Die Verlagerung maldeszendierter Hoden ins Skrotum erfolgt durch
operative oder hormonelle Behandlung. Die aktuelle Empfehlung der S2k-Leitlinie (
2016, 2018) „Hodenhochstand“ sieht eine definitive Behandlung des Maldeszensus testis bis zum Ende des ersten Lebensjahres vor. Unter Berücksichtigung der Möglichkeit eines spontanen Deszensus in den ersten Monaten nach der Geburt ergibt sich ein
optimaler Therapiezeitraum zwischen dem 6.–12. Lebensmonat. Für Frühgeborene wird das korrigierte Alter herangezogen.
Die European Society for Paediatric Urology Guidelines (Radmayr et al.
2017) empfehlen eine Behandlung der Lageanomalie bis zum Alter von 18 Monaten, und definieren die Orchidopexie
als Standardtherapie, raten aber auf individualisierter Basis zur (neo)adjuvanten Hormontherapie, insbesondere bei bilateral undeszendierten Hoden.
Das empfohlene Alter für die Therapie des Maldeszensus testis wurde seit den 50er-Jahren immer weiter nach unten korrigiert (Ritzén et al.
2007; Mathers et al.
2009; Bradshaw et al.
2014). Dies geschah in der Annahme, dass die Hodenfunktion durch die frühzeitige Normalisierung der Umgebungstemperatur günstig beeinflusst werden könnte. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich die Positionierung der Hoden im Skrotum vorteilhaft auf das Hodenwachstum, die Zahl testikulärer Keimzellen und auf das Risiko einer malignen Entartung auswirkt (Cortes et al.
2001). Der Beweis, dass sich hierdurch die Fertilität im Erwachsenenalter verbessert, steht jedoch bis heute aus (Hadziselimovic und Herzog
2001; Tasian et al.
2009).
Operative Therapie
Die Erfolge der operativen
Orchiolyse,
der spannungsfreien Verlagerung ins Skrotum und
Orchidopexie sind umso besser, je tiefer die primäre Hodenlage ist (Taran und Elder
2006). Die Gesamt-Erfolgsrate der Orchidopexie liegt bei ~90 % (Docimo
1995). Bei einer Hodenlage distal des äußeren Leistenringes (Häufigkeit: 25 %) beträgt die Erfolgsrate 92 %; bei Inguinalhoden (Häufigkeit: 69 %) liegt sie bei 87 %, bei intraabdominaler Hodenlage (Häufigkeit: 6 %) bei 74 %.
Bei Kryptorchismus und laparaskopischem Nachweis von makroskopisch unauffälligen Abdominalhoden wird die Orchiolyse und Pexie in gleicher Sitzung angestrebt. Für den Fall einer testikulären Atrophie (Häufigkeit: 45 %!), ist die Entfernung des gonadalen Restgewebes, sowie der Nebenhoden und Samenstranggebilde indiziert. Gegebenenfalls muss der Eingriff zweizeitig nach Fowler-Stephens (Stephens
1988) erfolgen.
Die
Autotransplantation unter Anwendung mikrochirurgischer Techniken (Erfolgsrate ca. 86 %) wird erst im postpubertären Alter angesichts des zuvor geringen Gefäßdurchmessers erwogen oder (in spezialisierten Zentren) bei beidseitig hohen Abdominalhoden in laparoskopisch assistierter Technik (LATA) durchgeführt (Bukowski et al.
1995). Bei Bauchhoden liegen oftmals anatomische Veränderungen vor (Han et al.
2004).
Bei Patienten mit Abdominalhoden und zusätzlichen Leistenhernien, bei Patienten mit ektopen Hoden oder bei Zustand nach Voroperationen ist immer die primär chirurgische Therapie indiziert.
Häufigste Komplikationen einer Operation bei Maldezensus ist die Hodenatrophie. Diese wird in ca. 2 % der Fälle beobachtet, davon treten ca. 1 % nach Ligatur der A. testikularis (OP nach Fowler-Stephens) auf. Bei mikrovaskulärer Autotransplantation ist in 20–30 % mit einer Hodenatrophie zu rechnen. Weitere Komplikationen sind die Durchtrennung des N. ileo-inguinalis mit Hyposensibilität im betroffenen Hautareal, die Durchtrennung des Ductus deferens und die akzidentelle Einnaht des N. ileoinguinalis in die Faszie mit Schmerzfolge. Ein Rezidiv des Hochstandes nach Pexie tritt in 1–5 % auf.
Hormontherapie
Die
Hormontherapie wird aktuell in den Leitlinien
nur noch beim Gleithoden empfohlen, nachdem die nordischen Länder schon vor vielen Jahren die Hormontherapie in den Hintergrund gestellt hatten (Ritzén et al.
2007). In den vergangenen Jahren standen in Deutschland die Empfehlungen für das hormon-therapeutische Vorgehen noch mehr im Vordergrund (Henna et al.
2004). Die aktuelle Zurückhaltung resultiert daraus, dass eine
schädigende Wirkung von hCG befürchtet wird: Es wurde beobachtet, dass hCG
(oder GnRH
) und/oder der nachfolgende
Androgenentzug eine vermehrte Keimzell-Apoptose zur Folge hat, bzw. die Zahl der Spermatogonien/Tubulus reduziert, insbesondere, wenn nach dem ersten Lebensjahr behandelt wird (Dunkel et al.
1997; Heiskanen et al.
1996). Im Rahmen anderer histologischer Untersuchungen zeigte sich, dass eine hCG-Behandlung die Dichte an interstitiellem Gewebe und die Dichte an Blutgefäßen (im Vergleich zu Hoden in scrotaler Lage und im Vergleich zu Hoden ohne hormonelle Behandlung) erhöht (Kaleva et al.
1996). Wieder eine andere Gruppe beobachtete, dass bei 1–3 Jahre alten Jungen mit maldeszendierten Hoden und GnRH- oder hCG- Vorbehandlung die Zahl der Spermatogonien pro Tubulus („fertility index“) niedriger war als bei rein chirurgisch behandelten Jungen (Cortes et al.
2000). Im Gegensatz hierzu war in einer anderen Studienkohorte der „fertility index“ in der mit GnRH vorbehandelten Patienten höher als bei nicht behandelten (Schwentner et al.
2005).
Aufgrund dieser uneindeutigen Datenlage, werden in den aktuellen Leitlinien Hormontherapeutika nur nachrangig erwähnt.
Eine hormonelle Behandlung maldeszendierter Hoden kann durch die isolierte Applikation von GnRH oder von humanem Choriongonadotropin (hCG) oder in Form einer sequenziellen Hormontherapie erfolgen.
Folgende Dosierungen sind etabliert:
Die Hormontherapie ist umso erfolgreicher, je weiter der Hoden primär spontan deszendiert ist (Kaleva et al.
1996). Eine zusätzliche Verabreichung von FSH führt nicht zu besseren Therapieergebnissen (Hoorweg-Nijman et al.
1994). Die Re-Aszensionsrate nach erfolgreicher Hormontherapie beträgt circa 24 % (Pyörälä et al.
1995).
Mögliche Nebenwirkungen der Hormontherapie sind vermehrte Erektionen, vorzeitiges Peniswachstum, Schmerzen im Genitale und vorzeitiges Wachstum von Schamhaaren.
Die Hormonsubstitution als therapeutische Möglichkeit bei Maldeszensus sollte ganz besonders bei
Neugeborenen und Säuglingen Beachtung finden, bei denen
beidseitig maldeszendierte Hoden in Kombination mit einen Mikropenis oder in Kombination mit einer neonatalen
Hypoglykämie und/oder einem Icterus prolongatus (als Symptome der angeborenen Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz) vorliegen. Da hier mit großer Wahrscheinlichkeit eine
zentrale Störung der gonadotropen Achse zugrunde liegt, ist eine Behandlung des Maldeszensus innerhalb der ersten Lebensmonate mittels einer kombinierten
Gonadotropin-Substitution (rLH und rFSH), die subcutan oder über Insulinpumpe appliziert wird, sehr erfolgreich (Bougnères et al.
2008; Lambert und Bougneres
2016; Kohva et al.
2019). Der Deszensus ins Scrotum wird sogar induziert, wenn Abdominalhoden vorliegen (Papadimitriou et al.
2019).
Auch bei Adoleszenten mit einem kongenitalen hypogonadotropem Hypogonadismus (CHH) und mit einem bis dahin unbehandeltem Maldeszensus testis kann eine kombinierte Therapie mit hCG und rFSH (die primär mit dem Ziel der pubertären Reifungsinduktion durchgeführt wird) noch zu einem spontanen Deszensus führen (eigene Beobachtungen).