Der diagnostische Stellenwert der Anamnese ist hoch bei Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp und niedrig bei verzögert einsetzenden Symptomen, die in Zusammenhang mit dem Genuss von Nahrungsmitteln gebracht werden. Differenzialdiagnostisch sollten vor allem Infektionen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Kohlenhydratmalabsorptionen oder funktionelle beziehungsweise
somatoforme Störungen in Betracht gezogen werden.
Im Gegensatz zur klassischen Nahrungsmittelallergie mit einer gastrointestinalen Sensibilisierung gegen vorwiegend stabile Nahrungsmittelallergene geht man bei Kreuzreaktionen davon aus, dass die primäre Sensibilisierung meist durch ein Inhalationsallergen erfolgt (Tab.
1). In Bezug auf die Anamnese ergibt sich hieraus die Besonderheit, dass bereits der Erstkontakt mit dem Nahrungsmittel (zum Beispiel exotische Früchte) zu allergischen Symptomen führen kann. Für
Allergien gegenüber hitze- und säurestabilen Allergenen, gegen die eine Sensibilisierung über den Gastrointestinaltrakt erfolgte, wurde der Begriff der
Klasse-I-Nahrungsmittelallergien geprägt, bei Kreuzallergien kann man von
Klasse-II-Nahrungsmittelallergien sprechen.
Tab. 1
Nahrungsmittelallergien aufgrund von Kreuzreaktionen*
Häufigere Konstellationen |
Baumpollen | Apfel, Haselnuss, Karotte, Kartoffel, Kirsche, grüne Kiwi, Nektarine, Pfirsich, Aprikose, Pflaume, Sellerie, Soja, Feige |
Beifußpollen | Gewürze, Karotte, Mango, Sellerie, Sonnenblumensamen |
Naturlatex | Ananas, Avocado, Banane, Kartoffel, Kiwi, Tomate, Esskastanie, Pfirsich, Mango, Papaya, Acerola-Kirsche, Sellerie |
Seltenere Konstellationen |
Ficus benjamina | Feige, Kiwi, Banane, Papaya, Ananas und Avocado |
Gräser- und Getreidepollen** | Mehle, Kleie, Tomate, Hülsenfrüchte |
Hausstaubmilbe | Schalen- und Weichtiere |
Tierepithelien | Fleisch |
Traubenkrautpollen (Ragweedpollen, Ambrosia)*** | Melone, Zucchini, Gurke, Banane |
Vogelfedern | Ei, Geflügel, Innereien |
Zur Diagnostik einer Nahrungsmittelallergie gehört nach der Erhebung von anamnestischen Angaben der Nachweis der spezifischen Sensibilisierung.
Der Pricktest ist der Standard-Hauttest zum Nachweis einer Sensibilisierung bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie.
Im Gegensatz zu den wichtigsten Inhalationsallergenen existieren bei Nahrungsmitteln nur wenige gut standardisierte Extrakte (gegen Erdnüsse, Haselnüsse, Fisch, Hühnerei, Meeresfrüchte oder Milch). Das Risiko einer systemischen allergischen Reaktion ist bei Pricktests mit Nahrungsmittelallergenen gering, darf aber bei Verdacht auf eine hochgradige Sensibilisierung nicht völlig außer Acht gelassen werden. Der Prick-zu-Prick-Test ist eine Sonderform unter Verwendung von nativem Material. Hier wird mit der Pricklanzette in das zu testende Nahrungsmittel und anschließend in die Haut der Testperson gestochen. Dieses Vorgehen ist häufig sensitiver als mit kommerziellen Extrakten.
Der Scratch-Test (Skarifikationstest) hat wegen der Traumatisierung der Haut mit falsch positiven Ergebnissen und der Reibtest wegen fehlender klinischer
Reproduzierbarkeit im Rahmen der Nahrungsmittelallergiediagnostik eine untergeordnete Bedeutung. Der Intrakutantest sollte wegen des höheren Risikos allergischer Reaktionen und der häufig unspezifischen Reaktion nur ausnahmsweise durchgeführt werden.
Der Epikutantest mit Nahrungsmitteln (Atopie-Patch-Test) hat keinen Stellenwert in der Alltagsdiagnostik, kann aber eine sinnvolle Ergänzung bei wissenschaftlichen Fragestellungen zum durch Nahrungsmittel triggerbaren atopischen Ekzem darstellen. Bei positiven Ergebnissen sollte auch hier stets eine weitergehende Diagnostik durch gezielte diagnostische Eliminationsdiät und orale Provokation durchgeführt werden, bevor gegebenenfalls eine Diät eingeleitet wird.
Für Routineuntersuchungen sind zum Teil sehr gut standardisierte Testmethoden zu Bestimmungen von spezifischen IgE-Antikörpern im
Serum verfügbar.
In-vitro-Testungen werden insbesondere bei kleinen Kindern den psychisch häufig stärker belastenden Hauttestungen vorgezogen. Weitere Indikationen für die In-vitro-Testung können mangelnde Testfähigkeit des Patienten (Ekzeme an den Teststellen, Urticaria factitia) oder die Behandlung mit Medikamenten sein, die eine Testreaktion unterdrücken.
Studien haben gezeigt, dass der Einsatz von rekombinanten Allergenen im In-vitro-Test sinnvoll sein kann, um durch das Sensibilisierungsmuster eine potenziell schwere von einer potenziell leichteren Reaktion abzugrenzen oder Hinweise auf spezielle klinische Entitäten zu erhalten. So ist eine Sensibilisierung gegen das Erdnussallergen Ara h 2 eher mit einer systemischen Reaktion assoziiert, während eine Sensibilisierung gegen das mit Birkenpollen assoziierte Erdnussallergen Ara h 8 eher mit einer Lokalreaktion assoziiert ist. IgE-Antikörper gegen Tri a 19 (Omega-5-Gliadin) weisen auf eine anstrengungsabhängige Weizenallergie hin. Das seltene Katzen-Schweinefleisch-Syndrom ist mit einer Sensibilisierung gegen Fel d 2 oder Bos d 6 assoziiert, die verzögerte Fleischallergie tritt nach Sensibilisierung gegen Galactose-α-1,3-Galactose (α-GAL) auf.
Spezifische IgG-Antikörper und Lymphozytentests haben keinen Stellenwert in der Routinediagnostik der Nahrungsmittelallergie.
Die Untersuchung von spezifischem IgE (nicht jedoch von spezifischem IgG) ist Bestandteil der allergologischen Diagnostik bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie.
Sowohl die IgE-Titer als auch die Stärke der Pricktest-Reaktionen korrelieren mit der Wahrscheinlichkeit von klinischen Reaktionen. Dennoch zeigen spezifische IgE- und positive Pricktest-Reaktionen in vielen Fällen stumme, klinisch nicht relevante Sensibilisierungen gegen Nahrungsmittelallergene an. Dieses spricht gegen ein unselektives Screenen in der Individualdiagnostik. In bis zu 10 % der Fälle kommt es weiterhin zu klinischen Soforttypreaktionen bei negativen IgE-Werten oder ausbleibenden Pricktest-Reaktionen.
Besteht ein Verdacht gegen ein Nahrungsmittel, der sich durch Anamnese und Allergietestungen nicht eindeutig spezifizieren lässt, kann eine diagnostische Eliminationsdiät hilfreich sein. Diese wird nach einer entsprechenden Ernährungsberatung meist zu Hause über mehrere Wochen durchgeführt. Bei komplexer Symptomatik beziehungsweise dann, wenn – zum Beispiel beim atopischen Ekzem – viele Triggerfaktoren das Krankheitsbild bestimmen, führt die diagnostische Eliminationsdiät allerdings selten zur eindeutigen Aussage der klinischen Relevanz des eliminierten Nahrungsmittels. Im Anschluss an die diagnostische Diät muss in diesen Fällen dann ein oraler Provokationstest mit dem verdächtigten Nahrungsmittel durchgeführt werden, um eine klinisch relevante Allergie zu beweisen.
Patienten mit zweifelsfrei zuzuordnenden schweren Soforttypreaktionen auf Nahrungsmittel werden in der Regel keiner Provokationstestung unterzogen. Auch stellen bedrohliche Soforttypreaktionen in der Anamnese eine Kontraindikation für die Durchführung von oralen Provokationstests dar.
Offene orale Provokationen haben einen hohen diagnostischen Stellenwert, wenn sie im Ergebnis negativ sind. Grenzen des offenen Provokationstests sind durch psychologische Faktoren, fehlende Objektivierung und bei zu erwartenden Spätreaktionen gegeben. Standard ist die doppelblinde, plazebokontrolliert durchgeführte orale Nahrungsmittelprovokation. Dieses gilt sowohl für IgE-vermittelte Reaktionen gegen klassische Nahrungsmittelallergene und pollenassoziierte Nahrungsmittelallergene als auch für durch Nahrungsmittel verschlechterte Ekzemreaktionen.
Bei negativen Ergebnissen nach oraler Provokation
muss – insbesondere bei intermittierender Symptomatik in der Anamnese – bedacht werden, dass gegebenenfalls Augmentationsfaktoren bei der Auslösung eine Rolle spielen können, wie körperliche Belastung, hormonelle und psychische Faktoren, interkurrente Infekte, die Einnahme von Medikamenten oder Alkohol und die Möglichkeit, dass erst die Kombination mehrerer Nahrungsmittel oder Nahrungsmittel plus Arzneimittel (zum Beispiel Acetylsalicylsäure) Symptome auslöst. Bei Patienten mit einer belastungsabhängigen allergischen Reaktion auf Nahrungsmittel muss die orale Provokation nach 45–60 min von einer altersadäquaten körperlichen Belastung am Ergometer oder Laufband gefolgt werden.
Nur mittels oraler Provokation kann die klinische Aktualität von vorhandenen Sensibilisierungen oder vermeintlich beobachteten Symptomen in vielen Fällen wirklich gesichert werden.
Der relativ große Aufwand der oralen Provokationstestung ist bei jüngeren Patienten gerechtfertigt, um zu einer gezielten Karenzempfehlung potenziell gefährlicher Nahrungsmittel zu gelangen beziehungsweise um unsinnige Diäten zu vermeiden. Auf ein bis zwei Nahrungsmittel beschränkte, stationär durchgeführte orale Provokationstestungen sind unter DRG-Bedingungen derzeit wirtschaftlich realisierbar, während der aktuelle EBM den Aufwand der oralen Provokation, die unter ärztlicher Aufsicht in Notfallbereitschaft in der Praxis durchgeführt wird, nicht adäquat abbildet.
Cave: Leider ist die Schwere der vorangegangenen klinischen Reaktion kein verlässlicher Indikator für die Schwere der Folgereaktion: Auch relativ leichte allergische Reaktionen auf Nahrungsmittel können von lebensgefährlichen späteren Reaktionen gefolgt sein.
Gerade jugendliche Patienten probieren den Genuss ihres Nahrungsmittelallergens manchmal unkontrolliert aus; eine Reihe von gefährlichen Zwischenfällen ereignet sich jedoch auch akzidentiell nach Genuss von unzureichend deklarierten Nahrungsmitteln.
Die seit 2004 in Deutschland gültige und zwischenzeitlich ergänzte Lebensmittel-Informationsverordnung legt zum Schutz der Allergiekranken weitgehende Regeln fest. Ein entscheidender Fortschritt ist eine Liste (Anlage 3 der LMKV) obligat zu kennzeichnender allergener Lebensmittel (s. Übersicht). Diese Lebensmittel müssen für Lebensmittel in Fertigpackungen immer deklariert werden, wenn sie bewusst verwendet wurden. Zusätzlich zu den Allergenen wurden Schwefeldioxid und Sulfite, die pseudoallergische Reaktionen auch am Respirationstrakt auslösen können, in die Liste aufgenommen.
Die spezifische subkutane Immuntherapie mit Pollenextrakten kann bei einem Teil, nicht jedoch bei allen Baumpollenallergikern mit Nahrungsmittelallergie die Reaktionen auf kreuzreaktive Nahrungsmittel bessern. Es werden aber auch selten Verschlechterungen gesehen – ob dies durch die Hyposensibilisierung selbst oder im Rahmen des natürlichen Erkrankungsverlaufs bedingt ist, bleibt unklar. Die spezifische subkutane Immuntherapie mit Nahrungsmittelextrakten könnte ebenfalls eine wirksame Therapiemethode darstellen, wie am Beispiel der Erdnussallergie gezeigt wurde. Es handelt sich jedoch um eine mit zum Teil schweren Nebenwirkungen behaftete Therapieform, die weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen vorbehalten ist. Auch die sublinguale spezifische Immuntherapie sowie die epikutane Immuntherapie mit Nahrungsmittelextrakten stellen Optionen für weitere kontrollierte Studien dar, nachdem die Wirksamkeit in ersten Studien gezeigt wurde.
Bei der spezifischen oralen Toleranzinduktion werden die Nahrungsmittel täglich in steigender Dosis oral verabreicht. Die Wirksamkeit ist mehrfach gezeigt worden, jedoch leider nicht anhaltend. Die Methode kommt in Einzelfällen und bei nicht sicher meidbaren Nahrungsmitteln infrage.
Anti-IgE-Antikörper haben erfolgreich zur Anhebung der Toleranzschwelle gegenüber Erdnüssen bei hochgradig sensiblen Patienten geführt – die lebensgefährliche Nahrungsmittelallergie kann somit eine seltene Off-label-Indikation für Anti-IgE darstellen.
Abzulehnen sind alternative Therapieformen wie Rotationskost oder so genannte bioenergetische Verfahren wie Elektroakupunktur nach Voll oder Bioresonanz.