Um die Symptomatik der Patienten zielgerichtet einer Pathologie zuzuordnen und eine entsprechende Therapie einzuleiten, ist ein standardisierter diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf ein Hip-Spine-Syndrom hilfreich. In der Anamnese sollten eine Schmerzanamnese (Schmerzcharakter, Lokalisation, Verlauf, Auslöser, Ausstrahlung [radikulär, pseudoradikulär], sensible oder motorische Defizite), Sozial- und Berufsanamnese, Vorerkrankungen (allgemein und gelenkspezifisch) und bisherige Therapien (insbesondere Interventionen oder Operationen) erhoben werden. Die Angabe von Leistenschmerzen ist mit einer Sensitivität von 84,3 % und Spezifität von 70,3 % mit einer Hüftpathologie assoziiert (Khan et al.
2004). 47 % der Patienten mit isolierter Koxarthrose gaben in einer Untersuchung eine Schmerzausstrahlung unterhalb des Kniegelenkes an, eine Symptomatik, welche häufig nicht als Hüftpathologie attribuiert wird (Khan et al.
2004). Die degenerative Lumbalkanalstenose präsentiert sich häufig mit einer neurogenen Claudicatio-Symptomatik, welche sich bei Reklination verschlechtert und bei Inklination verbessert. Eine Beschwerdesymptomatik am lateralen Oberschenkel ist besonders diffizil, da sich sowohl eine Schmerzausstrahlung bei spinalen Pathologien als auch bei pelvinen Pathologien, wie dem trochantären
Schmerzsyndrom, so präsentieren kann. Hinweisend auf Letzteres kann eine Auslösung durch lokale Stimulation sein (Devin et al.
2012). Inspektorisch sollten sagittales und koronares Wirbelsäulenalignment, die Beckenkippung (waagrechte Verbindung Spina iliaca anterior superior zu posterior superior), Rumpfstellung, Femurstellung und eine Beinlängendifferenz beachtet werden. Die Angabe von
Schmerz bei Innenrotation des Hüftgelenkes ist ein starker Prädiktor für Koxarthrose-assoziierte Schmerzen (Brown et al.
2004). Der Bewegungsumfang der lumbalen Wirbelsäule und der Hüftgelenke nach der Neutral-Null-Methode, eine orientierende neurologische Untersuchung (Kraftgrade der Kennmuskulatur, Muskeleigenreflexe, Sensibilität in den betreffenden Dermatomen, Nervendehnungszeichen) und der Thomas-Handgriff (Hüftbeugekontraktur) sollten erhoben werden. Eine Sensibilitätsstörung oder ein neurologisches Defizit in der Untersuchung ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit mit einer Spinalkanalstenose als mit einer Pathologie des Hüftgelenkes assoziiert (Rainville et al.
2019). Eine eingeschränkte Belastbarkeit des schmerzhaften Beines beim Stehen und Hinken ist mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Hüftpathologie zuzuordnen (Rainville et al.
2019). Zudem können spezifische Tests, wie das Viererzeichen, der Mennell-Test und das Vorlauf- und Rücklaufphänomen hilfreich sein, um Beschwerden der lumbalen Wirbelsäule, des Iliosakralgelenks und des Hüftgelenks zu differenzieren. Sollte sich hiernach keine Diagnose manifestieren, solllte die bildgebende Diagnostik hinzugezogen werden:
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Standarddiagnostik: Röntgen-Beckenübersicht a.-p. im Stehen, Hüftgelenk seitlich im vertikalen Strahlengang („Lauenstein“); lumbale Wirbelsäule (WS) im Stehen a.-p. und sagittal sowie Funktionsaufnahmen in Inklination und Reklination; sagittale Stehend-Aufnahme möglichst inklusive des Beckens und der Femurköpfe zur Bestimmung der spinopelvinen Parameter.
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Bei Verdacht auf ein sagittales spinales Malalignment: Wirbelsäulen-Ganzaufnahme; bei Verdacht auf pathologische spinopelvine Interaktion zusätzlich sitzende laterale Röntgenaufnahme der WS, des Beckens und des proximalen Femurs erwägen (bevorzugt Diagnostik zur Strahlenreduktion einsetzen, falls vorhanden).
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Erweiterte Diagnostik: MRT Becken (Ausschluss Verletzung des Labrum acetabuli, okkulte Schenkelhals- oder Beckenfraktur, Femurkopfnekrose in frühem Stadium, Infektion oder Tumore) und/oder MRT lumbale Wirbelsäule.
Es sollten auch extraartikuläre (Bursitis trochanterica, Insertionstendinopathien, M.-piriformis-Syndrom, Insuffizienzfrakturen des Sakrums oder Beckens, Meralgia paraesthetica, Tumore und Metastasen) und internistisch-orthopädische (Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises) und insbesondere Ursachen außerhalb des orthopädischen Spektrums (
pAVK, Inguinalhernien, neurogenes Inguinalsyndrom,
diabetische Neuropathie) in die differenzialdiagnostischen Erwägungen eingeschlossen werden.
Entscheidend ist eine dezidierte Diagnostik unter Beachtung von differenzialdiagnostischen Erwägungen.
Falls weiterhin keine führende Ursache der Beschwerden identifiziert werden kann, sollten bildgebungsgestützte diagnostische Infiltrationen des Hüftgelenkes und/oder der Wirbelsäule erfolgen (Maldonado et al.
2020). Die Schmerzreduktion nach intraartikulärer Injektion des Hüftgelenkes zeigte eine hohe Spezifität und Sensitivität in der Detektion der pimären Schmerzursache (Crawford et al.
1998). Wohingegen eine diagnostische epidurale Injektion ohne adäquate Symptomreduktion kein Ausschluss einer
lumbalen Spinalkanalstenose darstellt und Patienten dennoch stark von einer operativen spinalen Dekompression profitieren können (Devin et al.
2012).