Therapie
Akute Symptome einer systemischen allergischen Reaktion werden stadiengerecht nach Leitlinie behandelt (Kap. „Soforttyp-Allergie: Rhinokonjunktivitis,
Asthma bronchiale, Anaphylaxie“).
Die langfristige Therapie besteht aus:
Über Maßnahmen der Allergenvermeidung wird mündlich und zusätzlich durch ein Merkblatt informiert. Die stets mitzuführende Notfallmedikation besteht bei älteren Kindern und Erwachsenen aus einem Autoinjektor zur intramuskulären Epinephrin-Applikation sowie einem schnell wirkenden H1-blockierenden Antihistaminikum und einem Glukokortikoid zur oralen Anwendung; bei jüngeren Kindern sind Besonderheiten zu beachten. Patienten mit Asthma oder mit deutlicher Bronchialobstruktion bei einer früheren Stichreaktion erhalten zusätzlich ein rasch wirksames β2-Sympathomimetikum zur Inhalation. Bei erhöhtem Risiko für Epinephrin-Nebenwirkungen ist die Epinephrin-Selbstanwendung durch einen Kardiologen zu überprüfen. Das Verhalten bei erneutem Stich wird erläutert; dazu gehören unter anderem die sofortige Entfernung eines in der Haut verbliebenen Stachels, Anwendung der Notfallmedikation, Lagerung, Alarmieren möglicher Ersthelfer und des Notarztes. Zu empfehlen ist eine Patientenschulung (AGATE: Arbeitsgemeinschaft
Anaphylaxie – Training und Edukation e.V.).
Therapie der Wahl ist die
SIT
. Die
Indikation zur Insektengift-SIT besteht bei Erwachsenen mit einer Stichanaphylaxie vom Schweregrad ≥II sowie bei Patienten mit Reaktionen vom Schweregrad I und Risikofaktoren (Tab.
3) oder bei Einschränkung der
Lebensqualität. Grundsätzlich ist allen erwachsenen Patienten mit systemischen Stichreaktionen vom Soforttyp die SIT unabhängig vom Schweregrad zu empfehlen, da frühere leichte Reaktionen ein Risikofaktor für das Auftreten späterer schwerer Reaktionen sind. Lediglich für Kinder im Alter bis 16 Jahren konnte gezeigt werden, dass bei auf die Haut beschränkten systemischen allergischen Stichreaktionen auch ohne SIT spätere Stiche bei weniger als 20 % der Gestochenen erneut zu systemischen Reaktionen führten und eine Zunahme des Schweregrades nicht eintrat.
Die temporären Kontraindikationen der SIT (zum Beispiel interkurrenter Infekt, unzureichend eingestelltes Asthma, Impfungen) sind wie bei der Behandlung mit Aeroallergenen zu beachten. Demgegenüber sind dauerhafte Kontraindikationen, vor allem schwere kardiovaskuläre Erkrankungen, maligne Erkrankungen oder angeborene beziehungsweise erworbene Immundefekte, beim potenziell lebensbedrohlichen Krankheitsbild der Insektengiftallergie nur relativ. Hier ist eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko für den einzelnen Patienten erforderlich. Während der Schwangerschaft soll eine SIT im Allgemeinen nicht eingeleitet werden, eine gut vertragene Behandlung kann dagegen fortgesetzt werden.
Patienten mit früherer
Anaphylaxie sollten, wenn medizinisch vertretbar, nicht mit β-Blockern oder
ACE-Hemmern therapiert werden, da darunter
anaphylaktische Reaktionen schwerer verlaufen können. ACE-Hemmer scheinen auch die Wirksamkeit der Insektengift-SIT negativ zu beeinflussen. Im Gegensatz zu früheren Empfehlungen stellt die Therapie mit ACE-Hemmern oder β-Blockern jedoch keine absolute Kontraindikation für eine Insektengift-SIT dar. Auch hier ist eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko für den einzelnen Patienten erforderlich, und der Patient über das veränderte Risikoprofil aufzuklären.
Es gibt verschiedene
Schemata für die Dosissteigerung der Insektengift-SIT. Um einen raschen Eintritt einer Schutzwirkung zu erreichen und gleichzeitig den Patienten in der vulnerablen Steigerungsphase unter optimalen Bedingungen nachbeobachten zu können, ist für die Dosissteigerung die stationär durchgeführte Schnellhyposensibilisierung zu empfehlen. Da die SIT mit Bienengift in der Standarddosierung weniger wirksam ist als die Therapie mit Wespengift, wird für Patienten mit Bienengiftallergie und Risikofaktoren (Tab.
3) von vornherein eine erhöhte Erhaltungsdosis von 200 μg empfohlen. Auch bei Wespengiftallergie kann im Einzelfall eine von Anfang an erhöhte Behandlungsdosis angezeigt sein.
Örtliche Reaktionen an der Injektionsstelle und einzelne systemische allergische Reaktionen, die im Allgemeinen mild verlaufen, sind als Nebenwirkungen der Insektengift-SIT nicht selten, aber fast immer gut therapierbar. Selten sind wiederholte systemische anaphylaktische Nebenwirkungen, die auf ein Therapieversagen hinweisen. Eine kurzfristige Begleit- und/oder Vortherapie mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab führt bei diesen Patienten nahezu stets zur Verträglichkeit der SIT, ist derzeit allerdings nur als off-label-use möglich.
Die Insektengift-SIT schützt mit der Standarderhaltungsdosis von 100 μg etwa 80–95 % der mit Bienengift und 90–95 % der mit Wespengift Behandelten vor einer systemischen Reaktion bei erneutem Stich. Eine Überprüfung des Therapieerfolgs durch Laborparameter ist bisher nicht möglich. Zur Überprüfung der klinischen Wirksamkeit der SIT sollte ein Stichprovokationstest mit einem lebenden Insekt in intensivmedizinischer Notfallbereitschaft etwa 6–18 Monate nach Erreichen der Erhaltungsdosis erfolgen. Kommt es trotz SIT zu einer systemischen Reaktion auf Stichprovokation oder Feldstich, tritt durch Steigerung der Erhaltungsdosis (meist sind 200 μg ausreichend) fast immer eine Schutzwirkung ein.
Die Entscheidung zur Beendigung der SIT wird für jeden Patienten individuell getroffen. In den meisten Fällen kann die SIT nach 3–5 Jahren beendet werden, sofern die Behandlung selbst und ein erneuter Stich ohne systemische Reaktion vertragen wurden. Ist dies nicht der Fall oder bestehen besondere Risiken (Tab.
3), so wird der Patient gegebenenfalls länger behandelt. Vor allem bei
Mastozytose oder früherer Stichreaktion vom Schweregrad IV ist eine lebenslange SIT indiziert. Unabhängig von Erfolg und Dauer der SIT ist die persönliche Notfallmedikation von Risikopatienten stets mitzuführen.