SGLT-Hemmung bei Typ-1-Diabetes quo vadis?

Beim EASD-Kongress in Lissabon sind mit DEPICT-1 und TANDEM-3 zwei Studien der Entwicklungsphase 3 zur SGLT-Hemmung bei Typ-1-Diabetes vorgestellt worden. Ihre Ergebnisse machen Hoffnung, bestätigen aber auch die Risiken. Menschen mit Typ-1-Diabetes brauchen die Insulinsubstitution. Aber diese überlebenswichtige Therapie funktioniert aus verschiedenen Gründen oft nicht perfekt, trotz inzwischen weit entwickelter Insuline. Blutzuckerspitzen lassen sich nicht in den Griff bekommen, das Körpergewicht steigt, das Hypoglykämierisiko ist vor allem bei strikter Stoffwechselkontrolle ein ständiger Begleiter und die Ketoazidose lauert im Hintergrund. Man sucht nach einer effektiven Zusatztherapie, die keine zusätzlichen Risiken birgt. Aber außer Insulin gibt es bislang kein zur Blutzuckersenkung bei Typ-1-Diabetes zugelassenes Medikament. In den USA hat es lediglich Pramlintid geschafft, ein Analogon des Pankreashormons Amylin, das u.a. die Glukagonsekretion bremst. Aber es muss ebenfalls injiziert werden und verursacht häufig Übelkeit. Zuletzt zeigte etwa die Wirkung von Metformin in der Studie REMOVAL bei Typ-1-Diabetes zwar in die erwünschte Richtung. Aber weder die HbA1c-Verbesserung oder Gewichtsreduktion, noch der kardiovaskuläre Schutzaspekt konnten darin wirklich überzeugen. Vielversprechend ist das Prinzip der SGLT-(sodium dependent glucose transporter)Hemmung, sei es selektiv SGLT2 oder auch dual SGLT1 und 2, wodurch außer der Glukoserückresorption in den Nieren zusätzlich die Glukoseaufnahme aus dem Darm reduziert wird. Medikamente dieser Substanzklassen haben es bei Typ-1-Diabetes zusätzlich zu Insulin immerhin schon in die Phase 3 der Entwicklung gebracht. Beim EASD-Kongress in Lissabon wurden nun 2 Studien aus verschiedenen Programmen vorgestellt, die Hoffnung auf mehr machen. Die DEPICT-1-Studie mit Dapagliflozin Die Studie DEPICT-1 (Dapagliflozin Evaluation in Patients With Inadequately Controlled Type 1 Diabetes) mit dem selektiven SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin ist auf 52 Wochen angelegt. In Lissabon wurde erstmals Daten der doppeltblinden Kurzzeittherapiephase bis 24 Wochen präsentiert, auf die der primäre Endpunkt ausgerichtet ist. Das Gliflozin ist unter dem Handelsnamen Forxiga® bei Typ-2-Diabetes bereits zugelassen. Für die weltweite Multicenterstudie wurden 834 erwachsene Typ-1-Diabetiker (HbA1c 7,5 -10,5 %, Mittel 8,5%, mittleres Alter 42 Jahre, BMI im Mittel 28 kg/m2) etwa zu gleichen Anteilen in 3 Therapiearme randomisiert und nahmen zusätzlich zu ihrer Insulintherapie (Pen oder Pumpe) entweder Dapagliflozin 5 mg/d, 10 mg/d oder Placebo ein. Primärer Endpunkt war der HbA1c-Wert nach 24 Wochen. Sekundäre Endpunkte waren u.a. die Entwicklung der Insulindosis, des Gewichts, der Glukoseschwankungen und der Anteil der Patienten, die mindestens 0,5 % HbA1c-Abnahme erfuhren, ohne eine schwere Hypoglykämie zu erleiden. Die Insulindosis insgesamt (Basis und Bolus) wurde nach Einnahme der ersten Studienmedikation um maximal 20 % reduziert. Diese Begrenzung basierte auf Voruntersuchungen im Hinblick auf eine Minimierung der Ketoazidosegefahr aufgrund des Glukoseverlusts durch Dapagliflozin. Alle Patienten erhielten ein kombiniertes Glukose-/Ketometer und waren angehalten, mindestens 4x am Tag die Blutglukose zu kontrollieren. Unabhängig davon sollten sie ihre Ketonkörper bei Verdachtsmomenten und an Krankheitstagen prüfen und oberhalb von 0,6 mmol/l Betahydroxybutyrat das Studienzentrum kontaktieren. Diesbezügliche Auffälligkeiten wurden von einem verblindeten Begutachtungskomitee auf Basis der ADA-Kritierien eingeschätzt. Ein Großteil der Patienten nutzte auch ein System zur kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung (CGM). 778 Patienten gingen in die Effektivitätsanalyse ein. Die Ergebnisse präsentierte Prof. Paresh Dandona von der State University of New York/Buffalo/USA in Lissabon. Der HbA1c-Wert fiel im Vergleich zu Placebo in beiden Verumgruppe innerhalb von 4 Wochen signifikant ab und blieb bis Woche 24 relativ stabil (Woche 24 im Mittel -0,42 resp. -045%-Punkte vs. Placebo ab Randomisierung). Die Insulindosis war zu diesem Zeitpunkt im Vergleich zu Placebo um 8 % (5 mg Dapa) resp. 13 % (10 mg Dapa) reduziert. Dies indiziere einen deutlichen Effekt der Studienmedikation, so Dandona, denn der Therapieerfolg zeige sich jeweils zur Hälfte in der Glykämie- wie der Insulindosisreduktion. In beiden Verumgruppen sank das Körpergewicht kontinuierlich mit einem signifikanten Unterschied zu Placebo um 2-3 %, und etwa die Hälfte der Patienten jeweils – und damit doppelt so viele wie mit Placebo - erreichten den sekundären Endpunkt „mind. 0,5% Hb1c-Senkung ohne schwere Hypoglykämie“. Auch wurden glykämische Schwankungen in der kontinuierlichen Glukosemessung dosisabhängig deutlich verringert und die Zeit im Blutzuckerzielbereich erhöht, wie Dandona berichtete. Ein Ergebnis, das näher zu untersuchen sein wird, sei der relativ starker Abfall der interstitiellen Glukose in den frühen Morgenstunden. Dieser fand sich in allen drei Gruppen, aber deutlich stärker mit dem Gliflozin und noch bevor die nächste Dosis am Morgen eingenommen wurde. Unerwünschte Effekte traten in den Verumarmen etwas öfter auf als mit Placebo. Besonders zu erwähnen ist die erhöhte Rate an Genitalinfektionen, Harnwegsinfekte gab es nicht vermehrt. Hypoglykämien, auch schwere, waren in den Verumarmen nicht häufiger als mit Placebo. „Und dies in einer Studie, die groß genug ist, um die Sicherheit des Studienpräparats in dieser Hinsicht zu belegen“, sagte Dandona. Anders als von vielen erwartet war auch die Rate an belegten Ketoazidosen in allen drei Studienarmen mit 3 (Placebo), 4 (5 mg DAPA) und 5 (10 mg DAPA) nahezu identisch. Bis auf einen Fall konnte immer ein Grund zugeordnet werden (Pumpenversagen, Ausfall einer Insulindosis, Alkoholkonsum oder Stress). Außer Dandona zeigte sich auch der unabhängige Kommentator Prof. Maciej Malecki, vom Jagiellonian University Medical College in Krakau/Polen sehr zufrieden mit den Studienergebnissen und äußerte die Hoffnung auf eine baldige Zulassung von Dapagliflozin bei Typ-1-Diabetes. Nichtsdestotrotz seien noch viele Fragen offen, nicht zuletzt die zum Potenzial der Substanz im Langzeitverlauf, im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse und bei anderen Patientenkollektiven als dem in DEPICT-1, etwa mit niedrigerer Insulineinstiegsdosis als 60 IU/d. Die TANDEM-3-Studie mit Sotagliflozin In die ebenfalls weltweit rekrutierte Multicenterstudie TANDEM-3 wurden 1.402 erwachsene Typ-1-Diabetiker (mittleres Alter 43 Jahre, BMI 28 kg/m2, Insulindosis insgesamt im Mittel 57-58 IU/d, HbA1c 7-11%, im Mittel 8,2 %) aufgenommen. Zusätzlich zu ihrer Insulintherapie mit Pen oder Pumpe erhielten sie entweder doppeltblind 400 mg/d des SGLT-1-2-Hemmers Sotagliflozin (2x200 mg per os) oder Placebo. Zur ersten Mahlzeit nach Beginn der Studienmedikation wurde das prandiale Insulin um 30 % reduziert und danach angepasst an die Blutglukose wie gewohnt titriert. Auch kontinuierliche Glukosemessung war erlaubt, die Daten wurden hier aber nicht ausgewertet. Die Patienten erhielten Geräte zur Ketonmessung und wurden im Hinblick auf Ketoazidosen geschult. Auch hier wurde der primäre Endpunkt nach 24 Wochen abgefragt. Anders als in DEPICT-1 handelte es sich in TANDEM-3 allerdings um einen kombinierten Endpunkt aus HbA1c-Senkung unter 7 % ohne Auftreten einer schweren Hypoglykämie oder Ketoazidose im Studienverlauf. Sekundäre Endpunkte betrafen HbA1c, Gewicht, Blutdruck und Insulindosis. Und auch hier wurden Ereignisse wie schwere Hpoglykämien oder Ketoazidosen unabhängig beurteilt. Die Ergebnisse stellte Prof. Melanie J. Davies von der Universität Leicester/UK in Lissabon vor. Hier die wichtigsten: In der Verumgruppe erreichten mit 28,6 % versus 15,2 % signifikant mehr Patienten den primären Endpunkt. Am Ende lag der HbA1c-Wert mit dem Gliflozin um 0,46%-Punkte niedriger (signifikanter Unterschied zu Placebo), das Gewicht etwa 3 kg und die Insulindosis insgesamt um ca. 5 IU/d versus Placebo (entspricht etwa 9 % Dosisreduktion), wobei Bolusinsulin etwas mehr reduziert war. Wie in DEPICT-1 war erwartungsgemäß auch der systolische Blutdruck leicht reduziert, etwa um 3 mm HG im Mittel. Das Gewicht stieg mit Placebo um etwa 1 kg und fiel mit Sotagliflozin um etwa 2 kg, wiederum ein signifikanter Unterschied. Allerdings waren auch in TANDEM-3 einige unterwünschte Ereignisse häufiger als mit Placebo. So klagten etwa doppelt so viele Patienten im Gliflozinarm über Durchfall (29, 4%), Genitalmykosen waren ebenfalls etwa doppelt so häufig, Harnwegsinfekte aber numerisch sogar seltener. Fast alle Patienten in beiden Gruppen hatten mindestens eine Hypoglykämie unter 3,9 mmol/l. Schwere Hypoglykämien (benötigte Fremdhilfe, Bewusstlosigkeit, Krampfanfall) waren mit dem Gliflozin zwar numerisch höher, nämlich 21 versus 17, aber dokumentierte Hypoglykämien ≤55 mg/dl sogar signifikant seltener. Anders als in DEPICT-1 gab es in TANDEM-3 aber einen klaren Unterschied bei den diabetischen Ketozidosen: Sie waren mit 3 % vs. 0,6 % (21 vs. 4 Patienten) mit Sotagliflozin merklich häufiger. 11 Patienten (versus 1 Patient in der Placebogruppe) brachen die Studie deshalb ab. Was kann man nun mit diesen Ergebnissen anstellen? Insgesamt betrachtet hielten sich die Vortragenden mit Aussagen zu Konsequenzen für die Praxis ziemlich zurück, vieles müsse noch näher untersucht werden und der Einsatz von Gliflozinen ist bekanntlich nach wie vor off label use bei Typ-1-Diabetes. Sie machten deutlich, dass der Nutzen durch die Gliflozintherapie individuell streng gegen die Risiken – insbesondere das der Ketoazidose - und den Aufwand eines Patienten abgewogen werden muss. Patienten mit Insulinpumpe sind offenbar aufgrund von möglichen Funktionsstörungen des Geräts stärker gefährdet. Der Bedarf an antidiabetischen Zusatztherapien sei aber auch angesichts der wachsenden Zahl übergewichtiger Typ-1-Diabetiker unbestreitbar vorhanden und die Datenlage unbefriedigend. Wie das unterschiedliche Ergebnis der beiden Studien bei den Ketoazidosen genau zu erklären sei, müsse noch näher beleuchtet werden. Erhöhte Ketonspiegel hatte es jedenfalls auch in DEPICT-1 gegeben. Am aussagekräftigsten war in Lissabon noch der Kommentar des Prof. John Buse von der Universität North Carolina in Chapel Hill/USA. Das Wirkprinzip der SGLT-Hemmung habe einen bedeutenden Nutzen und man müsse versuchen, die Risiken zu minimieren. Dabei ist allem voran die Patientenauswahl hinsichtlich Adhärenz und Risikofaktoren wichtig. Ungünstig sei die Therapie etwa bei niedriger Insulindosis, ungewöhnlichen Ernährungsgewohnheiten, Extremsportlern und Menschen, die häufig krank sind. Folgende Tipps gab er mit auf den Weg, wenn ein SGLT-Hemmer bei Typ-1-Diabetes eingesetzt wird: Zuvor einige Tage Ketonkörper am Morgen messen. Mit einer geringen SGLT-Hemmer-Dosis starten. Das Basalinsulin um 10 % reduzieren, wenn die Nüchternglukose im Zielbereich ist oder der Patient nächtliche Hypoglykämien hat. Eine sorgfältige Glukosekontrolle, vorzugsweise mit CGM oder häufiger SMBG auch mal mitten in der Nacht. Morgendliche Ketonwerte routinemäßig für 1-2-Wochen prüfen. Ketoncheck mindestens einmal täglich, außer man fühlt sich topfit (also etwa bei Unwohlsein, Alkoholkonsum oder nach langer oder anstrengender körperlicher Aktivität auf jeden Fall) Bei Ketonwerten ≥0,6 mmol/L Blut oder >= „mittel“ im Urinsticks: SGLT-Hemmer aussetzen, 15-30 g Kohlenhydrate plus Insulin jede Stunde, ausreichend trinken. Falls das nicht geht, Arzt aufsuchen. SGLT-Hemmer im Fall einer Operation oder Fastenperiode absetzen. Postulierte theoretische Vorteile im Hinblick auf eine Ketoazidoseentstehung konnte die zusätzliche SGLT-1-Hemmung durch Sotgliflozin im Vergleich zu Dapagliflozin mit Betrachtung dieser beiden Studien noch nicht belegen. Dazu gehören verringerte Volumeneffekte mit Katecholaminausschüttung, geringere postprandiale Glukosewerte mit weniger Bedarf an Insulinreduktion und verstärkte Enterohormonausschüttung durch mehr Glukose im distalen Gastrointestinaltrakt, die ggf. zu einer verminderten Glukagonausschüttung führt. Klärung im Hinblick auf den genauen glykämischen und Gewichtsvorteil könne ohnehin nur eine direkte Vergleichsstudie mit den beiden Substanzen bringen, schloss Buse. basierend auf: 53rd Annual Meeting der European Society for the study of diabetes (EASD), 13. / 14.9.2017, Lissabon Weiterführende Literatur [1] Dandona P, Mathieu C, Phillip M Et al. Lancet Diabetes Endocrinol. 2017 Sep 13. pii: S2213-8587(17)30308-X. doi: 10.1016/S2213-8587(17)30308-X. [Epub ahead of print] Efficacy and safety of dapagliflozin in patients with inadequately controlled type 1 diabetes (DEPICT-1): 24 week results from a multicentre, double-blind, phase 3, randomised controlled trial. [2] Garg SK, Henry RR, Banks P et al. N Engl J Med. 2017 Sep 13. doi: 10.1056/NEJMoa1708337. [Epub ahead of print] Effects of Sotagliflozin Added to Insulin in Patients with Type 1 Diabetes.

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