Die Begleitung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen im niedergelassenen sowie im stationären Bereich ist häufig mit großen Schwierigkeiten und Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen verbunden. Im folgenden Gespräch werden einige Aspekte dazu diskutiert, insbesondere aber Frage herausgearbeitet, wie adäquate und langfristig passende Hilfe sowohl für Betroffene als auch die Behandelnden aussehen könnte?
PsychotherapeutInnen wissen wenig über Traumafolgestörungen – mit gravierenden Folgen für die Betroffenen
Extremzustände in der psychotherapeutischen Praxis – die Arbeit mit komplex traumatisierten KlientInnen
Erfahrene und versierte TraumatherapeutInnen – überfordert und wenig anerkannt
Die Unterstützung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen bedarf eines ganzheitlichen Zugangs und einer ganzheitlichen Finanzierung
Praxis der Traumatherapie: Vom Vertrauensaufbau zur „Gruppentherapie“ mit einer einzelnen Patientin
MICHAELA HUBER:
Die größte Schwierigkeit ist erstens das Vertrauen dieser Menschen zu gewinnen. Das dauert meistens schon ein ganzes geschlagenes Jahr. Das ist wie Magie, dass meistens erst 12 Monate vergangen sein müssen und im 13. packen diese Menschen uns die schwierigsten Themen überhaupt erst auf den Tisch, weil sie uns so lange testen, weil sie so viele Bindungs- und Beziehungsstörungen haben. Zu Recht! Sie sind häufig verraten und schlecht behandelt worden, also brauchen sie lange Zeit, um Vertrauen zu fassen. Dann haben wir alle Hände voll zu tun, zu erkennen, wie die Diagnostik überhaupt vernünftig gemacht werden kann. Traumadiagnostik ist Prozessdiagnostik, das heißt erst im Lauf der Zeit und des vertrauensvollen miteinander Arbeitens öffnen sich die PatientInnen genügend, so dass wir erkennen, wie es um die strukturelle Dissoziation der jeweiligen Persönlichkeit bestellt ist. Hat sie ein wirklich funktionstüchtiges Alltags-Ich oder wird sie alle Nase lang von anderen Zuständen oder Innenanteilen ausgehebelt, was die Alltagsfunktionen angeht. Das erfahren wir erst im Lauf der Zeit, weil die Leute sich wahnsinnig schämen, Schuldgefühle haben und misstrauisch sind. Wenn wir dann in der Diagnostik etwas fortgeschrittener sind, dann brauchen wir Fachkenntnisse über die Arbeit auf der inneren Bühne. Das heißt, wie helfen wir als Mediatorin des Innenlebens, den unterschiedlichen Bereichen der Persönlichkeit von trauma-nahen Zuständen über das Alltags-Ich bis hin zu Täterintrojekten, sich untereinander zu verständigen, Toleranz zu bilden für Frustration und Stress, um alltägliches Funktionieren überhaupt zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Im dritten Gang müssen wir die Traumata verarbeiten helfen. Das heißt, TherapeutInnen werden bereits nach kurzer Zeit überflutet mit Erzählungen von Traumamaterial. Sie müssen diesen Prozess stark einbremsen, aber ohne dass uns die Klientin wegbricht, weil sie das Gefühl hat, wir wollen das nicht hören. Das heißt, wir müssen helfen innere Containments zu bilden, Stichwort „Sicherer Ort“, „Tresor-Übung“, etc. Es geht um Arbeit an der Binnenstruktur der Persönlichkeit, damit Schritt für Schritt die Traumatisierungen sorgsam bearbeitet werden können. Wenn die Menschen stärker dissoziieren, bis hin zu einer dissoziativen Identitätsstörung, dann haben wir es ja auch mit unterschiedlichen innen „Leuten“ zu tun (Anm: innere Teilpersönlichkeiten bei DIS), die eigene Egos haben, eigene Interessen, die sie gegen andere innere „Leute“ durchsetzen wollen, aber der Körper hat nun mal nur 24 h. Also werden wir da eine Art „Gruppentherapie“ mit einer Einzelperson machen müssen. Und last not least werden wir große finanzielle Probleme bekommen, denn die Klientin braucht neben den üblichen therapeutischen Stunden mehr Zeit. Sie braucht Doppelstunden, Zusatztermine in Form von Telefonaten, der Möglichkeit zwischendurch zu schreiben in Form von Mails oder WhatsApp, um die Beziehung zu halten, die Einbrüche aufzufangen, etc. Dadurch bekommen wir zeitliche und eventuell auch finanzielle Probleme. Ohne Unterstützung von außen, wie etwa einer Beratungsstelle, ÄrztInnen, usw., mit denen wir zusammenarbeiten, kommen wir gar nicht aus.
Nicht zu sehr einfühlen und ein gutes Netzwerk aufbauen
Der große Wunsch: Trauma-Sensibilität in Medien, Exekutive, Hilfsorganisationen, Politik und Gesundheitswesen
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