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Menkes-Syndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Uta Emmig, Dierk A. Vagts und Peter Biro
Menkes-Syndrom.
Synonyme
Engl. „kinky hair disease“; Kraushaarsyndrom; Trichopoliodystrophie; X-chromosomaler Kupfermangel
Oberbegriff
Neurodegenerative Erkrankung, Stoffwechselerkrankung, Enzymopathie, Malabsorptions-Ss, Albinismus-Ss, Kollagenose.
Organe/Organsysteme
ZNS, Muskulatur, Skelett, Gastrointestinaltrakt, Bindegewebe, Haut, Haare.
Inzidenz
1:100.000 bis 1:250.000.
Ätiologie
Hereditär und kongenital mit X-chromosomal-rezessivem Erbgang, verschiedene Mutationen des Kupfertransportgens ATP7A mit der Folge einer verminderten Aktivität von Enzymsystemen, die Kupfer als Cofaktor benötigen. Eine intestinale Resorptionsstörung sowie eine gestörte Kupferaufnahme durch die Zellmembranen und entlang der Blut-Hirn-Schranke werden angenommen.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Wilson-Sy, Ehlers-Danlos-Sy, Moya-Moya-Sy, Klein-Waardenburg-Sy, Sabouraud-Sy, Argininbernsteinsäure-Sy, Methioninmalabsorptions-Sy., Mitochondriopathien.

Symptome

Manifestation im Säuglingsalter mit Wachstumsrückstand und Gedeihstörung. Struktur- und Funktionsanomalien verschiedener Organe wegen Enzymdefekten: Lysyloxidase (fehlerhafte Kollagenbildung mit folgender Venenfragilität aufgrund pathologischer Intima), Tyrosinase und Monoaminoxidase (Haut: Pigmentunregelmäßigkeit, Haaranomalien: „pili torti, Monilethrix, Trichorrhexis nodosa“), Ascorbatoxidase (Knochenmineralisation) und Zytochromoxidase (Thermoregulation: Neigung zu Hypothermie), Krampfneigung, gastroösophageale Refluxneigung, Dysphagie, psychomotorischer Entwicklungsrückstand, Pausbacken, Hypomimie (Ausdruckslosigkeit), muskuläre Hypotonie, Hypoglykämie. Im ZNS kommt es zur Degeneration der weißen und grauen Hirnsubstanz mit herdförmigen Gliosen. Hohe Sterblichkeit bereits im Kleinkindalter (Lebenserwartung ca. 3 Jahre).
Labor
Erniedrigte Serumkupfer- und Zäruloplasminwerte.
Vergesellschaftet mit
Respiratorische Infekte, gestörte T-Zellfunktion, arterielle und venöse Aneurysmen, schlechter Ernährungszustand, Apnoeepisoden mit inspiratorischem Stridor und Bradykardie während des Schlafs, Mikrogenie, Hiatushernien, Thoraxdeformität, Extremitätendeformationen, Mikrozephalie. Wiederholtes Auftreten von Subduralhämatomen mit möglicher Hirndruckentwicklung auch nach Bagatelltraumen ist beschrieben; hier ist differenzialdiagnostisch eine „shaken-baby“-Diagnose im Rahmen von Kindesmisshandlung auszuschließen.
Therapie
Erfolgversprechende Studien mit parenteraler Kupfersubstitution bei entsprechender enzymaler Restaktivität bereits in der Neonatalperiode lassen eine Verbesserung der Überlebensrate vermuten. Antikonvulsive Behandlung, Therapie der respiratorischen Infekte, Tracheotomie.

Anästhesierelevanz

Im Vordergrund steht die ausgeprägte Krampfneigung, die häufig Kombinationstherapien verlangt. Weitere Probleme sind Aspirationsneigung, die häufigen (teils durch Aspiration bedingten) respiratorischen Infekte, die Bindegewebsschwäche und die Auskühlungsgefahr.
Spezielle präoperative Abklärung
Blutspiegelbestimmung und Optimierung der antiepileptischen Medikamente, Thoraxröntgenaufnahme, neurologischer Status.
Wichtiges Monitoring
Kontinuierliche Temperaturmessung, Blutzucker-Kontrollen.
Vorgehen
Die antikonvulsive Medikation ist perioperativ fortzusetzen und ggf. auf i.v. oder rektal applizierbare Medikamente umzustellen.
Wegen des gastroösophagealen Refluxes empfiehlt sich die präoperative Gabe von H2-Rezeptornblockern und eine Anästhesieeinleitung im Sinne einer „rapid-sequence induction“. Wegen der Entwicklungsverzögerung ist daran zu denken, dass in der Regel dünnere Endotrachealtuben notwendig sind, als vom Alter her zu erwarten wäre. Es gibt Hinweise für mögliche Schwierigkeiten bei der Intubation.
Es gibt keine strikten Medikamentenkontraindikationen. Bei Anwendung von Opioiden und anderen das Atemzentrum beeinflussenden Anästhetika ist eine adäquate postoperative Überwachung der Atmungsfunktion über eine längere Zeit (24 h) vorzusehen, insbesondere bei vorhandener Schlafapnoe. Es kann aufgrund einer eingeschränkten Reaktionsfähigkeit des sympathischen Nervensystems zu Blutdruckabfällen kommen, welche eine medikamentöse Intervention benötigen.
Die Verwendung von Succinylcholin wird bei neurodegenerativen Erkrankungen als problematisch betrachtet. Im Zusammenhang mit dem Menkes-Sy sind keine negativen Erfahrungen mit einzelnen Relaxantien publiziert. Bei Verwendung von Vecuronium kann eine verkürzte oder verminderte Wirkung aufgrund einer Enzyminduktion durch Antikonvulsiva vorliegen, so dass die relaxometrische Überwachung erfolgen sollte.
Die Bindegewebsschwäche hat eine erhöhte Vulnerabilität der Schleimhäute und der Gefäße zur Folge, so dass entsprechend schonend vorzugehen ist (vgl. Ehlers-Danlos-Sy). Aufgrund der Gefäßfragilität sind rückenmarknahe Regionalanästhesien relativ kontraindiziert, obwohl diesbezüglich keine Erfahrungen beim Menkes-Syndrom publiziert sind.
Wegen der gestörten Thermoregulation sind verstärkte Maßnahmen gegen Auskühlung zu treffen.
Cave
Ketamin, Auskühlung, Aspiration, Tourniquetanwendung, Atemwegsobstruktion nach Extubation.
Weiterführende Literatur
Kaler SG, Holmes CS, Goldstein DS et al (2008) Neonatal diagnosis and treatment of Menkes disease. N Engl J Med 358:605–614CrossRefPubMedPubMedCentral
Passariello M, Almenrader N, Pietropaoli P (2008) Anesthesia for a child with Menkes disease. Pediatr Anesth 18:1225–1226
Tobias JD (1992) Anaesthetic considerations in the child with Menkes’ syndrome. Can J Anaesth 39:712–715CrossRefPubMed
Tümer Z, Møller LB (2010) Menkes disease. Eur J Hum Genet 18:511–518CrossRefPubMed
Verrotti A, Cusmai R, Darra F et al (2014) Epilepsy in Menkes disease: an electroclinical long-term study of 28 patients. Epilepsy Res 108:1597–1603CrossRefPubMed
Yamashita J, Yamakage M, Kawana S, Namiki A (2009) Two cases of Menkes disease: airway management and dental fragility. Anaesth Intensive Care 37:332–333PubMed