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Syringomyelie

Verfasst von: Heike Kaltofen, Uta Emmig, Dierk A. Vagts und Peter Biro
Syringomyelie
Etymologie
Der Begriff leitet sich von dem griechischen Wort „syrinx“ für Rohr oder Höhle ab. Syringobulbie bezeichnet die Ausweitung der Hohlräume bis in die unteren Abschnitte des Gehirns.
Oberbegriffe
Dysraphiesyndrome.
Organe/Organsysteme
ZNS.
Inzidenz
8:100.000; Männer sind häufiger als Frauen betroffen.
Ätiologie
Von der angeborenen, primären Form der Syringomyelie (2 % der Fälle) wird die häufige sekundäre Form unterschieden. Erworbene Syringomelien können als Folge entzündlicher Prozesse, Traumen, Tumoren, Hydrozephalus, Spinalkanalstenosen entstehen. Allen Formen liegt eine Behinderung der Liquorzirkulation zugrunde, die zu einer flüssigkeitsgefülllten Höhle im Rückenmark führt. Die Bildung einer Syringomyelie nach thorakaler Epiduralanästhesie sowie nach Anlage eines intrathekalen Katheters zur Schmerztherapie ist beschrieben. Ein Fallbericht beschreibt eine nach Wochen auftretende Paraplegie infolge einer adhäsiven Arachnoiditis mit konsekutiver Syringomyelie nach einer Spinalanästhesie für eine Sectio caesarea. Die syringomyelose Form der Lepra kann mit der Bildung zystischer Rückenmarkläsionen vergesellschaftet sein.
Die Ursache der kongenitalen Form der Syringomyelie ist nach wie vor unbekannt.
Insbesondere in den zervikalen und thorakalen Abschnitten des Rückenmarks (C2-TH9) kommt es zu einer Höhlenbildung innerhalb der grauen Substanz. Morphologisch werden mit dem Liquor kommunizierende Zysten von nichtkommunizierenden Höhlen abgegrenzt, pathophysiologisch unterscheiden sich diese Formen in der Beeinflussung der Liquorzirkulation.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Mit Störung der Liquorzirkulation einhergehende Erkrankungen: McCune-Albright-Sy, von-Hippel-Lindau-Sy, Crouzon-Sy.
Ferner Schulter-Arm-Ss, hereditäre sensorische Neuropathie, Zervikalkanaleinengung.

Symptome

Ca. 50 % der Patienten entwickeln keine oder nur sehr milde Symptome. Die klinische Manifestation der Erkrankung erfolgt meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr und ist durch einen langsam progredienten Verlauf gekennzeichnet. Die Symptomatik hängt von der Lage der Syrinx ab.
Häufig fällt die Erkrankung mit diffusen Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich, Nacken- oder Kopfschmerzen auf. Ein asymmetrischer Verlust von Schmerz- und Temperaturempfindung aufgrund einer Zerstörung der kreuzenden Fasern des Tractus spinothalamicus unter Erhalt der Berührungs- und Lageempfindung ist für die Erkrankung typisch. Die Läsion im Vorderhorn führt zu einer Hyporeflexie und Inaktivierungsatrophie der Muskulatur. Bei Verlust der schützenden Schmerzempfindung kann es nach wiederholter Traumatisierung von Gelenken zu einer chronischen Schädigung kommen (sog. neurologische Arthropathie). Die motorischen Einschränkungen können von einer spastischen Parese bis zum kompletten Verlust der Beweglichkeit reichen. Auch eine Störung der Blasen- und Darmentleerung sowie eine sexuelle Funktionsstörung können auftreten.
Vergesellschaftet mit
Arnold-Chiari-Malformation (verkleinerte hintere Schädelgrube, Verschiebung von Kleinhirnanteilen durch das Foramen magnum nach kaudal), Spina bifida, Skoliose, Hydrozephalus. Durchblutungsstörungen und trophische Störungen der Haut, Schwellung der Hände. Selten kann sich ein Morvan-Sy mit fortschreitender, schmerzloser Fingereiterung ohne Heilungstendenz manifestieren. Durch eine Grenzstrangbeteiligung kann es zu einer Horner-Symptomatik kommen. Eine Entkalkung der Knochen kann zu spontanen Frakturen und Thoraxdeformitäten führen. Reicht die Lokalisation der Syrinx bis in den Hirnstamm, kommt es zur Hirnnervenbeteiligung mit Zungenatrophie, Empfindungsstörungen oder Schmerzen im Bereich des Gesichts, respiratorischer Beeinträchtigung.
Therapie
Bei asymptomatischen Syringomyelien kann zugewartet werden. Gelegentlich erfolgt eine spontane Rückbildung. Eine neurochirurgische Intervention ist je nach Lokalisation der Syrinx und neurologischer Symptomatik erforderlich. Ziel ist die Wiederherstellung einer normalen Liquorzirkulation. Im Falle eines erhöhten Hirndrucks besteht die Therapie in einer kraniozervikalen Dekompression, Laminektomie oder Anlage eines Shunts zur Ableitung von Liquor. Darüber hinaus verbessern schmerz- und physiotherapeutische Maßnahmen die Lebensqualität. Bei Vorliegen von spastischen Kontrakturen Therapieversuch mit Myotonolytika (z. B. Baclofen).

Anästhesierelevanz

Spezielle präoperative Abklärung
Erhebung und Dokumentation des neurologischen Status, evtl. bildgebende Diagnostik (MRT). Sicherer Ausschluss eines erhöhten intrakraniellen Drucks. Abklärung einer eventuellen respiratorischen Einschränkung mittels Lungenfunktionstestung.
Wichtiges Monitoring
Relaxometrie, ggf. invasive Blutdruckmessung.
Vorgehen
Häufig Anästhesie zu neurochirurgischen Eingriffen erforderlich. Das anästhesiologische Vorgehen richtet sich insbesondere nach dem Vorliegen eines erhöhten Hirndrucks und der Lage der Syringomyelie. Kopfhochlagerung, ausreichend tiefe Anästhesie, Vermeidung von Husten und Pressen, die Vermeidung von Succinylcholin sowie von hypertensiven Phasen. Suffiziente Oxygenierung sowie kontrollierte milde Hyperventilation sind Maßnahmen, die einer Erhöhung des Hirndrucks entgegenwirken. Liegt die Syringomyelie im Halsmarkbereich, sollte die endotracheale Intubation unter Immobilisation der HWS durchgeführt werden (z. B. mittels fiberoptische Intubation, Videolaryngoskopie).
Ventilations-Perfusions-Störungen durch Wirbelsäulendeformierungen und evtl. vorliegende Stimmbandlähmungen können den perioperativen Verlauf beeinträchtigen. Eine erhöhte Sensitivität auf nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien ist beschrieben worden, folglich ist eine Überwachung der neuromuskulären Übertragung erforderlich.
Eine Beteiligung des Grenzstrangs kann zu Veränderungen im autonomen Nervensystem führen. Bei der perioperativen Volumentherapie ist zu beachten, dass ein erhöhter Wasserverlust durch exzessives Schwitzen vorliegen kann, so dass die Volumenzufuhr dementsprechend erhöht werden muss.
Besteht bereits präoperativ eine chronische respiratorische Insuffizienz, so muss mit Komplikationen in der postoperativen Phase gerechnet und eine intensivmedizinische Überwachung sichergestellt werden.
Besondere anästhesiologische Anforderungen sind an die Betreuung von Schwangeren im Rahmen der Geburtshilfe gestellt, da intensives Pressen möglicherweise zu einer Verschlimmerung der Befunde führt. Häufig wird eine primäre Sectio caesarea in Allgemeinanästhesie durchgeführt, vielfach wird aber auch eine vaginale Entbindung oder Sectio caesarea unter Epiduralanästhesie begleitet. Auch komplikationslose Spinalanästhesien sind beschrieben. Die Sorge, dass eine rückenmarksnahe Anästhesie zu einer Kompression der Syrinx und Beeinträchtigung der Liquorzirkulation führt, konnte in der Literatur bisher nicht bestätigt werden. Besteht der Wunsch nach der Durchführung einer Regionalanästhesie, muss ein erhöhter intrakranieller Druck sicher ausgeschlossen und dokumentiert sein; Ausmaß und Lokalisation der Syrinx sowie neurologische Ausfälle müssen genau bekannt sein.
Cave:
Vorliegen eines erhöhten intrakraniellen Drucks, rückenmarknahe Regionalanästhesie auf Höhe der Läsion.
Weiterführende Literatur
Garvey G, Wasade V, Murphy K et al (2017) Anesthetic and obstetric management of syringomelia during labor and delivery: a case series and systematic review. Anesth Analg 125:913–924CrossRef
Killeen T, Kamat A, Walsh D et al (2012) Severe adhesive arachnoiditis resulting in progressive paraplegia following obstetric spinal anesthesia: a case report and review. Anesthesia 67:1386–1394CrossRef
Vandertop W (2014) Syringomelia. Neuropediatrics 45:3–9PubMed