Einführung
Die Behandlung von Hautkrankheiten mit ionisierenden Strahlen
ergänzt das physikalisch-therapeutische Arsenal des Dermatologen, setzt aber entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten voraus, die nach den jeweils gültigen gesetzlichen Bestimmungen zu erwerben und nachzuweisen sind. Näheres regeln die Ausführungsbestimmungen zur Novelle der Röntgenverordnung beziehungsweise der Strahlenschutzverordnung.
Die folgenden Ausführungen sind zwar primär für Dermatologen verfasst, die weiterhin Röntgenweichstrahltherapie betreiben, andererseits jedoch auch für diejenigen von Interesse, die diese Therapieoption an die Strahlentherapeuten und Radioonkologen abgegeben haben. Denn auch in diesem Fall sind Kenntnisse der Anwendung ionisierender Strahlung bei dermatologischen Erkrankungen erforderlich, um den Patienten voll umfänglich über die therapeutischen Alternativen im konkreten Einzelfall aufklären zu können, insbesondere bei wesentlichen Kontraindikationen für einen operativen Eingriff.
Dosisbegriffe und Dosiseinheiten
Bestrahlungsplanung
Vor Beginn jeder
Strahlentherapie müssen eine definitive klinische und histologische Diagnose sowie eine schriftliche
Einwilligung des Patienten vorliegen. Das Therapieziel (kurativ oder palliativ) wird festgelegt. Die Eindringtiefe und die Ausdehnung des Tumors müssen mit geeigneten Methoden bestimmt oder abgeschätzt werden. Das Bestrahlungsfeld ergibt sich aus der Fläche der Ausdehnung des Tumors zuzüglich eines Sicherheitsabstandes von 5–10 mm (je nach Indikation) und wird angezeichnet. Die Strahlungsintensität muss so bemessen sein, dass am unteren Rand des Tumors erstens 50 % der Oberflächendosis erreicht (
Gewebehalbwerttiefe)
und zweitens 1,5 Gy pro Fraktion nicht unterschritten werden. Aus diesen Vorgaben errechnet sich tumorspezifisch die Höhe der Einzelfraktion, die am Gerät über die Röhrenspannung, den FHA und die Bestrahlungszeit eingestellt werden. Bei alten Weichstrahlgeräten (Dermopan, RT 100) erfolgt diese Einstellung von Hand, bei neuen Weichstrahlgeräten prozessorgesteuert und computerunterstützt. Anschließend erfolgen in Abhängigkeit von Diagnose und Therapieziel die Festlegung der zu erreichenden Gesamtdosis sowie die Anzahl der Einzelfraktionen und der Fraktionen pro Woche.
Die Anzahl der Einzelfraktionen und ihre Verteilung entscheiden nicht nur über die therapeutische Wirkung (Erholung des Tumorgewebes bei zu langen Abständen), sondern auch über die Nebenwirkungen, insbesondere
Fibrose, epidermale Atrophie und Spätulzeration. Entgegen älteren Vorstellungen, bei denen die Höhe der Einzelfraktion nur eine untergeordnete Rolle spielte, wird in der modernen
Strahlentherapie das
linear-quadratische Modell zugrunde gelegt. Als Ergebnis der Übertragung dieses Modells auf die Röntgenweichstrahltherapie von Hauterkrankungen sollten möglichst kleine Einzelfraktionen gewählt werden, die jedoch unter Beachtung der Minimaldosis am unteren Tumorrand für die meisten Indikationen 3 Gy nicht unterschreiten dürften. Bis zu fünf Fraktionen pro Woche sind möglich, für eine echte Hyperfraktionierung (mehr als eine Fraktion pro Tag) existieren in der dermatologischen Röntgenweichstrahltherapie keine Protokolle.
Alle oben angestellten Überlegungen müssen
vor Therapiebeginn in einem schriftlichen Bestrahlungsplan festgehalten werden. Der Verlauf der Bestrahlung und Abweichungen von diesem Bestrahlungsplan müssen schriftlich protokolliert und gegebenenfalls begründet werden. Die
Aufbewahrungsfrist für alle mit einer
Strahlentherapie zusammenhängenden Unterlagen beträgt auch nach der neuen
Röntgenverordnung im Gegensatz zu sonstigen medizinischen Unterlagen 30 Jahre.
Bestrahlungsquellen
Grenzstrahlen
Es handelt sich um sehr weiche, bei einer Spannung von 10–14,5 kV erzeugte Strahlen, die nur in die Epidermis und das obere Korium eindringen. Eine Aluminiumfilterung erübrigt sich, allerdings ist ein Berylliumfenster (siehe unten) vor der Röntgenröhre erforderlich. Grenzstrahlen kommen nur bei sehr oberflächlichen Hauterkrankungen in Betracht. Bei größeren Einzeldosen (<10 Gy) kann es zu oberflächlichen Poikilodermien kommen.
Röntgenweichstrahlen
Sie wurden möglich nach Einführung von Beryllium-gefensterten Röntgenröhren. Beryllium lässt wegen seines geringen Atomgewichts weiche Röntgenstrahlen durchtreten, die bei anderen Fenstern bereits durch Eigenfilterung verloren gehen. Hier ist also die geringe Härte der austretenden Strahlung für den steilen Dosisabfall im Gewebe verantwortlich. Die klassischen Weichstrahlgeräte, das Dermopan (Siemens) und das RT-100 (Müller) werden seit einigen Jahren nicht mehr gebaut, es existieren jedoch noch zahlreiche, zum Teil mehrere Jahrzehnte alte Geräte, die nach wie vor funktionsfähig und zugelassen sind. Mittlerweile gibt es in Deutschland jedoch wieder mehrere Hersteller, die Weichstrahlgeräte herstellen. Der Bedienungskomfort und die Fehlersicherheit sind gegenüber den alten Geräten durch prozessorgesteuerte Bestrahlungsprogramme, meist auf Windows-Basis (was ihre Einbindung in gängige Praxis- und Klinikumsadministrationssoftware erleichtert), deutlich gestiegen; dieser Komfort hat jedoch auch seinen Preis. Daneben gibt es mehrere Anbieter in den USA (Bucky-Corporation) und dem europäischen Ausland (Schweden, Schweiz, Großbritannien, Frankreich), die Grenz- und Weichstrahlgeräte herstellen. Die früher geübte Röntgenfernbestrahlung ist durch die Möglichkeit der Ganzhautbestrahlung mittels Linearbeschleunigern weitgehend verdrängt worden.
Teilchenbeschleuniger
Es werden Linear-und Umlaufbeschleuniger eingesetzt. Sie sind zur Erzeugung von Elektronen- und Photonenstrahlen definierter Energie geeignet, die zwischen 4–40 MV liegen kann. Im Gegensatz zur Röntgenstrahlung liegt das Dosismaximum nicht an der Hautoberfläche und fällt von dort exponentiell ab, sondern je nach Strahlungsenergie wenige Millimeter bis einige Zentimeter in der Tiefe. Der Vorteil liegt bei der Bestrahlung tieferer Strukturen (Lymphknoten, Organmetastasen) darin, dass die Haut weniger Energie absorbiert und somit die Entwicklung eines kutanen Strahlensyndroms mit bullöser Reaktion oder Radionekrose – in der Ära der Röntgentiefentherapie von Neoplasien eine fast obligate Nebenwirkung – praktisch nicht mehr vorkommt. Bei der Behandlung von intraepidermal oder dermal gelegenen Prozessen stellt diese physikalische Besonderheit der Elektronenstrahlung jedoch einen Nachteil dar, da sie den Einsatz von Plexiglasphantomen erfordert, durch die der Aufbaueffekt quasi oberhalb der Hautoberfläche eingeleitet und das Dosismaximum in die oberen Hautschichten fokussiert wird.
Da Teilchenbeschleuniger
einen steilen Dosisaufbau zu einem Maximum und einen ebenso schnellen Dosisabfall erzeugen, wird für die Bestrahlungsplanung nicht die Gewebehalbwerttiefe, sondern die 80 % Isodosenverteilung herangezogen. Das zu bestrahlende Tumorgewebe sollte allseits im Bereich der 80 % Isodose liegen. Durch aufwendige Bestrahlungsplanungen, die im Dialog zwischen Therapeuten und Physiker meist am Phantom computerunterstützt simuliert werden, ist es möglich, die therapeutische Wirkung auf das Tumorgewebe zu maximieren und das Nebenwirkungsrisiko zu minimieren. Für die Bestrahlung von im Hautorgan gelegenen Prozessen ist dieser personelle und materielle Aufwand eigentlich angesichts der vergleichsweisen Einfachheit und Sicherheit der Röntgenweichstrahltherapie jedoch unangemessen. Hinzu kommt, dass es bei Teilchenbeschleunigern bedingt durch die Strahlenphysik schwieriger ist, die seitliche Begrenzung des Bestrahlungsfeldes auf der Hautoberfläche exakt festzulegen als bei Röntgenweichstrahlen.
Telecurie-Geräte
Durch Verwendung fester
60Co- und
137Cs-Quellen, die eine höher energetische Gammastrahlung emittieren, kann eine Halbtiefen- und Tiefentherapie durchgeführt werden. Der Aufbaueffekt ist geringer ausgeprägt als bei Teilchenbeschleunigern, kann aber therapeutisch genutzt werden. Telecurie-Geräte
stellen höchste Anforderungen an den Strahlenschutz, da es sich im Gegensatz zu Röntgengeräten und Teilchenbeschleunigern, bei denen nur im eingeschalteten Zustand ein Strahlenrisiko besteht, um permanent strahlende Quellen handelt. Die hohe Dosisleistung von bis zu 15 Gy/min am Auslassfenster führt selten, aber immer wieder zu schwerwiegenden Unfällen, bei denen es regelmäßig zu Expositionen des Hautorgans mit Einzeldosen von 60–90 Gy und mehr kommt. Die akzidentelle Exposition mit beim Bau von Pipelines verwendeten 137Cs-Prüfstrahlern führt jährlich weltweit zu Dutzenden von Unfällen, in deren Folge es bei Industriearbeitern durch die Folgen des kutanen Strahlensyndroms zum Verlust der Hände oder noch schwerwiegenderen Verletzungen kommt. In den letzten Jahren wurden sehr zielgenaue Geräte zur selektiven Ausschaltung von Hirntumoren und Hirnmetastasen entwickelt (Gamma-knife-Therapie).
Künstliche radioaktive Isotope
Isotope
wie 60Co, 137Cs oder 192Ir (daneben noch Rhutenium in der Kontakttherapie des okulären Melanoms) werden als Perlen, Drähte oder Platten mit dem Tumorgewebe in Kontakt gebracht. Der Vorteil der Methode liegt in der exakten tumorspezifischen Applikation und der möglichen Minimierung von Bestrahlung des umgebenden oder darunterliegenden gesunden Gewebes und der Verminderung des Erholungseffekts des Tumors durch Bestrahlungspausen, der Nachteil in der zum Teil schwierigen und teils nicht unblutigen Applikation, die bei multimorbiden Patienten einen sonst wesentlichen Vorteil der Strahlentherapie wieder aufhebt. Die Anwendung erfolgt durch Radioonkologen.
Künstliche β-Strahler
Sie sind durch ihre Eindringtiefe von nur wenigen Millimetern für eine oberflächliche
Strahlentherapie von Hauterkrankungen besonders geeignet. Im Allgemeinen wird das radioaktive
Strontium (
90Sr) verwendet, das mit einer Halbwertzeit von 21,6 Jahren in das radioaktive Yttrium
90Y zerfällt. Aus diesem entsteht das radioaktive Zirkonium (
99Zr), das mit einer Halbwertzeit von 2,4 Tagen eine reine β-Strahlung
von maximal 2,35 MV emittiert. Die Präparate kommen als Platten (umschlossene β-Strahler) 90Sr-90Y (Buchler) zur Anwendung.
Strahlenarten für spezielle Anwendungen (Neutronen, Protonen, schwere Ionen)
Diese Strahlenqualitäten sind nur in wenigen Zentren verfügbar, ihre Herstellung ist extrem aufwendig und bewegt sich zum Teil im Grenzbereich des mit den Kenntnissen der heutigen Physik Möglichen. Gemeinsam sind ihnen eine geringere Eindringtiefe und die Möglichkeit einer millimetergenauen Fokussierung. Hieraus ergibt sich ein großes Potenzial in der Behandlung oberflächlicher Weichteilmetastasen im Kopf-Hals-Bereich und bei Hirnmetastasen. Nachteilig sind bei allen aufgeführten Strahlenarten die extrem hohen Kosten. Größere Bedeutung hat mittlerweile vor allem die Neutronen- und die (Borionen-) Neutroneneinfangtherapie
bei Lymphknoten- und Thoraxwandmetastasen des Melanoms erlangt.