"Medizin ohne Beziehungen und Zeit ist nicht möglich!"

Die Fallpauschalen haben das Prinzip der Ökonomie über den Kern des medizinischen Handelns gestellt, behauptete Medizinethiker Prof. Dr. Giovanni Maio, Lehrstuhl für Medizinethik, Universität Freiburg, anlässlich des Deutschen Krebskongresses 2014 in Berlin. Nun sind die Fallpauschalen auch in der Palliativmedizin angekommen – ein Widerspruch in sich … Zum Kongressdossier "DKK 2014" Drei Funktionen sieht Maio hinter den Fallpauschalen (Disease related Groups, DRGs): Das Einsparprogramm. Durch die DRGs werde das Personal getestet: Wie hoch darf der Zeitdruck sein, ohne die Qualität zu reduzieren? Das Selektionsinstrument zur Bereinigung der Krankenhauslandschaft. Mit den Fallpauschalen konnte dies rein ökonomisch begründet werden – und die Politik war aus der Verantwortung. Das Disziplinierungsinstrument: Alle Heilberufe würden darauf gedrillt, die ökonomische Perspektive zu ihrer eigenen zu machen und das medizinisches Handeln darauf auszurichten, in dem Bewusstsein, dass die Abteilung geschlossen würde, wenn die Erlöse nicht stimmten. Genau dem gilt es zu widerstehen, meinte Maio und betonte, diese Prinzipien der DRGs stellten den Kern aller Heilberufe infrage. Die Knappheit von außen werde ausgetragen von den Professionen, die mit dem Patienten arbeiten. Man werde quasi umprogrammiert, subtil von seinen eigentlichen Motiven für den Heilberuf abgelenkt. Ökonomisches Denken in Konflikt mit medizinischem Denken Ökonomisches Denken lässt sich nicht mit medizinischem Denken in Einklang bringen, erläuterte Maio: Das Kernprinzip der Ökonomie ist immer eine Minimierung des Aufwands. Genau das höhlt den Kern des medizinischen Handels aus, das eben weit mehr ist als Prozeduren und standardisierte Prozesse. Das gelte für alle medizinischen Fachdisziplinen, aber für die Palliativmedizin noch einmal im Besonderen, so Maio. Notwendig wäre dagegen genau das umgekehrte: Das, was dort an „Aufwand“ investiert wird, müsse ausgebaut, nicht minimiert werden. Palliativmedizin in ihrer Identität bedroht Für Maio ist die Einführung der DRGs im Bereich der Palliativmedizin eine existenzielle Frage. Das Verhängen des Zeitdiktats stelle wesentliche palliativmedizinische Elemente wie das Gespräch mit Patient, Angehörigen und anderen Professionen, das Zuwarten können sowie die Geduld infrage. Es werde Druck von außen geben, mahnte er – Nachfragen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, von der eigenen Klinik. Man werde zur Rechenschaft gezogen werden, die Zeiten würden verkürzt, wichtige Aspekte wie die Kommunikation würden formalisiert, um Zeit einzusparen. Wer sich in diesem System noch die Zeit nehmen will, die für das Wohl des Patienten notwendig ist, der muss die Strukturen überwinden, der muss ein Held sein, ist Maio überzeugt. Denn belohnt wird nur der, der sich an die ökonomischen Zwänge anpasst. Das nicht Messbare in der Medizin werde abgewertet, genau das, was laut Maio der Kern ärztlichen und pflegerischen Handels eigentlich ist: Es genüge nicht, das Richtige zu tun, man müsse es eben auch im richtigen Modus tun. Taktgefühl, Sensibilität, Umsicht, all das habe keine Abrechnungsziffer und sei doch eigentlich ein zentrales Element der Therapie. Ein weiterer kritischer Aspekt der DRGs ist laut Mayo die Abwertung allen impliziten Wissens. Die für die palliativmedizinische Tätigkeit so wichtigen Erfahrungen, das Situations- und Beziehungswissen zähle nicht. DRGs gingen auch einher mit einer Entpersonalisierung durch die Konzentration auf die Verfahren, in der der einzelne Patient austauschbar wird. Am Ende würden Mediziner heute dazu erzogen, zu machen statt zu verstehen – das sehe man schon daran, wofür es Zusatzentgelte gebe. Aber Beziehungen kann man nicht ökonomisch managen und das gerade ist es, was Zuversicht und Trost gibt, ein wesentlicher Bestandteil der Medizin und erst recht der Palliativmedizin. Terror der Transparenz Die mit den DRGs einhergehende weitergehende Dokumentationspflicht schließlich etabliere eine Misstrauenskultur, Krankenhäuser und Ärzte stünden eigentlich ständig unter Generalverdacht. Das führe zu einem Terror der Transparenz, warnte Maio: Man stehe ständig unter Druck. Der Ausdruck „Output-orientierte Zuwendungsgenerierung“ zeige ja schon, was man aus der Palliativversorgung machen möchte. Was am Ende resultiere, sei eine systematische Demotivation für die in der Palliativversorgung Tätigen. Die strukturelle Verknappung – eigentlich politisch gewollt – wird mit den DRGs so den Heilberufen übergestülpt, dass sie scheinbar selbst daran Schuld seien. Es komme zu einer Internalisierung dieser Wertmaßstäbe, zu Schuldgefühlen und Sinnentleerung des Heilberufs. Neue Kriterien gefragt Maio rief dazu auf, die Ökonomisierung der Palliativmedizin mit ihren Folgen nicht einfach hinzunehmen, sondern für die eigenen Kriterien medizinischen Handelns einzutreten. Der Kern einer echten Medizin sei eben die Begegnung von Menschen, eine gute Beziehungsqualität und eine singuläre Entscheidung im Sinne des Wohls des einzelnen Patienten. „Krankenkassen und Klinikleitungen muss wieder nahegebracht werden, dass Medizin ohne Beziehungen und Zeit nicht möglich ist.“ DKK 2014: Weitere Informationen auf der Kongress-Homepage www.dkk2014.de!

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

"Medizin ohne Beziehungen und Zeit ist nicht möglich!"

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet Onkologie

Stereotaktische Radiatio schlägt konventionelle Bestrahlung

Adjuvante Brustkrebstherapie: Doppelt hält besser

Manche Gestagene können das Risiko für Meningeome erhöhen

Einladung zum PSA-Screening senkt die Krebssterblichkeit

Update Onkologie