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AE-Manual der Endoprothetik
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Publiziert am: 01.09.2022

Komplikationen der Hüftendoprothetik: Heterotope Ossifikationen

Verfasst von: Henryk Paul Hans Haffer und Carsten Perka
Heterotope Ossifikationen nach Hüftgelenkersatz spielen heute weniger eine Rolle als dies vor 20 Jahren der Fall war. Wesentliche Eckpunkte zur Vermeidung solcher Ossifikationen sind das muskelschonende Operieren, das ausgiebige Spülen mit Entfernung sämtlicher Knochenpartikel sowie die Ossifikationsprophylaxe. Heterotope Ossifikationen finden sich im Wesentlichen bei muskelkräftigem Patienten oder bei Patienten, bei denen der Zugang zum Femur aus anderen Gründen erschwert war. Die insgesamt schwierigere Erreichbarkeit des Femurs bei vorderen Zugängen scheint somit auch eine Rolle für die Häufigkeit periartikulärer Ossifikationen zu spielen. Für die Entfernung von Ossifikationen sollte die Finalisierung der Verknöcherungen abgewartet werden, die im Regelfall nach 2 Jahren erreicht ist. Eine frühzeitige Revision führt hier zu einer hohen Rezidivwahrscheinlichkeit. Ist die Entfernung von Ossifikationen geplant, ist neben der medikamentösen Prophylaxe die prä- oder postoperative Bestrahlung unbedingt in die Therapieplanung mit einzubeziehen.
Als heterotope Ossifikationen wird die abnorme Bildung von Verknöcherungen im Weichteilgewebe bezeichnet, wobei man angeborene von erworbenen Formen unterscheidet. Die erworbenen Formen werden meist in Folge einer Operation oder eines Traumas beobachtet. Die Inzidenz der heterotopen Ossifikation nach Hüftgelenkersatz ohne prophylaktische Therapie schwankt zwischen 5 und 90 %, wobei die überwiegende Zahl auf Fälle geringen Schweregrades, ohne klinische Symptomatik, entfällt (Board et al. 2007).

Einteilung

Entsprechend ihrer Ausprägung werden sie auf der Basis von radiologischer Diagnostik nach Brooker et al. klassifiziert (Tab. 1) (Brooker et al. 1973). Höhergradige Ausprägungen (Brooker Grad III und IV) werden mit einer Inzidenz von bis zu 7 % beschrieben und führen häufiger zu klinischer Symptomatik mit Bewegungseinschränkungen und Schmerzen (Board et al. 2007).
Tab. 1
Klassifikation der heterotopen Ossifikationen nach Brooker et al. (Brooker et al. 1973)
Grad
Radiologisches Erscheinung
0
Kein Nachweis einer Ossifikation
I
Vereinzelte periartikuläre Ossifikate
II
Deutliche Ossifikate mit einem Abstand von >1 cm vom Becken oder Femur
III
Deutliche Ossifikate mit einem Abstand von <1 cm vom Becken oder Femur
IV
Knöcherne Ankylose des Hüftgelenks

Risikofaktoren

Die Pathophysiologie ist noch nicht vollumfänglich verstanden. Man führt die Ossifikationen auf die Aktivität von Osteoblasten im Bindegewebe zurück, welche sich aus pluripotenten mesenchymalen Stammzellen differenziert haben. Die kausale Entstehung wird als multifaktoriell angesehen, wobei den osteoinduktiven Faktoren Bone morphogenic Protein 4 (BMP-4) und Prostaglandin E2 eine bedeutende Rolle in der osteoblastischen Differenzierung zukommt (Hannallah et al. 2004; Macfarlane et al. 2008). Eine Reihe von Risikofaktoren ist beschrieben, als gesichert kann eine heterotope Ossifikationen an anderer Stelle, ein ausgeprägtes Weichteiltrauma während der Primäroperation, männliches Patientengeschlecht, höheres Patientenalter, bilateraler Hüftgelenkersatz und ankylosierende Spondylitis gelten (Board et al. 2007; Zhu et al. 2015). Ob der operative Zugangsweg und die Fixationstechnik (zementiert versus unzementiert) einen Einfluss auf die Inzidenz der heterotopen Ossifikation nach Hüftgelenkersatz hat, ist noch Gegenstand von Diskussionen (Board et al. 2007; Hürlimann et al. 2017; Newman et al. 2016; Maloney et al. 1991; Rockwood und Horne 1990; Purtill et al. 1996).

Diagnostik

Die nativradiologische Bildgebung ist hinreichend zur Diagnosesicherung (Abb. 1). Die Aktivität der Ossifikationen lässt sich durch eine 3-Phasen-Skelettszintigrafie evaluieren. Da das Rezidivrisiko von der Aktivität der Ossifikationen zum Zeitpunkt der Revision abhängt, wird eine Resektion ab einer szintigrafischen Aktivität von geringer als 1:1,3 im Vergleich zur Gegenseite empfohlen. Grundsätzlich gilt eine Ausreifung der Ossifikationen abzuwarten, welche man bei muskuloskelettalem Trauma nach 6–12 Monaten erwartet (Board et al. 2007; Gautschi et al. 2008).
In der Phase der stärksten Schmerzhaftigkeit (Entstehung der Ossifikationen) besteht keine sinnvolle operative Interventionsmöglichkeit!
Vor Entfernung der Ossifikationen ist eine CT zur Operationsplanung notwendig. Die Therapie richtet sich vor allem nach der klinischen Symptomatik, nicht primär nach dem Ausmaß der Ossifikationen, da oftmals keine direkte Korrelation besteht.

Therapie

Eine Indikation zur operativen Therapie ist meist durch die Kontrakturen des betroffenen Gelenks und die funktionellen Einschränkungen des spinopelvinen Übergangs gegeben. Therapieresistente Schmerzen oder die lokale Kompression von Nerven und Gefäßen stellen eine seltene Indikation dar. Bei der Resektion sollte der ursprüngliche Zugang, adaptiert an die Lage der Ossifikationen, gewählt werden, die knöchernen Landmarken Trochanter major und minor sollten dargestellt und eine möglichst vollständige, im Zweifel bei Nähe zu vulnerablen anatomischen Strukturen aber risikoangepasste, Resektion angestrebt werden. Ziel der Operation muss die Verbesserung der Beweglichkeit des Gelenks unter Erhalt der Muskulatur, nicht das perfekte Röntgenbild sein.
Im Zuge der chirurgischen Entfernung ist eine prophylaktische perioperative Strahlentherapie, gegebenenfalls auch in Kombination mit medikamentöser Prophylaxe aufgrund des hohen Rezidivrisikos unbedingt zu empfehlen (Gautschi et al. 2008; Schauwecker et al. 2011). Als Differenzialdiagnosen bei heterotopen Ossifikationen sollten eine periprothetische Infektion (häufig) und verknöchernde Weichteiltumoren (sehr selten) erwogen und vor der Resektion ausgeschlossen werden.
Bisphosphonate (Etidronat) wurden als medikamentöse Therapie nach Auftreten der heterotopen Ossifikation evaluiert, wobei eine Cochrane-Analyse bei aktueller Evidenz keine Empfehlung für Bisphosphonate aussprechen kann (Haran et al. 2004). Da außer der chirurgischen Resektion keine kausale Therapie der heterotopen Ossifikation existiert, kommt der Prophylaxe eine umso größere Bedeutung zu. Hierfür stehen die prä- oder postoperative Bestrahlung des Operationsgebietes oder die postoperative medikamentöse Therapie mit unselektiven oder selektiven COX-2-Inhibitoren zur Verfügung. Meta-Analysen zeigen einen geringen Vorteil in der Effektivität der Prävention von heterotopen Ossifikationen durch die Bestrahlung im Vergleich zur medikamentösen Therapie, wobei hier jedoch der höhere logistische und finanzielle Aufwand zu berücksichtigen ist (Pakos und Ioannidis 2004). Der Vergleich von selektiven und nichtselektiven COX-2-Inhibitoren zeigt in Meta-Analysen keinen signifikanten Unterschied in der Verhinderung von Ossifikationen, aber ein vorteilhafteres Nebenwirkungsprofil für die selektiven COX-2-Inhibitoren (Zhu et al. 2018). Für detaillierte Informationen zur Prävention von heterotopen Ossifikationen, Kap. „Perioperatives Management: Infektionsprophylaxe, Thromboseprophylaxe, Prophylaxe heterotoper Ossifikationen“.

Fazit für die Praxis

Die Entstehung heterotoper Ossifikation ist durch die Prophylaxe mit einem nichtsteroidalen Antirheumatikum, einem COX-2-Inhibitor oder einer Bestrahlung sowie dem intraoperativen weichteilschonenden Operieren und umfassenden Spülen des Gelenks heute zu minimieren. Sollte es dennoch zur Ausbildung von Ossifikationen kommen, ist die Ausreifung dieser Ossifikation unbedingt abzuwarten. Problem dabei ist, dass gerade der Prozess der Entstehung der Ossifikationen für den Patienten sehr schmerzhaft ist. Dennoch sollte in dieser Phase nicht operiert werden, da sonst die Rezidivwahrscheinlichkeit sehr hoch ist. Bewährt hat sich die Durchführung einer Szintigrafie. Erst wenn die Aktivität auf der betroffenen Seite nur noch 20–25 % über der nicht betroffenen Seite liegt, ist die Operation angezeigt.
Literatur
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Brooker AF, Bowerman JW, Robinson RA, Riley LH Jr (1973) Ectopic ossification following total hip replacement. Incidence and a method of classification. J Bone Joint Surg Am 55(8):1629–1632CrossRef
Gautschi OP, Cadosch D, Bauer S, Filgueira L, Zellweger R (2008) Heterotopic ossification – from the aetiology to the current management. Unfallchirurg 111(7):523–534CrossRef
Hannallah D, Peng H, Young B, Usas A, Gearhart B, Huard J (2004) Retroviral delivery of Noggin inhibits the formation of heterotopic ossification induced by BMP-4, demineralized bone matrix, and trauma in an animal model. J Bone Joint Surg Am 86(1):80–91CrossRef
Haran M, Bhuta T, Lee B (2004) Pharmacological interventions for treating acute heterotopic ossification. Cochrane Database Syst Rev 4:CD003321
Hürlimann M, Schiapparelli F-F, Rotigliano N, Testa E, Amsler F, Hirschmann M (2017) Influence of surgical approach on heterotopic ossification after total hip arthroplasty – is minimal invasive better? A case control study. BMC Musculoskelet Disord 18:27CrossRef
Macfarlane RJ, Ng BH, Gamie Z, El Masry MA, Velonis S, Schizas C et al (2008) Pharmacological treatment of heterotopic ossification following hip and acetabular surgery. Expert Opin Pharmacother 9(5):767–786CrossRef
Maloney WJ, Krushell RJ, Jasty M, Harris WH (1991) Incidence of heterotopic ossification after total hip replacement: effect of the type of fixation of the femoral component. J Bone Joint Surg Am 73(2):191–193CrossRef
Newman EA, Holst DC, Bracey DN, Russell GB, Lang JE (2016) Incidence of heterotopic ossification in direct anterior vs posterior approach to total hip arthroplasty: a retrospective radiographic review. Int Orthop 40(9):1967–1973CrossRef
Pakos EE, Ioannidis JP (2004) Radiotherapy vs. nonsteroidal anti-inflammatory drugs for the prevention of heterotopic ossification after major hip procedures: a meta-analysis of randomized trials. Int J Radiat Oncol Biol Phys 60(3):888–895CrossRef
Purtill JJ, Eng K, Rothman RH, Hozack WJ (1996) Heterotopic ossification. Incidence in cemented versus cementless total hip arthroplasty. J Arthroplast 11(1):58–63CrossRef
Rockwood PR, Horne JG (1990) Heterotopic ossification following uncemented total hip arthroplasty. J Arthroplast 5(Suppl):S43–S46CrossRef
Schauwecker J, Pohlig F, Toepfer A, Gollwitzer H, von Eisenhart-Rothe R (2011) Heterotopic ossifications in total hip arthroplasty: prophylaxis and therapy. Orthopade 40(6):500–505CrossRef
Zhu XT, Chen L, Lin JH (2018) Selective COX-2 inhibitor versus non-selective COX-2 inhibitor for the prevention of heterotopic ossification after total hip arthroplasty: a meta-analysis. Medicine (Baltimore) 97(31):e11649CrossRef
Zhu Y, Zhang F, Chen W, Zhang Q, Liu S, Zhang Y (2015) Incidence and risk factors for heterotopic ossification after total hip arthroplasty: a meta-analysis. Arch Orthop Trauma Surg 135(9):1307–1314CrossRef