In der Therapie intestinaler Motilitätsstörungen stellt die implantatvermittelte Elektrostimulation (ES) einen vielversprechenden Ansatz dar. Die präklinische Anwendung eines Prototyp-Implantats verlief technisch erfolgreich. Eine deutliche Kontraktion im Colon ascendens wurde in der Videoanalyse synchron zur Elektromyographie nach ES mit 5 mA detektiert.
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Hintergrund und Fragestellung
Intestinale Motilitätsstörungen manifestieren sich durch ein breites Symptomspektrum und beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen durch physische und soziale Einschränkungen erheblich [1]. Therapierefraktäre Krankheitsbilder können u. a. durch eine Slow-Transit-Obstipation oder chronische idiopathische kolonische Pseudoobstruktion (CICP) bedingt sein. Dekompressive Verfahren wie die Zökostomie oder eine subtotale Kolektomie mit ileo- oder zökorektaler Anastomose finden aktuell therapeutische Anwendung [2‐4]. Die sakrale Nervenstimulation hat keinen nachgewiesenen Nutzen in der Behandlung der Slow-Transit-Obstipation [5, 6].
Eine vielversprechende Alternative für therapierefraktäre Fälle stellt die direkte implantatvermittelte Elektrostimulation (ES) dar, deren Anwendung im Bereich des Kolons jedoch derzeit noch Gegenstand experimenteller Forschung ist [7].
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Das interdisziplinäre Projekt „Interaktive Mikroimplantate“ (INTAKT) verfolgt den innovativen Ansatz, aktive vernetzte Implantate mit intelligenter Sensortechnologie und ES-basierter Motilitätsmodulation zu entwickeln, um Motilitätsstörungen gezielt zu überwachen und zu behandeln [8‐10].
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Grundlegender Aufbau des Prototyp-Implantats
Die Cermet-Grundplatte mit einem Durchmesser von 22 mm ist mit 6 Flächenelektroden ausgestattet. Im Rahmen des präklinischen Experiments ist das Implantat mittels Drahtzuführung direkt an den Messverstärker und den Signalgenerator (ISIS Xpress, inomed Medizintechnik GmbH, Emmendingen, Deutschland) angeschlossen. Durch die Abdeckung aus thermoplastischem Polyurethan (TPU) ergibt sich eine Implantathöhe von 10 mm, die nach vollständiger Silikonvergussversiegelung zu einem Gesamtdurchmesser von 30 mm führt (Abb. 1).
Abb. 1
Darstellung des kabelgebundenen Prototyp-Implantats mit Detailaufnahmen der elektronischen Komponenten (inomed Medizintechnik GmbH, Emmendingen, Deutschland; Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik)
Das Akutexperiment wurde an einem gesunden Schwein (Körpergewicht: 39 kg) unter Allgemeinanästhesie mit Propofol und Fentanyl nach vorheriger Prämedikation mit Midazolam durchgeführt, wobei die Vitalparameter kontinuierlich überwacht wurden. Über eine mediane Laparotomie wurde das Implantat auf das Colon ascendens aufgelegt.
Anschließend erfolgten am offenen Abdomen elektromyographische (EMG) Ableitungen sowie Elektrostimulationen, bei denen Stimulationsparameter mit schrittweise ansteigender Energie auf das Zielorgan appliziert wurden (Stromstärken: 2,5 und 5 mA; Frequenz: 30 Hz; Pulsbreite: 200 µs; Stimulationsdauer: 30 s). Zur elektrophysiologischen Basisuntersuchung wurden zusätzlich mehrere bipolare Hakenelektroden subserosal am terminalen Ileum, Zökum und Colon ascendens positioniert.
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Datenanalyse
Die Analyse basiert auf 3 Zeitfenstern von jeweils 30 s: vor, während und nach der elektrischen Stimulation. Diese Intervalle wurden für beide Stimulationsintensitäten (2,5 und 5 mA) systematisch untersucht.
Für die komplexe Auswertung der EMG-Daten wurde eine Multiresolutionsanalyse zur Erkennung von Slow-Waves eingesetzt. Durch die Zerlegung der Signale in Frequenzbandkomponenten können Artefakte und Störungen unter Berücksichtigung des Energiedichtespektrums wirksam gefiltert werden. Dieser Prozess wurde in Python unter Verwendung der Bibliotheken numpy, scipy, scipy.signal und matplotlib implementiert (Python Software Foundation, http://www.python.org) [12]. Zur Quantifizierung der muskulären Aktivität wurde das EMG-Signal über die definierten Zeitfenster hinweg integriert, um ein Maß für die Gesamtaktivität innerhalb jedes Intervalls zu erhalten.
Die Kolonmotilität wurde mithilfe einer markergestützten Videoanalyse untersucht
Die Kolonmotilität wurde mithilfe einer markergestützten Videoanalyse untersucht ([11]; Abb. 2). Optische Marker wurden auf der Kolonserosa positioniert und ihre Bewegungen videobasiert erfasst. Die Auswertung erfolgte für die drei definierten Zeitintervalle relativ zu einem initialen Referenzpunkt, wobei die maximale Verschiebung der Markerpositionen in Pixeln gemessen wurde.
Abb. 2
Über eine mediane Laparotomie wurde das Implantat am Colon ascendens angebracht. Optische Marker dienen der Videoanalyse und Hakenelektroden einer elektrophysiologischen Basisuntersuchung
Intraoperativ traten weder chirurgische noch anästhesiologische Komplikationen auf. Über die Implantat-Flächenelektroden wurden Impedanzen von unter 5 kΩ gemessen, und die aufgezeichneten EMG-Signale wiesen eine hohe Signalqualität auf.
Die implantatvermittelte ES mit Stromstärken von 2,5 und 5 mA verlief technisch erfolgreich. In der Implantat-EMG wurden während der Stimulation hochfrequente Artefakte beobachtet, die sich als transiente Spitzen zu Beginn und am Ende der Stimulationsphase manifestierten (Abb. 3). Unter einer Stimulationsintensität von 2,5 mA zeigte die Multiresolutionsanalyse eine Verstärkung der niederfrequenten Komponenten, insbesondere im Bereich von 0,04–0,08 Hz, die auch nach Beendigung der Stimulation persistierte. Zusätzlich traten weitere niederfrequente Signalanteile auf. Die Videoanalyse ergab dabei keine signifikante Markerdislokation.
Abb. 3
Implantatvermittelte Elektrostimulation mit 2,5 und 5 mA für 30 s mit Elektromyographie(EMG)-Frequenzanalyse und markergestützter Videoanalyse
Bei einer Stimulationsstärke von 5 mA war eine markante Zunahme der Aktivität im Frequenzbereich von 0,08–0,31 Hz nachweisbar, begleitet von einer erhöhten Grundaktivität. Nach dem Stimulationsende zeigte sich ein verzögertes Abklingen der niederfrequenten Signalanteile im Bereich von 0,02–0,08 Hz. Die markerbasierte Videoanalyse detektierte, synchron zur Multiresolutionsanalyse, eine deutliche Dislokation von 4 auf 22 Pixel.
In der integrierten EMG zeigte sich bei implantatvermittelter ES mit 2,5 mA eine relativ konstante elektrische Aktivität über die drei definierten Zeitfenster (jeweils 30 s vor, während und nach der ES). Die höhere Intensität von 5 mA führte zu einer deutlich erhöhten Aktivität während der ES (Tab. 1).
Tab. 1
Zur Quantifizierung der muskulären Aktivität wurde das Signal in der Elektromyographie (EMG) über 30-Sekunden-Intervalle integriert. Die Kolonmotilität wurde mithilfe einer markergestützten Videoanalyse relativ zu einem initialen Referenzpunkt untersucht (n = 1)
Stromstärke
Prästimulation
[30 s]
Stimulation
[30 s]
Poststimulation
[30 s]
Integrierte EMG (mVs)
2,5 mA
202
194
178
5 mA
286
509
129
Markerauslenkung (Pixel)
2,5 mA
3,7
4,9
3,3
5 mA
3,3
16,4
5,3
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Die Videoanalyse zeigte bei ES mit 2,5 mA nur eine geringfügige Dislokation der optischen Marker in Bezug auf den initialen Bezugspunkt, während es bei ES mit 5 mA zu einer markanten Auslenkung innerhalb des 30-sekündigen Analysefensters kam.
Diskussion
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen eine Modulation der myoelektrischen Aktivität und der intestinalen Motilität durch die implantatvermittelte ES. Der in der EMG-Aufzeichnung beobachtete Stimulationsartefakt stellt ein bekanntes Phänomen dar und erfordert eine differenzierte Signalanalyse, um physiologische Reaktionen eindeutig von technischen Interferenzen abzugrenzen [13].
Die Messung der Slow-Wave-Aktivität des Kolons ist komplex
Die Messung der Slow-Wave-Aktivität des Kolons, welche eine zentrale Rolle in der koordinierten Peristaltik spielt, ist komplex, da sowohl Amplitude als auch Frequenz zeitlichen Schwankungen unterliegen [14‐18]. Die in dieser Studie registrierte Zunahme der niederfrequenten Aktivität weist auf eine gezielte Beeinflussung dieser Slow-Wave-Dynamik durch die implantatvermittelte ES hin. Die markante Markerdislokation durch die ES mit 5 mA impliziert eine direkte motorische Antwort des Colon ascendens. Dieser zeitliche Zusammenhang von EMG-Aktivität und Markerauslenkung wurde in einer präklinischen Studie bereits hergestellt [19].
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In der Analyse der integrierten EMG zeigte sich eine deutlich erhöhte Gesamtmuskelaktivität nach ES mit 5 mA. Die markante Markerdislokation durch die ES mit 5 mA impliziert eine direkte motorische Antwort des Colon ascendens. Eine motilitätsinduzierende Wirkung wurde mit 5 mA ES erreicht, wohingegen eine ES mit 2,5 mA offenbar unterhalb des Schwellenwerts lag und nicht zu diesen Effekten führte. Da der Verdauungstrakt des Schweins funktionelle und pathologische Ähnlichkeiten mit dem menschlichen Verdauungstrakt aufweist [20], könnte sich klinische Relevanz ergeben.
Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen das Potenzial der implantatvermittelten ES als gezielte Intervention zur Modulation der Kolonmotilität, sind jedoch im Kontext eines Einzelexperiments limitiert. Zukünftige Forschungsarbeiten mit größeren Stichproben sollten sich auf die Optimierung der Stimulationsparameter, Schwellenwerte, Signalanalyse und weitere technische Optimierungen konzentrieren.
Fazit für die Praxis
Die implantatvermittelte Elektrostimulation (ES) zeigt vielversprechende Ansätze zur Modulation der intestinalen Motilität.
Die Elektromyographie (EMG) ermöglicht eine Erfassung der Motilitätsantwort für neue Therapieansätze.
Diese neue Technologie könnte bestehende Therapien ergänzen und die Behandlung für die Betroffenen verbessern.
Förderung
Das Verbundprojekt: Innovationscluster Interaktive Mikroimplantate (INTAKT) –Teilprojekt: Experimentelle Untersuchungen zur Etablierung interaktiver Mikroimplantate als Therapieoption am motilitätsgestörten Intestinaltrakt wurde vom BMBF gefördert. (FKZ: 16SV7638)
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J.F. Schiemer, K. Stumm, N. Baumgart, J. Baumgart und W. Kneist geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden keine Studien an Menschen durchgeführt. Die projektbezogenen Studien am Tier sind aufgeführt und wurden vom Landesamt für Tierschutz, Koblenz, Rheinland-Pfalz, Deutschland zugelassen (Kennzeichen G‑17–1-008).
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