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Andrologie
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Publiziert am: 28.07.2022

Lageanomalien der Hoden

Verfasst von: Julia Rohayem und Eberhard Nieschlag
Lageanomalien der Hoden stellen die häufigste Fehlbildung bei Jungen dar: In 1–5 % liegen bei termingerecht geborenen Jungen Gleit-, Leisten- oder Bauchhoden vor. Während der ersten neun Lebensmonate deszendieren einige Hoden im Zuge der weiteren Reifung, so dass die Prävalenz des Maldeszensus ohne Behandlung auf 1–1,5 % sinkt.
Ehemals maldeszendierte Testes können zu Fertilitätseinschränkungen des Mannes im reproduktiven Alter führen und endokrine testikuläre Funktionsstörungen bedingen. Bei zu später Behandlung birgt ein Maldeszensus testis ein erhöhtes Risiko für eine maligne Entartung.
Es wird vermutet, dass – unter anderen Faktoren – ein fetaler Androgenmangel bzw. eine unzureichende Androgenwirkung für einen gestörten Abstieg der Hoden ins Scrotum ursächlich ist. Dahingegen wird die abnorm hohe Umgebungstemperatur der Hoden bei extrascrotaler Lage sowohl für eine vermehrte Apoptose der Keimzellen mit Folge einer Fertilitätsbeeinträchtigung, als auch für das erhöhte Hoden-Keimzelltumor-Risiko ab dem frühen Mannesalter verantwortlich gemacht.
Eine persistierend maldeszendierte Hodenlage stellt daher eine absolute Behandlungsindikation dar; die hormonelle oder operative Korrektur sollte nach aktuellen Leitlinien zum ersten Geburtstag abgeschlossen sein. Eine frühe Korrektur kann das Risiko der Entstehung eines Hodentumors reduzieren und sich möglicherweise günstig auf die testikuläre Funktion im Jugend- und Erwachsenenalter auswirken.

Epidemiologie

Lageanomalien der Hoden, auch wenn sie im Kindesalter behandelt wurden, stellen eine häufige Ursache für Fertilitätseinschränkungen des Mannes im reproduktiven Alter dar. Bei 1–5 % aller termingeborenen Jungen liegt ein Maldeszensus testis vor (Berkowitz et al. 1993; Barthold et al. 2004). Dies bedeutet, dass die Hoden während der embryonalen und fetalen Entwicklungsperiode nicht regelrecht von der ursprünglichen Position nahe der Nierenanlagen in den Hodensack abgestiegen sind. Bei männlichen Frühgeborenen beträgt die Prävalenz eines Hodenhochstands in Abhängigkeit des Gestationsalters bis zu 45 %. Es ist möglich, dass maldeszendierte Hoden des Neugeborenen im Verlauf der ersten 6–9 Lebensmonate (im Rahmen der sogenannten „Minipubertät“) spontan ins Skrotum deszendieren. Daher liegt die Prävalenz von maldeszendierten Hoden nach dem 9. Lebensmonat nur noch bei 1–1,5 % (Toppari und Kaleva 1999). Bei ehemaligen Frühgeborenen liegt die Prävalenz bei 2 %.
Eine persistierend nicht-scrotale Hodenlage stellt eine absolute Behandlungsindikation dar. Dennoch finden sich auch bei adulten Männern noch testikuläre Lageanomalien, da die Empfehlungen zur frühen Korrektur auch in Westeuropa nach wie vor nicht konsequent umgesetzt werden (Bradshaw et al. 2014; Hensel et al. 2015).

Physiologie und Pathophysiologie des Deszensus testis

Physiologie

Der Deszensus beider Hoden vollzieht sich in utero zwischen der 7. und 38. Gestationswoche. Hierbei wandern die Gonaden zwischen der 7. und 12. Woche von der Gegend der Nierenanlagen durch den Bauchraum nach caudal, was als „transabdominelle Phase“ des Deszensus bezeichnet wird.
Zwischen dem 3. und 7. Monat verweilen die Testes in der Gegend des Inguinalkanals.
Um die 25. bis 28. Woche herum migrieren die Hoden weiter durch die kurz vorher entstandenen Leistenkanäle, um zwischen der 35. und 40. Woche ihre definitive Position im Hodensack zu erreichen. Dies wird als „inguino-scrotal Phase des Deszensus testis bezeichnet (Hutson et al. 2013).
Die gerichteten Vorgänge vollziehen sich unter der Führung des Ligamentum genito-inguinale (= Gubernaculum). Darüber hinaus sind Hormone an der Steuerung des Deszensus testis beteiligt: Das bindegewebige Keimdrüsenband entsteht im Laufe der 7. Woche aus dem unteren Gonadenband und verbindet beim frühen Fetus sowohl beide Hoden, als auch die Urogenitalleiste mit der jeweiligen Inguinalregion. Ab der 7. Woche schwillt das Gubernaculum unter dem Einfluss des Leydigzell-Produkts Insulin-like hormone 3 (INSL3) an. Das Sertolizell-Produkt Anti-Müller-Hormon (AMH) und das Androgen 5-alpha-Dihydrotestosteron (DHT) verstärken das Wachstum des Gubernaculums. Die Bildung dieser testikulären Hormone wird bis zum Ende des dritten Monats (10–12. Woche) durch das humane Choriongonadotropin (hCG) aus der Placenta stimuliert. Bis zur 12. Woche verkürzt sich das Gubernaculum und zieht hierdurch den Hoden, die Ductus deferentes und ihre Gefäße nach unten, nahe an den späteren Annulus inguinalis internus, was die „transabdominelle Phase“ des Deszensus testis abschließt. Testosteron und DHT induzieren im Anschluss die Regression des cranial gelegenen Ligamentum suspensorium testis. Zeitgleich entsteht entlang des unteren Gonadenbandes eine Ausstülpung des Peritoneums, der Prozessus vaginalis.
Ab der 9.–14. Woche induziert das fetale hypothalamische Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) die fetale hypophysäre LH-Sekretion, wodurch die Hoden zur Testosteron-Bildung angeregt werden. Ab dem 7. Monat differenziert sich der Nervus genito-femoralis, das Gubernaculum elongiert weiter und migriert nach caudal. Unter dem Einfluss beider Androgene, Testosteron und DHT, und vermittelt über das Calcitonin gene-related Peptide (CGRP) wird die Kontraktion des Gubernaculums ausgelöst, welche den Hoden, durch den Inguinalkanal, am Processus vaginals vorbei, in Richtung Skrotum verlagert (Hughes und Acerini 2008; Hutson et al. 2009).
Während des ersten Lebensjahres obliteriert der obere Teil des Prozessus vaginalis, im unteren Bereich bleibt als Relikt der Aussackung der Peritonealhöhle ventral der Testes die seröse Doppelblattstruktur der Tunica vaginalis bestehen.

Pathophysiologie

Die Ursachen einer Störung des Deszensus testis mit der Folge einer Lageanomalie der Hoden sind komplex und bis heute zum großen Teil ungeklärt.
Es wird vermutet, dass ein fetaler Androgenmangel für die inkomplette testikuläre Migration mitverantwortlich ist. Diese Hypothese ergibt sich aus der Beobachtung, dass ein testikulärer Maldeszensus gehäuft bei männlichen Neugeborenen mit einem kongenitalen hypogonadotropen Hypogonadismus (CHH) vorkommt (Pitteloud et al. 2002; Rohayem et al. 2016). Bei diesen Jungen besteht eine Störung der fetalen GnRH-Sekretion bzw. -Wirkung und infolgedessen ein intrauteriner Testosteronmangel. Darüber hinaus sind inguinale oder abdominelle Hodenlagen bei chromosomal männlichen Individuen mit einem Androgen-Rezeptor-Defekt zu finden, d. h. bei 46, XY-Individuen mit partieller (PAIS) oder kompletter Androgeninsensitivität (CAIS) (Hutson 1986). Auch chromosomal männliche Individuen mit einem 5-alpha-Reduktase-Defekt und mit einem hieraus resultierenden Mangel an DHT (Imperato-McGinley et al. 1974), sowie Individuen mit Störungen der Testosteron-Biosynthese und Untervirilisierung bei Geburt sind regelhaft von einem Hodenhochstand betroffen. Schließlich kommen Deszensusstörungen auch häufiger bei primären Anlagestörungen der Hoden infolge von Chromosomen-Anomalien (Klinefelter-Syndrom, XX testicular DSD; 46,XY/46,XX DSD) vor (Hiort et al. 2005). Aus diesen Beobachtungen resultiert, dass heute auch ein isolierter Maldeszensus testis als eine Störung der somato-sexuellen Entwicklung (DSD) betrachtet wird.
Eine weitere Hypothese zur Entstehung eines Maldeszensus beinhaltet, dass toxische (Nikotin, Ethanol, Pestizide), mechanische und neurologische Faktoren eine Rolle spielen könnten (Damgaard et al. 2008).
Anatomische Defekte, die über eine Hypotonie der Bauchwand zu einem erniedrigtem intraabdominellem Druck führen (z. B. beim Prune-Belly-Syndrom, bei einer Blasenexstrophie, Omphalozele oder Gastroschisis) finden sich in Assoziation mit einem Hodenhochstand. Es ist unklar, ob hier eine Kausalbeziehung besteht (Kaplan et al. 1986).
Was die Folgen eines Maldeszensus in Bezug auf die reproduktive Funktion Betroffener angeht, existieren zwei Hypothesen:
Zum einen ist bekannt, dass eine abnorm hohe Umgebungs-Temperatur der Hoden bei inguinaler Lage (35–37 °C), im Vergleich zur Temperatur bei Lage im Skrotum (33 °C), eine vermehrte Apoptose der Keimzellen begünstigt. Dies schränkt die Fertilität Betroffener ein und steigert das Entartungsrisiko der Keimzellen in den Gonaden (Zorgniotti 1982). Kürzlich wurde am Rattenmodell gezeigt, dass auch die Gen-Expression testikulärer Keimzellen temperatur-sensibel ist (Yadav et al. 2018).
Zum anderen wird vermutet, dass bei Jungen mit Lageanomalien der Hoden durch eine inadäquate Gonadotropin-Stimulation der Hoden zwischen dem 3. und 9. Lebensmonat (während der sog. „Mini-Pubertät“) die Umwandlung der Gonozyten in A-dark (Ad)-Spermatogonien beeinträchtigt wird (Hadziselimovic et al. 1986; Huff et al. 2001). Die Evidenz hierfür ist uneindeutig: Während einige Untersucher bei männlichen Säuglingen mit Lageanomalien der Hoden einen reduzierten Testosteron- (und LH-) Anstieg während der ersten 6 Lebensmonate beobachteten (Job et al. 1987, 1988; Pierik et al. 2009), maßen andere Untersucher normale LH-, FSH- und Testosteron- Spiegel (Barthold et al. 2004; Suomi et al. 2006; Cortes et al. 2016). Hadziselimovic postulierte, das eine Behandlung mit einem LHRH-Analogon nach einer Orchidopexie die Chancen für Fertilität im späteren Leben verbessert (Hadziselimovic und Herzog 1997). Von einigen Untersuchern wurden in der Histologie maldeszendierter Hoden eine erniedrigte Leydigzellzahl- bzw. eine Leydigzellhypoplasie beschrieben (Gotoh et al. 1984).

Klinik

  • Ein einseitiger Maldeszensus ist etwa fünfmal häufiger als ein beidseitiger. Je nach der Lokalisation der maldeszendierten Hoden (Abb. 1) unterscheidet man: Bauchhoden (Retentio testis abdominalis), Leistenhoden (Retentio testis inguinalis) und Gleithoden (Retentio testis praescrotalis).
  • Der Bauchhoden (Retentio testis abdominalis) befindet sich oberhalb des Inguinalkanals intraabdominal oder retroperitoneal und ist weder tast- noch sichtbar.
  • Leistenhoden (Retentio testis inguinalis) befinden sich fixiert im Leistenkanal (Abb. 2).
  • Auch Gleithoden (Retentio testis praescrotalis) gelten als behandlungsbedürftige Lageanomalie. Ein Gleithoden liegt mobil am distalen Ende des Leistenkanals und kann in das Skrotum herabgedrückt werden, rutscht aber unmittelbar nach dem Loslassen wieder in die Ausgangslage zurück.
  • Hiervon ist die Normvariante des Pendelhodens (engl.: „retractile testis“) abzugrenzen: Pendelhoden liegen bei warmer und entspannter Umgebung überwiegend im Scrotum und wandern lediglich bei Aktivierung des Cremaster-Reflexes bei Kältereiz oder Berührung vorübergehend in die Leiste.
  • Von einer Hodenektopie spricht man, wenn ein Hoden infolge einer abnormen Insertion des Gubernaculums außerhalb des normalen Deszensusweges zu liegen kommt und somit eine untypische Hodenlage resultiert: Es werden eine ectopia femoralis, perinealis, praefascialis, penilis und retrovesicalis unterschieden.
  • Der Begriff des Kryptorchismus beinhaltet einen nicht palpablen Hoden. In diesem Fall besteht entweder eine Anorchie bei Hodenagenesie (sog. „vanishing testes“), oder die Gonaden liegen oberhalb des Inguinalkanals im Bauchraum als „Abdominalhoden“ verborgen.
  • CAVE: Im Englischen wird „cryptorchidism“ für Lageanomalien allgemein verwendet.
Vom primären Maldeszensus ist die sekundäre Aszension des Hodens nach der Geburt bei primär intakten Gonaden abzugrenzen, die bei 1–2 % der Jungen auftritt. Sie ergibt sich aus einem inadäquaten Längenwachstum des Funiculus spermaticus infolge der Persistenz bindegewebiger Reststrukturen des Processus vaginalis (Clarnette et al. 1997).

Diagnostik

Die Diagnose eines Maldeszensus testis wird durch Palpation und ergänzende Sonografie gestellt.
Beim Säugling erfolgt die Untersuchung in Rückenlage. Hierbei ist es wichtig, dass die Umgebung warm ist, damit der Cremaster-Reflex nicht aktiviert wird. Beim Jungen, Jugendlichen oder beim erwachsenen Mann ist eine Untersuchung im Stehen sinnvoll. Mit der Untersuchung wird die Spannung am Samenstrang beim Zug am maldeszendierten Hoden und die hierdurch erreichbare Position des Hodens beurteilt. Außerdem werden die Hodenvolumina (mittels Prader-Orchiometrie) im Seitenvergleich dokumentiert.
Wenn sich beim Säugling oder Kleinkind Zweifel bzgl. der Hodenlage ergeben, können anamnestische Hinweise zur Dauer der beobachteten Hodenlage im Hodensack, ggf. ergänzt durch ein „Hodenlage-Tagebuch“ der Eltern hilfreich sein.
Die Sonografie des Scrotalinhaltes sowie der Leistenregion mit einem hochauflösenden (10–12 MHz) Linearschallkopf vervollständigt den Untersuchungsbefund (siehe Kap. „Ultraschallbidgebung in der Andrologie“).
Abdominalhoden entziehen sich regelmäßig der sonographischen Darstellung. Auch in der Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) kann die Darstellung von Bauchhoden problematisch sein. Daher (und auch aufgrund der Notwendigkeit einer Sedierung) wird im Säuglings- und Kleinkindes alter auf diese Form der Bildgebung regelmäßig verzichtet. Stattdessen ist bei einem Kryptorchismus im Kindesalter die laparaskopische Exploration des Bauchraums in Narkose indiziert.
Darüber hinaus empfiehlt sich die Durchführung einer Karyotypisierung, um zu explorieren, ob eine komplexere Variation der geschlechtlichen Differenzierung (DSD) besteht. Es kommen ein 46, XY DSD mit Untervirilisierung oder ein chromosomales DSD mit vorhandener Y-Zelllinie in Betracht.
Beim Säugling oder präpubertären Jungen mit Kryptorchismus hilft die Bestimmung der Sertolizellmarker Inhibin B und AMH einzuschätzen, ob funktionell aktives Hodengewebe vorhanden ist oder ob „vanishing testes“ vorliegen (siehe Kap. „Endokrine Labordiagnostik“).
Eine Funktionstestung mit hCG erlaubt es, Testosteron-produzierendes Gonaden-Gewebe nachzuweisen: Zwischen 8 und 10 Uhr morgens wird eine basale Serumprobe abgenommen und im Anschluss eine einmalige Dosis von 5000 IE/m2 KO i.m. appliziert. Weitere Blutproben werden nach 48 und 72 Stunden abgenommen.
  • Bei intakter präpubertärer Hodenfunktion wäre ein Anstieg des Serum-Testosteronspiegels nach 72 (−96) Stunden um das 10- bis 20-fache des Ausgangwertes zu erwarten (McEachern et al. 2004).
  • Im Fall einer chromosomalen Mosaik-Konstellation (z. B. 46, XY/45, X0 oder 46, XY/46, XX) oder einer anderen genetischen Ursache für eine gonadale Dysgenesie (siehe Kap. „Varianten der Geschlechtsentwicklung“), erlaubt der hCG-Test, die Funktionalität der präpubertären Gonade bzw. des testikulären Anteils der präpubertären Mischgonade abzuschätzen.
Wird ein Kryptorchismus im vorpubertären Alter als „vanishing testes“ fehldiagnostiziert, so kann eine (unerwartete) spontane Pubertätsentwicklung in der Adoleszenz darüber informieren, dass zumindest teilfunktionale Hoden intraabdominell oder ektop vorliegen müssen.

Therapie

Die Verlagerung maldeszendierter Hoden ins Skrotum erfolgt durch operative oder hormonelle Behandlung. Die aktuelle Empfehlung der S2k-Leitlinie (2016, 2018) „Hodenhochstand“ sieht eine definitive Behandlung des Maldeszensus testis bis zum Ende des ersten Lebensjahres vor. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit eines spontanen Deszensus in den ersten Monaten nach der Geburt ergibt sich ein optimaler Therapiezeitraum zwischen dem 6.–12. Lebensmonat. Für Frühgeborene wird das korrigierte Alter herangezogen.
Die European Society for Paediatric Urology Guidelines (Radmayr et al. 2017) empfehlen eine Behandlung der Lageanomalie bis zum Alter von 18 Monaten, und definieren die Orchidopexie als Standardtherapie, raten aber auf individualisierter Basis zur (neo)adjuvanten Hormontherapie, insbesondere bei bilateral undeszendierten Hoden.
Das empfohlene Alter für die Therapie des Maldeszensus testis wurde seit den 50er-Jahren immer weiter nach unten korrigiert (Ritzén et al. 2007; Mathers et al. 2009; Bradshaw et al. 2014). Dies geschah in der Annahme, dass die Hodenfunktion durch die frühzeitige Normalisierung der Umgebungstemperatur günstig beeinflusst werden könnte. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich die Positionierung der Hoden im Skrotum vorteilhaft auf das Hodenwachstum, die Zahl testikulärer Keimzellen und auf das Risiko einer malignen Entartung auswirkt (Cortes et al. 2001). Der Beweis, dass sich hierdurch die Fertilität im Erwachsenenalter verbessert, steht jedoch bis heute aus (Hadziselimovic und Herzog 2001; Tasian et al. 2009).

Operative Therapie

Die Erfolge der operativen Orchiolyse, der spannungsfreien Verlagerung ins Skrotum und Orchidopexie sind umso besser, je tiefer die primäre Hodenlage ist (Taran und Elder 2006). Die Gesamt-Erfolgsrate der Orchidopexie liegt bei ~90 % (Docimo 1995). Bei einer Hodenlage distal des äußeren Leistenringes (Häufigkeit: 25 %) beträgt die Erfolgsrate 92 %; bei Inguinalhoden (Häufigkeit: 69 %) liegt sie bei 87 %, bei intraabdominaler Hodenlage (Häufigkeit: 6 %) bei 74 %.
Bei Kryptorchismus und laparaskopischem Nachweis von makroskopisch unauffälligen Abdominalhoden wird die Orchiolyse und Pexie in gleicher Sitzung angestrebt. Für den Fall einer testikulären Atrophie (Häufigkeit: 45 %!), ist die Entfernung des gonadalen Restgewebes, sowie der Nebenhoden und Samenstranggebilde indiziert. Gegebenenfalls muss der Eingriff zweizeitig nach Fowler-Stephens (Stephens 1988) erfolgen.
Die Autotransplantation unter Anwendung mikrochirurgischer Techniken (Erfolgsrate ca. 86 %) wird erst im postpubertären Alter angesichts des zuvor geringen Gefäßdurchmessers erwogen oder (in spezialisierten Zentren) bei beidseitig hohen Abdominalhoden in laparoskopisch assistierter Technik (LATA) durchgeführt (Bukowski et al. 1995). Bei Bauchhoden liegen oftmals anatomische Veränderungen vor (Han et al. 2004).
Bei Patienten mit Abdominalhoden und zusätzlichen Leistenhernien, bei Patienten mit ektopen Hoden oder bei Zustand nach Voroperationen ist immer die primär chirurgische Therapie indiziert.
Häufigste Komplikationen einer Operation bei Maldezensus ist die Hodenatrophie. Diese wird in ca. 2 % der Fälle beobachtet, davon treten ca. 1 % nach Ligatur der A. testikularis (OP nach Fowler-Stephens) auf. Bei mikrovaskulärer Autotransplantation ist in 20–30 % mit einer Hodenatrophie zu rechnen. Weitere Komplikationen sind die Durchtrennung des N. ileo-inguinalis mit Hyposensibilität im betroffenen Hautareal, die Durchtrennung des Ductus deferens und die akzidentelle Einnaht des N. ileoinguinalis in die Faszie mit Schmerzfolge. Ein Rezidiv des Hochstandes nach Pexie tritt in 1–5 % auf.

Hormontherapie

Die Hormontherapie wird aktuell in den Leitlinien nur noch beim Gleithoden empfohlen, nachdem die nordischen Länder schon vor vielen Jahren die Hormontherapie in den Hintergrund gestellt hatten (Ritzén et al. 2007). In den vergangenen Jahren standen in Deutschland die Empfehlungen für das hormon-therapeutische Vorgehen noch mehr im Vordergrund (Henna et al. 2004). Die aktuelle Zurückhaltung resultiert daraus, dass eine schädigende Wirkung von hCG befürchtet wird: Es wurde beobachtet, dass hCG (oder GnRH) und/oder der nachfolgende Androgenentzug eine vermehrte Keimzell-Apoptose zur Folge hat, bzw. die Zahl der Spermatogonien/Tubulus reduziert, insbesondere, wenn nach dem ersten Lebensjahr behandelt wird (Dunkel et al. 1997; Heiskanen et al. 1996). Im Rahmen anderer histologischer Untersuchungen zeigte sich, dass eine hCG-Behandlung die Dichte an interstitiellem Gewebe und die Dichte an Blutgefäßen (im Vergleich zu Hoden in scrotaler Lage und im Vergleich zu Hoden ohne hormonelle Behandlung) erhöht (Kaleva et al. 1996). Wieder eine andere Gruppe beobachtete, dass bei 1–3 Jahre alten Jungen mit maldeszendierten Hoden und GnRH- oder hCG- Vorbehandlung die Zahl der Spermatogonien pro Tubulus („fertility index“) niedriger war als bei rein chirurgisch behandelten Jungen (Cortes et al. 2000). Im Gegensatz hierzu war in einer anderen Studienkohorte der „fertility index“ in der mit GnRH vorbehandelten Patienten höher als bei nicht behandelten (Schwentner et al. 2005).
Aufgrund dieser uneindeutigen Datenlage, werden in den aktuellen Leitlinien Hormontherapeutika nur nachrangig erwähnt.
Eine hormonelle Behandlung maldeszendierter Hoden kann durch die isolierte Applikation von GnRH oder von humanem Choriongonadotropin (hCG) oder in Form einer sequenziellen Hormontherapie erfolgen.
Folgende Dosierungen sind etabliert:
  • GnRH/Gonadorelin-Nasenspray: 3 x täglich wird ein 200-μg-Sprühstoß je Nasenloch über einen Zeitraum von 4 Wochen verabreicht.
    • Die Erfolgsraten liegen bei 18–21 % (Li et al. 2016).
  • hCG: bei Jungen bis 2 Jahren ein Mal/Woche werden 500 IE i.m. über einen Gesamt-Zeitraum von 3(−5) Wochen verabreicht.
    • Die Erfolgsraten liegen bei 19–25 % (Pyörälä et al. 1995; Henna et al. 2004);
    • 0–50 % bei unilateralem Maldeszensus und 0–22 % bei bilateralem Maldeszensus (Wei et al. 2018).
  • Bei Jungen im Alter von 2–6 Jahren wird die hCG-Dosierung verdoppelt (1000 IE hCG pro Injektion), bei einem Behandlungsalter von über 6 Jahren vervierfacht (2000 IE hCG pro Injektion)
Die Hormontherapie ist umso erfolgreicher, je weiter der Hoden primär spontan deszendiert ist (Kaleva et al. 1996). Eine zusätzliche Verabreichung von FSH führt nicht zu besseren Therapieergebnissen (Hoorweg-Nijman et al. 1994). Die Re-Aszensionsrate nach erfolgreicher Hormontherapie beträgt circa 24 % (Pyörälä et al. 1995).
Mögliche Nebenwirkungen der Hormontherapie sind vermehrte Erektionen, vorzeitiges Peniswachstum, Schmerzen im Genitale und vorzeitiges Wachstum von Schamhaaren.
Die Hormonsubstitution als therapeutische Möglichkeit bei Maldeszensus sollte ganz besonders bei Neugeborenen und Säuglingen Beachtung finden, bei denen beidseitig maldeszendierte Hoden in Kombination mit einen Mikropenis oder in Kombination mit einer neonatalen Hypoglykämie und/oder einem Icterus prolongatus (als Symptome der angeborenen Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz) vorliegen. Da hier mit großer Wahrscheinlichkeit eine zentrale Störung der gonadotropen Achse zugrunde liegt, ist eine Behandlung des Maldeszensus innerhalb der ersten Lebensmonate mittels einer kombinierten Gonadotropin-Substitution (rLH und rFSH), die subcutan oder über Insulinpumpe appliziert wird, sehr erfolgreich (Bougnères et al. 2008; Lambert und Bougneres 2016; Kohva et al. 2019). Der Deszensus ins Scrotum wird sogar induziert, wenn Abdominalhoden vorliegen (Papadimitriou et al. 2019).
Auch bei Adoleszenten mit einem kongenitalen hypogonadotropem Hypogonadismus (CHH) und mit einem bis dahin unbehandeltem Maldeszensus testis kann eine kombinierte Therapie mit hCG und rFSH (die primär mit dem Ziel der pubertären Reifungsinduktion durchgeführt wird) noch zu einem spontanen Deszensus führen (eigene Beobachtungen).

Auswirkungen der neonatalen testikulären Lageanomalie auf die Hodenfunktion im Erwachsenenalter

Hodengröße

Auch wenn eine unilaterale oder bilaterale testikuläre Lageanomalie erfolgreich behandelt wurde, kann ein unzureichendes Wachstum des betroffenen Hodens in der Vorpubertät (Kollin et al. 2007, 2012) und in der Pubertät (Varela-Cives et al. 2015; Sadov et al. 2016) resultieren.
Bei ein- oder beidseitiger Anorchie oder testikulärer Atrophie kann im pubertären Alter ein signifikanter Leidensdruck durch die fehlenden Hoden im Scrotum entstehen. Hier kann die Implantation von Hodenprothesen angeboten werden.

Endokrine Hodenfunktion

Der Hodenhochstand des Neugeborenen beeinflusst die Leydigzell-Funktion der Hoden im Erwachsenenalter: Männer mit ehemals uni- oder bilateralem Maldeszensus testis haben im Durchschnitt höhere LH- und geringfügig niedrigere Testosteronspiegel als gesunde Kontrollen (kompensierter hypergonadotroper Hypogonadismus). Selten kommt es zur endokrinen Dekompensation des Hypogonadismus (LH und FSH erhöht, Serum-Testosteron erniedrigt), so dass sich ein lebenslanger Testosteron-Supplementationsbedarf ergibt (Rohayem et al. 2017).
Die Testosteron-Substitution zur Pubertätsinduktion und lebenslangen Testosteron-Supplementation ist indiziert, wenn sich infolge einer testikulären Atrophie oder gonadalen Dysgenesie im Jugendalter eine Stagnation oder ein Abfall des Serum-Testosteronspiegels vor Erreichen eines Spiegels im adulten Bereich abzeichnet.

Spermatogenese und Vaterschaftsraten

Der Hodenhochstand des Neugeborenen beeinflusst die spermatogenetische Funktion der Hoden im reproduktiven Alter des Mannes: Bei ehemals einseitigem Maldeszensus ist in über 70 %, bei ehemals beidseitigem Hodenhochstand in knapp 90 % mit einer Einschränkung der Spermienzahlen im Ejakulat (Oligo- oder Azoospermie) zu rechnen (Yavetz et al. 1992; Okuyama et al. 1989; D’Agostino et al. 1996; Cortes et al. 2001). Vaterschaftsraten bei Männern mit ehemals bilateralem Hodenhochstand liegen bei 65 %, versus 88 % bei Männern mit ehemals unilateralem Maldeszensus, versus 93 % in der Kontrollpopulation (Lee und Coughlin 2001; Miller et al. 2001; Lee 2005).

Keimzelltumor-Risiko

Die Hodentumor-Inzidenz nach Lageanomalie der Hoden beträgt 1: 2000 Männern (Inzidenz bei Männern ohne Hodenhochstand: 1: 10.000 Männern). Somit ergibt sich ein 5-fach (2,75- bis 8-fach) erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines malignen Tumors, auch nach erfolgreich behandeltem Maldeszensus (Giwercman et al. 1987; Pettersson et al. 2007). In 20 % ist der kontralaterale Hoden von einem Hodentumor betroffen. Es wurde gezeigt, dass durch eine Orchidopexie, die vor dem 12. Lebensjahr erfolgt, das Entartungsrisiko auf eine 2-bis 3-fache Erhöhung (im Vergleich zu Kontrollpopulation) reduziert werden kann (Pettersson et al. 2007; Cortes et al. 2001).

Therapeutische Optionen bei Azoospermie

Bei Azoospermie im Erwachsenenalter und bei Kinderwunsch besteht die Möglichkeit einer operativen Gewinnung von testikulären Spermien (TESE). Ein prädiktiver Marker, der vorhersagen kann, ob sich noch „Inseln“ mit intakter Rest-Spermatogenese in den ehemals maldeszendierten Hoden befinden, ist nicht bekannt. Das operative Verfahren zur Gewinnung von testikulären Spermien ist die (mikrochirurgische) testikuläre Spermienextraktion microTESE. Die Kombination mit einer intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) kann derzeit bei 30–40 % aller Männer mit nicht-obstruktiv bedingter Azoospermie eine biologische Vaterschaft ermöglichen (Vloeberghs et al. 2015). Für Männer mit in der Kindheit unbehandelt gebliebenen maldeszendierten Hoden und Azoospermie, bei denen erst im Erwachsenenalter eine Orchidopexie versucht wird, bestehen nur geringe Chancen für eine Vaterschaft (Muncey et al. 2021).

Zusammenfassung

  • Die Ursachen eines Maldeszensus sind komplex und zum großen Teil unverstanden.
  • Zu den langfristigen Folgen eines Hodenhochstands zählen Infertilität durch Oligo- oder Azoospermie, Hodentumorentwicklung und eine Beeinträchtigung der Leydigzell-Funktion, die sich als kompensierter, selten als substitutionsbedürftiger Hypogonadismus äußert.
  • Eine frühe Korrektur der extraskrotalen Hodenlage durch hormonelle oder chirurgische Maßnahmen kann das Risiko der Entstehung eines Hodentumors reduzieren und sich möglicherweise günstig auf die testikuläre Funktion im Erwachsenenalter auswirken.
  • Derzeit wird die operative Korrektur der testikulären Lageanomalie vor Abschluss des ersten Lebensjahrs als der therapeutische Goldstandard favorisiert.
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