Versteckte Infektion im Rückenmark

Bei höllischen Rückenschmerzen liegt der Verdacht eines Wirbelsäulenproblems nahe. Doch was, wenn die naheliegendste Diagnose die Symptome nicht erklären kann? Auf dem EAN-Kongress stellte Privatdozentin Bettina Pfaulser zwei Patientenbeispiele mit Rückenmarksinfekt vor. Der 46-jährige Mann hatte schon drei Wochen lang starke Rückenschmerzen, als er sich einem Neurologen vorstellte. Der Patient konnte sich nur schlecht nach vorne beugen, zeigte jedoch keine neurologischen Auffälligkeiten, das Labor wies lediglich einen leicht erhöhten CRP-Wert nach, und so schickte der Arzt den Mann mit Diclofenac nach Hausen. Dort verschlimmerten sich die Schmerzen aber so stark, dass er kaum noch gehen konnte, berichtete Privatdozentin Bettina Pfaulser von der Uniklinik Innsbruck auf dem virtuellen Kongress der europäischen Neurologengesellschaft EAN. In der Klinik war eine neurologische Untersuchung aufgrund der Schmerzen kaum noch möglich, das spinale CT ergab eine Osteochondrose sowie eine Neuroforamenstenose, beides schien aber nicht die Ursache für die starken Schmerzen zu sein. Im Labor fiel nun ein deutlich erhöhte CRP-Wert (8,7 mg/dl) auf, aber keine Liquorleukozytose. Die Ärzte um Pfaulser gingen von einer Spondylodiszitis aus und veranlassten eine spinale MRT, konnten aber keine Zeichen einer Wirbel- oder Bandscheibenentzündung erkennen. Sie vermuteten nun eine andere Art von Infektion und begannen mit einer Antibiotikatherapie. Dennoch veranlassten sie ein FDG-PET, dieses deutete im Bereich L5 auf eine Bandscheibenentzündung. Das MRT kann den klinischen Zeichen durchaus hinterherhinken, so Pfaulser. Wenn kein FDG-PET möglich ist, sollte das MRT nach einigen Tagen wiederholt werden, sofern sich die Beschwerden nicht bessern. Dies taten die Ärzte auch bei dem Innsbrucker Patienten und erkannten sechs Tage später im MRT einen deutlich ausgeprägten Spinalabszess. Die Ursache dafür fanden sie in der Blutkultur, hier konnten sie den Erreger Brucella melitensis nachweisen. Heimisch ist das gramnegative Bakterium vor allem auf dem Balkan, am Mittelmeer, im Nahen Osten, Mexiko und Teilen Südamerikas. Dort gibt es immer wieder Regionen mit hoher Prävalenz. In der EU werden etwa 600 Fälle pro Jahr bei Menschen gemeldet. Brucellen befallen vor allem Ziegen, Schafe und Rinder, vier Arten können auch Menschen infizieren, etwa über nicht sterilisierte Milch und Rohmilchprodukte sowie durch direkten Kontakt mit erkrankten Tieren. Brucella melitensis verursacht das Malta-Fieber, das oft zu einer Hepatosplenomegalie mit Neuralgie, Arthritis und Orchitis führt. Brucella abortus verursachte die Rinderbrucellose mit einem ähnlichen Erkrankungsbild bei Menschen. Gelegentlich befallen die Erreger auch Wirbel, Bandscheiben und Hirnhäute. FSME mit transverser Myelitis trotz Impfung Nicht einfach war auch die Diagnose bei einem 47-jährigen Jäger. Er befand sich drei Wochen vor der Klinikaufnahme auf einer Wildschweinjagd in Ungarn und wurde dort stark von Zecken befallen, war aber gegen FSME geimpft. Auffällig wurde er mit mehrere Tage anhaltendem Fieber, starken Kopfschmerzen und Übelkeit, schließlich entwickelte er Armparesen und musste aufgrund einer Ateminsuffizienz intubiert werden. Röntgenaufnahmen und CRP-Werte deuteten auf eine Pneumonie. Die gelähmten Muskeln zeigten keine Reflexe, auch das Schmerzempfinden war beeinträchtigt. Im MRT erkannten die Ärzte eine extensive transverse Myelitis ab C4. Aufgrund der rasch einsetzenden Muskellähmung, der fehlenden Reflexe und der Vorderhornauffälligkeiten gingen sie von einer akuten schlaffen Myelitis aus. Diese wird häufig durch Nicht-Polio-Enteroviren verursacht. In diesem Fall ließ sich jedoch das FMSE-Virus nachweisen. Die letzte FSME-Impfung lag offenbar zwölf Jahre zurück, zudem erfolgte die Impfung nicht nach dem korrekten Zeitplan. Trotz Impfung dürfe man eine FSME nicht ausschließen, es gebe immer wieder Impfdurchbrüche, so das Fazit von Pfaulser. Empfehlung der Redaktion Berichte vom virtuellen Kongress EAN 2021 – das Kongressdossier Zwei seltene Ursachen für Rückenschmerzen, Müdigkeit als Hinweis auf einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung und Komorbiditäten bei MS-Kranken – das sind einige der Themen die auf dem 7. Kongress der European Academy of Neurology (EAN) besprochen wurden. Mehr finden Sie im Kongressdossier. basierend auf: Virtueller EAN-Kongress 2021 vom 19. bis 22. Juni 2021, Interactive Session 03: Bettina Pfaulser: The spinal cord. Not everything is neuro-covid – don´t forget the others in a moving world.

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