AE-Manual der Endoprothetik
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Verfasst von:
Tilman Pfitzner, Philipp von Roth und M. Michael Morlock
Publiziert am: 18.01.2022

Knieendoprothetik: Umgang mit Explantaten

Bei der steigenden Zahl von revisionsendoprothetischen Eingriffen des Kniegelenkes stellt sich automatisch die Frage nach dem Umgang mit den explantierten Implantaten. Neben den praktischen Anforderungen an die Logistik und Lagerung stehen hier besonders rechtliche Fragen im Vordergrund. Grundsätzlich ist der Patient Eigentümer des Implantates und sollte stets in die Entscheidungen zur weiteren Vorgehensweise einbezogen werden. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für die operierende Einrichtung und gibt praktische Hinweise zum Verbleib, der Aufbewahrung und Lagerung explantierter Knieendoprothesen. Besteht der Verdacht eines Schadensfalles sind weitere Punkte zu beachten, die im zweiten Teil des Kapitels dargestellt werden.
Die zu erwartende steigende Anzahl an Revisionseingriffen stellt zweifelsohne eine große Herausforderung an Standardisierung, Logistik und Archivierung in den operierenden Zentren dar (Kurtz et al. 2007). Nach der Explantation einer Knietotalendoprothese (Knie-TEP) und folgender mikrobiologischer Untersuchung (Sonikation) muss über den weiteren Umgang mit dem Explantat entschieden werden. Hier besteht häufig Unsicherheit über Verbleib, Aufbereitung und Lagerung sowie die damit verbundene rechtliche Situation.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Verbleib des Explantates

Jede Einrichtung, die Revisionsoperationen durchführt, sollte ein standardisiertes Vorgehen für explantierte Prothesen implementieren. Rechtlich bedeutsam für den Verbleib der Explantate ist vorrangig die Abgrenzung der Eigentumsverhältnisse. Mit Implantation der Knie-TEP wird der Patient zum Eigentümer des Implantates (§ 947 II Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Diese Situation bleibt auch nach Explantation im Rahmen einer Revision bestehen (§ 953 BGB).
Auch nach Explantation bleibt der Patient Eigentümer des Implantates.
Folglich liegt die Entscheidung über den Verbleib beim Eigentümer, also dem Patienten.
In der Praxis bieten sich grundsätzlich folgende Möglichkeiten:
  • Übergabe an den Patienten,
  • Aufbewahrung in der operierenden Einrichtung,
  • Entsorgung durch die operierende Einrichtung,
  • Weitergabe des Explantates an Dritte (z. B. zur wissenschaftlichen Analyse oder Schadensanalyse).
In jedem dieser Fälle ist die Zustimmung des Patienten zwingend notwendig. Hierfür liegen standardisierte Aufklärungs-/Dokumentationsbögen vor, die den Nachweis über die Patientenaufklärung und den vereinbarten Verbleib des Implantates ermöglichen.

Aufbereitung des Explantates

Die Aufbereitung des Explantates sollte primär unabhängig vom Verbleib erfolgen. Die operierende Einrichtung hat nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) dabei sicherzustellen, dass die potenzielle Verbreitung von Infektionskrankheiten verhütet wird (§ 23 IfSG). Daher enthält die Aufbereitung unter anderem die mechanische Reinigung von Gewebe und Knochenzement sowie die anschließende Sterilisation. Erfolgt die Aufbereitung nach den gemeinsamen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (RKI) und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Anforderung an die Aufbereitung von Medizinprodukten, wird diese als ordnungsgemäß angenommen (§ 8 Abs. 2 Medizinproduktebetreiberverordnung [MPBetreibV]). Da eine Infektionsgefahr trotzdem nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, hat der Aufbewahrende (Klinik oder Patient) sicherzustellen, dass das Explantat nicht unbeabsichtigt in die Hände Dritter gelangen kann.

Lagerung von Explantaten

Verbleibt das Implantat in der operierenden Einrichtung, ist die ordnungsgemäße Lagerung zu beachten. Die minimale Aufbewahrungsfrist ist vergleichbar mit radiologischen Bildbefunden und beträgt 10 Jahre (Kluess et al. 2012a), sodass bei steigenden Revisionszahlen eine ausreichende Lagerlogistik und Katalogisierung dringend zu empfehlen ist. Die einzelnen Komponenten eines Explantates sollten nach der Aufbereitung separat verpackt, eindeutig/zeitbeständig gekennzeichnet und trocken und luftdicht bei Raumtemperatur gelagert werden (Kluess et al. 2012a). Nur so kann gewährleistet werden, dass ein Explantat auch nach Jahren noch eindeutig identifizierbar und auffindbar bleibt. Um die nachträgliche Oxidation von Komponenten aus Polyethylen (PE) zu limitieren sollten diese – wenn möglich – vakuumverpackt aufbewahrt werden.

Schadensfall und Analyse

Ein Schaden ist als das Ereignis definiert, dass zu einer materiellen oder immateriellen Benachteiligung der geschädigten Person führt. Im Rahmen einer notwendigen Revisionsoperation kann der Verdacht eines Schadensfalles aufkommen, was die Explantate zu potenziellen Beweisstücken werden lässt. Dadurch ergeben sich unabhängig von der konkreten Ursache schon bei dem Verdacht eines Schadensfalles besondere Anforderungen an Dokumentation, Verbleib, Aufbereitung und Lagerung der Explantate (Kluess et al. 2012b). Steht das Implantat unter Verdacht an einem Vorkommnis beteiligt zu sein, besteht die Meldepflicht an das BfArM (www.bfarm.de). Zusätzlich können Schadensfälle an die Datenbank der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik gemeldet werden (www.ae-germany.com). Auch wenn der Patient als Eigentümer prinzipiell über den Verbleib des Implantates bestimmen kann, muss der Anwender gleichzeitig seiner „Mitwirkungspflicht“ nachkommen und dafür Sorge tragen, dass das Explantat bis zum Abschluss der Untersuchungen nicht verworfen wird (§ 12 Abs. 4 Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung [MPSV]). Vor diesem Hintergrund erscheint es bereits im Verdachtsfall sinnvoll, das weitere Vorgehen bezüglich der Explantate gemeinsam mit dem Patienten vor der Revision abzustimmen und zu dokumentieren. In diesem Zusammenhang sollte auch die Aufklärung über die mögliche Bedeutung des Implantates im juristischen Streitfall erfolgen (Kluess et al. 2012b). Auch aus diesem Grund kommt einer umfassenden präoperativen, intraoperativen sowie postoperativen Dokumentation eine wichtige Bedeutung zu. Ohne die Informationen aus diesen Befunden ist eine Interpretation der Schadensanalyse häufig kaum möglich. Besonders intraoperativ festgestellte Schäden am Implantat sollten so gut wie möglich bildlich dokumentiert werden, um diese später von Oberflächenschäden, verursacht durch die Explantation einer festsitzenden Prothese, unterscheiden zu können.
Die Aufarbeitung der Explantate beinhaltet die Herausforderung einer ordnungsgemäßen Reinigung, ohne jedoch die für die Versagensanalyse relevanten Spuren zu verändern oder zu entfernen. Einzelne Arbeiten zeigen besondere Protokolle, die die Oberflächenbeschaffenheit nicht verändern sollen (von Knoch und von Knoch 2002). Die internationale Organisation für Standardisierung (ISO) hat für die Behandlung und Analyse chirurgischer Explantate die Norm ISO 12891 herausgegeben, die zuletzt 2015 in Teilen novelliert wurde (www.iso.org).
Die Besonderheit bei der Lagerung der Explantate besteht darin sicherzustellen, dass durch die Lagerung keine Spuren verändert werden oder hinzukommen können. Hier ist besonders die separate Verpackung jedes Einzelteils zur Vermeidung von Kontaktschäden relevant. Die weitere Lagerung entspricht Abschn. 1.3. Wenn organische oder anorganische Anhaftungen wichtige Hilfe bei der Schadensanalyse bieten könnten, sollten diese belassen werden. Das schließt dann jedoch die Reinigung der Explantate aus und die Prothesenkomponenten müssen in Formalin luftdicht und korrosionsbeständig asserviert werden (Kluess et al. 2012b). In den meisten Fällen ist es jedoch ausreichend, Gewebereste von den Implantaten zu trennen und diese entsprechend zu asservieren. Das gleiche gilt für Flüssigkeiten. Dies ermöglicht dann die normale Reinigung und Aufbewahrung der Implantate.
Bezüglich der Dauer der Lagerung besteht für die operierende Einrichtung ein Konflikt. Auch wenn die minimale Aufbewahrungsfrist für Explantate mit 10 Jahren angegeben ist, verjähren zivilrechtliche Ansprüche des Patienten gegenüber dem behandelnden Arzt erst nach 30 Jahren. Daher ist eine grundsätzliche Aufbewahrung von 30 Jahren zu diskutieren, bei Verdacht eines Schadensfalles in jedem Fall zu empfehlen. Umgekehrt führt dies wiederum zu deutlich erhöhten Anforderungen an Logistik und Lagerung für die operierende Einrichtung.
Nach Reinigung und Sterilisation sollte jedes Einzelteil separat verpackt, eindeutig gekennzeichnet, trocken und luftdicht bei Raumtemperatur gelagert werden. Organische oder anorganische Anhaftungen sollten nur belassen werden, wenn sie für die Schadensanalyse relevant sind. In diesem Fall sollte die Lagerung in Formalin erfolgen.
Im Rahmen der eigentlichen Analyse sollte immer der Hersteller involviert werden, da dieser laut § 12 MPSV verpflichtet ist, die zur Risikobewertung notwendigen Untersuchungen durchzuführen (Kluess et al. 2012b). Übergabe, Erhalt und Rückgabe erfordern erneut die Zustimmung des Patienten und sind sorgfältig zu dokumentieren. Wenn das Vertrauensverhältnis zum Hersteller beeinträchtigt ist, sollte die Schadensanalyse alternativ durch einen unabhängigen Gutachter erfolgen (§ 10 MPSV). Anzuraten ist, dass sich die geschädigte Partei mit dem Hersteller auf einen Gutachter und die Art der Kostenübernahme verständigt. Es sollte jedoch bedacht werden, dass nicht vom Gericht beauftragte Gutachten bei späteren Verfahren meist wenig hilfreich sind.
Schadensanalysen konzentrieren sich meist auf eine detaillierte Beschreibung des Implantatzustandes nach Explantation (Abb. 123 und 4). Die Versagensursache damit zweifelsfrei festzustellen ist nur im Einzelfall möglich. Heutige Untersuchungstechniken sind in der Lage Oberflächenschäden quantitativ zu beurteilen (Heyse et al. 2011). Die Beschaffenheit des PE-Inlays kann hierdurch detaillierter beschrieben werden. Neben der qualitativen Beurteilung des Abriebes (Abrasion vs. Delamination) kann eingeschränkt auch der quantitative Abrieb auf Ober- und Unterseite präzise bestimmt werden (Holleyman et al. 2015). Ebenso lassen sich Korrosionserscheinungen an modularen Verbindungen quantitativ untersuchen (Arnholt et al. 2014).
Die Schadensursache allein aus diesen Daten abzuleiten, ist jedoch nahezu unmöglich. Dazu sind umfassende Informationen zu den Begleitumständen, klinischen und radiologischen Befunden, intraoperativen Befunden sowie zur Belastung des Implantates im Patienten entscheidend. Nur so kann eine Aussage zur wahrscheinlichen Ursache des Schadens getroffen werden. Dies unterstreicht noch einmal die Bedeutung der vollständigen Dokumentation aller verfügbaren Informationen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Fokus der Ursachensuche ausschließlich auf dem Implantat selbst liegt und andere bedeutende Einflussfaktoren unberücksichtigt bleiben.
Schadensanalysen erlauben eine präzise quantitative Beschreibung des Schadens. Ohne umfassende klinische, radiologische und biomechanische Zusatzinformationen ist eine Benennung der Versagensursache jedoch nahezu unmöglich. Daher kommt der umfassenden Befunddokumentation in diesen Fällen eine wichtige Bedeutung zu.
Registerdaten könnten zukünftig dabei helfen, Implantate oder Techniken, welche in der breiten Anwendung höhere Komplikationen als vergleichbare Produkte aufweisen, zu identifizieren und die entsprechenden Konsequenzen zum Schutz der Patienten zu ergreifen, selbst wenn die Schadensursache nicht eindeutig bestimmt werden kann.
Haftungsausschluss: Die Inhalte des Kapitels sind mit größter Sorgfalt erstellt. Trotzdem kann keine Haftung für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität übernommen werden. Insbesondere haben die Inhalte allgemeinen Charakter und ersetzen keine Rechtsberatung.

Fazit für die Praxis

In jeder operieren Einrichtung sollte ein standardisiertes Vorgehen für den Umgang mit Explantaten vorliegen. Der Patient als Eigentümer des Explantates ist in den Entscheidungsprozess zwingend einzubeziehen. Verbleibt das Explantat in der operierenden Einrichtung, so muss dieses eindeutig zuordenbar sein sowie eine dauerhaft sichere und infektionsverhütende Aufbewahrung ist zu gewährleisten. Bei Verdacht eines Schadensfalles ist ein noch sorgfältigeres Vorgehen erforderlich, um eine Schadensprüfung zu ermöglichen.
Literatur
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Heyse TJ, Chen DX, Kelly N, Boettner F, Wright TM, Haas SB (2011) Matched-pair total knee arthroplasty retrieval analysis: oxidized zirconium vs. CoCrMo. Knee 18(6):448–452CrossRef
Holleyman RJ, Scholes SC, Weir D, Jameson SS, Holland J, Joyce TJ, Deehan DJ (2015) Changes in surface topography at the TKA backside articulation following in vivo service: a retrieval analysis. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 23(12):3523–3531CrossRef
Kluess D, Bader R, Mittelmeier W (2012a) Dealing properly with explants in orthopaedic surgery. Orthopädische Praxis 1:48–52
Kluess D, Bader R, Zenk K, Mittelmeier W (2012b) Recommendations for documentation of incidents with medical devices in orthopaedic surgery. Z Orthop Unfall 150(6):633–640PubMed
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Kurtz SM, Ong KL, Schmier J, Mowat F, Saleh K, Dybvik E, Karrholm J, Garellick G, Havelin LI, Furnes O, Malchau H, Lau E (2007) Future clinical and economic impact of revision total hip and knee arthroplasty. J Bone Joint Surg Am 89(Suppl 3):144–151PubMed