Einführung
Die Anwendung ionisierender Strahlung
zur Behandlung gutartiger Erkrankungen ist in den letzten Jahren in der Dermatologie zunehmend zurückgegangen. In der Vergangenheit wurde ionisierende Strahlung beispielsweise zur Behandlung der
Tinea capitis verwendet, als wirksame antimykotische systemische Therapeutika noch nicht zur Verfügung standen. In medizinischen Museen können heute die alten Helme besichtigt werden, die zur Expositionskontrolle der verschiedenen Quadranten der Kopfhaut mittels Gleitverschlüssen eingesetzt wurden.
In ähnlicher Weise wurde Röntgentherapie zur Behandlung der
Akne wegen ihres sebostatischen Effekts eingesetzt, der erst die systemische Retinoidtherapie überlegen war. In fortgeschrittenem Alter weisen diese Patienten ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsen- und Brustkrebs auf.
Die Wirkungen einer Langzeitexposition mit erheblich niedrigeren Dosen konnten an den Fingern von Zahnärzten beobachtet werden, die während einer Zahnaufnahme die Röntgenfilme in Position hielten, an den Händen von Kardiologen, die mit den ersten Fluoroskopieanlagen experimentierten und sogar an den Füßen von Schuhverkäufern, die ihren Kunden an Fluoroskopiegeräten den Sitz ihrer Schuhe demonstrierten.
Auch die Anwendung ionisierender Strahlung ohne ärztliche Überwachung kann Probleme verursachen. Wegen der früher gebräuchlichen Epilationsbehandlung wie beim Damenbart durch nichtärztliches Personal, sollte bei älteren Frauen mit poikilodermatischen Hautbefunden an Oberlippen und Kinn eine diesbezügliche Anamnese erfolgen.
In ähnlicher Weise erhielten Psoriasispatienten insbesondere bei Nagelpsoriasis gelegentlich exzessive Dosen an den Nägeln, entweder wegen eines zu enthusiastischen Einsatzes der Röntgentherapie durch Ärzte oder weil die Patienten bei Rezidiven einen neuen Arzt aufsuchten, wenn ihr bisheriger Arzt eine weitere Röntgentherapie wegen Erreichens der weitgehend sicheren Gesamtdosis von 5–7 Gy verweigerte.
Trotz zahlreicher Fortschritte im
Strahlenschutz gibt es nach wie vor auch in Krankenhäusern ein Risiko einer unerwünschten Strahlenexposition
sowohl für das medizinische Personal wie für die Patienten, wobei sich derartige Effekte oft erst mit langjähriger Verzögerung offenbaren. So zeigten sich erst in den 1990er-Jahren, Jahrzehnte nach dem Einsatz von Fluoroskopiegeräten in der Koronarangiografie, die ersten Fälle eines
kutanen Strahlensyndroms. Diagnostische Maßnahmen unter Einsatz ionisierender Strahlen sind meist von kurzer Dauer und erfordern nur geringe Strahlendosen pro Untersuchung, aber bei therapeutischen Eingriffen einschließlich der Herzkatheterisierung mit perkutaner transluminaler Koronarangioplastie oder einer Radiofrequenzkatheterablation können Oberflächendosen an der Haut erreicht werden, die ausreichen, um ein kutanes Strahlensyndrom zu induzieren. Als häufigste Fehldiagnose wird in diesen Fällen ein fixes Arzneiexanthem vermutet, da sich die Überexposition der Haut zunächst als scharf begrenzte, schuppende Macula oder Plaque manifestiert. Besonders adipöse Patienten haben diesbezüglich ein höheres Risiko, da bei ihnen für eine exakte Darstellung der Koronargefäße höhere Dosen benötigt werden. Es sollte bedacht werden, dass auch die kontralaterale Austrittsfläche statt der Eintrittsfläche betroffen sein kann.
Natürlich stellt die
Strahlentherapie auch eine wesentliche Komponente zahlreicher onkologischer Therapiekonzepte dar. Der zumindest in Europa und den USA erreichte, sehr hohe technische Standard unter Einsatz von computergesteuerten Linearbeschleunigern mit multiplen Eintrittsfenstern statt Röntgengeräten, führte zu einer deutlichen Reduktion der Oberflächendosis und damit therapiebedingter Nebenwirkungen am Hauteintrittsfenster. Allerdings führen einige Chemotherapeutika zu einer zusätzlichen Sensibilisierung der Haut oder anderer Gewebe gegenüber ionisierender Strahlung. Eine seltene, aber charakteristische Nebenwirkung einer onkologischen Chemo- oder Immuntherapie stellt der
radiation-recall dar, bei dem es während oder nach der Chemotherapie oder Immuntherapie an in der Vergangenheit bestrahlten Lokalisationen zur Ausprägung eines klinischen Bildes kommen kann, das dem kutanen Strahlensyndrom ähnelt.
Mehrere Monate bis Jahre nach Brustkrebsbestrahlung, selten aber auch nach diagnostischen Maßnahmen unter Einsatz höherer Dosen ionisierender Strahlung, kann es zur Strahlenfibrose
im Bestrahlungsfeld kommen, entweder oberflächlich unter dem Bild einer
zirkumskripten Sklerodermie oder auch das tiefere Brustgewebe betreffend. In diesen fibrotischen Arealen können sich selten, auch noch Jahrzehnte nach Bestrahlung, ein sklerodermiformes
Basalzellkarzinom oder ein Fibrosarkom entwickeln.
Die vaskulären Veränderungen nach Strahlenexposition der Haut umfassen neben harmlosen und kosmetisch störenden oder Juckreiz verursachenden Teleangiektasien und gutartigen
Hämangiomen selten auch
Angiosarkome, auf deren Entstehung im Rahmen der onkologischen und strahlentherapeutischen Nachsorge geachtet werden muss.
Eine neue ernst zu nehmende Option der akzidentellen Exposition stellt der gezielte
Einsatz nuklearen Materials bei Aktivitäten des internationalen
Terrorismus oder des organisierten Verbrechens dar. Hierbei sind drei Varianten denkbar, die für den klinischen Dermatologen von unterschiedlicher Relevanz sind:
-
Detonation eines kleinen nuklearen Sprengkörpers, beispielsweise in belebten Innenstädten
-
Einbringung radioaktiver Nuklide, meist kurzer Reichweite, in einen konventionellen Sprengsatz
-
Gezielter Einbau radioaktiver Quellen in Gegenstände des täglichen Gebrauchs (wie Schreibtischstühle, Autositze) zur Elimination von Einzelpersonen
Bei allen Szenarien resultiert eine inhomogene Teilkörperexposition, in deren Rahmen an der
Körperoberfläche absorbierte Dosen von 60–100 Gy und mehr erreicht werden. Je nach Natur des Nuklids oder Nuklidgemischs, insbesondere bei geringem Gamma- und Neutronenanteil, ergibt sich bereits nach wenigen Zentimetern ein rascher Dosisabfall, sodass am
Knochenmark keine letalen Dosen erreicht werden. Hieraus resultiert, dass bei derartigen Unfällen vor allem die Haut betroffen ist.
Dies gilt nicht nur für α- und β-Strahlen emittierende Quellen, sondern auch für solche, deren Radioaktivität wesentlich durch γ-Strahlung bestimmt ist (137Cs, 60Co). Charakteristisch für solche Unfälle ist, dass initial nicht an die Strahlenexposition gedacht wird und die frühen, oft abortiven Symptome nicht korrekt eingeordnet werden. Somit entsteht die für den Therapeuten paradoxe Situation, dass sich die Patienten oft mit akut behandlungsbedürftigen Erscheinungen erstmals vorstellen, obwohl seit dem Expositionsereignis Tage oder gar Wochen vergangen sind. Die Kenntnis des Ablaufs der pathophysiologischen Reaktionen ist daher von großer Bedeutung für die korrekte Einordnung solcher Befunde und die rechtzeitige Durchführung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen, die das Auftreten des Vollbildes der kutanen Strahlenreaktion verhindern könnten.
Therapie
Tritt das kutane Strahlensyndrom als Folge einer Kontamination der Haut mit radioaktiven Nukliden auf, muss vor Therapiebeginn dekontaminiert werden. Dies erfolgt nach Entfernen der Kleidung (trivial, aber immer wieder vergessen), die oft bereits bis zu 80 % der Oberflächenradioaktivität enthält, mittels lauwarmen Wassers, dem bestenfalls ein pH-neutrales Syndet zugesetzt wird. Je nach Zusammensetzung der kontaminierenden Nuklide werden spezifische, topisch anwendbare Ionenaustauscher und Chelatbildner eingesetzt. Hyperämisierende Maßnahmen und lipophile Externa sind vor
Dekontamination kontraindiziert, da sie die Resorption radioaktiver Partikel verstärken.
Ist angesichts der Ausdehnung des Prodromalerythems ein lebensbedrohliches (mehr als 10 %
Körperoberfläche) Manifestationsstadium zu erwarten, sollten bereits in der Latenzphase hochdosiert topisch und systemisch
Glukokortikoide (1–10 mg Methylprednisolon/kg KG/Tag) eingesetzt werden, um die Ausprägung des Manifestationsstadiums zu attenuieren.
Während des Manifestationsstadiums muss die Therapie verbrennungsmedizinische Erkenntnisse berücksichtigen (Flüssigkeitsersatz, Analgesie, Infektprophylaxe). Kommt es zu hämorrhagischen Nekrosen, sind diese häufig mit Problemkeimen kontaminiert, möglicherweise als Ausdruck der reduzierten Immunabwehr.
Demarkierte Nekrosen können chirurgisch abgetragen werden. Für die Defekte kommen die Prinzipien der feuchten Wundbehandlung zur Anwendung. Die früher geübte großzügige Umschneidung lässt sich durch eine effiziente präoperative antiinflammatorische Behandlung oft vermeiden.
Im Gegensatz zu Strahlenulzera nach einer Röntgentiefen- oder Elektronentherapie können operative Defekte nach kontaminationsbedingter Strahlenexposition der Haut durch Nuklide kurzer Reichweite auch mit Spalthaut- und Vollhauttransplantaten gedeckt werden, da die tiefen muskulären und subkutanen Gefäße noch intakt sind.
In der Therapie des chronischen Stadiums wurden erhebliche Fortschritte erzielt. Die
Fibrose lässt sich entweder durch eine Kombinationstherapie mit
Vitamin E (Tocopherol 500 mg/Tag) und Pentoxyfyllin (3-mal 400 mg/Tag) für 6–18 Monate oder durch die subkutane Injektion von Interferon-γ (Imukin, 3–6 Mio. IE subkutan 3-mal/Woche) für 3–12 Monate behandeln. Der Erfolg einer Behandlung mit Interferon-γ setzt schneller, etwa nach 8–12 Wochen ein. Die Therapie mit Pentoxyfyllin und Vitamin E ist erheblich preiswerter und stellt weniger Anforderungen an die Logistik (keine Kühlkette), allerdings ist ein Wirkungseintritt frühestens nach 5–6 Monaten zu erwarten. Dies ist bei der Aufklärung der Patienten zu berücksichtigen. Neuerdings wurden im Tierversuch Erfolge mit intramuskulär injizierten autologen adipösen Stammzellen bei der Therapie des kutanen Strahlensyndroms berichtet. Systematische Untersuchungen dieses therapeutischen Ansatzes am Menschen stehen aus.
Keratosen können mit topischen
Retinoiden behandelt werden. Ob der Übergang in Plattenepithelkarzinome durch deren Einsatz verhindert oder minimiert werden kann, ist zwar denkbar, bisher aber nicht sichergestellt.
Eine effiziente Rehydratation mit rückfettenden, linolsäure- und harnstoffhaltigen Externa ist entscheidend, um dem ständigen transepidermalen Wasserverlust zu begegnen.
Die im chronischen Stadium häufigen Teleangiektasien sind bei stärkerer Ausprägung oft mit brennenden Missempfindungen und einem ständigen lokalen Hitzegefühl assoziiert, was die Patienten erheblich stören kann. Hieraus ergibt sich eine relative Indikation zur Lasertherapie der Teleangiektasien beispielsweise mit Diodenlasern.
Grundsätzlich bedürfen Patienten, die an einem kutanen Strahlensyndrom leiden, einer lebenslangen Therapie und Nachsorge.