Die
Standzeit einer Endoprothese wird von verschiedenen Faktoren bestimmt, die letztendlich für ein langfristig gutes Ergebnis entscheidend sind. Dazu zählen klassische Faktoren wie Operationstechnik und chirurgische Qualität (z. B. Primärstabilität, Release und Balancierung der Sehnen, Bänder und Muskeln), das Implantatdesign (z. B. Oberflächengeometrie), aber auch patientenabhängige Faktor
en (Tab.
1). Im Folgenden werden die möglichen Risikofaktoren einer aseptischen Lockerung bzw. eines Implantatversagens dargestellt.
Tab. 1
Wichtige und mögliche Ursachen einer aseptischen Knieprothesenlockerung
Patientenbedingte Gründe | Alter, Geschlecht |
| |
| lokale Osteonekrose |
| Gewicht/BMI |
| Sturz/Unfall |
| Achsfehlstellung, z. B. Knick-Plattfuss |
| |
Implantatbedingte Ursachen/herstellerbedingte Ursachen |
Metallimplantat | Korrosion mit Ionenfluss |
| vermehrter PE-Abrieb durch Implantatkratzer |
| Kopplungsgrad der Endoprothese |
Zement | Zementpartikelbedingte Osteolysen, |
| schlechte Zementiertechnik (kein Vakuumzement, keine Jet-Lavage etc.) |
| falscher Zement, der mit Metall reagiert |
| (Sulfixzement mit säureähnlichem Milieu) |
Polyethylen | Polyethylenabrieb, -degradation |
| Highly-cross-linked PE versus konventionelles PE |
| Lockerung des PE-Inlays durch schlechten |
| Fixiermechanismus, oder bei mobilen Inlays |
| Metallpartikel (Metallose) bei PE-Abrieb |
Operateurbedingte Ursachen | Zu große/zu kleine Implantate |
| Missmatching |
| Achsfehlstellung/Varus- oder Valgusfehlstellung |
| Bandspannung (Instabilität versus zu steif eingestellt) |
| Malrotation der Femur- oder Tibiakomponente |
| inkorrekte Zementierung |
| vorderer Knieschmerz, retropatellarer Ersatz |
Patientenbezogene, individuelle Faktoren mit Einfluss auf die Standzeit
Patientenindividuelle Faktoren spielen eine wesentliche Rolle in Hinblick auf die
Standzeit und das funktionelle Ergebnis einer Endoprothese.
Insbesondere junge Patienten haben häufig eine hohe Erwartungshaltung hinsichtlich des funktionellen Ergebnisses einer Endoprothese. Wird diese nicht erfüllt oder werden übertriebene Erwartungen geweckt, wirkt sich dieses präoperative Anspruchsdenken negativ auf die Zufriedenheit und die Bewertung der Endoprothese aus. Zudem weisen junge Patienten deutlich höhere Revisionsraten als ältere Patienten auf (Shah et al.
2017). Wurden noch vor wenigen Jahren bei jungen Patienten die erhöhten Polyethylenabriebraten bei vermehrter Aktivität für vorzeitige Lockerungen verantwortlich gemacht, so stehen diese heute bei deutlich verbesserten Gleitpaarungen nicht mehr im Vordergrund. Es zeigte sich in der Metanalyse von Shah et al. (
2017) vielmehr, dass erhöhte Wechselraten in dieser Gruppe auf ein erhöhtes Gewicht/BMI mit den entsprechenden Risiken zurückzuführen sind.
Dennoch ist ein erhöhtes Körpergewicht und damit ein erhöhter BMI als alleinige Ursache für ein Implantversagen umstritten. Eine einheitliche Studienlage über signifikant schlechtere postoperative Ergebnisse oder erhöhte Lockerungsraten liegt nicht vor (Cherian et al.
2015). Trotzdem schneiden stark adipöse Patienten (BMI >40) in Nachuntersuchungen schlechter ab (Lim et al.
2017). Im Vordergrund stehen patellofemorale Beschwerden, die wahrscheinlich auf einer erhöhten Gelenkkraft mit zunehmendem Gewicht beruht, aber auch erhöhte Lockerungsraten. Insgesamt führt nach einer
Metaanalyse von Sun et Li ein BMI von über 30 zu einer erhöhten peri- und postoperativen Komplikationsrate (Sun und Li
2017).
Die häufigsten Indikationen, die zum endoprothetischen Gelenkersatz führen, sind die primäre Gonarthrose und die
rheumatoide Arthritis. Bezüglich der Revisionswahrscheinlichkeit konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (Hotfiel et al.
2017; Hofstede et al.
2015). Betrachtet man in diesem Zusammenhang die altersabhängige Revisionswahrscheinlichkeit, werden mehr Revisionen im jüngeren Alter bei der
Arthrose gefunden, während bei der rheumatoiden Arthritis keine Alterskorrelation vorliegt. In Bezug auf das Geschlecht, ist z. B. in der Schwedenstudie kein Unterschied bei den Revisionen zwischen den Geschlechtern festgestellt worden (Robertsson et al.
2001).
In letzter Zeit nehmen multiple Formen von
Allergien zu. Die Endoprothetik ist von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen. Metallallergien, vor allem gegen
Nickel,
Chrom und
Kobalt, aber auch Allergien gegen Knochenzement müssen bei der Versagensanalyse in Betracht gezogen werden (Thomas
2003). Weil es jedoch keinen gesicherten Zusammenhang zwischen einer Hautallergie von Prothesenbestandteilen und einer Hypersensitivität des periimplantären Gewebes gibt, können nach Rücksprache mit dem Patienten bei Allergien Standardimplantate verwendet werden (Middleton und Toms
2016; Walker et al.
2019). Zur Vermeidung späterer Auseinandersetzungen empfiehlt es sich jedoch, insbesondere bei kritischen Patienten mit nachgewiesener Allergie entsprechende „antiallergische“ Implantate mit einer Beschichtung aus Titan-Niob oder aus Oxinium einzubauen.
Daneben können anatomische Varianten, extreme Fehlstellungen oder posttraumatischen Fehlstellungen das Ergebnis beeinflussen. Da z. B. bei extremen Valgusfehlstellungen häufig schon primär achsgeführte Prothesen Verwendung finden, ist eine Vergleichbarkeit schwierig. Eine häufigere aseptische Lockerung kann so nicht nachgewiesen werden. Seltenere Ursachen für eine frühzeitige Lockerung können Knochen- oder Stoffwechselerkrankungen, die die Knochenqualität negativ beeinflussen, sein. Beispielhaft seien hier der
Morbus Gaucher,
Morbus Paget oder eine
Osteopetrose genannt.
Als weitere, häufig patientenbedingte Ursachen- und Risikofaktoren eines aseptischen Versagens sind die
Osteoporose, Osteonekrose und Risikofaktoren wie
Rauchen, Kortisoneinnahme, Zustand nach Chemotherapie, Gefäßerkrankungen,
Diabetes mellitus,
Lymphödeme, Fußfehlstellungen und posttraumatische Zustände zu nennen (Tab.
1).
Implantatbedingte Ursachen
Ein Versagen des Implantates aufgrund des Designs ist mittlerweile eine Rarität und bei Standardimplantaten für den totalen Knieersatz zu vernachlässigen. Das Prothesendesign der großen Hersteller gleicht sich zudem zunehmend an.
Eine neue Arbeit von Robertsson et al.
2019 weist auf die besondere Rolle der Verankerung der tibialen Komponente bei der aseptischen Lockerung hin (Robertsson et al.
2019). Es konnte gezeigt werden, dass die Verankerung mit 4 kurzen Zapfen („four-pegged total knee arthroplasty baseplate“) eine deutlich erhöhte aseptische Lockerungsrate gegenüber der stielbasierten Tibiakomponente hervorrief. Auch in eigenen Arbeiten erwies sich die tibiale Komponente als Schwachstelle der Knieendoprothetik (Rader et al.
2014). Früh- und auch Spätlockerungen der tibialen Komponenten fanden sich vor allem bei jungen, aktiven Patienten. Grundsätzlich sollte daher bei diesen Patienten eine optimierte Zementiertechnik zur Anwendung kommen, dies im Sinne einer allumfassenden Einzementierung der Tibiakomponente, ergänzt durch eine Vakuumzementiertechnik mit Jetlavage (sog. 3. Generation der Zementiertechnik). Bei der Auswahl der Knieendoprothesen sollten „moderne Implantate“ mit immer kürzeren Stielen und verminderter Andockstelle für den Knochenzement möglichst gemieden werden, da die
Standzeiten der Prothesen unter Umständen negativ beeinflusst sein könnten.
Hofstede et al. konnten in einer
Metaanalyse zeigen, dass die Art der Inlayverankerung (mobil oder fest) keinen Unterschied im Outcome ergab. Auch mobile Inlays zeigten keine Nachteile, sofern der Mechanismus keine systematischen Fehler, z. B. einer begünstigten Inlayluxation, aufwies (Hofstede et al.
2015).
Unikompartimentelle Systeme scheinen im Vergleich zum kompletten Oberflächenersatz einer etwas erhöhten Revisionsrate (88 % versus 96 %) nach einem 10-Jahres-Follow-up zu unterliegen (Pfitzner et al.
2017). Als Gründe werden falsche Technik und die falsche Indikation angesehen. Insbesondere die schon vorhandene Retropatellararthrose wird in dieser Studie als falsche Indikation für eine Schlittenprothese angeführt. Dieser Punkt wird aber insgesamt kontrovers diskutiert.
Mechanisches Implantatversagen oder Materialversagen wird heute vor allem bei Revisions- und Tumorendoprothesen aufgrund mechanischer Belastung trotz langstreckiger Verankerungsstiele und Verankerungsstellen gesehen (Bader et al.
2006). Aufgrund der häufig starren Kopplung zwischen Ober- und Unterteil und der langstreckigen Verankerung kommt es insbesondere dann zu Lockerungen, wenn das Implantat nicht exakt an die anatomischen Hebelverhältnisse angepasst ist und durch die starre Kopplung Belastungsspitzen an Ober- oder Unterteil entstehen. Die Indikation für eine gekoppelte Prothese hat in einem differenzierten Behandlungskonzept durchaus ihren Platz. Bei älteren Patienten, Revisionen, schweren Fehlstellungen und Instabilitäten, Kontrakturen oder schweren Gelenkdestruktionen lässt eine gekoppelte Prothese weniger Komplikationen und bessere Langzeitergebnisse erwarten. Blauth und Hassenpflug beobachteten eine Überlebensrate der gekoppelten Blauth-Prothese nach 11 Jahren von 97 %, was mit den Ergebnissen des Oberflächenersatzes vergleichbar ist (Blauth und Hassenpflug
1991). Der Einbau sollte jedoch aufgrund des Knochenverlustes, der starren Gelenkführung und der langen Stiele besonderen Problemsituationen vorbehalten sein, da Rückzugsmöglichkeiten und erneute Revisionen mit erheblichen Schwierigkeiten belastet sein können.
Trotzdem kommt es auch bei modernstem Prothesendesign zu Verschleißerscheinungen vor allem des Polyethylen-Inlays, was in der Folge zur sog. Partikelkrankheit
führen kann (Abschn.
4.2). Verschleißvorgänge wie schalenförmiger Materialausbruch (pitting), Delamination und Abrasion sind von der Dicke des Inlays (ab 8 mm), der Qualität des Ausgangsmaterials (Polyethylen), aber auch von der Bearbeitung und der Sterilisationstechnik abhängig (Bader et al.
2006; Heinz und von Mallek
2005).
Allerdings stehen Langzeitdaten noch aus: Eine Studie mit 5-Jahres-Follow-up verglich das Risiko einer aseptischen Lockerung im Vergleich von neuen highly cross-linked PEs gegenüber konventionellem PE. Es konnten in einem Kollektiv von n = 77.084 Fällen keine Unterschiede hinsichtlich des Risikos einer Revision aufgrund einer PE-abriebbedingten aseptischen Lockerung festgestellt werden (Paxton et al.
2015). Auch Wilhelm et al. sehen beim Kniegelenk noch keinen entscheidenden Vorteil für die highly cross-linked PE, wobei aber die Langzeitdaten über 12 und 15 Jahre ausstehen (Wilhelm et al.
2018).
Dennoch sind die partikelbedingten Osteolysen und die dadurch resultierenden Implantatlockerungen als Ursache der aseptischen Knieprothesenlockerung in den letzten 10 Jahren deutlich in den Hintergrund getreten. Die Jahrzehnte geltende Lehrmeinung, dass die Partikelkrankheit die Achillesferse der Endoprothetik sei, oder wie Harris es 1995 formulierte: „The problem is osteolysis“, muss vermutlich revidiert werden (Harris
1995).
Es zeigt sich heute, dass die neueren Sterilisationsmethoden (Vakuumsterilisation,
Sterilisation mit Radikalfänger, wie z. B.
Vitamin E und hochvernetzte Polyethylene = PE) der PEs nur noch wenige Abriebpartikel in größeren Zeiträumen entstehen lassen. Dieser Meilenstein in der Forschung der PE-Gleitpaarungen hat die „über 50-jährige Suche nach einem geeigneten Material für Implantate und Gelenkartikulation in der Endoprothetik beendet“ (Harris und Muratoglu
2019; Morlock und Jager
2017).
Kommen unterschiedliche Metalle, z. B. bei Konusverbindungen oder Stielfixation, in Kontakt, kann es zu einem ungewollten Ionenfluss und einer daraus resultierenden Korrosion als weiterer Ursache für ein Implantatversagen kommen. Auch bei modularen Implantaten, die mit sog. Wedges augmentiert wurden, können Mikrobewegungen oder unzureichende Fixationen resultieren, die in einem Implantatversagen münden.
Andere Versagensgründe können die Qualität des Knochenzementes (Zementiertechnik) oder designbedingte Ursachen des Implantates sein (z. B. keine ausreichende Andockfläche für den Knochenzement an der Prothesenrückfläche).
Betrachtet man grundsätzlich die Frage der Verankerungstechnik, so wiesen laut dem schwedischen
Endoprothesenregister (Robertsson et al.
2001) zwischen 1988 und 1997 zementfreie Implantate eine signifikant erhöhte Revisionsrate von 1,4-fach im Vergleich zu den zementierten Implantaten auf. Insgesamt deuten die Literaturdaten darauf hin, dass eine zementfreie Fixation des Tibiaplateaus häufiger mit Saumbildungen einhergeht und eine erhöhte Revisionsrate zeigt. Bei der Femurkomponente zeigen sich allerdings zwischen der zementfreien und der zementierten Variante keine statistischen Unterschiede (Boos und Russlies
2006). Aufgrund eines zu erwartenden Drittkörperverschleiß
es beim Einbringen von Knochenzement werden neuerdings Diskussionen hin zu komplett zementfreien Verankerungen mit neuen, die Knochenintegration fördernden Rückflächenbeschichtungen geführt. Da diesbezüglich noch keine Daten vorliegen, scheint aber die Zementierung des Tibiaplateaus und der Femurkomponente nach derzeitigem Stand des Wissens die besten Langzeitergebnisse zu garantieren.
Intraoperative Einflussfaktoren und chirurgische Qualität
Bei den Revisionen, die allein auf die Operationstechnik und -durchführung zurückzuführen sind, hat die Erfahrung des Operateurs eine ausschlaggebende Bedeutung. Die Rekonstruktion einer geraden Beinachse mit einem Korridor von ±3° wird in der Literatur als ein wichtiger Parameter für das Langzeitüberleben von Oberflächenersatzprothesen gesehen. Eine dementsprechende Fehlpositionierung der Komponenten (Achs- und/oder Rotationsfehler) bedingt einen vergrößerten Verschleiß und damit ein eventuell frühzeitiges Versagen. Auch eine Fehldimensionierung der Komponenten erhöht die Belastung der Prothese. Ist eine knöcherne Auflagefläche nicht gewährleistet, wurden Ermüdungsbrüche des Tibiaplateaus beschrieben (Bader et al.
2006).
Sowohl für die femorale als auch tibiale Komponente gilt, dass eine gute knöcherne Auflagefläche die Voraussetzung für eine stabile und langfristige Verankerung ist. Vor allem zementfrei eingebrachte Implantate müssen „press fit“ eingebracht werden, um eine ausreichende Osseointegration zu ermöglichen. Prothesen-Knochendistanzen von 0,5 mm und mehr führen zu einer abnehmenden Integration und damit zu einer abnehmenden Prothesenfestigkeit (
Dalton et al.
1995). Vor allem mangelnde Primärstabilität in der Einwachsphase hat einen hohen negativen Prädiktionswert für ein frühzeitiges Versagen (Rand et al.
2003; Ryd et al.
1995).
Weiterhin ist ein persistierender vorderer Knieschmerz eine häufige Ursache von aseptischen Revisionsoperationen (Rader et al.
2014). Fast in einem Viertel dieser Revisionsfälle wurde ein sekundärer Retropatellarersatz notwendig. Diese Problematik hält die Diskussion über einen Retropatellarersatz oder ein Remodelling der gelenkseitigen Patella in Gange. In der aktuellen Studienlage konnte kein Vorteil des Rückflächenersatzes im Vergleich mit einem Patellaremodelling gefunden werden, sodass beide Behandlungsmöglichkeiten gleichwertig erscheinen (Chen et al.
2013). Sollte man sich für einen Patellarückflächenersatz entscheiden, ist die zementierte PE-Komponente das Implantat der Wahl. Zementfreie metal-backed Patellaimplantate zeigten in der Vergangenheit z. T. Revisionsraten von über 30 % (Rader et al.
1996) und beherbergen zudem das Risiko einer ausgeprägten Metallose nach Verschleiß des PEs. Bei Verwendung eines Retropatellarersatzes muss eine ausreichende Patelladicke (>13 mm) verbleiben, da sonst Komplikationen wie vorzeitige Lockerung oder eine Nekrose und Fraktur des verbliebenen Knochens drohen können (von Spreckelsen et al.
1998). Daten aus dem australischen
Endoprothesenregister (n = 134.799) zeigen deutlich, dass Patienten mit Retropatellarersatz nach 5 Jahren Prothesenstandzeit einen Vorteil haben. Beim 5-Jahres-Follow-up betrug die Revisionsrate der Patienten mit Retropatellarersatz 3,1 %, patellofemorale Schmerzen waren deutlich seltener (1 % versus 17 %), die Patella-only-Revision ebenfalls signifikant seltener (6–29 %) (Clements et al.
2010). Trotz der möglichen Komplikationen kann anhand der aktuellen Literatur grundsätzlich ein regelmäßiger Patellarersatz in der Primärendoprothetik empfohlen werden.