Publiziert am: 08.09.2023
Bitte beachten Sie v.a. beim therapeutischen Vorgehen das Erscheinungsdatum des Beitrags.
Zugänge zum Hüftgelenk: Anatomie des Hüftgelenkes
Verfasst von: Reinhard Putz
Das Hüftgelenk ist in allen morphologischen Details perfekt seiner großen Beanspruchung entsprechend strukturiert. Caput femoris und Facies lunata sind nicht exakt kongruent, sowohl der Gelenkknorpel als auch die subchondrale Mineralisierung sind dementsprechend ungleich verteilt. Eine besondere Rolle kommt dem Labrum acetabuli der Facies lunata zu, deren beide Hörner durch das Lig. transversum acetabuli straff miteinanderverbunden sind. Aus der Textur der Spongiosa des Schenkelhalses ist ihre Anpassung an Biege- und an Torsionsbeanspruchung abzulesen. Der äußere Bandapparat baut sich aus 3 sehr festen Bändern auf, die dorsal einen unvollständigen Faserring ausbilden. Dem Lig. iliofemorale kommt dabei die größte Bedeutung zu, da es beim Gehen über seine Anspannung in der Endstellung der Dorsalflexion die jeweils gegenläufige Rotation des Beckens bestimmt.
Das Hüftgelenk des menschlichen Körpers erscheint nur auf den ersten Blick als ein ideales Kugelgelenk. Einem nur im Prinzip sphärischen Gelenkkörper, dem Caput femoris, steht das Segment einer Hohlkugel, die Facies lunata, gegenüber. Überraschend dabei ist, dass die Fläche der Gelenkpfanne nur etwa 50 % der Gelenkfläche des Kopfes entspricht. In der im frontalen Röntgenbild eindrucksvoll darstellbaren Hüftgelenkpfanne steht also nur ein kleiner Teil zur Lastübertragung zur Verfügung (Abb. 1).
Abb. 1
a, b Knöcherne Elemente des Hüftgelenkes. a Os coxae mit Azetabulum von lateral kaudal. b Femur von medial. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Ein zweiter, ebenso irritierender Aspekt besteht darin, dass sowohl Caput femoris als auch Facies lunata keine, auch nur annähernd gleichmäßige Verteilung der subchondralen Mineralisierung aufweisen. Daraus leitet sich wiederum ab, dass über die Zeit dementsprechend offenbar auch keine gleichmäßige Druckübertragung stattfindet. Dies kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden. Einer ist, dass die beiden Gelenkkörper grundsätzlich minimal inkongruent sind, ein anderer, dass sich Richtung und Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft im Ablauf von Gehen und Laufen gravierend ändern. Auf diese Weise wird garantiert, dass die Gelenkkörper unter normalen Umständen breit in den Kraftfluss einbezogen werden und der Materialaufwand minimiert wird.
Proximales Femurende, Caput femoris
Das Caput femoris besitzt einen Durchmesser von etwa 3,5–5,5 cm und ist aus dichter Spongiosa aufgebaut. Je nach Durchmesser kann die funktionelle Oberfläche des Caput femoris bis etwa 30 cm2 betragen. An seiner proximalen, medialen Fläche findet sich eine kleine Einziehung, Fovea capitis femoris, an der das Lig. capitis femoris inseriert. Die Knorpelbedeckung erreicht ihre maximale Dicke von etwa 3 mm knapp kranial lateral der Fovea.
Die Knochenbälkchen des Caput femoris sind zur subchondralen Knochenplatte jeweils exakt senkrecht eingestellt und konvergieren zum Mittelpunkt des Hüftgelenkkopfes (Abb. 2). Das Trabekelwerk geht einerseits in das zur medialen Kortikalis des Schenkelhalses ziehende Druckbündel über und andererseits in das entlang des oberen Bereiches des Schenkelhalses bis hin zum Trochanter major ziehende Zugbündel. Als Folge der Verdichtung der Trabekel zu diesen beiden zur Aufnahme der Biegebeanspruchung ausgerichteten Spongiosabündel entsteht an der Basis des Schenkelhalses eine Zone mit relativ geringerer Trabekeldichte (Wardsches Dreieck).
Abb. 2
Trabekelarchitektur des Schenkelhalses in der Frontalebene, von ventral. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Als Ausdruck einer Anpassung an die Biegebeanspruchung im Bereich des Schenkelhalswinkels findet sich hier – allerdings sehr unterschiedlich ausgebildet – eine halbmondförmige Verstärkungsplatte, die wegen ihres Querschnittsbildes als Merkel’scher Schenkelsporn bezeichnet wird. Sie ist ungefähr in der Frontalebene, eigentlich in der Ebene des Torsionswinkels des Schenkelhalses ausgerichtet (Abb. 3).
Abb. 3
a, b Merkel‘scher Schenkelsporn. a Schrägschnitt unterhalb des Schenkelhalses, von distal. b Eröffnung des Markraumes des Femurs im Übergangsbereich von Schenkelhals zum Schaft, von lateral. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Die Anpassung an die Torsionsbeanspruchung des proximalen Femurendes gegenüber dem Femurschaft spiegelt sich ebenso in der Ausrichtung der Spongiosa wider. Von der distalen Kortikalis der Basis des vorderen und des hinteren Umfanges des Schenkelhalses bildet sich ebenso eine Spitzbogenstruktur aus (Abb. 4).
Abb. 4
Trabekelarchitektur des Schenkelhalses in der Transversalebene. Schräger Flachschnitt durch den Schenkelhals, von kranial. Die spitzbogenartige Anordnung weist darauf hin, dass der Schenkelhals auch in sagittaler Richtung als Ausdruck der Torquierung einer Biegebeanspruchung unterliegt. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Facies lunata
Die Facies lunata stellt ein nur schmales, annähernd in der Sagittalebene ausgerichtetes Segment von etwa 30 % einer Hohlkugel dar (Abb. 5). Die Außenkante der Facies lunata folgt dem markanten Rand der Hüftgelenkspfanne, die Innenkante setzt sich medial scharf von der Fossa acetabuli ab. Das vordere Horn der Facies lunata erstreckt sich flach auf der Innenseite des dem Corpus ossis pubis zuzurechnenden Teils des Azetabulums, während das dorsale Horn dem Corpus ossis ischii aufsitzend frei die Incisura acetabuli überragt.
Abb. 5
a, b Formen der Facies lunata. a Beim jüngeren Individuum ist die Facies lunata schmaler und erscheint etwas eingezogen segmentiert. b Beim älteren Individuum verbreitert sich die Facies lunata vor allem im Zenit. Auch tritt sie etwas tiefer bis auf das Niveau der Fossa acetabuli. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Die geringe Breite der Gelenkfläche erklärt sich aus der Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft in Bezug zum Pfannenrand. Pauwels (u. a. 1973) und Kummer (u. a. 2005) haben dies zum Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gemacht und auf die Rolle einer ausreichenden Ausbildung des Pfannendacherkers hingewiesen. Abgeleitet von der Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft in Bezug zum Pfannenrand kann nach medial hin Last eben nur über eine begrenzte Fläche übertragen werden. Die Knorpelfreiheit der Fossa acetabuli beruht demnach darauf, dass hier einfach kein Bedarf für Druck aufnehmendes Gewebe besteht. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die große Variabilität der inneren Kontur der Facies lunata, wie auch deren mit dem Alter meist zunehmende Verbreiterung (Abb. 5).
Die Knorpelbedeckung der Facies lunata ist am dicksten entlang des äußeren Randes kranial ventral und nimmt von dort gleichmäßig nach medial sowie nach ventral und dorsal ab. Sie ist gleichmäßiger verteilt als beim Caput femoris und setzt sich mit einer scharfen Rinne gegen das Labrum acetabuli ab. Im Bereich der beiden Hörner geht sie ohne erkennbare Kontur in die knorpelige innere Bedeckung des Lig. transversum acetabuli über.
Die subartikuläre Spongiosa weist charakteristischerweise Verdickungen im Bereich des Pfannendaches sowie entlang des Limbus auf. Allerdings handelt es sich nicht primär um kompakte Knochenvolumina, es finden sich vielmehr schichtenartig der Kugelform entsprechend angeordnete Platten, die durch kleine Zwischenbälkchen verstärkt sind. Mit zunehmendem Alter verdickt sich die subchondrale Platte (Abb. 6). Außerhalb der Verdichtungszonen sind die Spongiosabälkchen vorwiegend radiär zur Facies lunata ausgerichtet und divergieren zur gegenüberliegenden Kompakta der Beckeninnenseite. Nicht überraschend ist der Befund, dass sich das Pfannendach sehr massiv gegen die Hinterfläche der Eminentia iliopubica abstützt. Gelegentlich ist hier sogar eine durchgehende Sklerosierungszone vorhanden. Der Pfannendacherker ist immer eher homogen, kompakt ausgebildet.
Abb. 6
Kontaktradiografie eines 3 mm dicken Schnittes durch das hintere Horn der Facies lunata. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Im Bereich des Zentrums der Hüftpfanne kommen sich die äußere dünnere und die innere, etwas dickere Kortikalis des unteren Bereiches der Beckenschaufel am nächsten. Hier bildet der Pfannenboden mit der Kortikalis der Innenfläche des Os coxae eine sandwichartige Formation mit einem dichten Maschenwerk aus. Gegen die Basis des Os ilium hin formieren sich die vom Pfannendach ausstrahlenden Spongiosazüge zu Spitzbögen, die einerseits in die innere und andererseits in die äußere Kortikalis der Darmbeinschaufel übergehen (Abb. 7).
Abb. 7
Abstützung des Azetabulums zum Os ilium. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Die subartikuläre Spongiosa ist gegen den Rand der Gelenkfläche hin generell verdichtet, während sie sich gegen den Innenrand der Facies lunata hin auflockert. Dies spricht dafür, dass der Rand des Azetabulums einer höheren Beanspruchung unterliegt als dessen Tiefe. Entlang der Randzone ist dementsprechend gegebenenfalls mehr Material für eine sichere Verankerung einer Prothesenpfanne vorhanden.
Die freie Kante des Azetabulums wird von einer Gelenklippe, dem Labrum acetabuli besetzt, die innen von einer dünnen Schicht von hyalinem Knorpel bedeckt ist. Seine Grundlage bilden sehr dicht gepackte Bündel kollagener Fasern, die unter Einbeziehung des Lig. transversum acetabuli einen geschlossenen Ring um die Hüftgelenkpfanne bilden. Auf den ersten Blick wird damit lediglich die knorpelbedeckte Gelenkfläche der Facies lunata vergrößert. Der Faserring scheint aber eine wesentliche Rolle bei der Erhaltung des Kraftschlusses des Hüftgelenkes unter Belastung zu spielen (Löhe et al. 1996).
Bei offensichtlicher Fehlbelastung des Hüftgelenkes, wenn also das Pfannendach des Hüftgelenkes offenbar stärker belastet ist als die vorderen und die hinteren Anteile der Facies lunata und evtl. bereits Abnützungserscheinungen zeigt, ist das Labrum acetabuli in diesem Bereich häufig ausgedehnt und deformiert. In diesen Fällen ist meist kein freier Rand mehr zu sehen, seine Außenfläche verschmilzt mit der hier über den Gelenkkopf gespannten Gelenkkapsel.
Bänder des Hüftgelenkes
Das Hüftgelenk ist durch einen derben Bandapparat gekennzeichnet, der nur wenige dünne Stellen aufweist. Proximal entspringen die Bänder knapp außerhalb des Labrum acetabuli, distal erstrecken sie sich unterschiedlich breit auf das Femur. Der äußeren Fläche des Labrum liegt die Membrana synovialis der Gelenkkapsel an, die hier eine flache Rinne bis zur Außenkante der Basis hin bildet. Verursacht wird dies dadurch, dass die Membrana fibrosa, aus der die Ligamenta hervorgehen, klar außerhalb des Labrum ihren Ursprung nimmt. Auf diese Weise entsteht ein ringförmiger Spalt, der das Labrum rundum so umgibt, dass dessen Rand frei in den Gelenkinnenraum vorragt (Putz und Schrank 1998).
Der stärkste, mehrere Millimeter dicke Faserzug ist das Lig. iliofemorale, dessen Hauptteil Pars descendens breit knapp unterhalb der Spina iliaca anterior inferior und der Eminentia iliopubica vom Vorderrand des Azetabulums entspringend, etwas schraubig verdreht, bis zur Innenseite des Übergangs des Schenkelhalses zum Femurschaft zieht. Der Ansatz dieses Bandes wird in etwa von der Linea intertrochanterica markiert. Ein kleinerer Anteil, Pars transversa, zieht vom lateralen Rand des Azetabulums zur Basis des Trochanter major (Abb. 8).
Abb. 8
a-c Bänder des Hüftgelenkes. a von ventral, b von dorsal, c Frontalschnitt. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Indem es die Extension im Hüftgelenk auf maximal 5 Grad beschränkt, beeinflusst das Lig. iliofemorale mit seinen absteigenden Fasern maßgeblich das Gangmuster. Gerade beim schnelleren Gehen wird durch seine dynamische Spannung eine Rotation des Beckens eingeleitet, die wiederum eine gegenläufige Rotation des Oberkörpers auslöst. Durch diese Torquierung des Rumpfes wird Energie erhalten und die Kontrolle über die Rumpfbewegung erleichtert. Die quer verlaufenden Fasern begrenzen die Adduktion des Beines, was für das bequeme, nachlässige Stehen benützt wird.
Die übrigen in die Kapsel eingewobenen Bänder des Hüftgelenkes sind vergleichsweise dünn. Das Lig. pubofemorale zieht vom Unterrand des Azetabulums nach schräg dorsal zum Schenkelhals und wird bei Außenrotation gespannt. Das Lig. ischiofemorale verläuft vergleichbar quer eingestellt vom Hinterrand des Azetabulums auf die Unterseite des Schenkelhalses. Es wirkt mit bei der Begrenzung der Innenrotation und der Flexion. Lateral, medial und am deutlichsten dorsal gehen diese Bänder Verflechtungen ein, die den Eindruck eines ringförmig verlaufenden Faserbündels darstellen. Diese Verflechtungen werden auch als Zona orbicularis zusammengefasst, sie sind aber nicht als durchgehendes Ringband aufzufassen (Eckstein und Drenckhahn 2008).
Außerhalb der oben genannten Bänder ist die Gelenkkapsel sehr dünn. An der Vorderfläche, wo die Sehne des M. iliopsoas über die vordere Kante des Azetabulums hinweg zum Trochanter minor nach kaudal zieht, ist sie in vielen Fällen dehiszent, sodass eine direkte Kommunikation der Bursa m. iliopsoas mit dem Innenraum des Gelenkes besteht. Entlang des Unterrandes des Lig. ischiofemorale am hinteren Umfang des Schenkelhalses bis vor die Fossa trochanterica verdünnt sich die Kapsel bis auf die Membrana synovialis (Abb. 8b). Im Bewegungsablauf wie auch in den Endstellungen werden die inneren Anteile der Gelenkkapsel an die Knochenkonturen angepresst (Tsutsumi et al. 2021).
Zur Gänze innerhalb des Gelenkraumes verläuft das Lig. capitis femoris. Es entspringt aus der Tiefe der Fossa acetabuli, wo es von einigen synovialen Fettfalten umgeben ist (Abb. 9). Nach kurzem gestrecktem Verlauf erreicht es die Fovea capitis femoris. Bekanntermaßen enthält das Lig. capitis femoris die A. lig. capitis femoris, die als kleiner Ast der A. obturatoria den proximalen, ursprünglich epiphysären Teil des Caput femoris versorgt. Die Relevanz dieses Versorgungsanteiles ist allerdings etwas umstritten. Am ehesten ist ihre Bedeutung während der Wachstumsperiode nachzuvollziehen, bei der die Kopfepiphyse durch eine breite epiphysäre Knorpelplatte von der Femurdiaphyse getrennt ist. Parallel zur Verknöcherung der Epiphysenfuge entwickeln sich offenbar in ausreichender Weise arterielle Anastomosen zur Versorgung des Femurkopfes über die Gefäße der Diaphyse sowie über die periostalen Blutgefäße des Schenkelhalses, die beiden Aa. circumflexae femoris (Putz und Kaiser 1999). Interessant ist, dass sich dabei bei vielen älteren Individuen kein Lig. capitis femoris mehr nachweisen lässt.
Abb. 9
Vertikalschnitt durch das Hüftgelenk in der Ebene des Schenkelhalses. Die den Trochanter major bedeckende Sehnenplatte ist mit einem * gekennzeichnet. An ihr entspringt der M. vastus lateralis. Von kranial her strahlen die Sehnen der kleinen Glutealmuskeln ein. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Am wenigsten befasst man sich im Allgemeinen mit dem Lig. transversum acetabuli. Es entspringt breitflächig von der Kante des hinteren Hornes der Facies lunata und konvergiert zum äußeren Rand des frei vorragenden vorderen Hornes (Abb. 10). Es ist ein sehr straffes Band, das einer Deformation der Hüftpfanne unter hoher Belastung und in den Endphasen der Rotation entgegenwirkt (Löhe et al. 1996). Das Band bildet die Grundlage für die Kontinuität des Labrums rund um das Azetabulum.
Abb 10
Das Lig. transversum acetabuli (*) verbindet die beiden Hörner der Facies lunata über die Incisura acetabuli hinweg. (Aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Bei einer funktionellen Betrachtung der Morphologie des Hüftgelenkes darf die den Trochanter major deckende Sehnenplatte nicht außer Acht gelassen werden (Abb. 9; Heimkes et al. 1993). Sie dient einerseits dem M. vastus lateralis als Ursprung und geht andererseits am Oberrand des Trochanter major direkt in die hier einstrahlenden Ansatzsehnen der kleinen Glutealmuskeln über. Die Rolle dieser Sehnenplatte für die Minimierung der Biegebeanspruchung des proximalen Femurendes ist nicht zu übersehen (Heimkes et al. 1992, 1993). Besonders augenfällig wird dies bei der Betrachtung der Ausrichtung der lateralen Trabekel des Trochanter major, die exakt senkrecht gegen die Sehnenauflage dieser Sehnenplatte eingestellt sind.
Anpassung der Knochen- und Gelenkstrukturen an die Beanspruchung
Im Kapitel über die Biomechanik des Hüftgelenkes wurde der Zusammenhang von Schenkelhalswinkel und Biegebeanspruchung des Schenkelhalses einerseits sowie Größe der Resultierenden andererseits herausgearbeitet. Dies ist nicht nur ein plausibles Kräftemodell, sondern spiegelt sich auch in der Materialverteilung der beteiligten Skelettteile wider.
Die Größe der Gelenkkraft und der Schenkelhalswinkel müssen demnach in ihrer Bedeutung für das Hüftgelenk gemeinsam betrachtet werden. Spürt man dabei etwas den Mechanismen der Evolution nach, so wird klar, dass es sich hier um ein über die Zeitläufe sich selbst optimierendes System handelt. Letztlich ist davon auszugehen, dass sich der Schenkelhalswinkel bis zu einem Wert verringert, der – abgesehen von osteoporotischen Veränderungen – über einen weiten Teil des Lebens eine ausreichende Biegefestigkeit besitzt. Dadurch kann andererseits die Beanspruchung im Hüftgelenk auf einen Wert herabgesetzt werden, der die Leistungsfähigkeit der beteiligten Gewebe des Gelenkes nicht überfordert.
Wie empfindlich das Knochengewebe auf die vorherrschende Beanspruchung reagiert, kann eindrucksvoll an der Kortikalis der Basis des Schenkelhalses im Bereich des Überganges zum Femurschaft beobachtet werden. Je kleiner der CCD-Winkel, umso höher ist die Dichte des Knochengewebes in diesem Bereich (Putz 1993).
Die Spannung im Hüftgelenk, also die Verteilung der Gelenkkraft auf die beteiligten Gelenkflächen, hängt entscheidend von der Lage des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft ab. Darauf hat insbesondere Kummer (u. a. 2005) hingewiesen und eine Formel zur Berechnung der maximalen Tragfläche vorgelegt. Dies entspricht der Form einer schmalen Ellipse (Kugelzweieck nach Legal 1985), die im Bewegungsablauf über die Facies lunata wandert. Durch die Wanderung der unterschiedlichen Spannungen im Bewegungsablauf ergibt sich eine charakteristische intermittierende hydrostatische Druckbelastung der beteiligten Gelenkflächen, was wiederum als Erhaltungsreiz für den lokalen Gelenkknorpel angesehen werden kann (Tillmann 1969). Diese Ellipse ist umso breiter, je weiter der Durchstoßpunkt der resultierenden Hüftgelenkkraft vom Rand der Hüftgelenkpfanne entfernt ist. Da die maximale Ausnützbarkeit der Facies lunata nach medial nur etwa dem 2,4-Fachen des Abstandes des Durchstoßpunktes der resultierenden Hüftgelenkkraft vom Pfannenrand entspricht, bedeutet dies, dass die Ausbildung des Pfannendacherkers eine entscheidende Voraussetzung für die Spannungsverteilung im Hüftgelenk ist.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in Bezug auf den Kraftfluss im Hüftgelenk betrifft die physiologische Inkongruenz der Gelenkkörper. Ausgehend von der Tatsache, dass weder der Femurkopf noch die Hüftpfanne geometrisch exakte Kugelsegmente darstellen, wird verständlich, dass in vielen Fällen 2 Spannungsmaxima auftreten (Eckstein et al. 1997). Dies manifestiert sich in der Verteilung der subchondralen Mineralisierung, die ebenfalls ein ventrales und ein dorsales Maximum aufweist. In der zitierten Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die Spannungsmaxima bei zunehmender Gelenkkraft in Richtung des Zenits des Azetabulums zusammenfließen.
An einer großen Anzahl von Fällen konnte Müller-Gerbl zeigen, dass 2 Dichtemaxima vorzugsweise beim jüngeren Menschen auftreten, während jenseits des 50. Lebensjahres eine zunehmende Tendenz zur Zentralisierung eines Dichtemaximums in der Kuppel der Facies lunata nachzuweisen ist (Müller-Gerbl 1998). Eine dem Lebensalter gewissermaßen vorauseilende Zentrierung des Dichtemaximums in der Kuppel der Hüftgelenkpfanne muss demnach als Zeichen einer ungünstigen Belastung und als präarthrotische Veränderung angesehen werden (Abb. 11).
Abb. 11
a, b Subchondrale Mineralisierung der Facies lunata (rot hohe Dichtewerte, blau niedrige Dichtewerte). a Beim jüngeren Individuum findet sich je ein Maximum im dorsalen und im ventralen Bereich der Facies lunata. b Beim älteren Individuum konzentriert sich die höchste subchondrale Dichte in den Zenit der Facies lunata. (Zur Verfügung gestellt von Univ.-Prof. Dr. Magdalena Müller-Gerbl, Anatomisches Institut der Universität Basel; aus Putz et al. 2012, mit freundlicher Genehmigung)
Die subchondrale Mineralisierung des Caput femoris besitzt ihr Maximum im oberen Bereich mit einem nach ventral und einem nach dorsal ziehenden ovalen Ausläufer. Daraus lässt sich schließen, dass die Lastübertragung im Caput femoris im Wesentlichen unabhängig von der Position des Hüftgelenkes und relativ konstant jeweils in etwa in der Längsachse des Schenkelhalses ausgerichtet ist. Dass die Verteilungsmuster der subchondralen Mineralisierung der beiden Gelenkkörper nicht korrespondieren, erklärt sich aus der Positionsverschiebung von Femurkopf zu Hüftpfanne im Bewegungsablauf.
Fazit für die Praxis
Die knöchernen, die knorpeligen und die ligamentären Anteile des Hüftgelenkes wurden im Zuge der Evolution in ihrer Beziehung zueinander optimiert. Die Planung operativer Eingriffe sollte unbedingt von den gegebenen morphologischen Voraussetzungen ausgehen.
Die Gelenkkörper des Hüftgelenks sind an die Herausforderung des statischen und des dynamischen Kraftflusses perfekt angepasst.
Literatur
Eckstein F, Drenckhahn D (2008) Untere Extremität. In: Drenckhahn D (Hrsg) Benninghoff Anatomie, 17. Aufl. Urban & Fischer/Elsevier,
Eckstein F, von Eisenhardt-Rothe R, Landgraf J, Adam C, Löhe F, Müller-Gerbl PR (1997) Quantitative analysis of hip-joint incongruity, contact and articular cartilage thickness. Acta Anat 158:192–204CrossRefPubMed
Heimkes B, Posel P, Bolkart M (1992) The transgluteal approaches to the hip. Arch Orthop Trauma Surg 11:220–223CrossRef
Heimkes B, Posel P, Plitz W, Jansson V (1993) Forces acting on the juvenile hip joint in the one-legged stance. J Pediatr Orthop 13:431–336CrossRefPubMed
Kummer B (2005) Biomechanik. Form und Funktion des Bewegungsapparates. Deutscher Ärzteverlag, Köln
Legal H (1985) Osteotomies on hip dysplasia in the adult – planning with reference to differentiated biomechanical calculation. Z Orthop 123:465–469PubMed
Löhe F, Eckstein F, Sauer T, Putz RV (1996) Structure, strain and function of the transverse acetabular ligament. Acta Anat 157:315–323CrossRefPubMed
Müller-Gerbl M (1998) The subchondral bone plate. Adv Anat Embryol Cell Biol 141:1–134CrossRef
Pauwels F (1973) Atlas zur Biomechanik der gesunden und kranken Hüfte. Springer, HeidelbergCrossRef
Putz R (1993) Zur Anatomie des Schenkelhalses. Hefte Unfallheikund 228:10–16
Putz R, Kaiser E (1999) Vaskularisation des Schenkelhalses. Deutsche Ges. Chirurgie, Kongressband
Putz R, Schrank C (1998) Anatomie des labrokapsulären Komplexes. Orthopäde 27:675–680PubMed
Putz R, Simon U, Claes L, Nötzli HP, Wyss TF (2012) Funktionelle Anatomie und Biomechanik. In: Claes L, Kirschner P, Perka C, Rudert M (Hrsg) AE-Manual der Endoprothetik. Springer, Berlin/Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-14646-6_2CrossRef
Tillmann B (1969) Die Beanspruchung des menschlichen Hüftgelenks. III. Die Form der Facies lunata. Z Anat EntwicklGesch 128:329–349CrossRef
Tsutsumi M, Nimura A, Utsunomiya H, Akita K (2021) Dynamic changes of the joint capsule in relation to the zona orbicularis: An anatomical study with possible implications for hip stability mechanism. Clin Anat 34:1157–1164CrossRefPubMedPubMedCentral