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CHARGE-Syndrom

Verfasst von: Dierk A. Vagts, Uta Emmig, Heike Kaltofen und Peter Biro
CHARGE-Syndrom.
Synonyme
CHARGE-Assoziation; Hall-Hittner-Syndrom, Kolobom-Herzdefekte-Choanalatresie; Wachstums- und Entwicklungsretardierung-Urogenitale Störungen-Ohranomlien-Syndrom
Oberbegriffe
Dysmorphien.
Organe/Organsysteme
Sinnesorgane, Herz, Atemwege, Genitalorgane.
Inzidenz
0,1–2.8:10.000 Geburten.
Ätiologie
Hereditär und kongenital, autosomal-dominanter Erbgang. Meist Mutation innerhalb des CHD7 Gens.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Wenn keine Vererbung vorliegt, dann wird von CHARGE-Assoziation gesprochen, sofern mindestens 3 der namengebenden Hauptbefunde vorhanden sind. Die Komponenten können auch einzeln oder unvollständig auftreten. DD: 22q11.2-Deletions syndrome, Oculo-Auriculo-Vertebral Spektrum, VACTERL-Assoziation, Kabuki Syndrom und Teratogen-vermittelte Embryopathien (mütterliche Diabetes, orale Retinolsäure).

Symptome

Choanalatresie, ein- oder beidseitig (100 %). Augensymptome (80 %): okuläre Kolobome, Mikrophthalmie, Anophthalmie. Kardiale Missbildungen (64 %): Fallot-Tetralogie, „double-outlet ventricle“, Truncus arteriosus, ASD, VSD, AV-Kanal, Aortenbogenmissbildungen. Psychomotorische Retardierung (bis zu 94 %). Genitalhypoplasie (74 %), wobei Frauen fertil bleiben. Ohrensymptome: Helixmissbildung, Schwerhörigkeit.
Vergesellschaftet mit
Spaltbildungen, hoher gotischer Gaumen, Laryngomalazie, subglottische Stenose oder Tracheomalazie liegen bei vielen Patienten vor. Ösophagusatresie, tracheoösophageale Fisteln, renale Missbildungen, antimongoloide Lidachse, sog. „Steckkontaktnase“, muskuläre Hypotonie. Selten besteht eine komplette Thymusaplasie, die zu einem schweren kombinierten Immundefizit führt. Rekurrente Infektionen der Atemwege sind insbesondere bei Kindern häufig.

Anästhesierelevanz

Eine anästhesiologische Intervention kann bereits beim Neugeborenen mit bilateraler Choanalatresie erforderlich sein. In der Regel wird die Atresie frühzeitig operativ therapiert. Die Choanalatresie impliziert v. a. das Problem der perioperativen Freihaltung der Atemwege. Die chirurgisch korrigierte Choanalatresie ist mit einer hohen Restenosierungsrate assoziiert, so dass teilweise mehrfach Folgeeingriffe erforderlich werden. Häufig ist die Sprachentwicklung verlangsamt, so dass die Kommunikation mit kleinen Patienten erheblich erschwert sein kann. Patienten mit Gastro-Jejunal-Sonde oder nach stattgehabter Nissen-Fundoplikatio scheinen ein zusätzlich erhöhtes Risiko für perioperative Atemwegsprobleme zu haben. In Anbetracht der großen Anzahl von erforderlichen chirurgischen Eingriffen empfehlen einige Autoren die eventuelle Durchführung mehrerer Interventionen im Rahmen einer Anästhesie soweit wie möglich zusammenzufassen.
Spezielle präoperative Abklärung
Atemwegs- und kreislaufrelevante Malformationen müssen vor einer Anästhesie abgeklärt sein.
Wichtiges Monitoring
Pulsoxymetrie, Kapnographie, invasives hämodynamisches Monitoring je nach Art und Ausmaß des chirurgischen Eingriffs.
Vorgehen
Eine sedative Prämedikation sollte zurückhaltend und mit adäquater Überwachung der Vitalfunktionen angewendet werden. Soweit möglich kann die Anwesenheit der Eltern bei der Anästhesieeinleitung die Verständigung erleichtern, wenn sprachliche oder mentale Defizite oder autistische Verhaltensmuster vorliegen. Die Choanalatresie ist v. a. bei der Anästhesieeinleitung problematisch, da sie bei der inhalativen Einleitung mit Maskenbeatmung hinderlich ist. Die Beatmung mittels Larynxmaske oder Endotrachealtubus ist meist unverändert. Spaltbildungen und/oder ein anterior gelegener Larynx, verlagerte oder fixierte Aryknorpel können hingegen Laryngoskopie und Intubation erschweren. Im Detail muss sich das anästhesiologische Vorgehen nach der vorliegenden Dysmorphie richten. In jedem Fall sollte vor Intubationsnarkosen gut präoxygeniert werden und die Ausrüstung für alternative Intubations- bzw. Beatmungsmethoden (fiberoptisch, retrograd, blind nasal, Larynxmaske etc.) bereitgestellt werden. Darüber hinaus kommen auch videooptisch erweiterte Techniken in Frage, wie die Intubation mit dem Videolaryngoskop oder dem Videostilett. Die Indikation zur fiberoptisch gestützten Intubation sollte großzügig gestellt werden. Gleiches gilt für die Verwendung von Anticholinergika (Atropin oder Glycopyrrolat) zur Verminderung der Sekretbildung.
Andere Anästhesieverfahren wie Ketaminnarkosen mit erhaltener Spontanatmung, Regionalanästhesien und periphere Nervenblockaden können bei entsprechenden Voraussetzungen (keine respiratorische Probleme, keine Gerinnungsstörungen, keine progredienten neurologischen Erkrankungen, genügende Kooperationsfähigkeit des Patienten) und ausreichend langer postoperativer Überwachung eine Alternative zur Allgemeinanästhesie bzw. Intubationsnarkose sein.
Bei Herzvitien ist eine Endokarditisprophylaxe indiziert, das anästhesiologische Vorgehen richtet sich nach Art und Schweregrad der kardialen Malformation und der hämodynamischen Stabilität.
Cave
Sedative Prämedikation bei Choanalatresie.
Weiterführende Literatur
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