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Holt-Oram-Syndrom

Verfasst von: Dierk A. Vagts, Heike Kaltofen, Uta Emmig und Peter Biro
Holt-Oram-Syndrom.
Synonyme
„Cardiac-limb syndrome“; „heart-hand syndrome“/Herz-Hand-Syndrom Typ 1; kardiodigitales Sy; Harris-Osborne-Sy; atriodigitale Dysplasie Typ 1
Oberbegriffe
Dysmorphiesyndrome, Dysmelie.
Organe/Organsysteme
Extremitäten, Skelettsystem, Herz.
Inzidenz
Sehr selten, Prävalenz 0,95 auf 100.000 Geburten (Daten aus Ungarn). Letalität abhängig von Art und Ausprägung des Herzfehlers, Manifestation im Neugeborenenalter.
Ätiologie
Kongenital mit autosomal-dominantem Erbgang. In 30–85 % isolierte Fälle, ansonsten familiär bedingt. Meist liegen Mutationen am Chromosom 12q24.1 (TBX5-Gen) (85 %) vor.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Thrombopenie-Radiusaplasie (TAR-Sy), Thalidomid-Embryopathie, Aase-Sy, teratogene Embryopathien, Herz-Hand-Syndrom Typ 2, Herz-Hand-Syndrom Typ 3, Brachydaktylie-langer Daumen, SAL4 (allosuppressor Gen SAL4)-abhängige Krankheiten (Okihiro-Syndrom und Akren-Nieren-Augen-Syndrom), Ulna-Mamma-Syndrom, Slowenischer Typ des Herz-Hand-Syndroms, Fanconi-Anämie, Syndrom der distalen 22q11.2-Mikrodeletion, VACTERL-Assoziation, Fetales Valproat-Syndrom.
Roberts SC-Phocomelie Syndrom, Roberts Tetraphocomelia Syndrome, SC Phocomelie Syndrom, Pseudo-thalidomid Syndrom, Tetraphocomelia Syndrom, DK Phocomelie, Fuhrman Syndrom, Steinfeld Syndrom.

Symptome

Alle Arten von Herzrhythmusstörungen in Kombination mit Anomalien der oberen Extremität (vollständige Penetranz) sind möglich. Die Ausprägung der Extremitätenfehlbildungen korreliert meist mit der Schwere der Herzfehler (75   % Penetranz). Bei Vererbung reicht die Deformität der Extremitäten zur Diagnosestellung, bei isolierten Fällen muss beides vorhanden sein. Zur Dysmelie gehören in unterschiedlicher Ausprägung hypoplastischer oder fehlender Daumen, Klinodaktylie (radiale Schiefstellung der Finger(glieder)), Brachydaktylie, Syndaktylie, Karpalknochenfehlbildung, Hypo- oder Aplasie des Radius, Humerus oder von beiden (Phokomelie), Hypoplasie der Klavikula oder des M. pectoralis major, radialer Strang ist häufig betroffen, ungleiche Armlängen, häufig Fehlbildungen links mehr als rechts, hypoplastische Gefäße, fehlende A. radialis.
Kardiale Manifestationen sind Vorhofseptumdefekt (41,8 %), Ventrikelseptumdefekt (13,8 %), Fallot-Tetralogie, Fehlmündung der Pulmonalvenen, persistierender Ductus arteriosus Botalli, paroxysmales Vorhofflimmern, AV-Blockaden, WPW Syndrom u. a.
Selten auch in Kombination mit: Gesichtsschädelfehlbildungen, Wirbelfehlbildungen, Fehlbildungen der Achsel und der unteren Gliedmaße, Situs inversus, Nierenfehlbildungen, Schwerhörigkeit, Tracheafehlbildungen.
Vergesellschaftet mit
Plötzlicher Herztod, Lebenserwartung abhängig von Schweregrad des Herzfehlers, evtl. Maligne Hyperthermie.

Anästhesierelevanz

Operation angeborener Herzvitien, Versorgung mit Herzschrittmacher. Bei Neugeborenen an die Möglichkeit einer postpartalen Ateminsuffizienz denken!
Präoperative Untersuchungen
Echokardiografie, ggf. Holter-EKG, Ausschluss eines situs inversus.
Wichtiges Monitoring
EKG (Ableitung V5), invasive Blutdruckmessung an der A. femoralis.
Vorgehen
Sowohl balancierte Anästhesie als auch rückenmarknahe Regionalanästhesie (z. B. kombinierte Spinal-Epidural-Anästhesie bei Sectio caesarea) sind beschrieben. Postoperativ intensive Überwachung der kardialen Funktion erforderlich. Endokarditisprophylaxe nach den aktuellen Empfehlungen.
Es wurde ein Fall von Maligner Hyperthermie-ähnlichen Komplikation bei einem zweijährigen Kind beschrieben.
Tierexperimentelle Arbeiten lassen aber den Schluss zu, dass TbX5 auch für die Expression von CaMK-II (Typ II multifunctional Ca2+/Calmodulin-abhängige Proteinkinase) verantwortlich ist. Eine Dysregulation dieses Enzyms wiederum führt u. a. zu Alzheimer Krankheit, Angelman Syndrom und kardialen Arrhythmien (veränderte Aktivität der Kaliumkanäle). Gleichzeitig wird der Kalzium-Stoffwechsel verändert, wodurch nach diesen Studien MH-ähnliche Zustände begünstigt werden können.
Auch wenn eine klare Korrelation von Holt-Oram zu MH bisher nicht nachgewiesen ist, sollte derzeit auf eine balancierte Anästhesie mit volatilen Anästhetika oder andere Triggersubstanzen verzichtet und eine TIVA durchgeführt werden.
Für Gefäßpunktionen sind ultraschallgestützte Techniken, auch peripher, sehr hilfreich.
Weiterführende Literatur
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Internetlinks (Stand 01.02.2018)
www.​rarediseases.​org (National Organization for Rare Disorders)