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AE-Manual der Endoprothetik
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Publiziert am: 23.09.2022

Revisionsendoprothetik des Hüftgelenkes: Algorithmus zur Bestimmung unklarer Schmerzen nach Hüft-TEP

Verfasst von: Carsten Perka und Georg Matziolis
Die Ursachenabklärung von Schmerzen nach Hüftendoprothetik sollte nach einem Algorithmus standardisiert und rationalisiert erfolgen. Eine Revision aufgrund von Schmerzen, ohne dass eine Ursache gesichert oder zumindest stark vermutet wird, ist nicht indiziert. Berücksichtigt werden müssen hüftgelenksabhängige und hüftgelenksunabhängige, d. h. fortgeleitete Schmerzen. Die Infiltration stellt eine wesentliche Methode zur Differenzierung dar, ob die Beschwerden hüftgelenkassoziiert oder fortgeleitet sind. Die Schmerzanamnese, die klinische Untersuchung und der Einsatz der korrekten bildgebenden Verfahren, einschließlich der in nahezu allen Fällen durchzuführenden Punktion des Gelenkes zum Ausschluss einer Infektion, sind die wesentlichen Methoden zur Ursachenbestimmung der Schmerzen.
Die Verwendung eines Algorithmus standardisiert und rationalisiert die Diagnostik der schmerzhaften Hüftendoprothese (Abb. 1). Insgesamt gilt es dem Lehrsatz „Häufig ist häufig und selten ist selten“ zu folgen.
1.
Ausgangspunkunkt ist immer die ausführliche Schmerzanamnese. Zu klären ist dabei, das erstmalige Auftreten der Beschwerden „wann“ (1), das Vorliegen eines schmerzfreien Intervalls nach der Operation (2), die Veränderung des Schmerzcharakter (vor gegenüber nach der Operation (3)), und ob die Beschwerden belastungsabhängig oder dauerhaft sind.
Wird ein schmerzfreies Intervall angegeben, sind eine Infektion, eine Lockerung, eine implantatassoziierte oder eine hüftgelenkunabhängige Ursache wahrscheinlich. Besteht hingegen der Schmerzcharakter nach Implantation der Endoprothese unverändert fort, ist eine schon präoperativ führende, hüftgelenkferne Schmerzgenese anzunehmen.
 
2.
Ruheschmerzen, insbesondere mit einem nächtlichen Schmerzmaximum, sprechen für eine inflammatorische, meist infektiöse Genese. Belastungsabhängige Schmerzen hingegen deuten auf eine mechanische Schmerzursache hin. Typisch sind Muskelschädigungen, insbesondere des M. glutaeus medius (1), die Instabilität des Gelenkes (2), ein Impingement (3), eine Bursitis trochanterica oder iliopectinea (4) oder eine Stressfraktur.
 
3.
Implantatassoziierte Beschwerden sind selten, müssen aber dennoch im diagnostischen Algorithmus bedacht werden. Dazu zählen der Implantatbruch (Konus oder Schaft, seltener Pfanne, Keramikkopf oder -Inlay), die Metallose nach Metall-Metall-Gleitpaarung oder aber Korrosion zwischen Metallkopf und Konus, die sog. ALT-Reaktion („adverse local tissue“) und die „aseptic lymphocyte-dominated vasculitis associated lesion“ (ALVAL). Letztere lassen sich in Metall-Artefakt-reduzierten Sequenzen (MARS) MR-tomografisch darstellen. Bei anamnestisch (Implantattyp) oder klinischem Verdacht auf eine Metallose sollte die Metallionenkonzentrationen im Blut bestimmt werden (Co, Cr, Ti).
Ob eine implantatassoziierte Allergie durch Schmerzen symptomatisch wird und ob diese vergleichbar zu einer Allergie auf der Haut überhaupt existiert, ist immer noch kontrovers. Liegen für eine Allergie typische weitere Symptome vor (z. B. lokale Effloreszenz, Pruritus) sollte dennoch eine allergologische Abklärung erfolgen. Wahrscheinlicher ist, das Reaktionen auf den immer existenten Abrieb einer Prothese auftreten können, diese aber eine andere Pathogenese haben.
 
4.
Schmerzen sofort nach der Operation stehen meist im Zusammenhang mit der OP. Möglich sind hier insbesondere Nervenschädigungen durch den Zugang, die Retraktoren oder implantatassoziierte Beschwerden, z. B.: durch ein Impingement, eine Veränderung der Biomechanik, der Beinlänge oder anderem.
 
5.
An die Schmerzanamnese schließt sich die klinische Untersuchung an. Hier sollte der Schmerz örtlich eingegrenzt, gegebenenfalls ein Punctum maximum gefunden werden. Eine klare Schmerzlokalisierung deutet auf ein lokales Geschehen, z. B. eine Bursitis oder eine Stressfraktur, hin. Dabei ist zu beachten, dass eine Bursitis nur in Ausnahmefällen primär auftritt, sondern fast immer Folge einer relevante Muskelschädigung an der Insertion am Trochanter major oder aber einer unphysiologischen Gelenkmechanik (meist relevante Veränderung des Off-sets) ist.
Bei intraartikulärer Pathologie wird hingegen meist ein diffuser Schmerz in die Leistenregion projiziert. Weitere Hinweise darauf sind schmerzhafte Einschränkungen der aktiven oder passiven Beweglichkeit, meist im Sinne des Kapselmusters mit Einschränkung der Innenrotation und Extension. Zielführend sind dann Provokationstests gegen Widerstand, insbesondere zur Diagnostik der Schaftlockerung. Dazu wird bei 90°Grad gebeugtem Hüftgelenk das Bein gegen Widerstand nach außen und innen rotiert. Impingement-Syndrome, Bursitiden und muskuläre Insuffizienzen lassen sich mit den geeigneten Tests aufdecken.
 

Diagnostik

Standard der nativradiologischen Diagnostik sind die Beckenübersichtsaufnahme und eine axiale oder Lauenstein-Aufnahme, wenn möglich immer im Vergleich mit den Voraufnahmen.
Die zu bewertenden Parameter zeigt die folgende Übersicht.
Zu bewertende Parameter der nativradiologischen Diagnostik
  • Migration von Komponenten
  • Fraktur
  • Off-set
  • Beinlänge
  • Saumbildungen
  • Sklerosierungen
  • Heterotope Ossifikationen
  • Implantatüberstand
  • Verkalkungen von Sehnen und Schleimbeuteln
  • Dezentrieung des Kopfes
  • Vorliegen von Osteolysen
Andere bildgebende Verfahren wie Sonografie, MRT, CT oder Szintigrafie sind selten indiziert und im Gegensatz zum nativen Röntgenbild keine Screening-Untersuchungen, sondern dienen der Verifizierung einer konkreten Verdachtsdiagnose.
Eine MRT-Untersuchung ist dann indiziert, wenn der konkrete Verdacht auf eine Muskelschädigung, Bursitis oder Weichteilalteration, z. B. durch Pseudotumoren (ALVAL) besteht. Aufgrund der Häufigkeit dieser Probleme in der Ursachensuche von Schmerzen ist die MRT heute de facto die zweithäufigste gerätespezifische diagnostische Methode nach dem Röntgen.
Eine CT sollte durchgeführt werden, wenn die Ursache einer Luxation abzuklären ist, der Verdacht auf ein Impingement besteht, der Umfang von Osteolysen zu verifizieren ist usw. Bei der Verwendung der CT zur Impingementdiagnostik ist zu berücksichtigen, dass die CT-Untersuchung im Liegen erfolgt. Eventuell sind hier zusätzliche Röntgenbilder (im Liegen, im Sitzen und im Stehen zum Vergleich) oder aber eine EOS-Untersuchung indiziert.
Bei Ruheschmerzen oder unklarer Schmerzursache sind die Bestimmung des C-reaktivem Proteins (CRP) und nachfolgend eine Punktion des Gelenkes unter OP-Saal-ähnlichen Bedingungen notwendig.
Die Hüftgelenkpunktion hat zwar eine hohe Spezifität, jedoch nur eine mäßige Sensitivität, sodass diese eventuell zu wiederholen ist oder aber durch eine offene Biopsie ergänzt werden muss. Nach der Gelenkpunktion kann Lokalanästhetikum injiziert werden, dass bei nachfolgender Schmerzreduktion eine intraartikuläre Genese der Schmerzen wahrscheinlich macht.
Die Szintigrafie hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren, da die Ergebnisse zu unspezifisch sind. Klare Indikationen können heute nicht genannt werden. Auch für den Einsatz der SPECT-CT können heute in der Schmerzdiagnostik nach Hüftendoprothetik keine klaren Indikationen angegeben werden.
Extraartikuläre Infiltrationstests kommen bei Verdacht auf eine Bursitis oder ein Impingement in Frage und können bei zusätzlicher Gabe von Kortikoiden therapeutisch wirksam sein.
Erst nach Ausschluss einer somatischen Genese sollte die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Schmerzursache gestellt und der Patient an einen entsprechenden Facharzt überwiesen werden.

Fazit für die Praxis

Eine schmerzhafte Hüftendoprothese ohne radiologische Lockerungszeichen ist so lange infektverdächtig, bis eine Infektion ausgeschlossen ist. Es sollte ein Algorithmus in der Klinik existieren, der den Untersuchungsablauf für alle Patienten mit einer schmerzhaften Hüfttotalendoprothese beschreibt und der ständig unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur evaluiert wird.
Cave Eine Revision ohne Schmerzursache ist nicht zielführend, da intraoperativ bei unauffälligem klinischen Untersuchungsbefund und nichtpathologischen Ergebnissen bildgebender Verfahren sowie negativer Punktion entgegen häufiger Annahme, die Schmerzursache eigentlich nie zu bestimmen ist.
Literatur
Perka C, Thiele K, Matziolis G, Gehrke T (2012) Spätfolgen – Diagnose und Therapie. In: Claes L, Kirschner P, Perka C, Rudert M (Hrsg) AE-Manual der Endoprothetik. Springer, Berlin/Heidelberg. https://​doi.​org/​10.​1007/​978-3-642-14646-6_​10CrossRef