Anästhesie bei seltenen Erkrankungen
Info
Verfasst von:
Dierk A. Vagts, Heike Kaltofen, Uta Emmig und Peter Biro
Publiziert am: 28.03.2018

Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie

Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie.
Synonyme
EDMD 1 (X-chromosomal, betrifft EMD Gene); EDMD 2/3 (autosomal dominant/rezessiv, betrifft LMNA Gene); humeroperoneale Muskeldystrophie mit Frühkontrakturen und Kardiomyopathie; Benigne Scapuloperoneale Muskeldystrophie; Hauptmann-Thannhäuser Muskeldystrophie; Emerinopathie
Oberbegriffe
Myopathien, muskuläre Dystrophien.
Organe/Organsysteme
Muskulatur, Bewegungsapparat, Herz.
Ätiologie
Für EDMD 1 liegt ein X-chromosomal-rezessiver Erbgang vor. Der Gen-Ort liegt am distalen langen Arm (Xq28).
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
„Rigid spine syndrome“, muskuläre Dystrophie Typ Becker, muskuläre Duchenne-Dystrophie.

Symptome

Klinische Manifestation im Vorschulalter. Entwicklung von Beugekontrakturen in den Ellenbogengelenken, an der Achillessehne und Nackenmuskulatur. Muskelschwäche zunächst in humeroperonealer Verteilung, spätere Schwäche der Hüft- und Knieextensoren, Spitzfuß.
Labor
Im Serum leicht erhöhte Kreatinkinase.
Vergesellschaftet mit
Störung des kardialen Rewizleitungssystems, Kardiomyopathie, Motilitätsstörungen des Gastrointestinal-Traktes.

Anästhesierelevanz

Neben Notfalleingriffen erfordern elektive Operationen, wie z. B. orthopädische Korrekturen des Bewegungsapparates, eine anästhesiologische Betreuung der Patienten. Die kardiale Beteiligung kann sich in einer AV-Überleitungsstörung mit Bradykardieneigung manifestieren. Bei klinisch symptomfreien Patienten findet sich häufig ein AV-Block Grad I. Das Auftreten von Vorhofflimmern ist möglich. Eine reduzierte oder ausbleibende Antwort auf elektrische oder mechanische Stimulation ist beschrieben worden. Darüber hinaus kann eine Kardiomyopathie mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion vorliegen.
Die Punktion zur Spinal- oder Periduralanästhesie kann durch Kontrakturen der lumbalen Paravertebralmuskulatur erschwert sein.
In der Regel liegt bei den Patienten mit EDMD kein intellektuelles Defizit vor, jedoch erfordern häufig beschriebene mentale Dysbalancen eine einfühlsame Patientenführung.
Spezielle präoperative Abklärung
Kardiologische Diagnostik: EKG, Ausschluss einer Kardiomyopathie, elektrophysiologische Untersuchung bei Reizleitungsstörungen. Bei Patienten mit implantierten Schrittmachern Überprüfung der Schrittmacherfunktion. Gerinnungsdiagnostik, ggf. Kontrolle der oralen Antikoagulation bei Herzrhythmusstörungen. Festlegung der perioperativen Antikoagulation bei geplanter Regionalanästhesie.
Wichtiges Monitoring
EKG; bei Verwendung von Muskelrelaxanzien: Relaxometrie.
Vorgehen
Das anästhesiologische Vorgehen muss in Abhängigkeit von der geplanten Operation und dem mentalen Zustand des Patienten festgelegt werden. Eine sorgfältige Evaluation der oberen Atemwege, insbesondere der möglichen Nackenflexion ist wesentlich. Die Durchführung von regionalanästhesiologischen Verfahren kann durch bestehende Kontrakturen oder skoliotische Verformungen der Wirbelsäule erheblich erschwert sein. Hier kann die Anlage einer Regionalanästhesie nach Einleitung der Allgemeinanästhesie Lagerungsschwierigkeiten vermindern. Vor Beginn der Operation ist besondere Sorgfalt auf die korrekte Lagerung und Polsterung des Patienten zu legen.
Es wird empfohlen, keine Substanzen zu verwenden, die eine Maligne Hyperthermie (MH) triggern können. Insbesondere ist Succinylcholin aufgrund einer möglichen Hyperkaliämie mit nachfolgendem Herzstillstand kontraindiziert. Externe Schrittmacher müssen vor Beginn der Anästhesie verfügbar sein.
Anästhetika induzierte Rhabdomyolyse kann eine MH vortäuschen!
Gastrointestinale Motilitätsstörungen können eine Rapid Sequence Einleitung (RSI) notwendig machen.
Cave
Lagerungsschäden. Das Ausmaß der kardialen Beteiligung korreliert nicht mit dem Grad der Skelettmuskelerkrankung. Weibliche Konduktorinnen im höheren Lebensalter haben ein erhöhtes kardiales Risiko, auch wenn muskuläre Symptome fehlen. Die Maximaldosen von Lokalanästhetika müssen v. a. bei Patienten mit geringem Körpergewicht beachtet werden.
Weiterführende Literatur
Funnell A, Morgan J, McFadzean W (2012) Anaesthesia and orphan disease: management of cardiac and perioperative risks in a patient with Emery-Dreifuss muscular dystrophy. Eur J Anaesthsiol 29:596–598CrossRef
Kim OM, Elliott D (2010) Elective caesarean section for a woman with Emery-Dreifuss muscular dystrophy (2010). Anaesth Intensive Care 38:744–747PubMed
Lerman J (2011) Perioperative management of the paediatric patient with coexisting neuromuscular disease. Br J Anaesth 107:i79–i89CrossRef
Nigro G, Russo V, Ventriglia V et al (2010) Early onset of cardiomyopathy and primary prevention of sudden death in X-linked Emery-Dreifuss muscular dystrophy. Neuromuscul Disord 20:174–177CrossRefPubMed
Schuster F, Wessig C, Schimmer C et al (2012) In vitro contracture test results and anaesthetic management of a patient with Emery-Dreifuss muscular dystrophy for cardiac transplantation. Case Rep Anaesthesiol. https://​doi.​org/​10.​1155/​2012/​349046CrossRef
Internetlinks (Zugegriffen am 01.02.2018)