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Erkrankungen durch Bienen- und Wespenstiche

Verfasst von: Franziska Ruëff und Thilo Jakob
Überempfindlichkeitsreaktionen auf die Stiche von Stechimmen sind überwiegend IgE-vermittelte Reaktionen, die sich in Form verstärkter örtlicher Reaktionen oder potenziell lebensbedrohlicher allergischer Allgemeinreaktionen äußern. In Mitteleuropa sind ganz überwiegend Stiche der Honigbiene oder bestimmter Faltenwespen für bedeutsame Stichreaktionen verantwortlich. Akute Krankheitserscheinungen nach einem Insektenstich werden symptomatisch therapiert. Nach Allgemeinreaktionen oder gesteigerten örtlichen Reaktionen sind dauerhafte Maßnahmen zur Stichprophylaxe sowie Anleitung zur Selbsthilfe im Falle einer erneuten Stichreaktion angezeigt. Mittels Hauttests und spezifischen IgE-Antikörpern wird die Sensibilisierung gegen Bienen- und Wespengift überprüft. Bei Bienen- oder Wespengiftanaphylaxie ist in den meisten Fällen eine spezifische Immuntherapie (SIT) indiziert, für die teilweise eine erhöhte Erhaltungsdosis erforderlich ist. Besonders dringlich angezeigt ist eine SIT bei Mastzellerkrankungen, höherem Lebensalter oder hohem Risiko weiterer Stiche.

Einführung

Stechimmen (Aculeata) bilden eine Teilordnung der Hautflügler (Hymenoptera). Nur die weiblichen Tiere verfügen über einen Giftstachel, der sich aus dem Eiablageapparat (Ovipositor) entwickelt hat. Neben der Lähmung von Beutetieren dient ein Stich der Abwehr. Aufgrund seiner Struktur bleibt nach einem Bienenstich der Stechapparat meistens in der Haut stecken. Wenn der Stachel samt daran verbliebendem Giftapparat nicht sofort entfernt wird, wird noch für etwa 1 min weiter Gift in die Haut gepumpt. Wespen können den Stachel aus der Haut wieder zurückziehen und daher auch mehrfach stechen. Allerdings kann auch nach Wespenstich der Stachel stecken bleiben, zum Beispiel wenn die Wespe beim Stich eingeklemmt wurde.
Bei einem Bienenstich werden 50–150 μg, bei einem Wespenstich etwa 1,7–17 μg Gift abgegeben. Bei sehr hoher Anzahl von gleichzeitigen Stichen können Hymenopterengifte neben einer örtlichen auch eine systemische toxische Wirkung haben. Besteht eine Sensibilisierung auf Inhaltsstoffe des Gifts, so kann ein erneuter Stich eine örtliche oder systemische allergische Reaktion verursachen.
Auslöser klinisch bedeutsamer Hymenopterenstich-Reaktionen sind in Mitteleuropa ganz überwiegend Honigbienen (Apis mellifera; Biene, Abb. 1) sowie bestimmte Faltenwespen (insbesondere Vespula vulgaris, Vespula germanica; Wespe, Abb. 2), selten auch andere Hymenopteren wie Langkopfwespen (Dolichovespula spp.), Hornissen (Vespa crabro), Hummeln (Bombus spp.) oder Ameisen (Formicidae). Im Mittelmeerraum und den USA spielen auch Feldwespen (Polistes spp.), im Süden der USA Feuerameisen (Solenopsis invicta) oder in Australien die Ameisenart Myrmecia pilosula (jack jumper) eine wichtige Rolle. Die unterschiedliche Bedeutung einzelner Hymenopterenarten für das Stichrisiko ergibt sich zum einen aus deren regionalem Vorkommen, der Größe der Populationen, dem Verhalten der Insekten bei Nahrungsbeschaffung und ihrem Abwehrverhalten; der andere für krankmachende Stichreaktionen entscheidende Faktor ist die Exposition des Menschen.
Hymenopterengifte enthalten niedermolekulare Substanzen (biogene Amine, Leukotriene), Peptide und Proteine. Zytotoxische und neurotoxische Wirkungen sind vor allem auf Peptide und Phospholipasen zurückzuführen, Hyaluronidasen wirken zusammen mit biogenen Aminen als spreading factor. Die Zusammensetzung des Gifts kann in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand des Insekts und von seinen Lebensbedingungen variieren. Von Majorallergenen (Hauptallergenen) wird gesprochen, wenn mehr als 50 % der betroffenen Patienten eine Sensibilisierung gegen das betreffende Allergen zeigen. Minorallergene können im Einzelfall durchaus die entscheidende Rolle für die allergische Reaktionslage eines individuellen Patienten darstellen; von der Gesamtheit der gegen das betreffende Insektengift allergischen Patienten ist allerdings nur eine Minderheit gegen Minorallergene sensibilisiert.
Bienengift (Tab. 1) und Wespengift (Tab. 2) sind unterschiedlich zusammengesetzt, einzelne Allergene sind jedoch verwandt und bilden die Grundlage einer Kreuzreaktivität. Bienengift ist mit Hummelgift, Wespengift mit den Giften anderer Arten von Vespula sowie den Giften von Vespa und Dolichovespula nahe verwandt.
Tab. 1
Allergologische relevante Bestandteile von Bienengift
Bestandteil
Allergenbezeichnung/Funktion
Potenziell kreuzreagierende Allergene
Api m1*
 
Api m 2*
Hyaluronidase
Ves v 2
Api m 3
Saure Phosphatase
 
Api m 4
Melittin
 
Api m 5*
Allergen C/Dipeptidylpeptidase IV
Ves v 3
Api m 6
Protease-Inhibitor
 
Api m 7
Protease
 
Api m 8
Carboxylesterase
 
Api m 9
Carboxypeptidase
 
Api m 10*
Icarapin variant 2, carbohydrate-rich protein
 
Api m 11.0101
Major royal jelly protein 8
 
Api m 11.0102
Major royal jelly protein 9
 
Api m 12
Vitellogenin
Ves v 6
*Majorallergene; potenziell mit Vespula-Giften kreuzreagierende Allergene sind in der letzten Spalte aufgeführt
Tab. 2
Allergologische relevante Bestandteile von Wespengift
Bestandteil
Allergenbezeichnung/Funktion
Potenziell kreuzreagierende Allergene
Ves v 1*
Phospholipase A1
 
Ves v 2.0101a
Hyaluronidase
Api m 2
Ves v 2.0201a
Hyaluronidase
Api m 2
Ves v 3*
Dipeptidylpeptidase IV
Api m 5
Ves v 5*
 
Ves v 6
Vitellogenin
Api m 12
*Majorallergene; potenziell mit Bienengift kreuzreagierende Allergene sind in der letzten Spalte aufgeführt

Diagnostik und Therapie übersteigerter Stichreaktionen

Verstärkte örtliche Stichreaktionen

Epidemiologie
Bei bis zu einem Viertel der Allgemeinbevölkerung kommt es zu einer gesteigerten örtlichen Reaktion nach Hymenopterenstich.
Ätiopathogenese
Gesteigerten örtlichen Reaktionen liegen in aller Regel IgE-vermittelte verzögerte entzündliche Prozesse (Spätphase-Reaktion einer Soforttyp-Reaktion) zugrunde, die unter Beteiligung von T-Lymphozyten, anderen Entzündungszellen und Entzündungszytokinen ablaufen.
Klinik
Die Einbringung des Gifts bei Stich ist auch im Regelfall mit Schmerzen verbunden und führt zu einer umschriebenen schmerzhaften Rötung und Schwellung an der Stichstelle. Eine normale örtliche Reaktion ist definiert durch einen Durchmesser von <10 cm und eine deutliche Rückbildungstendenz innerhalb eines Tages. Eine verstärkte örtliche Reaktion (large local reaction) ist eine im Durchmesser >10 cm große, schmerzhafte erythematöse Schwellung, die länger als 24 h, manchmal bis zu 2 Wochen, persistiert und auch eine nichtinfektiöse Lymphangitis hervorrufen kann. Leichte Allgemeinbeschwerden (Krankheitsgefühl, Frösteln) können dabei auftreten.
Falls der Stich im Bereich der Luftwege erfolgt ist, kann auch eine örtliche Schwellung zu einer bedrohlichen Obstruktion führen.
Differenzialdiagnose
Wichtig ist die Abgrenzung von einem Erysipel.
Diagnostisches Vorgehen
Zur Abgrenzung eines Erysipels werden in der Akutphase Entzündungswerte (CRP, Differenzialblutbild) bestimmt. Obwohl bei etwa 75 % der Patienten Insektengift-spezifische Sensibilisierungen nachweisbar sind, werden allergologische Tests üblicherweise nicht vorgenommen, da der Nachweis einer Insektengiftsensibilisierung außer spezifischen Karenzmaßnahmen keine therapeutische Konsequenz nach sich zieht.
Therapie
Ein stark wirksames topisches Glukokortikoid als Creme oder Gel sowie zusätzlich kühlende, feuchte Umschläge werden im Bereich der Stichstelle angewendet. Bei bereits manifester Schwellung kann zusätzlich ein nichtsteroidales Antiphlogistikum versucht werden; für die Anwendung eines H1-Rezeptor blockierenden oralen Antihistaminikums gibt es keine Evidenz. Bei ausgeprägter gesteigerter örtlicher Reaktion ist eine kurzfristige systemische Glukokortikoid-Therapie (initial 0,5–1 mg Prednisolonäquivalent/kg KG p.o.) indiziert. Bei gesteigerten örtlichen Stichreaktionen oder Stichen in die Schleimhaut im Kopf-/Halsbereich ist eine Nachbeobachtung des Patienten für den Fall einer Verlegung der Atemwege wichtig, damit eine rasche Versorgung möglich ist. Bei örtlicher Stichreaktion mit Verlegung der Luftwege erfolgt eine symptombezogene Therapie (Epinephrin per inhalationem oder systemisch, gegebenenfalls Schutz-/Intubation).
Da auch verstärkten örtlichen Reaktionen Krankheitswert zukommt, ist die Anleitung zur künftigen Meidung von Bienen und Wespen essenziell. Das Verhalten bei erneutem Stich (vor allem Entfernung eines in der Haut verbliebenen Stachels, Therapiemaßnahmen) wird erläutert. Patienten mit gesteigerter örtlicher Reaktion erhalten zur sofortigen Selbstbehandlung bei erneutem Stich eine Notfallmedikation (stark wirksames topisches Glukokortikoid, H1-blockierendes, oral einzunehmendes Antihistaminikum), die stets mitzuführen ist. Zudem sollen Betroffene nach einem Stich möglichst rasch ärztliche Hilfe aufsuchen, damit gegebenenfalls eine systemische Glukokortikoid-Therapie eingeleitet und eine Nachbeobachtung veranlasst werden können. Das Risiko, nach einer verstärkten örtlichen Reaktion bei einem erneuten Stich eine systemische allergische Reaktion zu entwickeln, liegt mit 2–7 % nur geringgradig über dem der Allgemeinbevölkerung (1,2–3,5 %). Daher wird bei verstärkter örtlicher Stichreaktion keine spezifische Immuntherapie empfohlen.

Allergische Allgemeinreaktion vom Soforttyp

Synonyme
Anaphylaxie, systemische Reaktion (vom Soforttyp)
Epidemiologie
Systemische Reaktionen (Allgemeinreaktionen) reichen über die örtliche Stichreaktion hinaus und betreffen Haut, Atemwege und Herz-Kreislauf-System. Fast immer handelt es sich um eine allergische Soforttypreaktion (Anaphylaxie). Die Prävalenz allergischer Allgemeinreaktionen auf Insektenstiche beträgt in der Allgemeinbevölkerung 1,2–3,5 % und ist bei Subpopulationen (Imker, Out-Door-Worker) deutlich höher. Hymenopterenstiche sind bei Erwachsenen häufigster Auslöser schwerer Anaphylaxie; für Kinder stellen sie die zweitwichtigste Ursache systemischer allergischer Reaktionen dar. In Deutschland werden jährlich etwa 20 Todesfälle durch Hymenopterenstiche vom Statistischen Bundesamt erfasst, 2015 waren es zum Beispiel 25 Todesfälle [www.gbe-bund.de]. Die tatsächliche Häufigkeit tödlicher Stichreaktionen dürfte aber viel höher sein, da an Anaphylaxie als Todesursache oft nicht gedacht wird. Auch wenn die meisten systemischen Stichreaktionen nicht zum Tod oder bleibender Behinderung führen, ist eine einmal durchgemachte Anaphylaxie für die meisten Betroffenen ein Zustand, den sie künftig möglichst vermeiden wollen. Durch Angst und Vermeidungsstrategien kommt es zu einem erheblichen Verlust an Lebensqualität.
Ätiopathogenese
Anaphylaxie auf Bienen- oder Wespengift wird durch spezifische IgE-Antikörper ausgelöst, die gegen Inhaltsstoffe des Gifts gerichtet sind. Es handelt sich um eine typische allergische Soforttypreaktion (Kap. „Grundprinzipien von Allergie- und Intoleranzreaktionen“).
Klinik
Eine allergische Allgemeinreaktion wird meist durch einen einzelnen Stich verursacht. Die Reaktion setzt üblicherweise innerhalb von 30 min nach dem Stich ein, längere Intervalle kommen vor. Die Symptome reichen von ausschließlichen Hautreaktionen (Flush, generalisierte Urtikaria, Angioödem) über mäßig ausgeprägte respiratorische, kardiovaskuläre oder gastrointestinale Beschwerden bis hin zu schwerer Atemwegsobstruktion oder anaphylaktischem Schock (oft mit Bewusstlosigkeit) und Herz-Kreislauf-/Atem-Stillstand. Anhand der klinischen Symptome wird der Schweregrad der Reaktion klassifiziert (Kap. „Soforttyp-Allergie: Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale, Anaphylaxie“). Die meisten Patienten erholen sich folgenlos; allerdings kann ein hypoxischer Hirnschaden oder ein Myokardinfarkt (Kounis-Syndrom) (Kounis und Zavras 1991) zu bleibender Morbidität führen. Todesursachen bei Anaphylaxie sind vor allem Herz-Kreislauf-Versagen, seltener Obstruktion der Atemwege oder disseminierte intravaskuläre Gerinnung. Kommt es bei einer Schwangeren zu Anaphylaxie, sind Tod oder bleibende zentralnervöse Schädigung des Ungeborenen möglich.
Differenzialdiagnose
Meist ist der Zusammenhang zwischen dem Stich einer Biene oder Wespe und Auftreten der Reaktion anamnestisch eindeutig. Vergleichbare Reaktionen durch Stiche oder Bisse anderer Arthropoden sind in Mitteleuropa selten. Konkurrierende Anaphylaxie-Auslöser (vor allem Nahrungsmittel, Arzneimittel) sind manchmal in Betracht zu ziehen. Auch eine spontane akute Urtikaria kann, insbesondere bei längerem Intervall zwischen Stich und Hautsymptomen, eine Differenzialdiagnose sein. Bei systemischen Reaktionen sind weitere Differenzialdiagnosen der Anaphylaxie (Kap. „Soforttyp-Allergie: Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale, Anaphylaxie“) zu berücksichtigen.
Diagnostisches Vorgehen
Bei Patienten mit der Anamnese einer allergischen Allgemeinreaktion nach Hymenopterenstich ist eine allergologische Diagnostik erforderlich. Ziel ist es, den IgE-vermittelten Reaktionsmechanismus zu belegen und das auslösende Insektengift zu ermitteln. Neben Anamnese werden Prick- und/oder Intradermaltests mit Bienen- und Wespengift vorgenommen und die Insektengift-spezifischen IgE-Antikörper im Serum bestimmt. Diagnostische Stichprovokationstests mit einem lebenden Insekt sollen bei nicht hyposensibilisierten Patienten unterbleiben, da sie zu bedrohlichen Reaktionen führen können (titrierte Testung im Gegensatz zur Provokation mit Nahrungs- oder Arzneimitteln nicht möglich) beziehungsweise, auch wenn sie ohne systemische Reaktion verlaufen, den Patienten boostern können, sodass er dann bei späteren Stichen reagiert.
In der Akutsituation kann ein temporärer Anstieg der Serumtryptasekonzentration die Mastzellaktivierung beweisen und die Diagnose einer Anaphylaxie stützen; die Blutentnahmen für diese Untersuchung sollten etwa 2–3 h nach Reaktionsbeginn sowie zur Bestimmung des Basiswerts 2–3 Tage später erfolgen. Zum Allergologen gelangt der Patient üblicherweise erst nach abgeklungener Akutreaktion und so kann – sofern nicht Notarztprotokolle vorliegen – die stattgefundene Anaphylaxie nur retrospektiv anhand der Anamnese typischer Symptome diagnostiziert werden. Zu beachten ist, dass kein Symptom obligat ist; bei schweren Reaktionen erinnert sich der Patient manchmal nur daran, das Bewusstsein verloren zu haben.
Günstigster Zeitpunkt für die kutane Diagnostik ist möglichst rasch, aber nicht vor einer Woche nach der Stichreaktion, da durch Tachyphylaxie die Hauttestung falsch-negativ ausfallen kann. Die Serumprobe kann zu jedem Zeitpunkt nach dem Stichereignis abgenommen werden. Bei negativem Ergebnis kann eine wiederholte Bestimmung von spezifischen IgE-Antikörpern einige Wochen nach dem Stich positiv ausfallen (Boosterwirkung des Stichereignisses) oder bei für Bienen- und Wespengift doppelt positiven Ergebnissen einen zusätzlichen Hinweis auf das ursächliche Gift geben.
Führt die Standarddiagnostik zu keinem schlüssigen Ergebnis, können Bestimmung von spezifischem Serum-IgE gegen rekombinant hergestellte Einzelallergene der Gifte, Inhibitionstests sowie zelluläre Tests (vor allem der Basophilen-Aktivierungstest) hilfreich sein. Da Sensitivität und Spezifität verschiedener automatisierter IgE-Testverfahren unterschiedlich sind, kann bei unschlüssigen Ergebnissen auch die Anwendung eines anderen Testverfahrens weiterführend sein.
Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass in allen Testsystemen falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse vorkommen können und zwischen Sensibilisierungsgrad und Schweregrad oder Wahrscheinlichkeit zukünftiger systemischer Reaktionen keine diagnostisch verwertbare positive Korrelation besteht. Insbesondere sind folgende Faktoren zu berücksichtigen:
  • Die Zeitachse: Die Konzentration spezifischer IgE-Antikörper gegen das ursächliche Gift nimmt nach dem Stich im Lauf der Zeit ab. Werden Tests erst lange nach der letzten Stichreaktion vorgenommen, so kann die Konzentration der ursächlichen IgE-Antikörper abgefallen sein und eine später erworbene, (bislang) irrelevante Sensibilisierung im Vordergrund stehen.
  • Klinische stumme Sensibilisierung: Eine klinisch irrelevante Insektengiftsensibilisierung lässt sich bei bis zu 25 % der Bevölkerung (bei Kindern bis zu 50 %) nachweisen und ist mit positivem Atopiestatus assoziiert. Dem können primäre Sensibilisierungen gegen Insektengift zugrunde liegen oder es können solche irrelevanten Sensibilisierungen auf Reaktionen gegen kreuzreaktive Kohlenhydratdeterminanten (cross-reactive carbohydrate determinants [CCD]) zurückzuführen sein. CCD-Epitope sind Panallergene, die im Pflanzen- und Tierreich weit verbreitet vorkommen. CCD-spezifische IgE-Antikörper sind häufige Ursache für meist klinisch irrelevante Kreuzreaktionen von Insektengift-, Pollen- und Nahrungsmittelallergenen.
Bei etwa der Hälfte der Patienten mit Anamnese einer Hymenopterengift-Anaphylaxie liegt eine Sensibilisierung sowohl auf Bienen- als auch auf Wespengift (Doppelpositivität) vor. Um eine unabhängige Sensibilisierung gegen beide Gifte, eine Kreuzreaktion gegen ähnliche Proteine in Bienen- und Wespengift oder Kreuzreaktionen mit CCD-Epitopen näher einzugrenzen, sind Bestimmungen von spezifischen IgE-Antikörpern auf CCD-freie rekombinante Einzelallergene der Gifte angezeigt.
Ist eine Insektengiftsensibilisierung nicht nachweisbar oder nur gegen das mutmaßlich falsche Gift, können zusätzliche Tests (IgE-Bestimmung gegen rekombinant hergestellte Einzelallergene der Gifte, zelluläre Tests) eine Insektengiftsensibilisierung belegen.
Zur Einschätzung der künftigen Gefährdung wird das Risikoprofil des Patienten erfasst. Eine höhere Gefährdung besteht bei intensiver Bienen- oder Wespenexposition durch wiederholte Reaktionen sowie bei individuellen Risikofaktoren für sehr schwere Reaktionen (Tab. 3).
Tab. 3
Risikofaktoren
Risiko häufiger Exposition
Erhöhtes Risiko schwerer Anaphylaxie
Imker, Familienangehörige und Nachbarschaft von Imkern
Berufe wie Obst- oder Bäckereiverkäufer, Waldarbeiter, Gärtner, Feuerwehrmann, Landwirt, Bauarbeiter, LKW-Fahrer
Intensive Ausübung von Aktivitäten im Freien
Schwere Stichanaphylaxie in der Anamnese (Schweregrad III, IV oder bedeutsame Atemwegsobstruktion bei Schweregrad II)*
Erhöhte basale Serumtryptasekonzentration >11,4 μg/l (dann nicht selten Mastozytose)
Mastozytose (häufig systemische Manifestation)
Alter (etwa ab 40. Lebensjahr)
Kardiovaskuläre Erkrankung
Bestimmte Pharmaka wie β-Blocker (auch Augentropfen), ACE-Hemmer
Körperliche oder psychische Belastungssituationen
*Auch leichtere frühere Stichreaktionen sind ein Risikofaktor für spätere schwere Anaphylaxie
Durch schwere Anaphylaxie besonders gefährdet sind Patienten mit Mastozytose oder mit einer erhöhten basalen Serumtryptasekonzentration (>11,4 μg/l). Es sind daher eine Hautinspektion (Mastozytose der Haut?) sowie eine Bestimmung der basalen Serumtryptasekonzentration angezeigt. Zum Vorgehen bei Verdacht auf Mastozytose und zur Versorgung von Patienten mit Mastozytose: Kap. „Mastozytose“.
Therapie
Akute Symptome einer systemischen allergischen Reaktion werden stadiengerecht nach Leitlinie behandelt (Kap. „Soforttyp-Allergie: Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale, Anaphylaxie“).
Die langfristige Therapie besteht aus:
  • Allergenvermeidung,
  • Selbsthilfe oder notärztlicher Versorgung im Falle eines erneuten Stichs und
  • Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie [SIT]).
Über Maßnahmen der Allergenvermeidung wird mündlich und zusätzlich durch ein Merkblatt informiert. Die stets mitzuführende Notfallmedikation besteht bei älteren Kindern und Erwachsenen aus einem Autoinjektor zur intramuskulären Epinephrin-Applikation sowie einem schnell wirkenden H1-blockierenden Antihistaminikum und einem Glukokortikoid zur oralen Anwendung; bei jüngeren Kindern sind Besonderheiten zu beachten. Patienten mit Asthma oder mit deutlicher Bronchialobstruktion bei einer früheren Stichreaktion erhalten zusätzlich ein rasch wirksames β2-Sympathomimetikum zur Inhalation. Bei erhöhtem Risiko für Epinephrin-Nebenwirkungen ist die Epinephrin-Selbstanwendung durch einen Kardiologen zu überprüfen. Das Verhalten bei erneutem Stich wird erläutert; dazu gehören unter anderem die sofortige Entfernung eines in der Haut verbliebenen Stachels, Anwendung der Notfallmedikation, Lagerung, Alarmieren möglicher Ersthelfer und des Notarztes. Zu empfehlen ist eine Patientenschulung (AGATE: Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e.V.).
Therapie der Wahl ist die SIT . Die Indikation zur Insektengift-SIT besteht bei Erwachsenen mit einer Stichanaphylaxie vom Schweregrad ≥II sowie bei Patienten mit Reaktionen vom Schweregrad I und Risikofaktoren (Tab. 3) oder bei Einschränkung der Lebensqualität. Grundsätzlich ist allen erwachsenen Patienten mit systemischen Stichreaktionen vom Soforttyp die SIT unabhängig vom Schweregrad zu empfehlen, da frühere leichte Reaktionen ein Risikofaktor für das Auftreten späterer schwerer Reaktionen sind. Lediglich für Kinder im Alter bis 16 Jahren konnte gezeigt werden, dass bei auf die Haut beschränkten systemischen allergischen Stichreaktionen auch ohne SIT spätere Stiche bei weniger als 20 % der Gestochenen erneut zu systemischen Reaktionen führten und eine Zunahme des Schweregrades nicht eintrat.
Die temporären Kontraindikationen der SIT (zum Beispiel interkurrenter Infekt, unzureichend eingestelltes Asthma, Impfungen) sind wie bei der Behandlung mit Aeroallergenen zu beachten. Demgegenüber sind dauerhafte Kontraindikationen, vor allem schwere kardiovaskuläre Erkrankungen, maligne Erkrankungen oder angeborene beziehungsweise erworbene Immundefekte, beim potenziell lebensbedrohlichen Krankheitsbild der Insektengiftallergie nur relativ. Hier ist eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko für den einzelnen Patienten erforderlich. Während der Schwangerschaft soll eine SIT im Allgemeinen nicht eingeleitet werden, eine gut vertragene Behandlung kann dagegen fortgesetzt werden.
Patienten mit früherer Anaphylaxie sollten, wenn medizinisch vertretbar, nicht mit β-Blockern oder ACE-Hemmern therapiert werden, da darunter anaphylaktische Reaktionen schwerer verlaufen können. ACE-Hemmer scheinen auch die Wirksamkeit der Insektengift-SIT negativ zu beeinflussen. Im Gegensatz zu früheren Empfehlungen stellt die Therapie mit ACE-Hemmern oder β-Blockern jedoch keine absolute Kontraindikation für eine Insektengift-SIT dar. Auch hier ist eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko für den einzelnen Patienten erforderlich, und der Patient über das veränderte Risikoprofil aufzuklären.
Es gibt verschiedene Schemata für die Dosissteigerung der Insektengift-SIT. Um einen raschen Eintritt einer Schutzwirkung zu erreichen und gleichzeitig den Patienten in der vulnerablen Steigerungsphase unter optimalen Bedingungen nachbeobachten zu können, ist für die Dosissteigerung die stationär durchgeführte Schnellhyposensibilisierung zu empfehlen. Da die SIT mit Bienengift in der Standarddosierung weniger wirksam ist als die Therapie mit Wespengift, wird für Patienten mit Bienengiftallergie und Risikofaktoren (Tab. 3) von vornherein eine erhöhte Erhaltungsdosis von 200 μg empfohlen. Auch bei Wespengiftallergie kann im Einzelfall eine von Anfang an erhöhte Behandlungsdosis angezeigt sein.
Örtliche Reaktionen an der Injektionsstelle und einzelne systemische allergische Reaktionen, die im Allgemeinen mild verlaufen, sind als Nebenwirkungen der Insektengift-SIT nicht selten, aber fast immer gut therapierbar. Selten sind wiederholte systemische anaphylaktische Nebenwirkungen, die auf ein Therapieversagen hinweisen. Eine kurzfristige Begleit- und/oder Vortherapie mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab führt bei diesen Patienten nahezu stets zur Verträglichkeit der SIT, ist derzeit allerdings nur als off-label-use möglich.
Die Insektengift-SIT schützt mit der Standarderhaltungsdosis von 100 μg etwa 80–95 % der mit Bienengift und 90–95 % der mit Wespengift Behandelten vor einer systemischen Reaktion bei erneutem Stich. Eine Überprüfung des Therapieerfolgs durch Laborparameter ist bisher nicht möglich. Zur Überprüfung der klinischen Wirksamkeit der SIT sollte ein Stichprovokationstest mit einem lebenden Insekt in intensivmedizinischer Notfallbereitschaft etwa 6–18 Monate nach Erreichen der Erhaltungsdosis erfolgen. Kommt es trotz SIT zu einer systemischen Reaktion auf Stichprovokation oder Feldstich, tritt durch Steigerung der Erhaltungsdosis (meist sind 200 μg ausreichend) fast immer eine Schutzwirkung ein.
Die Entscheidung zur Beendigung der SIT wird für jeden Patienten individuell getroffen. In den meisten Fällen kann die SIT nach 3–5 Jahren beendet werden, sofern die Behandlung selbst und ein erneuter Stich ohne systemische Reaktion vertragen wurden. Ist dies nicht der Fall oder bestehen besondere Risiken (Tab. 3), so wird der Patient gegebenenfalls länger behandelt. Vor allem bei Mastozytose oder früherer Stichreaktion vom Schweregrad IV ist eine lebenslange SIT indiziert. Unabhängig von Erfolg und Dauer der SIT ist die persönliche Notfallmedikation von Risikopatienten stets mitzuführen.

Andere systemische Reaktionen

Intoxikation

Bei einer großen Anzahl von Stichen kann es durch die Toxine zu schweren Krankheitsbildern kommen, die tödlich verlaufen können. Kleinere Kinder und Patienten mit Vorerkrankungen sind gefährdeter. Rhabdomyolyse, Hämolyse, zerebrale Störungen sowie Leber- und Nierenparenchym-Schädigung stehen im Vordergrund.
Eine stationäre Überwachung zur Erkennung und Behandlung von Organversagen ist angezeigt. Diagnostik und Therapie erfolgen symptombezogen.

Ungewöhnliche Stichreaktion

Sehr selten sind klinisch ungewöhnliche Reaktionen auf einzelne Stiche. Beobachtet wurden unter anderem neurologische, renale oder kardiovaskuläre Erkrankungen, Serumkrankheit, Vaskulitis sowie thrombozytopenische Purpura. Die Pathogenese solcher Reaktionen ist ungeklärt.
Die Diagnostik erfolgt symptombezogen. Grundlage der Therapie ist meist die systemische Gabe eines Glukokortikoidsteroids, weiter wird symptomatisch behandelt.
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