Bremst das richtige Darmmikrobiom die MS-Progression?

MS-Kranke mit einem dysbiotischen Darmmikrobiom neigen eher zu einer MS-Progression als solche mit einer vielfältigen und gesunden Darmflora. Möglicherweise kann eine Ernährungsumstellung den Krankheitsverlauf bremsen. Welchen Einfluss Ernährung und Darmmikrobiom auf die MS-Entstehung und -Progression haben, wird seit einigen Jahren heftig diskutiert. In MS-Tiermodellen entwickelten Mäuse nach dem Transfer von Stuhl von MS-Kranken eine weitaus aggressivere Autoimmunenzephalitis als nach einem Stuhltransfer von gesunden Menschen. Hinweise aus mehreren Ländern, etwa Japan, deuten auf ein drastisch erhöhtes MS-Risiko bei Menschen, die sich von einer ballaststoffreichen traditionellen Ernährung verabschieden und einer westlichen Diät zuwenden. Als Grund wird ein Mangel an ballaststoffabbauenden Darmbakterien vermutet. Solche Bakterien produzieren kurzkettige Fettsäuren, vor allem Buttersäureester, die wiederum für die Induktion regulatorischer T-Zellen nötig sind. Die genauen Zusammenhänge sind jedoch alles andere als klar, so ist wenig bekannt, welche Bakterien für den MS-Schutz entscheidend sein könnten, auch gebe es zumeist nur wenig aussagekräftige Querschnittstudien und kaum Longitudinalstudien zu dem Thema, erläuterte Dr. Ayla Pauwels von der Universität Brüssel auf dem Kongress der europäischen Neurologengesellschaft EAN in Wien. Die Neurologin geht zudem davon aus, dass eine Korrelation mit einzelnen Darmbewohnern wenig aussichtsreich ist, man müsse vielmehr das ganze Darmmikrobiom im Blick haben. Vier Enterotypen analysiert Pauwels stellte auf der Tagung eine Grobaufteilung des Mikrobioms in vier Enterotypen vor (Aramugam und Raes, Nature 2011). Danach überwiegt bei westlicher Ernährung der Typ „Bacteroides 1“, bei ballaststoffreicher Diät der Typ „Prevotella“ und bei langsamem Darmtransit der Typ „Ruminococcus“. Besonders gering ausgeprägt ist die Vielfalt der Darmmikroben jedoch beim Enterotyp „Bacteroides 2“, vor allem gibt es dort nur wenige antientzündlich wirkende Faecalibakterien. Pauwels spricht hier von einem dysbiotischen Mikrobiom. Dieser Typ lässt sich vor allem bei Adipositas, Reizdarm und Depressionen beobachten. Anhand einer Longitudinalstudie hat ein Team um die Neurologin nun geschaut, wie häufig die einzelnen Enterotypen mit einer MS-Progression einhergehen. Das Ergebnis war vor allem für den dysbiotischen Enterotyp Bacteroides 2 recht eindeutig: MS-Kranke mit diesem Typ zeigten überproportional häufig eine Krankheitsprogression. An der Studie nahmen 111 MS-Kranke teil, drei Viertel hatten eine schubförmige, die übrigen eine primärprogrediente MS, die allermeisten waren nicht oder noch nicht immunmodulatorisch behandelt, nur rund ein Viertel hatte bereits Interferone erhalten. Alle gaben zu Beginn und nach drei Monaten eine Stuhlprobe ab, über die der Enterotyp ermittelt wurde. Anschließend folgten über vier bis fünf Jahre hinweg regelmäßige klinische Untersuchungen, unter anderem mit dem Nine-Hole-Peg-Test (NHPT) und dem 25-Fuß-Gehtest (T25FW). Eine Progression wurde anhand der EDSS-Plus-Skala ermittelt, dafür musste eine Verschlechterung beim EDSS-Wert, dem NHPT oder dem T25FW vorliegen und über mindestens sechs Monate anhalten. Eine Progression entsprechend dieser Kriterien stellten die Ärztinnen und Ärzte nach im Mittel 4,4 Jahren bei 41% der MS-Kranken fest. Empfehlung der Redaktion Berichte vom Kongress EAN 2022 – das Kongressdossier Im Dossier finden Sie unsere Highlights und Berichte vom 8. Kongress der European Academy of Neurology (EAN). Sie lesen zum Beispiel zu Parkinsonmutationen und der damit verbundenen Lebenserwartung, zum neuen Komplementhemmer bei NMOSD und erfahren, welche Forschungsergebnisse die Entstehung von Migräne mit Aura weiter entschlüsseln. Progressionsrisiko bei dysbiotischem Enterotyp erhöht Wie sich zeigte, hatten von den MS-Kranken mit Progression rund 45% zu Beginn einen Bacteroides-2-Enterotyp, von denen ohne Progression waren es etwa 20%. Umgekehrt entwickelten etwa 70% mit Bacteroides 2 eine EDSS-Plus-Progression, aber nur rund 30% mit anderen Enterotypen. Bacteroides 1 dominierte bei etwa 50% ohne Progression, war aber nur bei 25% mit Progression vorhanden, bezogen auf die anderen Enterotypen ergaben sich keine größeren Differenzen. Besonders stark ausgeprägt war der Zusammenhang zwischen Bacteroides 2 und Progression bei schubförmiger MS. Berücksichtigte das Team um Pauwels sämtliche bekannten Progressionsrisikofaktoren, blieb das Risiko für eine Behinderungsprogression mit Bacteroides 2 deutlich erhöht, selbst dann, wenn Leichtkettenneurofilament (NFL) in die Rechnung aufgenommen wurde. Dieser Enterotyp scheint damit unabhängig von anderen Faktoren auf ein erhöhtes Progressionsrisiko zu weisen. Ob die dysbiotische Darmflora aber ursächlich an der Progression mitwirkt, ist eine andere Frage, möglicherweise handelt es sich nur um einen Marker. Auf der anderen Seite könnte – ein kausaler Zusammenhang vorausgesetzt – ein Wechsel des Enterotyps durch eine Ernährungsumstellung das Progressionsrisiko mindern. Dies müsste nun jedoch in weiteren Studien gezeigt werden. basierend auf: 8th Congress of the European Academy of Neurology (EAN). Wien und virtuell, 25-28.6.2022. Late Breaking News 1. Ayla Pauwels: Gut microbiota composition is associated with disability worsening in multiple sclerosis.

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