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Cushing-Syndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Synonyme
Apert-Cushing-Sy; basophiler Hyperpituitarismus; Crooke-Apert-Gallais-Sy; Hyperkortisolismus; Incenko-Cushing-Krankheit
Oberbegriffe
Endokrine Dysfunktion.
Organe/Organsysteme
Nebennierenrinde, Niere, endokrines System.
Ätiologie
Der Hyperkortisolismus ist Folge einer endogenen Überproduktion oder resultiert aus einer exogenen Zufuhr hoher Dosen von Glukokortikoiden, durch welche die endokrine Steuerung der Hormonsynthese aus dem Gleichgewicht gerät. Ein ACTH-unabhängiger primärerer endogener Hyperkortisolismus wird häufig durch kortisolproduzierende NNR-Tumoren (bei Erwachsenen Adenome, bei Kindern überwiegend Karzinome) verursacht, seltener durch eine Hyperplasie der Nebennierenrinde. Zu einem sekundären endogenen Hyperkortisolismus führen die Überproduktion von ACTH in einem Mikroadenom des Hypophysenvorderlappens (Morbus Cushing) oder die ektope paraneoplastische ACTH-Produktion in kleinzelligen Bronchialkarzinomen oder Karzinoiden.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Paraneoplastische Ss, adrenogenitales Sy.

Symptome

Stammfettsucht, Büffelnacken und „Vollmondgesicht“ sind typische physiognomische Merkmale, die Hypercholesterinämie typisches laborchemisches Merkmal in Folge eines aktivierten Fettstoffwechsels. Häufig besteht ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom. Die Haut ist pergamentartig verdünnt und sehr leicht verletzbar. Die proximale Muskulatur ist geschwächt.
Bei 85 % der Patienten liegen eine arterielle Hypertonie und erhöhte Wasserretention vor. Bei ausgeprägtem Hyperkortisolismus kann die Störung der Knochenmatrixproduktion und Kalziumabsorption zu einer ausgeprägten Osteoporose mit schmerzlosen Spontanfrakturen führen. Darüber hinaus besteht meist eine diabetogene Stoffwechsellage sowie ein erhöhtes Thromboserisiko. In der Folge ist auch mit kardialen Beeinträchtigungen wie pulmonaler Hypertonie und ischämischer Herzerkrankung zu rechnen.
Typischerweise ist die zirkadiane Rhythmik der Kortisonausschüttung gestört. Die androgenen Nebeneffekte des Kortisons führen bei Frauen zu Virilismus, Hirsutismus sowie Störung des Menstruationszyklus. Bei Kindern kann es zum Wachstumsstillstand kommen. Die Entwicklung akuter Psychosen ist möglich. Eine Erniedrigung des Serumkaliumspiegels durch die Überproduktion von Mineralkortikoiden ist im Rahmen des Cushing-Sy selten.
Therapie
Bei Tumoren der NNR ist die Adrenalektomie Therapie der Wahl, beim hypothalamischen-hypophysären M. Cushing muss die transnasale oder transsphenoidale operative Entfernung des Adenoms erfolgen. Bei inoperablen NNR-Karzinomen und paraneoplastischer ektoper ACTH-Sekretion wird die Kortisolsynthese durch Gabe von adrenostatischen Substanzen (Ketoconazol und Octreotid) blockiert.

Anästhesierelevanz

Die anästhesiologische Betreuung der Patienten ist sowohl im Rahmen der primär chirurgischen Therapie erforderlich als auch während der Versorgung pathologischer Frakturen, die bei ca. 1/3 der Patienten auftreten. Eine besondere Anforderung an das anästhesiologische Vorgehen stellt der transsphenoidale Hypophyseneingriff im Hinblick auf die Lagerung und einen möglicherweise auftretenden Diabetes insipidus dar.
Die vergesellschaftet auftretenden Zustände Hypertonus und Diabetes erfordern eine besondere Aufmerksamkeit, da sie die perioperative Mortalität des Patienten erhöhen. Perioperativ ist die sorgfältige Überwachung und Substitution von Kortison erforderlich, um eine mögliche Addison-Krise diagnostizieren und therapieren zu können.
Das Eintreten einer Schwangerschaft bei manifestem Cushing-Sy ist selten, jedoch wird nicht selten während der Schwangerschaft ein zuvor stummes Adenom des Hypophysenvorderlappens klinisch auffällig und erfordert die chirurgische Therapie vor der Entbindung, da die medikamentöse Therapie nicht erstrebenswert und die Mortalität für Fetus und Mutter deutlich erhöht ist.
Spezielle präoperative Abklärung
Diagnostik und Abschätzung der Schwere bestehender Begleiterkrankungen und deren Organmanifestationen. Regulierung eines bestehenden Diabetes mellitus, effektive Kontrolle des Blutdrucks, Herstellung einer Isovolämie und eines ausgeglichenen Elektrolyt- und Säure-Basenhaushalts. Kontrolle der Kortisolwerte im Serum.
Wichtiges Monitoring
Blutzucker, BGA, EKG, Relaxometrie, Temperatur, invasive Blutdruckmessung, gegebenenfalls zentraler Venendruck. Je nach Ausmaß der kardialen Funktionseinschränkung erweitertes hämodynamisches Monitoring.
Vorgehen
Die minutiöse, vorsichtige Lagerung des Patienten ist unabdingbar, um Lagerungsschäden an Haut und Knochen zu verhindern. Entsprechendes Lagerungsmaterial muss in ausreichender Menge und Qualität bereitgestellt sein. Die Wahl des Anästhetikums richtet sich nach Art und Schwere der vorliegenden Begleiterkrankungen.
Bei der transsphenoidalen Tumorresektion muss mit starken Schwankungen des Blutdrucks nach nasaler Injektion von adrenalinhaltigen Lösungen gerechnet werden, so dass eine invasiv-arterielle Blutdruckmessung sinnvoll ist. Aufgrund der Nähe des Operationsgebietes zum Sinus cavernosus und der A. carotis interna ist ein plötzlicher Verlust von größeren Blutmengen möglich. Die präoperative Anlage großlumiger Venenzugänge ermöglicht den schnellen Ausgleich eines Volumendefizits.
Aufgrund der Stammfettsucht ist mit einer erschwerten Atemwegssicherung zu rechnen. Die Apnoe-Toleranz ist verringert.
Selten intraoperativ, jedoch regelmäßig postoperativ tritt ein temporärer Diabetes insipidus auf, so dass die Anlage eines Harnblasenkatheters unerlässlich ist. Eine engmaschige Überwachung von Blutzucker und Serumelektrolyten ist essenziell. Insbesondere am Ende der Operation ist es erforderlich, Pharynx und Magen von Blut- und Gewebeansammlungen zu befreien. Bei erhöhter Lagerung des Oberkörpers muss an die Gefahr einer Luftembolie gedacht werden. Glukokortikoide sollten in Absprache mit dem Operateur und Endokrinologen substituiert werden. In einigen Fällen wird die erfolgreiche Adenomresektion durch einen abgesunkenen ACTH-Spiegel am Morgen nach der Operation nachgewiesen. Eine perioperative Glukokortikoidgabe zur Prophylaxe einer Addison-Krise würde diesen Nachweis unmöglich machen.
Im Falle einer ausgeprägten Hyperkortisolämie und ineffizienter Wirkung oder unmöglicher enteraler Verabreichung von Metyrapon und Ketoconazol kann Etomidat in niedriger Dosierung i.v. (0,06 mg/kg/h) eingesetzt werden, um eine klinische Stabilisierung bis zur Operation zu erreichen. Hierbei wird die sonst unerwünschte Hemmung der Gluko- und Mineralkortikoidsynthese durch Etomidat therapeutisch genutzt. Zur Prophylaxe einer akuten Nebenniereninsuffizienz muss Hydrokortison intravenös unter engmaschiger Kontrolle der Blutspiegel substituiert werden.
Bei uni- oder bilateraler Adrenalektomie ist immer eine perioperative Glukokortikoidsubstitution erforderlich. Mit Beginn der Resektion werden beim Erwachsenen Hydrokortison in relativ hoher Dosierung, z. B. 200 mg kontinuierlich über 24 h i.v. gegeben, diese Dosis wird über 3 oder 6 Tage bis zu einer Erhaltungsdosis von 20–30 mg reduziert. Ab dem 3. postoperativen Tag sollte zusätzlich α-Fludrokortison gegeben werden in einer Dosierung von 0,05–0,1 mg am Tag. Die Dosierung muss an die Kortikoidproduktion der Restnebenniere angepasst werden.
Die bilaterale Adrenalektomie ist mit einem erhöhten Risiko eines Pneumothorax verbunden, so dass vor Wundverschluss danach gesucht und gegebenenfalls drainiert werden sollte. Bei 10 % der Patienten besteht neben dem Cushing-Sy ein nicht diagnostizierter Tumor der Hypophyse. Dieser potenziell invasive Tumor kann unter dem Abfall des Kortisonspiegels nach der Operation an Größe zunehmen und sich klinisch in Form einer Hyperpigmentierung durch Stimulation der Melanozyten und in massiver ACTH-Produktion (Nelson-Sy) manifestieren.
Perioperativ wurde eine erhöhte Pankreatitisinzidenz festgestellt, wobei eine mögliche Kausalität durch Propofol noch nicht endgültig geklärt ist. Infolge der erhöhten Glukokortikoidsynthese ist das Risiko für opportunistische Infektionen und gestörte Wundheilung erhöht.
Cave:
Auslösung von Herzrhythmusstörugen durch Hypokaliämie, verstärkte Sensibilität für Muskelrelaxanzien, erschwerte Entwöhnung vom Respirator.
Weiterführende Literatur
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