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Achondroplasie

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Achondroplasie.
Synonyme
Achondrodysplasie; Chondrodystrophie; Chondralloplasie; Osteochondrodysplasie; Chondrogenesis imperfecta; Parrot-Sy; Kaufmann-Sy; Zwergwuchs
Oberbegriffe
Missbildungen, Chondropathie, Osteochondrodysplasie, Zwergwuchs (definitionsgemäß bei Körpergröße (<148 cm im Erwachsenenalter)).
Organe/Organsysteme
Knorpel, Skelett (Bewegungsapparat).
Inzidenz
1:10.000 bis 1:40.000, Gynäkotropie. Häufigste nicht-letale angeborene Skelettdysplasie.
Ätiologie
Kongenital und hereditär mit autosomal-dominantem Erbgang. Bei 80–90 % werden Neumutationen vermutet, bei welchen das „fibroblast growth factor“-Rezeptor-3-Gen (FGFR 3) auf dem Chromosom 5q verändert ist. Der Pathomechanismus beruht auf einer vorzeitigen Verknöcherung des metaphysären Knorpels. Andere Formen der Osteochondrodysplasie treten auch autosomal-rezessiv, X-chromosomal-dominant oder X-chromosomal-rezessiv auf.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Hypochondroplasie, Ollier-Sy, Silfverskjöld-Sy, Ribbing-Sy, Conradi-Hünermann-Sy, Pfaundler-Hurler-Sy, Ellis-van-Creveld-Sy, Leri-Sy, Vrolik-Sy, Scheuthauer-Marie-Sainton-Sy, Hanhart-Sy, Lamy-Maroteaux-Sy, Rotter-Erb-Sy, McKusick-Sy, Bartenwerfer-Sy, Kenny-Linarelli-Sy, Robinow-Silverman-Smith-Sy, Gre-be-Sy, Kniest-Sy, Schmid-Sy, Kozlowski-Maroteaux-Spranger-Sy, Larsen-Sy, Vaandrager-Pena-Sy, thanatophore Dysplasie, Achondrogenesis, Osteogenesis imperfecta, campomele Dysplasie, fibröse Dysplasie, Osteopetrose (Albers-Schönberg-Erkrankung, Marmorknochenkrankheit), Osteopoikilie, Melorheostose, Dysostosen, Mukopolysaccharidosen, Mukolipidosen.

Symptome

Unproportionierter Minderwuchs mit zu kurzen Extremitäten (Sitzriese) und normaler Rumpflänge, Zwergwuchs, Makrozephalie, Mikromelie, Veränderungen der Schädelbasis, Enge des Foramen magnum (5–10 %), Gelenküberweglichkeit, atlanto-axiale Instabilität, Sattelnase, Schwäche der Schlundmuskulatur, große Zunge, muskuläre Hypotonie im Kleinkindesalter.
Die geistige Entwicklung ist normal solange kein Hydrozephalus vorhanden.
Vergesellschaftet mit
Hydrozephalus bei zu engem Foramen magnum, Kyphoskoliose, lumbale Spinalkanalverengung, Spina bifida, Adipositas, Schallleitungsschwerhörigkeit, obstruktive und zentral bedingte Schlafapnoe (ca. 75 %), chronisch respiratorische Infekte, adenoide Hyperplasie, pulmonale Hypertension, Tracheomalazie. Zehnfach erhöhte Mortalität für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Alter von 25–35 Jahren.

Anästhesierelevanz

Berücksichtigung des hohen Schlafapnoe-Risikos in der Anästhesieplanung. Verengte Nasenpassage und gelegentlich anatomisch veränderte Verhältnisse im Mundbereich. Wegen möglicher Einschränkung in der Beweglichkeit der Atlantookzipitalgelenke muss mit Intubationsschwierigkeiten gerechnet werden. Risiko einer Minderdurchblutung und Kompression des cervikalen Myelons mit konsekutiver Tetraplegie bzw. Exitus (Fallbeschreibungen) bei Überstreckung der Halswirbelsäule. Oft liegen eine höhere Infektanfälligkeit und eine Glukoseverwertungsstörung vor. Restriktive Pneumopathien insbesondere bei Kindern <2 Jahre sowie bei ausgeprägter Kyphoskoliose. Aufgrund der Malformationen besteht eine größere Gefahr für Lagerungsschäden. Bei Schwangeren ist eine Kaiserschnittentbindung aufgrund einer pathologischen Anatomie des Geburtskanals obligat. Wirbelsäulenanomalien können eine rückenmarknahe Anästhesie erschweren oder unmöglich machen; das Vorliegen einer Spinalkanalstenose ist eine Kontraindikation für Spinalanästhesie.
Wichtiges Monitoring
Pulsoxymetrie, Kapnographie, Blutzuckerkontrollen, ggf. invasive arterielle Blutdruckmessung, Pupillengröße und -reaktivität.
Vorgehen
Eine vagolytische Prämedikation erscheint sinnvoll, ebenso die prophylaktische Gabe von Natrium citricum oder H2-Rezeptorenblockern. Für die Intubation selbst sind alle Vorkehrungen zu treffen, damit bei Beatmungsproblemen eine genügende Oxygenation gewährleistet werden kann (verschiedene Spatel, Guedel- und Wendl-Tuben, Larynxmaske, alternative Intubationsverfahren). Erschwerte Maskenbeatmung möglich. Bevorzugte Indikation für wachfiberoptische Technik, da bei dieser Erkrankung keine Einschränkung der Kooperationsfähigkeit vorliegt. Nasotracheale Intubationen sollten entweder vermieden oder mit dünneren Tuben als üblich durchgeführt werden. Bei oraler Intubation von Kindern war in 53 % der Fälle ein dünnerer Tubus erforderlich als altersgemäß zu erwarten war.
Aufgrund der Disproportion der Gliedmaßen können nichtinvasive Blutdruckmessungen mit Manschetten schwierig sein oder zu falschen Messwerten führen. Bei Hydrozephalus sollte die Gefahr einer Hirndrucksteigerung beachtet werden. Verlängerte Aufwach- und Überwachungszeiten aufgrund eingeschränkter respiratorischer Reserve sind möglich.
Bei rückenmarknahen Regionalanästhesien muss bedacht werden, dass die Wirbelkörper und Bandscheiben pathologisch verändert sein können. Bei geplanter rückenmarknaher Anästhesie sollte eine MR-Untersuchung der Wirbelsäule erfolgen, um eine Spinalkanalstenose auszuschließen, die eine Kontraindikation für diese Technik darstellt. Form- und Lageveränderungen der Wirbelkörper sowie ein enger Epiduralraum können die Punktion erheblich erschweren oder unmöglich machen. Die ultraschallgestützte Punktion wird empfohlen. Außerdem ist die Ausbreitung von spinal applizierten Medikamenten nicht gut vorhersehbar. Aus diesem Grunde sollte der Epiduralanästhesie gegenüber der Spinalanästhesie der Vorzug gegeben werden, weil damit eine Titrierung der Ausbreitung möglich ist. Bei eiliger Sectio ist vereinzelt über erfolgreiche Spinalanästhesie mit einer um 45 % verminderten Dosis eines hyperbaren Lokalanästhetikums berichtet worden.
Cave
Intubationsschwierigkeiten, atlantookzipitale Subluxation, Schlafapnoe.
Weiterführende Literatur
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