Sport für Demenzkranke?

Körperliche Inaktivität gilt als wichtiger Risikofaktor für eine Demenz, viel Sport sollte daher das Demenzrisiko senken. Ob allerdings auch Personen mit bestehender Demenz kognitiv profitieren, wenn sie sich mehr bewegen, ist umstritten. Es gibt Hinweise dafür, aber auch dagegen. Bei der Prävention ist die Sache klar: Wer zeitlebens viel Sport treibt, vom Boxsport und anderen hirntraumafördernden Sportarten einmal abgesehen, muss eine Demenz im Alter weit weniger fürchten als ein Bewegungsmuffel. Dem Sport werden dabei sowohl direkte als auch indirekte Effekte zugeschrieben: So sind Sportler seltener dick, vermeiden durch die Bewegung Hypertonie und Diabetes und sind kardiovaskulär in der Regel wesentlich gesünder als unsportliche Zeitgenossen. Damit fallen bei Sportlern zumindest die wichtigsten metabolischen und vaskulären Demenzrisikofaktoren weg. Zu den direkten Wirkungen zählen ein verbesserter zerebraler Blutfluss und die vermehrte Ausschüttung von neurotrophen Faktoren. Zudem senkt Sport die Kortisolspiegel – hohe Werte des Stresshormons scheinen Studien zufolge dem Hippocampus zu schaden. All das mag das größere Hippocampusvolumen bei älteren Sporttreibenden erklären. Beschleunigte Demenz unter moderatem bis intensivem Training Ob davon jedoch auch noch Menschen profitieren, die bereits eine Demenz haben, ist schon deutlich weniger klar. Eigentlich, so Dr. Nicola Veronese von der Universität in Palermo in Italien, sollten die neuroprotektiven Effekte von Sport auch Demenzkranken zugutekommen und die Krankheitsprogression etwas verzögern oder zumindest die Kognition symptomatisch verbessern, erläuterte der Neurologe auf dem Kongress der europäischen Neurologengesellschaft EAN in Wien. Studien liefern dazu jedoch recht widersprüchliche Resultate. Besondere Schockwellen sandte die vor vier Jahren veröffentlichte Studie „Dementia And Physical Activity“ (DAPA) aus. An dieser beteiligten sich immerhin fast 500 Demenzkranke mit leichter bis moderater Demenz sowie ihre Betreuer (BMJ 2018; 361:k1675). Zwei Drittel nahmen über vier Monate hinweg an einem moderaten bis intensiven Ausdauer- und Krafttraining teil, die übrigen erhielten die Standardversorgung ohne Sportprogramm. Zur Überraschung der Studienautoren um Professor Sarah Lamb von der Universität in Oxford schritt die Demenz in der Trainingsgruppe signifikant schneller voran als unter der Standardversorgung, und dies, obwohl sich Kraft und Ausdauer mit dem Training messbar verbesserten. Auch auf Alltagsaktivitäten und Verhaltensprobleme zeigte das Training keinen positiven Einfluss. Die Forscherinnen und Forscher um Lamb wollen nicht ausschließen, dass ein relativ intensives Training Demenzkranken tatsächlich schadet, etwa durch eine transiente Hypoxigenierung des Gehirns während der Übungen oder durch eine Verstärkung entzündlicher Prozesse. Für Veronese ist die DAPA-Studie, wenngleich recht groß, jedoch nur eine von vielen Interventionsstudien, und die meisten anderen hätten eher positive Auswirkungen von Trainingsprogrammen auf Demenzkranke ergeben. Der Neurologe verwies auf eine Metaanalyse von 13 randomisiert-kontrollierten Studien zu körperlicher Aktivität bei Alzheimerkranken – diese hätten in der Summe einen deutlichen Vorteil der Trainingsprogramme auf die Kognition ergeben – mit einer recht hohen Effektstärke von 1,1 (SMD). Eine Analyse von 19 Studien mit Demenzkranken jeglichen Typs kam auf eine Effektstärke von 0,5 zugunsten der Interventionen. Mit ähnlichen Effektstärken seien über die Trainingsprogramme zudem die Alltagsaktivtäten verbessert und die Zahl der Stürze reduziert worden, auch seien damit Depressionen und Verhaltensstörungen erheblich seltener aufgetreten. Allerdings, so Veronese, sei das Evidenzniveau der zumeist kleinen und monozentrischen Studien recht gering, der Neurologe sieht daher Bedarf für weitere größere Studien. Diese sollten auch klären, ob mehr körperliche Aktivität bei ersten kognitiven Einschränkungen (MCI) eine Demenz verzögern kann und ob sich damit der Verlauf bei leichter Demenz bremsen lässt. Empfehlung der Redaktion Berichte vom Kongress EAN 2022 – das Kongressdossier Im Dossier finden Sie unsere Highlights und Berichte vom 8. Kongress der European Academy of Neurology (EAN). Sie lesen zum Beispiel zu Parkinsonmutationen und der damit verbundenen Lebenserwartung, zum neuen Komplementhemmer bei NMOSD und erfahren, welche Forschungsergebnisse die Entstehung von Migräne mit Aura weiter entschlüsseln. Link zur DAPA-Studie: https://www.bmj.com/content/361/bmj.k1675 Quelle: 8th Congress of the European Academy of Neurology (EAN). Wien und virtuell, 25-28.6.2022. EUGMS: Different perspectives for older patients with dementia. Nicola Veronese: Challenges and opportunities of physical activity interventions in people with dementia

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Sport für Demenzkranke?

Weiterführende Themen

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Antihypertensiva schützen auch alte Menschen noch vor Demenz

Fünf Dinge, die im Kindernotfall besser zu unterlassen sind

Delir kann Demenz begünstigen

Manche Gestagene können das Risiko für Meningeome erhöhen