Einführung
Klassische Beschreibungen von Krankheitsbildern wie Asthma oder Ekzem finden sich bereits in der antiken Literatur. Unter den ersten dokumentierten allergischen Individuen könnte Kaiser Octavian Augustus sein, der unter Asthma, Rhinokonjunktivitis und atopischem Ekzem bei positiver Familienanamnese im Julisch-Claudischen Kaiserhaus litt (zitiert bei Ring
2004).
Soforttyp-Allergien
haben in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts deutlich an Häufigkeit zugenommen, ohne dass die Ursachen hierfür letztendlich geklärt wären. Man kann – moderat geschätzt – mit folgenden
Prävalenzen in industrialisierten Ländern rechnen: Anaphylaxie 0,5–2 %,
Asthma bronchiale 5–10 %,
allergische Rhinokonjunktivitis 10–20 % (Ring et al.
2010).
Allen
Allergien
gemeinsam ist, dass ein eigentlich für den Menschen ungefährlicher Stoff aus der Umwelt, der häufig lange Zeit problemlos vertragen wurde, beim Betroffenen auf einmal relevante Krankheitserscheinungen hervorruft (Biedermann et al.
2016; Heppt et al.
2011; Ring
2004). Eine Allergie ist eine krankmachende spezifische Überempfindlichkeit durch eine nachweisbare immunologische Sensibilisierung (Kap. Grundprinzipien von
Allergie- und Intoleranzreaktionen) (Tab.
1).
Empfindlichkeit | Normale Reizbeantwortung |
Überempfindlichkeit | Eine das normale Maß übersteigende Reizbeantwortung |
Toxizität | Normale Giftigkeit einer Substanz |
Intoxikation | Reaktion auf die normale pharmakologische Toxizität |
Sensibilisierung | Verstärkung der Empfindlichkeit nach wiederholtem Kontakt |
Allergie | Krankmachende Überempfindlichkeit aufgrund immunologischer Sensibilisierung |
Atopie | Familiär auftretende Neigung zur Entwicklung bestimmter Krankheiten (Rhinokonjunktivitis, Asthma, atopisches Ekzem = Neurodermitis) auf dem Boden einer Überempfindlichkeit von Haut und Schleimhäuten gegen Umweltstoffe, assoziiert mit erhöhter IgE-Bildung und/oder veränderter unspezifischer Reaktivität |
Idiosynkrasie | Nichtimmunologische Überempfindlichkeit ohne Bezug zur pharmakologischen Toxizität |
Intoleranz | Überempfindlichkeit im Sinne der pharmakologischen Toxizität |
Pseudo-Allergie | Nichtimmunologische Überempfindlichkeit mit klinischen Symptomen, die allergischen Erkrankungen entsprechen |
Allergien manifestieren sich an zahlreichen Organen. Besonders häufig betroffen sind Haut und Schleimhäute, da sie Grenzflächen darstellen, an denen die Auseinandersetzung des individuellen Organismus mit seiner Umwelt stattfindet. Es macht deshalb Sinn, in einem Lehrbuch für Dermatologie kurz Allergien allgemein zu klassifizieren.
Allergien können unterschiedlich eingestuft werden:
-
Nach Organen (Allergie der Nase, des Auges, der Haut),
-
nach Symptomen (zum Beispiel
Urtikaria, Ekzem, Asthma, Rhinitis),
-
nach Pathomechanismen (zum Beispiel Typen nach Coombs und Gell),
-
nach Allergenquellen (zum Beispiel Nahrungsmittelallergie, Tierhaarallergie, Insektenallergie usw.),
-
nach molekularen Allergenen (zum Beispiel Bet v1, Ara h1)
-
nach Verlauf und Prognose (zum Beispiel akute oder chronische Allergien, lebensbedrohliche Allergien usw.),
-
nach genetischen Einflüssen (zum Beispiel hereditäre Allergien, sporadisch auftretende Allergien usw.),
-
nach Lebensalter (zum Beispiel kindliche Allergien, Allergien im Alter).
Diese logisch notwendigen Gliederungen führen im konkreten Einzelfall häufig zu Überschneidungen. In der klinischen
Allergologie hat sich eine
Einteilung allergischer Erkrankungen nach Pathomechanismen krankmachender Immunreaktionen seit vielen Jahren durchgesetzt. Diese von den Engländern
Coombs und Gell (
1963) erstmals vorgeschlagene und inzwischen erweiterte Klassifikation beschreibt sechs Typen verschiedener allergischer Reaktionen, wobei den Typ-I-Reaktionen (Soforttyp-Reaktion) und den Typ-IV-Reaktionen (zelluläre Überempfindlichkeit) in der Praxis die größte Bedeutung zukommt (Tab.
2) (Kap. Grundprinzipien von
Allergie- und Intoleranzreaktionen).
Tab. 2
Klassifikation pathogener Immunreaktionen nach (Coombs und Gell erweitert von Ring)
I | IgE | Anaphylaxie Allergische Rhinitis Allergische Gastroenteritis (Atopisches Ekzem?) |
II | Zytotoxisch | Agranulozytose Thrombozytopenische Purpura |
III | | Serumkrankheit Immunkomplex-Anaphylaxie Alveolitis Nephritis Arthritis |
IV | Zellulär | Kontaktekzem Arzneimittelexantheme (Purpura pigmentosa progressiva) (Id-Reaktionen) |
V | Granulomatöse Reaktion | Injektionsgranulome |
VI | „Stimulierende“ („neutralisierende“) Überempfindlichkeit | Reverse Anaphylaxie Insulinresistenz Chronische Urtikaria (Unterform mit Auto-AK gegen FcɛR) |
Das folgende Kapitel befasst sich mit den wichtigsten Soforttyp-Allergien, nämlich Anaphylaxie, allergischer Rhinitis,
allergischer Konjunktivitis und allergischem
Asthma bronchiale. Allergische
Urtikaria und Quincke-Ödem (Kap.
Urtikaria und Angioödem) sowie die allergische Gastroenteritis werden an anderer Stelle behandelt, ebenso das atopische Ekzem als Mischform zwischen IgE-vermittelter (Typ I) und zellulärer Überempfindlichkeit (Typ IV) (Kap.
Atopisches Ekzem).
Die Mechanismen der fehlgeleiteten Immunreaktion hin zur verstärkten Bildung von IgE-Antikörpern (Th2-Immundeviation) werden in Kap. Grundprinzipien von
Allergie- und Intoleranzreaktionen abgehandelt. An der Endstrecke der allergischen Entzündungsreaktion stehen die besonders im Haut- und Schleimhautbereich anzutreffenden Mastzellen sowie die im Blut zirkulierenden basophilen
Leukozyten im Zentrum. Sie verfügen über hochaffine Rezeptoren für
Immunglobulin E (FcɛR1), die nach Überbrückung mindestens zweier IgE-Moleküle auf der Zelloberfläche durch das Allergen in der Zellmembran aktiviert werden. Dies löst eine Reihe von Signaltransduktionsmechanismen aus, die letztendlich zur Freisetzung präformierter (zum Beispiel
Histamin), aber auch zur Neubildung von Mediatorsubstanzen (Eikosanoide wie
Prostaglandine, Leukotriene) führen, welche dann die klinische Symptomatik bedingen.
Diese Freisetzungsreaktion kann nicht nur durch ein Allergen getriggert werden, sondern auch durch eine Reihe anderer Substanzen und führt oft bei chronischem Verlauf zu einer unspezifischen Hyperreaktivität von Haut und Schleimhaut. Dies erklärt die für viele scheinbar verwirrende Tatsache, dass klassische allergische Erkrankungen auch durch nichtimmunologische Mechanismen ausgelöst werden können. Man spricht dann von Pseudo-Allergie oder nichtimmunologischer Reaktion (zum Beispiel nichtallergische Anaphylaxie), wobei der Begriff „Pseudo“ auf die Nicht-Nachweisbarkeit von Immunreaktionen anspielt und keineswegs die Realität der Erscheinung bezweifelt. Auch nichtimmunologisch vermittelte Anaphylaxien können tödlich verlaufen.
Allergische Rhinokonjunktivitis
Klinik
Als erstes Symptom nach Allergenkontakt entwickelt sich häufig Niesreiz, der bald in eine wässrige Sekretion übergeht. Parallel dazu kommt es zu einer Schwellung (Verstopfung) der Schleimhaut, zu Juckreiz, nasaler Stimme und Störung des Geruchs- und Geschmacksempfindens. Im chronischen Verlauf können auch die Nasennebenhöhlen mitbeteiligt sein (Sinusitis) und es kann zu Polypen im Sinne einer hyperplastischen Sinusitis kommen.
Häufig sind auch die Augen im Sinne einer Typ-I-allergischen Konjunktivitis beteiligt, was sich als Juckreiz, Brennen, Lichtscheu, rasche Hyperämie bis hin zur Chemosis der Bindehaut sowie vermehrter Tränensekretion äußert.
Diese
allergische Konjunktivitis ist abzugrenzen von der Typ-IV-allergischen Konjunktivitis und Blepharitis bei Kontaktallergie gegen Ophthalmika (Kap. Toxische und
allergische Kontaktdermatitis). Bei atopischem Ekzem entwickelt sich eine Mischform aus Typ-I-allergischer Konjunktivitis und Typ-IV-Reaktion in der Ausbildung der atopischen Keratokonjunktivitis (Kap.
Atopisches Ekzem).
Patienten mit allergischer Rhinitis weisen bestimmte Charakteristika der Fazies auf, das so genannte Adenoidgesicht bei verstärkter Mundatmung, periorbitale Schatten insbesondere im Unterlidbereich (allergic shiners), Unterlidödeme sowie die quere Nasenfalte im unteren Drittel durch den Allergikergruß (häufiges Hochwischen der Nasenspitze).
Nicht selten kommt es auch zu Halsschmerzen,
Schlafstörungen und
Husten insbesondere bei sich entwickelndem Asthma.
Die
allergische Rhinokonjunktivitis muss differenzialdiagnostisch von einer Reihe anderer Rhinitisformen abgegrenzt werden. Praktisch wichtig: Bei den infektiösen Rhinosinusitiden ist das Sekret meist eitrig milchig, während bei den verschiedenen Formen der Überempfindlichkeits-bedingten Rhinitis ein klares wässriges Sekret vorherrscht. Bei der Gruppe der nichtallergischen Rhinitiden kann man durch zytologische Untersuchungen des Nasensekrets zumindest zwei Formen unterteilen, eine entzündliche Form mit Vermehrung von eosinophilen Granulozyten
(NARES;
non
allergic
rhinitis with
eosinophilia
syndrome) und eine nichtentzündliche (vasomotorische) Form.
Über die Beziehung der allergischen Rhinitis zur Otitis media wird diskutiert; es scheint so, dass Atopiker ein höheres Risiko zur Entwicklung einer serösen Mittelohrentzündung besitzen, ohne dass diese direkt als allergische Erkrankung bezeichnet werden könnte.
Die mit Eosinophilie einhergehende nichtallergische Rhinosinusitis führt im Verlauf häufig zu starker Schleimhautschwellung mit Entwicklung von Polypen, manchmal entwickelt sich auch eine Überempfindlichkeit gegen Aspirin (Acetylsalicylsäure-Idiosynkrasie).
Patienten mit vasomotorischer Rhinitis reagieren verstärkt auf unspezifische Reize (Trockenheit, Kaltluft, Staub, starke Gerüche), ohne dass eine immunologische Sensibilisierung fassbar wäre.
Allergisches Asthma bronchiale