Komplikationen der Hüftendoprothetik: Nervenschädigungen
Verfasst von: Claude Weynandt und Carsten Perka
Postoperative Paresen gehören zu den Majorkomplikationen in der Endoprothetik. Diese im Zusammenhang mit der Operation auftretenden Lähmungen gilt es durch anatomisches Wissen, akribisches Setzen von Retraktoren und Erkennen von Risikofaktoren zu minimieren. Zudem sollten präoperativ bestehende Pathologien des neurologischen Status und Wirbelsäulenerkrankungen dokumentiert werden. Bei den iatrogen bedingten Nervenschädigungen sind vor allem der N. ischiadicus und der N. femoralis betroffen.
Iatrogene Nervenschädigungen sind seltene Komplikationen mit einer Inzidenz von ca. 0,2–3,7 % (Hasija et al. 2018; Farrell et al. 2005; Shetty et al. 2019; Christ et al. 2019). In ca. 80 % der Fälle handelt es sich um Läsionen des N. ischiadicus (Schmalzried et al. 1997; Barrack und Butler 2003). Neben dem N. ischiadicus können vor allem der N. femoralis, der N. cutaneus femoris lateralis und Äste des N. gluteus superior betroffen sein. Unterschieden werden direkte, wie z. B. scharfe Durchtrennung, Kompression oder Quetschung, von indirekten Nervenschädigungen, wie Ischämie durch Hyperthermie (ab ca. 70 C, z. B. durch Knochenzement) oder Traktion bei Verlängerung der Extremität (Weynandt et al. 2020).
Die Folgen von direkten oder indirekten Nervenläsionen sind passagere oder bleibende Störungen mit Paresen und/oder Sensibilitätsstörungen im Ausbreitungsgebiet des betroffenen Nervs. Die dadurch erkennbaren Ausfälle lassen in der Regel die Zuordnung zu einem konkreten Nerven herstellen, dabei ist das Ausmaß der Schädigung jedoch nicht immer umgehend erkennbar (Weynandt et al. 2020).
Patientenspezifische Risikofaktoren für eine Nervenläsion sind Dysplasiekoxarthrosen (Farrell et al. 2005; Schmalzried et al. 1991), vorbestehende Narbenbildungen und Subluxationsstellungen des Hüftgelenkes (Christ et al. 2019; Kawano et al. 2018) sowie Patienten mit präoperativ bestehenden degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule (Shetty et al. 2019; Christ et al. 2019).
Tip
Präoperativ bestehende, leichte oder „stumme“ Nervenschädigungen können durch die Operation klinisch auffällig werden, weshalb der neurologische Status bei Aufnahme unbedingt dokumentiert werden sollte.
Die Wahl des Operationszugangs (Abb. 1), die Positionierung der Retraktoren und das intraoperativ verursachte Hämatom sind eingriffsspezifische Risikofaktoren (Schmalzried et al. 1991; Park et al. 2013; Winfree und Kline 2005; Fleischmann et al. 2018).
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So ist die Wahrscheinlichkeit eines Nervenschadens von der Wahl des Zugangs abhängig. Während eine Schädigung des N. cutaneus femoris lateralis bei vorderen Zugängen häufig auftritt, ist eine solche Läsion bei einem hinteren oder auch seitlichen Zugang fast ausgeschlossen.
Bei der Positionierung der Retraktoren ist vor allem der N. femoralis durch Kompression am vorderen Pfannenrand gefährdet (Slater et al. 2000). Ist der Pfannenrand nicht ausreichend sicher detektierbar, sollte daher immer zunächst eine weit kraniale Position des vorderen Retraktors gegenüber dem Schenkelhals gewählt werden, weil hier die Gefahr einer Nerven- oder Gefäßschädigung de facto nicht besteht.
Neben den Retraktoren kann auch austretender Knochenzement ins kleine Becken Kompressionsschäden der Nn. femoralis et obturatorius verursachen (Jerosch 2000). Gerade bei Revisionen ist deshalb eine postoperative Bildwandlerbewertung bei zementierten Implantaten unabdingbar. Insgesamt ist bei Revisionsoperationen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Nervenläsionen auszugehen. Dies wird durch die Erweiterungen des Zugangs, die oft notwendige untypische Positionierung der Retraktoren, die Vernarbungen um Nervenstrukturen, die Migration von Komponenten und vielem mehr bedingt.
Schrauben zur Pfannenverankerung können den N. ischiadicus schädigen (Jerosch 2000; Xu et al. 2016). Neben der Bildwandleruntersuchung ist hier oft die digitale Kontrolle ebenfalls möglich. Dies wäre zu dokumentieren.
Bei voroperierten Hüften mit Vernarbungswahrscheinlichkeit im Bereich des N. ischiadicus (vor allem hintere Zugänge) ist aus eigener Erfahrung die Präparation und gegebenenfalls Neurolyse des N. ischiadicus zu empfehlen. Die Literatur ist hierzu jedoch nicht einheitlich.
Kompressionsschäden des N. peroneus communis bei der Lagerung des zu operierenden Beines, bedingt durch seine oberflächliche Lage am Fibulaköpfchen, sind ebenfalls relativ häufig.
Traktionsschäden, vor allem des N. ischiadicus können ab einer Verlängerung des zu operierenden Beines von ≥4 cm auftreten (Weynandt et al. 2020; Hasija et al. 2018; Farrell et al. 2005; Edwards et al. 1987). Ist eine Verlängerung um mehr als 4 cm geplant, ist ein Neuromonitoring zu empfehlen.
Auch bei anderen patienten- oder eingriffsspezifischen Risikofaktoren ist ein intraoperatives Neuromonitoring hilfreich.
Auch im Langzeitverlauf (z. T. 20 Jahre!) nach Hüftgelenkersatz können noch Nervenläsionen auftreten. Hier sind vor allem Implantatdislokationen, Frakturen und/oder raumfordernde Prozesse, wie z. B. Pseudotumore, ursächlich.
Bei bis zu 50 % der postoperativ apparent werdenden Paresen und/oder Sensibilitätsstörungen kann keine Ursache für eine mögliche Nervenläsion gefunden werden.
Dennoch ist immer zur Ursachenklärung eine ausführliche Diagnostik unter Berücksichtigung
1)
der prä- und postoperativen Anamnese (zur Differenzierung von zentralen, spinalen, radikulären oder peripheren Läsionen),
2)
eine Computertomografie (CT) zur Beurteilung der metallischen Implantate und des Zementes und
3)
bei diagnostischer Unsicherheit eine Ultraschall- oder MRT-Untersuchung zur Beurteilung der Weichteile indiziert (Tab. 1).
Tab. 1
Überblick über die unterschiedlichen Schädigungsmechanismen, die jeweils relevanten diagnostischen Maßnahmen und mögliche Ursachen (aus Weynandt et al. 2020)
Schädigung
Mechanismus
Diagnostik
Gefahr für…
Risikobehaftete Szenarien (Beispiele)
Direkt
Durchtrennung
Sonografie,
MRT
N. ischiadicus, N. femoralis, N. cutaneus femoris lateralis, N. gluteus inferior, N. gluteus superior
Elektrothermisches Präparieren, Hyperthermie durch Knochenzement
Die Ultraschalldiagnostik dient zur Detektion von komprimierenden Hämatomen und zur direkten Beurteilung des Nervens. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) lassen sich auch raumfordernde Prozesse wie Hämatome und Pseudotumore detektieren. Im Verlauf lässt die MRT Rückschlüsse auf das Ausmaß der Nervenschädigung durch die Denervierungszeichen der Muskulatur zu (Weynandt et al. 2020). Bei unklarer Ätiologie der neurologischen Störung ist ein interdisziplinäres Konsil mit einem Neurologen und gegebenenfalls einem Neurochirurgen zu empfehlen (Weynandt et al. 2020).
Eine EMG/NLG-(Elektromyografie/Nervenleitgeschwindigkeit)Untersuchung sollte 10–20 Tage (Pöschl und Schulte-Mattler 2012) nach auftretender Nervenläsion durchgeführt werden.
Bei Verdacht auf eine scharfe Durchtrennung eines Nervens muss die Primärnaht (evtl. durch Hinzuziehung eines Neurochirurgen) innerhalb von 24 Stunden angestrebt werden (Chugtai et al. 2017). Bei direkt postoperativ auffallender Parese ist eine Revision kritisch zu evaluieren und die Entscheidungsgründe sind zu dokumentieren.
Neuropathische Schmerzen sollten zusätzlich zu den postoperativen Schmerzschemata mittels Antidepressiva (z. B. Amitriptylin) und/oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmeinhibitoren (z. B. Gabapentin) behandelt werden. Bei einer frustranen konservativen Therapie von 6–12 Wochen sollte eine Neurolyse diskutiert werden. (Weynandt et al. 2020).
Fazit für die Praxis
Iatrogene Nervenläsionen sind sehr seltene Komplikationen der Hüftendoprothetik.
Für die Prävention von Nervenverletzungen sind eine gründliche Anamnese und eine präoperative Untersuchung des Patienten, sowie fundierte Anatomiekenntnisse, der bedachte Einsatz von Retraktoren, sorgfältiges Präparieren und die schonende Lagerung des Patienten von herausragender Bedeutung.
Bei postoperativ neu auftretenden neurologischen Defiziten ist die zügige Einleitung der bildgebenden Diagnostik mittels Röntgen oder MRT oder Ultraschall obligat.
Ist eine mechanische Ursache für eine Nervenläsion in der durchgeführten Diagnostik identifiziert, so ist die rasche Initiierung einer zielgerichteten Therapie für das klinische Outcome entscheidend.
In bis zu >50 % bleibt die Ursache der Nervenläsion unbekannt
Literatur
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