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Erschienen in: Die Ophthalmologie 11/2022

Open Access 15.03.2022 | Diplopie | Bild und Fall

Unklare Diplopie mit Exophthalmus

Akute Symptomatik über 15 Jahre nach plattenosteosynthetischer Versorgung einer Orbitadachfraktur

verfasst von: Gregor Leonhard Schnober, Charlotte Bergmann-Lotzien, Mohannad Alwees, Univ.-Prof. Dr. med. H. Burkhard Dick

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 11/2022

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Anamnese

Ein 35-jähriger Patient stellte sich mit einer am Vorabend im Spiegel bemerkten Fehlstellung des rechten Auges in unserer Ambulanz vor. Auf gezielte Nachfrage berichtete der Patient außerdem über eine intermittierende binokulare Diplopie, die er insbesondere bei Aufblick bemerke, sowie betont rechts frontale Zephalgien. Vorausgegangen seien etwa bis 4 Wochen zuvor rezidivierende grippale Infekte, die nun aber vollständig abgeklungen seien. Die Allgemeinanamnese hinsichtlich Vorerkrankungen und Dauermedikation war leer.
Nach einem Gesichtstrauma im Rahmen eines Rohheitsdelikts mit Schädelbasis- und Orbitadachfrakturen im Jahr 2005 waren diese plattenosteosynthetisch versorgt worden. Nach Entfernung der Osteosyntheseplatten bei vollständiger knöcherner Konsolidierung 2007 war der Patient beschwerdefrei, zeigte normale und seitengleiche Visusleistungen ohne Diplopie oder Motilitätseinschränkungen. Weiterhin bestanden keinerlei ophthalmologische Komorbiditäten.

Klinischer Untersuchungsbefund

Die korrigierte Sehschärfe des Patienten betrug auf dem betroffenen rechten Auge 0,2 logMAR (Dezimalvisus 0,63) im Vergleich zu 0,00 logMAR (Dezimalvisus 1,0) auf dem Partnerauge. Der Augeninnendruck war rechts leichtgradig erhöht (26 mm Hg) und auf dem linken Auge normoton (21 mm Hg). Klinisch imponierte ein Bulbustieferstand rechts mit Exophthalmus, der sich mittels Hertel-Exophthalmometer auf 19 mm rechts und 13 mm links zu einer Basis von 109 mm bemessen ließ. Es zeigte sich ferner eine Motilitätseinschränkung des rechten Auges nach superior um 15°, ein Abduktionsdefizit um 35° und ein Adduktionsdefizit um 25° (Abb. 1).
In der Spaltlampenuntersuchung zeigten sich beidseits reizfreie altersentsprechende vordere Augenabschnitte mit klaren brechenden Medien. Allerdings wies der rechte Bulbus in der Funduskopie Aderhautfalten des hinteren Pols mit Betonung entlang des oberen Gefäßbogens auf. Links bestanden regelrechte funduskopische Verhältnisse. Sodann wurde mit dem Verdacht auf einen Bulbus-kompromittierenden intraorbitalen Prozess ein notfallmäßiges Computertomogramm des Gesichtsschädels mit Orbitadarstellung durchgeführt.

Bildgebende Diagnostik

In der nativen Computertomographie zeigte sich eine weichteildichte Formation im rechten Sinus frontalis mit Protrusion in die rechte Orbita und konsekutivem Exophthalmus und kaudaler Verlagerung des Bulbus. Die Größe des Tumors konnte auf 36 × 24 × 21 mm bestimmt werden. Als Ursache der Protrusion in die Orbita zeigte sich insbesondere in der koronaren Rekonstruktion eine sichelförmige Knochenlamelle mit Weichteilprolaps oberhalb der rechten Orbita (Abb. 2). Diese ist im klinischen Kontext am ehesten als Residuum des Traumas 2005 zu werten. Zur weiteren Abklärung der Weichteilformation wurde am Folgetag eine Magnetresonanztomographie des Gesichtsschädels mit Dünnschichtdarstellung der Orbita durchgeführt. Diese zeigte die in der T1-Gewichtung hirnisointense Verlegung des rechten Sinus frontalis mit fehlender knöcherner Begrenzung zwischen Sinus frontalis und Orbita. Eine vertikale Knochenlamelle am Unterrand der Läsion kam auch hier zur Darstellung. Die Gesamtgröße der Formation wurde in der Magnetresonanztomographie auf 32 × 31 × 18 mm bemessen. Die kaudal-anteriore Verdrängung des Bulbus mit konsekutivem Exophthalmus infolge einer Protrusion dieser Formation konnte hier bestätigt werden (Abb. 3).

Wie lautet Ihre Diagnose?

In der Zusammenschau der oben aufgeführten bildgebenden Verfahren wurde der klinisch-radiologische Verdacht auf eine frontale Mukozele mit Vorwölbung in die rechte Orbita bei fehlender knöcherner Begrenzung zwischen Sinus frontalis und Orbita gestellt. Letztgenannter Befund scheint angesichts der klinischen Anamnese am ehesten Folge einer unvollständigen Orbitadachrekonstruktion im Rahmen des vorausgegangenen Traumas zu sein.

Definition

Bei einer Mukozele handelt es sich um eine langsam wachsende, zystische Läsion mit Akkumulation mukoiden Sekrets und abgestoßenen Epithels in einer Tasche aus mehrschichtigem unverhorntem Plattenepithel [1, 3]. Ätiologisch handelt es sich hierbei meistens um die Folge einer chronischen Entzündung der Sinusschleimhaut, die auch im Fall unseres Patienten vorausgegangen war. Weitere Risikofaktoren für die Entstehung einer Mukozele sind vorausgegangene Traumata von Sinus frontalis und Orbita einschließlich ihrer operativen Versorgung sowie anatomische Abnormitäten, die zu einer Verlegung des Sinus führen [1]. Im Fall der frontalen Mukozele liegt ätiologisch häufig eine Obstruktion des Ductus nasofrontalis zugrunde [5]. Durch Druck auf die umliegenden Strukturen der Läsion kann es zu einer knöchernen Arrosion mit verdrängend-destruktivem Wachstum kommen, sodass die Läsion nach Durchbruch des Orbitadachs ein primär intraorbitales Geschehen simulieren kann [2]. Differenzialdiagnostisch sollte aus diesem Grund, aber auch zum Ausschluss anderer Weichteilneoplasien, eine Magnetresonanztomographie zur Analyse des umgebenden Weichteilgewebes erfolgen. Dennoch ist eine sichere Diagnose nur mithilfe eines histopathologischen Befunds möglich [4].

Epidemiologie

Aufgrund der Assoziation zu vorausgegangenen Gesichts- und Schädeltraumata scheint es bei diesem Erkrankungsbild eine leichte Prädominanz männlicher Patienten mit einem Erkrankungsgipfel zwischen der dritten und fünften Lebensdekade zu geben [2]. Der frontale Sinus ist mit einer Häufigkeit von 60–90 % die vorwiegende Lokalisation einer Mukozele, aber in 8–30 % der Fälle kann diese auch ethmoidal und mit unter 5 % auch maxillär auftreten [1]. Es besteht ein Zusammenhang zu chronischen Sinusitiden und einer konsekutiven Obstruktion der Sinusostien.
Diagnose: Exophthalmus durch frontale Mukozele der Orbita

Therapie und Verlauf

Die einzige Therapieoption bei einer klinisch symptomatischen Mukozele ist die vollständige chirurgische Resektion über einen offenen Zugang als Kraniotomie, seltener als transorbitale Sanierung. Bei unvollständiger Resektion des Befunds besteht eine hohe Rezidivgefahr, sodass die Mukozele einschließlich der umgebenden epithelialen Hülle sicher in toto entfernt werden muss [1]. Aus diesem Grund erfolgte eine Vorstellung des Patienten in den neurochirurgischen und Mund-Kiefer-Gesichts-chirurgischen Abteilungen unseres Hauses zur interdisziplinären Therapieentscheidung. Es wurde die Indikation zur operativen Resektion der Mukozele mittels Kraniotomie gestellt und der Patient durch die neurochirurgische Abteilung übernommen. Es erfolgte die Resektion der Mukozele einschließlich des vertikal in die Stirnhöhle gerichteten Knochenfragments und die Stabilisierung der Stirnhöhlenvorderwand mittels eines Titan-Meshs. Bei komplikationslosem intra- und postoperativem Verlauf zeigte sich ein klinisch deutlich gebesserter Befund mit einer Regression des Exophthalmus und regelrechter Bulbusstellung. Eine ambulante Wiedervorstellung zur Verlaufskontrolle mittels MRT, Sehschulstatus und ophthalmologischer Untersuchung erfolgte 3 Monate postoperativ und zeigte einen stabilen Befund mit unauffälliger Bulbusstellung und -motilität.

Fazit für die Praxis

  • Mukozelen sind eine seltene Ursache für einen Exophthalmus, müssen aber insbesondere im Kontext mit vorausgegangenen Traumata des Gesichtsschädels bedacht werden.
  • Eine interdisziplinäre Betreuung des Patienten mit vollständiger operativer Resektion des Befunds ist die einzige Therapieoption.
  • Bei jeder neu aufgetretenen Motilitätsstörung mit Bulbusfehlstellung ist eine zielführende Bildgebung zur Abklärung möglicher intraorbitaler Prozesse erforderlich.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

G.L. Schnober, C. Bergmann-Lotzien, M. Alwees und H.B. Dick geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Metadaten
Titel
Unklare Diplopie mit Exophthalmus
Akute Symptomatik über 15 Jahre nach plattenosteosynthetischer Versorgung einer Orbitadachfraktur
verfasst von
Gregor Leonhard Schnober
Charlotte Bergmann-Lotzien
Mohannad Alwees
Univ.-Prof. Dr. med. H. Burkhard Dick
Publikationsdatum
15.03.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Diplopie
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 11/2022
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-022-01595-6

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