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14.11.2022 | DKK 2022 | Kongressbericht | Nachrichten

Lungentumoren

Schritt für Schritt zum Lungenkrebsscreening

verfasst von: Friederike Klein

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Senkt ein Lungenkrebsscreening die Lungenkrebssterblichkeit? Die Evidenz ist gut, zeigt sich beim Krebskongress. Ein Gesundheitswissenschaftler betont: Wenn auch noch viele Detailfragen offen sind – die schrittweise Einführung sollte endlich beginnen.

„Aufzuhören zu reden und beginnen, es zu tun“, zitierte Professor Harry J. de Koning, Gesundheitswissenschaftler von der Erasmus Universität in Rotterdam, Walt Disney. Gemeint ist das Lungenkrebsscreening.

Ein Schritt dorthin ist die Studie 4-IN-THE-LUNG-RUN, eine multizentrische Implementationsstudie in Europa, die in den Niederlanden gestartet wurde. 4-IN-THE-LUNG-RUN steht dabei für Towards INdividually tailored INvitations, screening INtervals, and INtegrated co-morbidity reducing strategies in lung cancer screening.

In Deutschland ist bereits Heidelberg dabei, Essen und Köln werden folgen. Auch Frankreich wird teilnehmen, Spanien und Italien wollen folgen, berichtete de Koning aus Anlass des Deutschen Krebskongresses (DKK) 2022.

Datengrundlage solide

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Implementierung war seiner Meinung nach die Feststellung der EU-Kommission im September diesen Jahres, dass es eine belastbare wissenschaftliche Basis für die Ausweitung von Screening-Programmen mit Niedrig-Dosis-Computertomographie (engl. Low-dose computer tomography, LD-CT) aufgrund der Daten zur Wirksamkeit und Mortalitätsreduktion gibt.

In der europäischen Nelson-Studie reduzierte das LD-CT-Screening die Lungenkrebsmortalität bei Hochrisikopersonen gegenüber keinem Screeningangebot um 24% [1]. Bei Frauen war der Effekt noch größer als bei Männern. Der Geschlechtsunterschied hatte sich auch in der US-amerikanischen Sceeningstudie NLST gezeigt [2].

Dort war die Senkung der Lungenkrebssterblichkeit mit LD-CT im Vergleich zu einem Röntgenthorax allerdings etwas geringer ausgefallen, berichtete de Koning. Dafür gibt es seines Erachtens verschiedene Gründe. In der europäischen Studie war der Anteil der entdeckten Lungenkarzinome im Stadium IA oder IB mit 71% höher als in der US-amerikanischen Studie (62%).

Zudem war die Sensitivität des LD-CTs in der europäischen Studie bei fast allen Lungenkrebserkrankungen besser als in den USA. Die hohe Qualität des Screenings ist aber eine wesentliche Voraussetzung für die Kosteneffektivität des Screenings, betonte er.

Wer hat ein hohes Risiko?

Eine wichtige Frage ist die Definition des hohen Risikos. In Staaten, die bereits ein Lungenkrebsscreening eingeführt haben, gelten unterschiedliche Kriterien hinsichtlich Screening-Alter und Rauchhistorie. De Koning erläuterte, in der 4-IN-THE-LUNG-RUN-Studie werde ein eher personalisierter Ansatz erfolgt. Es werden Kriterien aus dem PLCOm2012-Prädiktionsmodell verwendet, um das Risiko für eine Lungenkrebsentwicklung vorherzusagen.

Dabei spielen Alter, Body-Mass-Index, Rauchhistorie (wie viele Jahre, wie viele Zigaretten pro Tag), die Zeit seit Rauchstopp, frühere Krebsdiagnosen, COPD-Komorbidität, Lungenkrebs in der Familie und Bildungsgrad eine Rolle. Eingeschlossen werden Individuen im Alter 60 bis 79 Jahren, die nach den PLCOm2012-Kriterien ein Lungenkrebsrisiko über sechs Jahren von mindestens 2,6% haben oder eine Rauchhistorie von 35 Packungsjahren und mehr aufweisen und aktuell noch rauchen oder in den letzten zehn Jahren das Rauchen beendet haben.

Geplant ist auch die Evaluation eines nach Basis-CT differenzierten Screenings: Bei unauffälligem Befund im ersten Scan erhält eine Gruppe ein jährliches Screening, die andere ein erneute CT erst nach zwei Jahren. Wer beim ersten LD-CT ein unauffälliges Ergebnis erhält, hat ein 10-Jahres-Risiko für eine Lungenkrebsdiagnose von nur 5%. Bei unklarem Befund steigt dieses Risiko bereits auf 8,8%, bei auffälligem Befund auf 52%.

Screening als Präventionspaket

Maßnahmen zur Raucherentwöhnung müssen in jedem Fall auch Bestandteil des Lungenkrebsscreenings sein, findet de Koning – auch wenn damit zu rechnen ist, dass mittlerweile 60% der für das Screening infrage kommenden Personen Exraucher sind. Zusätzlich könnte in das Lungenkrebsscreening per LD-CT auch das Screening auf kardiovaskuläre Erkrankungen integriert werden.

Damit könnte die Kosteneffektivität der Maßnahme deutlich steigen, meinte de Koning. Zumindest sollte aber das kardiovaskuläre Risiko mit erhoben werden – das ist in den Risikogruppen für Lungenkrebs ja ebenfalls häufig erhöht.

Ein Screening von Menschen ohne besonderes Risiko sieht er dagegen derzeit nicht als geboten an. Erst muss das Screening für diejenigen, die deutlich profitieren können, implementiert werden.

Aktueller Stand in Europa

  • In Kroatien, Polen und Italien ist ein nationales Lungenkrebsscreening bereits beschlossen worden. Die Identifikation der Risikopersonen für das Screening sollen dort Hausärztinnen und Hausärzte übernehmen. Das sieht de Koning kritisch, da die Erfahrungen mit dieser Vorgehensweise bei anderen Screeningmaßnahmen seiner Einschätzung nach nicht sehr positiv sind.
  • In Frankreich ist ein Pilotprojekt zum Lungenkrebsscreening angelaufen, das sich nur an asymptomatische Frauen im Alter zwischen 54 und 74 Jahren mit 35 Packungsjahren Rauchanamnese richtet.
  • In Schweden und Deutschland sind Machbarkeitsstudien für eine breite Implementierung weit fortgeschritten, zum Beispiel die HANSE-Studie in Norddeutschland, die bereits ihr Rekrutierungsziel erreicht hat.
  • Im Vereinten Königreich gibt es eine schrittweise Einführung eines zielgerichteten „Lung Health Check“-Programms. Angesprochen werden hier Menschen zwischen 55 und 74 Jahren, die irgendwann geraucht haben. Eine entsprechend qualifizierte Pflegekraft führt einen Lungen-Gesundheitscheck durch. Bei daraus resultierendem hohem Lungenkrebsrisiko wird ein LD-CT angeboten.
  • In den USA wird inzwischen ein Screening bis zu einem Alter von 80 Jahren bei 20 Packungsjahren und aktuellem Rauchen oder einem Rauchstopp innerhalb der letzten zehn Jahren empfohlen. Bei diesem Vorgehen steigen aber die Raten der falsch-positiven Befunde und die Kosten pro verhindertem Lungenkrebs-Todesfall deutlich. „Das ist für Europa wahrscheinlich zu viel“, sagte de Koning.

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basierend auf: 35. Deutscher Krebskongress vom 13.–16. November 2022 in Berlin; Plenarsitzung Lungentumoren I: Lungenkrebsfrüherkennung am 14.11.2022

Dieser Kongressbericht ist Teil der Medienkooperation zwischen Springer Medizin und der Deutschen Krebsgesellschaft / der Deutschen Krebshilfe im Rahmen des DKK 2022.

Literatur

[1] de Koning HJ et al. N Engl J Med. 2020; 382(6):503–513
[2] NLST Research Team. N Engl J Med. 2011; 365(5):395–409

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