Vor Orchiektomie, Tumorenukleation, Chemotherapie, testikulärer oder retroperitonealer Radiatio oder retroperitonealer Lymphadenektomie muss den Patienten mit potenziellem
Kinderwunsch die Möglichkeit zur
Kryokonservierung der Spermien als Zeugungsreserve gegeben werden (AWMF S2k Leitlinie
Fertilitätserhalt) (s. Kap. „Varikozele“). Die Indikation ist zu bescheinigen, damit eine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung für den Patienten abgesichert wird.
Die
Kryokonservierung von Spermien vor Therapiebeginn (aus dem Ejakulat oder bei Azoospermie aus dem Hodengewebe) ist die etablierte Möglichkeit für eine Fertilitätsreserve, die seit 01.07.2021 durch die gesetzlichen Krankenkassen bei Jugendlichen ab der
Pubertät und beim Erwachsenen bis zum 50. Lebensjahr erstattungsfähig ist (GBA Kryo-RL
2021) (s. Kap. „Kryokonservierung“). Bei der Therapie des KZT kann es bereits durch die einseitige Orchiektomie zu einer Verminderung der
Spermienkonzentration mit FSH-Erhöhung kommen. Wird eine nervenschonende modifizierte retroperitoneale Lymphadenektomie durchgeführt, wird in älteren Studien eine
Ejakulationsstörung (vor allem
retrograder Ejakulation) in 7–10 % der Patienten angegeben (Heidenreich et al.
2003). Aktuelle Follow-up Daten fast 14 Jahre nach abgeschlossener Behandlung beim nichtseminomatösen KZT im Stadium I zeigen jedoch eine retrograde Ejakulation bei 24 % der mit RLA behandelten Patienten (Hiester et al.
2021). Bei der nervschonenenden retroperitonealen Lymphadenektomie oder Residualtumorresektion liegen die Raten der retrograden Ejakulation oder Anejakulation mindestens zwischen 30 und 50 %, beim radikal-chirurgischen Vorgehen bei 100 %. Bei Durchführung einer Radiatio (s. Kap. „Orchitis“) kommt es in Abhängigkeit von der auf den verbliebenen Hoden einwirkenden Streustrahlung (zirka 1,7 Gy ohne Gonadenschutz, zirka 0,5 Gy mit Gonadenschutz) zu einer meist reversiblen
Störung der Spermatogenese (Hansen et al.
1990). Die auf Cisplatin beruhende Standardtherapie des KZT führt akut bei fast allen Patienten zu einer zumindest passageren
Azoospermie mit erhöhten FSH Werten. Wie bei der Radiatio, ist eine präzise Prognose der möglichen Langzeitfolgen der Chemotherapie auf die Spermatogenese aufgrund der großen individuellen Variation nicht möglich. Zu den Faktoren, die diese Variation beeinflussen, gehören neben der Dosis der Chemotherapie die Ausgangsspermienwerte und die Zeitdauer des Nachuntersuchungsintervalls. Bei den meisten Patienten kommt es zu einer zumindest partiellen Erholung der Spermatogenese während des zweiten bis vierten Jahres nach Beendigung der Chemotherapie des Hodentumors. Mit einer permanenten Azoospermie oder schweren Oligozoospermie muss bei Patienten gerechnet werden, die eine kumulative Gesamtdosis von über 600 mg/m
2 Cisplatin erhalten. Als Folge der Ablatio, Radiatio und Chemotherapie kann es zu einer Erhöhung des LH kommen. Die Testosteronspiegel bleiben jedoch zumeist im
Normalbereich. Bei insgesamt ca. 25 % der Patienten mit einem KZT kommt es im Verlauf nach Abschluss der onkologischen Therapie zu einem (häufig subklinischen) Testosteronmangel (Pühse et al.
2005). Bei entsprechender Symptomatik sollte dieser ebenso wie ein Testosteronmangel nach beidseitiger Orchiektomie mit
Testosteron substituiert werden (s. Kap. „Therapie mit Testosteron“) (Kliesch
2022).