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Erschienen in: Operative Orthopädie und Traumatologie 4/2019

Open Access 25.06.2019 | Operative Techniken

Dorsale Stabilisation der Halswirbelkörper HWK1/HWK2 modifiziert nach Goel-Harms mit HWK-1-Pedikelschrauben

verfasst von: PD Dr. Lennart Viezens, Stephan Sehmisch, Lukas Weiser, Marc Dreimann, Wolfgang Lehmann

Erschienen in: Operative Orthopädie und Traumatologie | Ausgabe 4/2019

Zusammenfassung

Operationsziel

Stabilisation des atlantoaxialen Übergangs durch eine alternative Schraubenposition im Halswirbelkörper 1 (HWK 1).

Indikationen

Instabilitäten von HWK 1/HWK 2 durch Entzündung, Tumor oder Trauma.

Kontraindikationen

Vorhandensein sehr kleiner Pedikel von HWK 1. Varianten des Verlaufs der Arteria vertebralis.

Operationstechnik

Über den klassischen Mittellinienzugang zur oberen HWS erfolgt die modifizierte Instrumentation von HWK 1 mit Pedikelschrauben anstelle der klassischen Harms-Massa-lateralis-Schrauben bei unveränderter Instrumentation von HWK 2. Anschließend erfolgt – je nach Indikation – die dorsale Spondylodese durch Eröffnung der Laminae und Anlagerung von keramischem Knochenersatzmaterial.

Weiterbehandlung

Bei mobilen Patienten erfolgt die zusätzliche Ruhigstellung in der weichen Halskravatte für 6 Wochen; die volle Belastbarkeit ist wieder nach 3–4 Monaten gegeben.

Ergebnisse

Im Zeitraum von Januar 2017 bis September 2018 erfolgten in der Klinik der Autoren 21 Stabilisationen des atlantoaxialen Übergangs. Das mittlere Alter betrug 72,52 ± 15,45 Jahre. Insgesamt wurden 42 Schrauben in HWK 1 gesetzt. Eine HWK‑1-Pedikelschraube konnte 21-mal (50 %) platziert werden. In den anderen 21 Fällen erfolgte die Instrumentation mit einer klassischen Harms-Massa-lateralis-Schraube. Komplikationen zeigten sich bei 3 Patienten. Insgesamt erscheint bei Beachtung der Kontraindikationen die Instrumentation von HWK 1 mit Pedikelschrauben als eine sichere Alternative zur Instrumentation mit Harms-Schrauben.
Hinweise

Redaktion

M. Mayer, München

Zeichner

R. Himmelhan, Mannheim

Vorbemerkungen

Die dorsale atlantoaxiale Stabilisierung in Goel-Harms-Technik [4] ist der Standard zur Versorgung atlantoaxialer Instabilitäten, sei es durch Tumor, Trauma oder Entzündung. Diese Technik hat in der Vergangenheit die Verschraubung nach Magerl [3] in Kombination mit einer Gallie-Fusion [2] als Goldstandard abgelöst, da sie einige Vorteile bietet. Hier ist an die kompliziertere Lagerung bei der Magerl-Verschraubung in Bezug auf die Reposition der Halswirbelkörper HWK 1/2 sowie auf die Notwendigkeit alternativer Schraubentrajektorien in HWK 2 bei atypischem Verlauf der Arteria vertebralis zu denken. Doch auch bei der Goel-Harms-Technik sieht man aufgrund intraoperativer Verletzungen des Harms-Plexus im Rahmen der HWK‑1/2-Fusion immer wieder einen relevanten Blutverlust. Um den Harms-Plexus intraoperativ nicht zu verletzen und relevante Blutung zu vermeiden, bietet sich in einem Teil der Fälle bei ausreichend großem Pedikel eine alternative Schraubenplatzierung mit HWK‑1-Pedikelschrauben an [5, 6]. Ein weiterer Vorteil dieser modifizierten Technik ist die erhöhte biomechanische Stabilität, welche im Kadavermodell nachgewiesen werden konnte [1].

Operationsprinzip und -ziel

Durch die Verwendung von C1-Pedikelschrauben bei der atlantoaxialen Stabilisation wird das Blutungsrisiko durch die größere Entfernung zum Harms-Plexus bei gleichzeitiger Erhöhung der biomechanischen Stabilität reduziert.

Vorteile

  • Geringere Gefahr der Blutung aus dem Harms-Plexus
  • Geringeres Risiko einer Affektion von der Nervenwurzel C2
  • Revision auf klassische Massa-lateralis-Schraube nach Harms möglich

Nachteile

  • Gefahr der Verletzung der A. vertebralis
  • Nur bei ausreichend großem HWK‑1-Pedikel möglich
  • Gefahr des Schraubenausbruchs

Indikationen

  • Atlantoaxiale Instabilität bei Tumor, Trauma oder Entzündung

Kontraindikationen

  • HWK‑1-Pedikel <3,5 mm
  • Atypischer Verlauf der A. vertebralis

Patientenaufklärung

  • Allgemeine Operationsrisiken
  • Verletzung der A. vertebralis mit Gefahr einer zerebralen Ischämie
  • Verlängerung der Instrumentation mit Einschluss des C1/C0-Gelenks
  • Pseudarthrose
  • Postoperativ persistierende Nackenschmerzen
  • Eingeschränkte Beweglichkeit
  • Blickdeviation

Operationsvorbereitungen

  • Präoperative Computertomographie (CT) und exakte Analyse
  • Analyse des geplanten Schraubenverlaufs
  • Ggf. Magnetresonanztomographie (MRT), ggf. Angio-CT bei unklarem Verlauf der A. vertebralis
  • Präoperative Bestimmung der Pedikelweite von HWK 1
  • Degeneration der kaudalen Segmente mitbeachten
  • Rasur des Hinterhaupts
  • Antibiotikaprophylaxe nach Hausstandard

Instrumentarium

  • Zervikales Schrauben-Stab-System
  • Mayfield-Klemme, alternativ Kopfschale

Anästhesie und Lagerung

  • Intubationsnarkose mit invasiver Druckmessung
  • Anlegen der Mayfield-Klemme in Rückenlagerung
  • Umlagern in Bauchlage und Eingehen der Concorde-Position
  • Kontrolle auf ausreichend gute Darstellbarkeit im Röntgen nach abgeschlossener Lagerung

Operationstechnik

(Abb. 12345678910)

Besonderheiten

Beim Vorliegen von Atlasfrakturen kann es im Bereich der Fraktur schwierig sein, den Eintrittspunkt sicher darzustellen, ohne die A. vertebralis zu gefährden, so dass wir hier empfehlen, die klassische HWK‑1-Massa-lateralis-Schraube zu platzieren (Abb. 11). Dies ist ebenso der Fall, wenn der Pedikel von HWK 1 <3,5 mm misst.

Postoperative Behandlung

  • Weiche Halskravatte für 6 Wochen bei mobilen Patienten
  • Redondrainage für 48 h belassen
  • Röntgenbild der Halswirbelsäule (HWS) in 2 Ebenen am 2. postoperativen Tag
  • CT, wenn intraoperativ kein 3D-Scan durchgeführt wurde (Abb. 12)
  • Kein Heben oder Abstützen mit den Armen für 6 Wochen, um eine Faszieninsuffizienz zu vermeiden
  • Entlassung nach 5–10 Tagen
  • Röntgenkontrollen nach 6 Wochen, 6 Monaten und einem Jahr
  • Ab 3 Monaten postoperativ ist die volle Belastungsfähigkeit gegeben

Fehler, Gefahren, Komplikationen

  • Verletzung der A. vertebralis: Lokale Blutstillung; anschließend Angiographie, ggf. interventionelle Versorgung mit Stenting
  • Wundinfekt: Bei persistierender Wundsekretion Revision mit Entnahme mikrobiologischer Proben und radikalem Débridement durch erfahrenen Operateur; kalkulierte antibiotische Therapie. Bei Keimnachweis antibiotische Therapie für 4 Wochen
  • Verletzung der A. temporalis durch Mayfield-Klemme: Umstechung mit Hautnaht nach entfernen der Klemme
  • Intraoperatives Ausbrechen der HWK‑1-Schrauben: Verlängerung auf das Okkziput (präoperative Aufklärung!)
  • Intraoperatives Ausbrechen der HWK‑2-Schrauben: Alternative Schraubentechniken (Laminaschrauben), Verlängerung nach kaudal

Ergebnisse

Um Blutungskomplikationen aus dem Harms-Plexus zu vermeiden und eine erhöhte biomechanische Festigkeit der Schrauben zu erreichen, werden in unserer Klinik – wenn möglich – HWK‑1-Pedikelschrauben gesetzt. Um zu schauen, mit welcher Häufigkeit die Instrumentation von HWK 1 mit Pedikelschrauben möglich ist, haben wir einen 20-monatigen Zeitraum von Januar 2017 bis September 2018 in unserer Klinik ausgewertet. Dabei konnten 21 Patienten identifiziert werden, die aufgrund einer posttraumatischen Instabilität von HWK 1/2 mittels dorsaler Instrumentation behandelt wurden. Das mittlere Alter betrug 72,52 ± 15,45 Jahre; 12 Patienten waren männlich. Insgesamt wurden 42 Schrauben in HWK 1 gesetzt, 21-mal (50 %) konnte eine HWK‑1-Pedikelschraube platziert werden. Bei 11 Patienten erfolgte eine beidseitige Instrumentation von HWK 1 mit Pedikelschrauben und bei 9 Patienten die Instrumentation von HWK 1 beidseits mit klassischen Harms-Schrauben. In 3 Fällen war eine unterschiedliche Instrumentation nötig (rechts Pedikelschraube, links Harms-Schraube), da das Platzieren einer Pedikelschraube aufgrund des Frakturverlaufs durch den Eintrittspunkt (2-mal) oder eines intraoperativen Ausbruchs nach kaudal (1-mal) nicht möglich war. In der Gruppe mit beidseitigen Harms-Schrauben betrug die mittlere Operationsdauer 170 ± 92 min, in der Gruppe mit den beidseitigen Pedikelschrauben war diese etwas kürzer (136 ± 37 min).
Komplikationen zeigten sich bei drei Patienten: eine Verletzung der A. vertebralis mit der Notwendigkeit zum interventionellen Verschluss und einer dreimaligen Revision zur Hämatomentlastung. Eine intraoperative Reanimation aufgrund eines neu aufgetretenen atrioventrikulären Blocks dritten Grades. Die dritte beobachtete Komplikation war die Schraubenlockerung in HWK 1 mit progredienten Nackenschmerzen und der Notwendigkeit zur Revision ein Jahr postoperativ. Alle drei beobachteten Komplikationen wurden in der Gruppe der Patienten mit Harms-Schrauben beobachtet.
Abschließend zeigt sich, dass nach unserer Erfahrung in der Hälfte aller Patienten, die eine Instrumentation von HWK 1 benötigten, das Platzieren von HWK‑1-Pedikelschrauben sicher möglich war. Aufgrund des geringeren Blutungsrisikos aus dem Harms-Plexus und der erhöhten biomechanischen Festigkeit empfehlen wir, wenn möglich, die Instrumentation mit HWK‑1-Pedikelschrauben.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

L. Viezens, S. Sehmisch, L. Weiser, M. Dreimann und W. Lehmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

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Literatur
3.
Zurück zum Zitat Jeanneret B, Magerl F (1992) Primary posterior fusion C1/2 in Odontoid fractures: indications, technique, and results of transarticular screw fixation. J Spinal Disord 5:464–475CrossRefPubMed Jeanneret B, Magerl F (1992) Primary posterior fusion C1/2 in Odontoid fractures: indications, technique, and results of transarticular screw fixation. J Spinal Disord 5:464–475CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Dorsale Stabilisation der Halswirbelkörper HWK1/HWK2 modifiziert nach Goel-Harms mit HWK-1-Pedikelschrauben
verfasst von
PD Dr. Lennart Viezens
Stephan Sehmisch
Lukas Weiser
Marc Dreimann
Wolfgang Lehmann
Publikationsdatum
25.06.2019
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Operative Orthopädie und Traumatologie / Ausgabe 4/2019
Print ISSN: 0934-6694
Elektronische ISSN: 1439-0981
DOI
https://doi.org/10.1007/s00064-019-0615-7

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