Über die Rettungsstelle der Klinik für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Charité am Campus Benjamin Franklin stellte sich eine 51-jährige Patientin nach erfolgter frustraner Implantation im Oberkiefereckzahnbereich rechts erstmals vor. Der überweisende niedergelassene Kollege hatte, nachdem das zu inserierende dentale Implantat beim Einbringen vom Alveolarkamm nach vestibulär hin abgerutscht war, die Patientin nach dem Erstellen einer initialen Panoramaschichtaufnahme (Abb. 1) direkt in unserer Klinik vorgestellt.
Klinisch zeigte sich eine dezente Schwellung im Bereich des Mittelgesichts rechts. Die Patientin gab eine Hypästhesie infraorbital rechts (V2) an. Die Funktion des N. facialis war unauffällig. Visus und Okulomotorik zeigten sich grob regelrecht. Die Pupille bzw. der Pupillenreflex war nicht pathologisch. Auch die konsiliarische Vorstellung bei den Kollegen der Augenheilkunde ergab einen regelhaften Befund. In der zur weiteren Diagnostik durchgeführten Computertomographie zeigte sich ein disloziertes dentales Implantat im vorderen Drittel des medialen Orbitabodens unter Destruktion der angrenzenden Knochenlamelle mit intraorbitalen Lufteinschlüssen (Abb. 2). Nach ausführlicher Aufklärung und Beratung der Patientin sowie Ausschluss einer Bulbusverletzung und -perforation erfolgten die stationäre Aufnahme zur hochdosierten intravenösen antibiotischen Therapie und die Planung einer operativen Entfernung des Fremdkörpers in Intubationsnarkose (Abb. 3).
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Unter komplikationsloser Intubationsnarkose wurde der Orbitaboden über einen transkonjunktivalen Zugang dargestellt. Hier zeigten sich ein knöcherner Defekt (ca. 8 × 8 mm) sowie das dentale Implantat. Mittels Elevator nach Freer wurde das Implantat mobilisiert, von periorbitalem Fett befreit und anschließend mit einem stumpfen Gefäßklemmchen sicher gefasst und in toto entfernt. Eine alloplastische Rekonstruktion des Orbitabodens wurde aufgrund der Defektgröße nicht durchgeführt. Nach sorgfältiger Kontrolle auf Blutungsfreiheit erfolgte die Approximierung der Wundränder, wobei auf eine Naht verzichtet werden konnte.
Die postoperative augenärztliche Untersuchung zeigte sich regelrecht. Am 2. postoperativen Tag konnte die Patientin aus der stationären Behandlung entlassen werden. Die ambulante Behandlung wurde am 10. postoperativen Tag bei reizfreiem Befund, regelrechter Okulomotorik, abklingender Schwellung, zurückgehendem Hämatom und korrekter Lidstellung abgeschlossen. Das postoperative klinische und radiologische Ergebnis zeigt Abb. 4.
Abb. 1
Panoramaschichtaufnahme mit Darstellung des dislozierten Implantats in die Orbitaregion rechtsseitig
Abb. 2
Computertomographische Darstellung des dislozierten dentalen Implantats: a axiale Schicht, b sagittale Schicht
Abb. 3
Intraoperative Darstellung. a Präoperativer Situs. b Antizipierter Zugang zum Orbitaboden. c Darstellung des Orbitabodens. d Geborgenes Implantat
Abb. 4
Postoperative Situation: a klinisch, b radiologisch
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Fehleranalyse
Die Insertion dentaler Implantate ist ein häufig durchgeführtes Verfahren zur Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik. Es gilt als sicher und Komplikationen treten nur vereinzelt auf [1]. Dislokationen eines Implantats sind selten, können aber zu schwerwiegenden Folgen wie Sinusitiden, Rhinorrhoe oder oroantralen Fisteln führen [2]. Insbesondere über die akzidentielle Verlagerung eines dentalen Implantats in die Kieferhöhle wurde berichtet [3]. Darüber hinaus existieren in der Literatur Fallbeschreibungen von Implantatverlagerungen in die Ethmoidalzellen und die Keilbeinhöhle, die Nasenhaupthöhle und den Bereich der vorderen Schädelbasis [2, 4, 5].
Die Dislokation eines dentalen Implantats nach intraorbital stellt ein seltenes Ereignis dar. Hierzu existieren in der Literatur nur 2 Fallbeschreibungen [1, 6]. Grundsätzlich sind bei der Abwägung des Zugangs zur Orbita neben der Lage des Fremdkörpers auch intra- und postoperative Risiken wie die Entstehung eines retrobulbären Hämatoms von Bedeutung. Zur Bergung dislozierter Implantate wurden transalveoläre Zugänge sowie die Entfernung über die Fossa canina vorgeschlagen [4, 7, 8]. Darüber hinaus wurden auch bei der Dislokation von Implantaten in die Orbita endoskopische Zugänge beschrieben [1, 4]. In dem hier vorgestellten klinischen Fall bot sich zum einen wegen der Lage des Fremdkörpers und dem geringen perioperativen Risiko der transkonjunktivale Zugang nach Tessier [9] an. Hierbei kann ohne sichtbare äußere Narbe ein sicherer Zugang zum anterioren Orbitaboden gewährleistet werden.
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Die Verlagerung eines dentalen Implantats während dessen Insertion in den Bereich des Orbitabodens stellt sicher eine Ausnahme dar. Grundlegende Faktoren können eine unerwartet schlechte Knochenqualität, eine nicht zuvor erkennbare Mund-Antrum-Verbindung, ein zu exzessives Eindrehen des Implantats, das Anwenden von zu massiver Kraft oder die mangelnde chirurgische Erfahrung des Behandlers sein. Auch allein der Schwerkraft folgend finden sich dislozierte dentale Implantate, Jochbeinimplantate ausgenommen, eher am Boden der Kieferhöhle als am Orbitaboden wieder. Denkbar sind in diesem Zusammenhang auch frustrane Rettungsversuche mit dem Sauger, die das Implantat weiter nach kranial dislozieren.
Kommentar/Empfehlung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Dislokation dentaler Implantate eine seltene Komplikation darstellt, die der Behandler dennoch im Hinterkopf behalten sollte. Die Verlagerung eines Implantats in den Bereich des Orbitabodens stellt hier die Ausnahme dar, häufiger sind Dislokationen in die Kieferhöhle. Wenn eine Disklokation intraoperativ trotz einer akribisch durchgeführten Planung und eines regelhaften operativen Vorgehens bemerkt wird, empfehlen wir die Einleitung von Bergungsmaßnahmen nur nach einer erneuten bildgebenden Evaluierung, um eine weitere Dislokation zu vermeiden.
Fazit für die Praxis
Auch wenn die Dislokation dentaler Implantate selten auftritt, sollte sie in Betracht gezogen werden.
Bei Verdacht auf Dislokation ist zunächst eine adäquate Bildgebung erforderlich.
Erst nach Vorliegen der bildgebenden Befunde werden Bergungsmaßnahmen geplant.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
S. Koerdt, M. Salloumis, M. Heiland und K. Kreutzer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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