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Epidermolysis bullosa

Verfasst von: Dierk A. Vagts, Heike Kaltofen, Uta Emmig und Peter Biro
Epidermolysis bullosa.
Synonyme und Subtypen
Aktuelle Einteilung der Epidermolysis bullosa in 4 Gruppen (und mehr als 20 Subgruppen):
Epidermolysis bullosa simplex, junktionale Epidermolysis bullosa, Epidermolysis bullosa dystrophica und Epidermolysis bullosa acquisita.
Früher gebräuchliche Synonyme: Koebner-Sy, Ogna-Sy, Cockayne-Touraine-Sy, Pasini-Sy, Herlitz-Sy, Bart-Sy, Hallopeau-Siemens-Sy, Nicolas-Moutot Charlet-Sy, Mendes-da Costa-van der Valk-Sy.
Oberbegriffe
Dermatosen, Genodermatosen, mukokutane Erkrankung.
Organe/Organsysteme
Haut, Schleimhäute, Respirationstrakt, Gastrointestinaltrakt.
Inzidenz
Epidermolysis bullosa simplex: Prävalenz variiert von Land zu Land und abhängig von der Lokalisation; generell gute Prognose, 1–2:100.000 an Händen und Füßen betroffen, 2:1 Mio. generalisiert, 5–10:1 Mio. herpetiforme Form (schlechteste Prognose).
Junktionale Epidermolysis bullosa: ca. 2:100.000, schlechte Prognose, hohe Todesrate im frühen Lebensalter.
Epidermolysis bullosa dystrophica: 21,4:1 Mio., sehr variable Prognose.
Epidermolysis bullosa acquisita: 0,17–0,26:1 Mio. in Westeuropa.
Ätiologie
Funktionelle Störung von Strukturproteinen der Haut.
Epidermolysis bullosa simplex: Mechanisch induzierte Blasenbildung innerhalb der Epidermis durch Lyse basaler Keratinozyten, fast immer autosomal-dominant vererbt.
Junktionale Epidermolysis bullosa: Mechanisch induzierte Blasenbildung in der Lamina lucida der Basalmembran, autosomal-rezessiv, Unterscheidung in 3 Gruppen (letaler Herlitz-Subtyp, benigner non-Herlitz-Subtyp, mit Pylorusatresie [nur gelegentlich Überlebende]).
Epidermolysis bullosa dystrophica: Mechanisch induzierte Blasenbildung direkt unterhalb der Lamina densa der Basalmembran, autosomal-dominant (milde Ausprägung) oder autosomal-rezessiv (schwere Ausprägung) vererbt, Mutation des Gens für Typ VII-Kollagen.
Kindler Syndrom: Blasenbildung in unterschiedlichen Schichten.
Epidermolysis bullosa acquisita: IgG-Autoantikörper gegen Typ VII-Kollagen.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Lyell-Sy (Epidermolysis toxica acuta), Pemphigus vulgaris, bullöses Pemphigoid, Weber-Cockayne-Sy.

Symptome

Pemphigoide Blasenbildung, Entzündung und Nekrosen der Haut und Schleimhäute nach geringfügigen Traumen, teilweise mit Narbenbildung, Kontrakturen, Zahndefekte, Schmerzwahrnehmung in der Haut
Vergesellschaftet mit
Reduzierter Allgemeinzustand, Hypovolämie, Elektrolytstörungen, Infektanfälligkeit, Amyloidose, Nierenfunktionsstörungen, Kardiomyopathie, Anämie, Gerinnungsstörungen, Ösophagusstenose, Plattenepithelkarzinom. Beziehungen zu Porphyrien sind nicht sicher nachgewiesen.
Therapien
Keine kausal Therapie vorhanden, sorgfältige Vermeidung von Traumen und Abscherungen, hoch dosierte Kortikosteroide, plastisch-chirurgische Korrekturen, Phenytoin, Azathioprin.

Anästhesierelevanz

Typische Operationen
Augenoperationen, Zahnsanierungen, Plastische Chirurgie, Beseitigung von Kontrakturen, Exzision von Plattenepithelkarzinomen, Hauttransplantationen, Verbandswechsel, Ösophaguskopie und -dilatation, Fundoplicatio, Gastrostomie.
Cave
Bei Narbenbildungen im Rachenraum und Atemwegen mit Intubationsschwierigkeiten rechnen. Durch Kontrakturen kann die Mundöffnung reduziert, die Zunge unbeweglich und die Epiglottis fixiert sein. Es besteht eine erhöhte Infektionsgefahr. Nasale fiberoptische Intubation und Larynxtubus vermeiden.
Spezielle präoperative Abklärung
Blutbild (bei Chemotherapie mit Knochenmarkdepression rechnen), Elektrolytstatus, Nierenfunktionsparameter, Thoraxröntgen bzw. Röntgen der Atemwege, Infektionsstatus, Ernährungsstatus, ösophagealer Reflux, EKG und transthorakale Echokardiografie bei Kardiomyopathie.
Wichtiges Monitoring
Invasive Blutdruckmessung (nichtinvasive RR-Messung ist theoretisch möglich, wenn zu hohe Manschettendrücke und Scherkräfte vermieden werden), Elektrolytstatus im Serum, Relaxometrie.
Vorgehen
Grundsätzlich ist ein möglichst gewebeschonendes atraumatisches Vorgehen anzustreben. Intensive Polsterung des OP-Tisches, Druckstellen vermeiden. Augensalbe verwenden und nicht die Augen zukleben. Verzicht auf selbstklebende EKG-Elektroden und solche mit Adhäsionspaste. Lokalisation des Pulsoxymeters bei längeren Operationen regelmäßig wechseln. Sehr restriktive Anwendung von Hautpflastern (möglichst Fixation mit Gazebinden). Empfohlen wird die Bevorzugung von Methoden, die ohne Intubation und Maskenbeatmung auskommen. Wenn dennoch intubiert werden muss, sollten dünne und flexible („von Gleitmittel triefende“) Tuben eingelegt werden, evtl. auf Cuff verzichten, einen um 0,5 mm kleineren Innendurchmesser beim Tubus wählen als „normal“; Larynxmaske eine Größe kleiner. Für die Laryngoskopie den gebogenen Macintosh-Spatel ohne Aufladen der Epiglottis benutzen. Gegebenenfalls orale fiberoptische Intubation durch einen geübten Anwender erwägen.
Für nicht-depolarisierende Muskelrelaxanzien ist eine verlängerte Wirkzeit beschrieben → Relaxometrie evtl. mit Nadelelektroden.
Weitgehende Unterlassung von invasiven Manipulationen wie intratracheales Absaugen, Einbringung von Urinkathetern, Magensonden etc.
Sehr sinnvoll ist eine perioperative antibiotische Abschirmung.
Kortikosteroide perioperativ mit einer angepassten Dosis substituieren. Danach wird die Dosis über Tage schrittweise bis zum präoperativen Wert reduziert.
Die erfolgreiche Anwendung von Regionalanästhesietechniken ist beschrieben, wird aber kontrovers diskutiert (Beachte: Möglichkeit der Thrombozytopenie). Epiduralkatheter können für längere Schmerztherapie getunnelt und dann direkt mit Nähten auf der Haut fixiert werden; eine lokale Infiltration wird nicht empfohlen.
Regionalanästhesien mit Kathetern weisen im Hinblick auf die postoperative Analgesie zahlreiche Vorteile auf, da zur analgetischen Therapie postoperativ häufig nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Für rektale Applikation besteht eine relative Kontraindikation. Orale Gabe ist wegen postoperativer Schwellungen nicht immer möglich.
Gegebenenfalls Aspirationsprophylaxe durchführen.
Geburtshilfe: Krankheit hat keinen Einfluss auf die Schwangerschaft. An frühzeitige Epiduralanästhesie denken, um Intubation für Notfallkaiserschnitt zu vermeiden.
Cave
Druckstellen, Lagerungsschäden, nicht zwingend indizierte invasive Maßnahmen. Adäquate Schmerztherapie bei Blasenbildung beachten (da evtl. chronischer Schmerzpatient!).
Weiterführende Literatur
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Internetlinks (Stand 15.11.2017)
DebRA: Dystrophic Epidermolysis Bullosa Research Association of America. www.​debra.​org
DebRA: Dystrophic Epidermolysis Bullosa Research Association of the UK. www.​debra.​org.​uk
Netzwerk Epidermolysis bullosa (EB). www.​netzwerk-eb.​de