambulanzen. Betroffen sind nicht nur Diabetiker unter antidiabetischer Medikation mit Hypoglykämien. Niedrige Blutzuckerwerte sind auch bei Nichtdiabetikern häufig festzustellen, beispielsweise bei schwerkranken oder mangelernährten Patienten, aber auch bei solchen mit Nebennniereninsuffizienz oder endogener Hyperinsulinämie. Eine Abklärung in Richtung auf typische Erkrankungen mit Hypoglykämie, z. B. ein Insulinom, ist bei Vorliegen der Whipple-Trias erforderlich: (1) Die Patienten haben Symptome, die durch Hypoglykämie erklärbar sind; (2) die Glukosekonzentration ist während der Symptomatik tatsächlich niedrig; und (3) Glukose oder Glukagon lindern die Symptome. Ein weiterer Grund für niedrige Glukosewerte bei der Stixmessung sind Pseudohypoglykämien. Über einen solchen Fall haben Elizabeth Wang von der University of California in San Francisco und Kollegen im Fachjournal „JAMA Internal Medicine“ berichtet. Es handelte sich um einen Mann in den Siebzigern mit alkoholischer Kardiomyopathie und einer Auswurffraktion von 20%, einem implantierten Defibrillator und Vorhofflimmern. In die Klinik kam er wegen immer häufiger auftretender Benommenheit. Die kapilläre Glukosekonzentration während solcher Episoden lag bei 60–70 mg/dl. Der Mann war aber kein Diabetiker, und seine Symptome besserten sich auch nicht nach Glukosezufuhr. Es fehlten auch weitere für Hypoglykämie typische Symptome wie Schwitzen oder Übelkeit. Der Patient wurde stationär aufgenommen, um abzuklären, ob ein Insulinom vorlag. Er sollte fasten, dabei sanken die Glukosewerte – immer kapillär bestimmt – auf 45 mg/dl und schließlich auf 30 mg/dl. Orale Glukosezufuhr zeigte keine Wirkung. „Blinder Gehorsam gegenüber Messwerten“ Nun wurde dem Patienten Blut abgenommen und der Blutzucker im venösen Plasma bestimmt. Ergebnis: 80 mg/dl. Und nachdem man seine Hände gewärmt hatte, lag der Wert auch im Kapillarblut bei 85 mg/dl. Dass seine Hände ständig kalt waren, hatte die betreuende Schwester bemerkt. Die Ursache für die zuvor niedrigen kapillären Glukosewerte lag in der schwachen peripheren Zirkulation aufgrund der schweren Herzschwäche des Patienten, mit der sich im Übrigen auch seine Benommenheitszustände erklären ließen. Nachdem er entwässert worden war und sein Zustand sich gebessert hatte, konnte er entlassen werden. Obwohl Punkt (3) der Whipple-Trias eindeutig verletzt war, hatte man bei dem Patienten nach einem Insulinom gesucht. Wang und Kollegen bezichtigen sich in diesem Fall des „blinden Gehorsams gegenüber Messwerten“. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Messwerte in die Irre führen, sei höher gewesen als die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer so seltenen Diagnose wie jener eines Insulinoms. Das hätte man bedenken sollen, dann wäre vielleicht auch dem Umstand mehr Gewicht zugefallen, dass Glukosezufuhr die Symptome des Patienten nicht gebessert habe. Die Fehlerrate bei Diagnosen soll laut Schätzungen 10–15% betragen. „Selbst wiederholt abnorme Laborergebnisse sollten infrage gestellt werden, wenn sie nicht zu den klinischen Befunden passen“, mahnen Wang et al. Objektive Tests seien fehlbar, das Risiko blinden Gehorsams mit allen unnötigen und womöglich üblen Folgen real.

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