Autosomal-dominanter Gendefekt (SCN4A) am Chromosom 17q, welcher die α-Untereinheit des Na-Kanals im Skelettmuskel kodiert. Bei Kälte steigt die Natrium-Leitfähigkeit, was zu einer Absenkung des Ruhemembranpotenzials führt. Unter diesen Bedingungen wird die Auslösung von Aktionspotenzialen erheblich erleichtert, was sich klinisch als Myotonie (tonische Muskelspannung) manifestiert. Andererseits kann das Membranpotenzial auch so weit abgesenkt werden, dass die Muskelzellmembran unerregbar wird und eine Paralyse eintritt.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Adynamia episodica hereditaria, andere Ionenkanal-Erkrankungen (Myotonia congenita, Curshmann-Batten-Steinert-Sy, hyper- oder hypokaliämische periodische Lähmung, „central core disease“ und maligne Hyperthermie).
Symptome
In der Regel durch Kälte auslösbare intermittierende Muskelstarre, besonders an der Gesicht- und Handmuskulatur mit nachfolgend schlaffer Parese. Im Gegensatz zur Myotonia congenita wird die Steifheit und Schwäche durch Bewegung verstärkt (sog. paradoxe Myotonie). Besserung der Symptomatik bei Wärme. Das Syndrom verläuft nicht progredient.
Diagnostik
Die Elektromyographie zeigt pathologische Spontanaktivität in Form niederfrequenter Spontanentladungen für die Dauer von Minuten mit nachfolgender Muskelrelaxation.
Labor: Bestimmung der CK und der Transaminasen. Die CK ist häufig mehr als um das Zweifache erhöht.
Ggf. molekulargenetische Diagnostik.
Therapie
Eine ursächliche Therapie ist nicht bekannt. Je nach Mutation sind verschiedene Therapieansätze beschrieben worden.
Medikation der 1.Wahl sind Propafenon oder Flecainid unter kardiologischer Kontrolle. Die QT-Zeit sollte nicht länger als 500 ms betragen. Damit können die in Kälte aggravierte Myotonie und die kälteinduzierte Lähmung vermieden werden. Medikation der 2.Wahl ist Carbamazepin. Außerdem ist prophylaktische Wärmezufuhr sinnvoll. Die Rückbildung der Schwäche wird hierdurch jedoch nicht beschleunigt. Eine kaliumreiche Nahrungszufuhr kann die Symptomatik verstärken, kohlenhydratreiche Nahrung vermindert möglicherweise die Beschwerden.
Anästhesierelevanz
Anlass für die Anästhesie ist häufig die Durchführung einer Muskelbiopsie.
Spezielle präoperative Abklärung
Bei Patienten, die mit Antiarrhythmika behandelt werden: EKG-Kontrolle zum Ausschluss einer QRS-Verbreiterung oder QT-Intervall-Verlängerung. Bestimmung der Serumelektrolyte Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium und Phosphat und ggf. deren Optimierung.
Wichtiges Monitoring
Temperatur, Relaxometrie; bei längeren Eingriffen regelmäßig Elektrolytstatus bestimmen.
Vorgehen
Das Risiko einer malignen Hyperthermie bei der Paramyotonia congenita wird als gering eingestuft, jedoch sollte bis zur endgültige Diagnosestellung eine triggerfreie Anästhesie durchgeführt werden.
Die Verwendung von Propofol wird unterschiedlich bewertet: Neben Berichten über dessen problemlose Verwendung wird eine mögliche Verzögerung des Aufwachens diskutiert, wohl bedingt durch die Blockierung des Natrium-Einstroms.
Bei Patienten, die an Paramyotonia congenita erkrankt sind, ist die Vermeidung einer Hypothermie von größter Wichtigkeit. Dazu ist eine Anhebung der Temperatur im Operationssaal obligat. Insbesondere vor Beginn der Operation muss die Auskühlung des Patienten verhindert werden. Der Einsatz von Heizdecken und Wärmematten wird dringend empfohlen. Chirurgische Desinfektionslösungen sowie Infusionslösungen sollten gewärmt verwendet werden.
Succinylcholin und Anticholinergika können die Myotonie verstärken und sind daher kontraindiziert. Darüber hinaus ist eine Störung der Kaliumhomöostase mit Hyper- und Hypokaliämie unbedingt zu vermeiden. So kann auch die Gabe von Adrenalin über die Stimulation der β2-Rezeptoren zu einer Hypokaliämie mit allen Konsequenzen (kardiale Instabilität, Paralyse) führen. Engmaschige arterielle Blutgas- und Elektrolytanalysen (Kaliumhomöostase) sind empfehlenswert. Nichtdepolarisierende Muskelrelaxantien können in reduzierter Dosierung unter neuromuskulärem Monitoring eingesetzt werden.
Bei Auftreten von postoperativem Shivering frühzeitige Therapie mit Clonidin.
Cave
Anamnestische Hinweise bei Patienten ohne bisherige Anästhesieerfahrung ernst nehmen. Erhöhte Aufmerksamkeit bei Erwähnung von Muskelsteifheit der Finger nach Kälteexposition oder Berichte über Schwierigkeiten, den Handgriff zu lösen.
Bei extremer Hypothermie ist auch eine Beeinträchtigung der Zwerchfellfunktion möglich.
Bei Schwangeren droht die Gefahr eines kälteinduzierten Aborts. Die Kontrolle der Ausbreitung einer Regionalanästhesie darf nicht mit Kältereizen erfolgen.
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