Konventionelle MRT in der ALS-Diagnostik überflüssig?

Zwei ausgewiesene ALS-Spezialisten lieferten sich auf dem diesjährigen virtuellen Kongress der European Academy of Neurology eine Pro-Kontra-Debatte zu der Frage, ob die MRT-Untersuchung in der ALS-Diagnostik von Nutzen ist. Pro: Aufschlussreicher Schnappschuss vom Gehirn Als Verfechter der Pro-Position war PD Dr. Julian Grosskreutz angetreten, Leiter des Zentrums für neuromuskuläre und Motoneuron-Erkrankungen, Neurologie, Uni Jena. Grosskreutz schickte voraus, ALS sei ein sehr heterogenes Syndrom, sowohl was die Ausbreitung über unterschiedliche Abschnitte der Pyramidenbahn angehe, als auch hinsichtlich des Krankheitsverlaufs. Die MRI als „Schnappschuss vom Gehirn“ sei dennoch hilfreich, nicht nur um einschlägige Differenzialdiagnosen auszuschließen, sondern auch weil die MRI ALS-relevante Informationen liefern könne. Insbesondere quantitative MRI-Daten hätten sich als diagnostisch und prognostisch aussagekräftig erwiesen. Grosskreutz plädiert daher dafür, die in der Breite der Versorgungslandschaft weiterhin überwiegend qualitative MRI-Befundung durch quantitative Elemente zu ergänzen. Er wies in diesem Zusammenhang auf die Arbeit einer Arbeitsgruppe aus Bologna, Italien, hin, die auf einem retrospektiven Vergleich von multimodalen 3-Tesla-MRI-Befunden 93 ALS-Erkrankter und 89 gesunder Kontrollpersonen basierte. Die höchste diagnostische Genauigkeit hatte dabei das gleichzeitige Vorliegen von Hypointensität in der suszeptibilitätsgewichteten Bildgebung (SWI) des Motorkortex und von kortikospinaler FLAIR-Hyperintensität. Der positiv prädiktive Wert im Hinblick auf die korrekte Diagnose ALS betrug für diesen kombinierten Parameter 0,90, die Sensitivität 70% und die Spezifität 81%. Dieser Parameter war zudem mit einer kürzeren Lebenserwartung bei ALS assoziiert. [1] Kontra: MRT nur bei anatomisch plausibler Klinik Für die Kontraposition trat Prof. Martin Turner, Nuffield Department of Clinical Neurosciences, Uni Oxford, UK, ein. „Verlassen Sie sich auf Ihre Anamneseerhebung, Ihre Augen und Ihren Reflexhammer“, rät der Experte. Turner findet eine MRT-Aufnahme nur dann nützlich, wenn der klinische Befund auf eine plausible anatomische Erklärung für die vorliegenden Symptome hinweist. Als Beispiele für Differenzialdiagnosen zur ALS, bei denen die letztlich beweisführende MRT durch den klinischen Befund veranlasst wird, nannte Turner Tumore der Zunge, die multifokale motorische Neuropathie und die spinale Muskelatrophie vom Typ Hirayama, bei der die progrediente Muskelatrophie distal und segmental betont ist. Ein Grundproblem sieht Turner darin, dass mehr als 90% des Krankheitsprozesses bei ALS vor dem Auftreten erster Symptome und daher im Verborgenen ablaufe. Die konventionelle MRT ändere nichts an dieser Tatsache, da sie meist erst bei symptomatisch Erkrankten erfolge. Bei Mutationen im Gen C9orf72, dem Lokus, der bei fast der Hälfte aller hereditären ALS-Formen im Spiel ist, könnten sorgfältig definierte MRI-Marker aber möglicherweise in Zukunft zu einer früheren Diagnose verhelfen. Bei unter 40-jährigen präsymptomatischen Genträgern haben sich nämlich nicht nur kognitive, sondern auch strukturelle und mikrostrukturelle Veränderungen in bestimmten Zielregionen des Kortex, in Thalamus und Hypothalamus sowie im Rückenmark gezeigt. [2,3] Von einem breiten Einsatz fortgeschrittener MRI-Sequenzen und einer standardisierten Auswertung ALS-relevanter MRI-Daten ist man nach Turners Einschätzung aber noch weit entfernt. Empfehlung der Redaktion Berichte vom virtuellen Kongress EAN 2021 – das Kongressdossier Zwei seltene Ursachen für Rückenschmerzen, Müdigkeit als Hinweis auf einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung und Komorbiditäten bei MS-Kranken – das sind einige der Themen die auf dem 7. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) besprochen wurden. Mehr finden Sie im Kongressdossier. basierend auf: Virtueller EAN-Kongress 2021 vom 19. bis 22. Juni 2021, Julian Groskreutz und Martin Turner: Controversies in Amyotrophic Lateral Sclerosis: MRI, To be, or not to be, that is the question

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