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Braun-Falco's Dermatologie, Venerologie und Allergologie
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Publiziert am: 30.03.2017 Bitte beachten Sie v.a. beim therapeutischen Vorgehen das Erscheinungsdatum des Beitrags.

Funktionelle Angiopathien

Verfasst von: Roland Kaufmann
Als funktionelle Angiopathien werden chronische Zirkulationsstörungen der Endstrombahn in Arteriolen, Kapillaren und Venolen zusammengefasst. Hierbei lassen sich umschriebene klinische Bilder herausstellen, denen eine veränderte Thermoregulation der Vasomotorik in akralen Körperregionen gemeinsam ist: Vaskuläre Akro-Syndrome. Anomalien mit primärer Vasospastik im Einstromgebiet können von solchen mit vermehrter Blutzufuhr unterschieden werden. Wenngleich im Einzelfall ein erheblicher subjektiver Krankheitswert bestehen kann, sind diese meist auf konstitutionell-vegetativer Basis beruhenden Störungen der Mikrozirkulation im Gegensatz zu den abzugrenzenden organischen Gefäßschäden allerdings relativ harmlos.

Einführung

Als funktionelle Angiopathien werden chronische Zirkulationsstörungen der Endstrombahn in Arteriolen, Kapillaren und Venolen zusammengefasst. Hierbei lassen sich umschriebene klinische Bilder herausstellen, denen eine veränderte Thermoregulation der Vasomotorik in akralen Körperregionen gemeinsam ist: Vaskuläre Akro-Syndrome. Anomalien mit primärer Vasospastik im Einstromgebiet können von solchen mit vermehrter Blutzufuhr unterschieden werden. Wenngleich im Einzelfall ein erheblicher subjektiver Krankheitswert bestehen kann, sind diese meist auf konstitutionell-vegetativer Basis beruhenden Störungen der Mikrozirkulation im Gegensatz zu den abzugrenzenden organischen Gefäßschäden allerdings relativ harmlos.

Akrozyanose (Crocq 1896)

Synonym
Akroasphyxie
Epidemiologie
Die Prävalenz wird auf 5–10 % geschätzt. Es sind vorwiegend junge Frauen mit Beginn der Beschwerden meist in der Pubertät und spontaner Besserung im 3.–4. Lebensjahrzehnt betroffen.
Ätiopathogenese
Die genaue Ursache ist unbekannt. Familiäre Häufung weist auf genetische Disposition hin. Es wird eine vegetative Dysregulation der Mikrozirkulation diskutiert, mit Störungen sowohl im Zwischenhirn-Hypophysen-System als auch im spinalen Reflexgeschehen und einer erhöhten Kälteempfindlichkeit der Gefäßwandmuskulatur. Das sauerstoffarme Blut verbleibt in den atonisch weiten venösen Kapillarschenkeln und nachfolgenden Venolen, während die Arteriolen durch gesteigerten Tonus verengt sind. Wie auch beim Morbus Raynaud finden sich bei den Betroffenen erhöhte Endothelin-1-Plasmaspiegel und ein vermehrtes Ansprechen von Endothelin-1 auf Kältereize.
Klinik
Das Bild ist geprägt von zyanotischer Verfärbung und herabgesetzter Hauttemperatur der Körperakren, oft begleitet von Hyperhidrose und teigigen Schwellungen (Abb. 1). Betroffen sind Hände und Füße, fakultativ auch Arme, Beine, Nase, Wangen, Ohren, Glutäen oder die äußeren unteren Quadranten der Mammae. Die blauroten Hautgebiete fühlen sich kalt, Palmae und Plantae durch Hyperhidrose gewöhnlich feucht an. Kissenartige teigige Schwellungen können besonders an den Händen hinzukommen. Störend werden nicht nur die kalten Hände und Füße, sondern gelegentlich auch lästige Taubheitsgefühle empfunden (Akrocyanosis chronica anaesthetica). Der Zustand verschlimmert sich bei Kälteexposition sowie bei Arbeiten in feuchtkaltem Milieu und erfährt eine weitgehende Besserung in der Wärme.
Diagnostisch typisch ist das Irisblendenphänomen. Nach Fingerdruck schließt sich der anämisierte Fleck langsam irisblendenartig vom Rand her, während die Hautfarbe normalerweise rasch vom Grund her gleichmäßig wiederkehrt (Abb. 2). Danach folgt zunächst eine arterielle Hyperämie als hellroter „Zinnoberfleck“, dann wieder die Zyanose.
Differenzialdiagnose
Neben den idiopathischen Formen kann die Akrozyanose symptomatisch bei chronischen Herz- und Lungenkrankheiten, myeloproliferativen Systemerkrankungen, neurologischen Erkrankungen, Kälteagglutininkrankheit (Akrocyanosis haemopathica), Kryoglobulinämie, Infektionskrankheiten (Mononucleosis infectiosa), Malnutrition (Bulimie, Anorexia nervosa) oder auch medikamentös induziert auftreten, so im Zusammenhang mit Amyl- und Butylnitratabusus bei HIV/AIDS-Patienten sowie unter Interferon-α-Therapie.
Akrozyanose bei Akrodermatitis chronica atrophicans ist histologisch und klinisch durch das Übergehen in Atrophie abzugrenzen: Die Borrelien-Serologie ist positiv. Morbus Raynaud zeichnet sich durch das typische Anfallsgeschehen aus. Feuchtkalte blasse Akren bei Akrorhigose (akrales Frieren bei funktionellen Gefäßstörungen) lassen die Zyanose vermissen.
Verlauf
Die Beschwerden verlieren sich im 3.–4. Jahrzehnt. Für die Prognose ist zu berücksichtigen, dass die Akrozyanose als Terrainfaktor eine erhöhte Anfälligkeit für weitere Dermatosen bedeutet. Neben Verrucae vulgares und Pilzinfektionen (Tinea manuum et pedum, Candida-Paronychie) werden Pyodermien begünstigt, die in akrozyanotischen Bereichen langwieriger verlaufen. Akrozyanotische Haut prädisponiert auch für Lupus vulgaris, papulonekrotisches Tuberkulid, Erythema induratum Bazin, Pernionen oder Chilblainlupus als Variante des Lupus erythematodes chronicus.
Therapie
Eine sichere medikamentöse Behandlung ist nicht möglich. Wichtig sind Kälteschutz durch geeignete Kleidung und Wärmeanwendungen in Form von Wechselbädern, Teilbädern, Sauna sowie Einreibungen mit hyperämisierenden Substanzen wie Salicylsäure- und Nikotinsäurederivaten. Physikalische Therapie wie Bindegewebe- und Unterwassermassagen sowie aktive sportliche Betätigung sind empfehlenswert.

Erythrocyanosis crurum puellarum (Klingmüller 1921)

Epidemiologie
Die Erythrocyanosis crurum puellarum kommt häufig bei Mädchen und jungen Frauen vor, begünstigt durch dünne oder kurze Bekleidung und Adipositas.
Ätiopathogenese
Ein stark entwickeltes Fettpolster schützt das Körperinnere vor Wärmeverlust, isoliert in gleicher Weise aber auch die über ihm liegende Haut und setzt sie verstärkt Kälteeinflüssen aus. Bei Neigung zu Akrozyanose treten daher Hautveränderungen in Regionen auf, die einerseits stark entwickeltes subkutanes Fett aufweisen, andererseits infolge der Kleidermode Kältereizen ausgesetzt sind. Endokrine Dysfunktionen scheinen mitbestimmend zu sein.
Klinik
Es handelt sich um eine Variante der Akrozyanose mit Auftreten von Zinnoberflecken, Zyanose und polsterartigen Schwellungen an den Beinen unter chronischem Kälteeinfluss. Auffällig ist die Neigung zu allgemeiner Akrozyanose und Perniosis follicularis, manchmal begleitet von Keratosis follicularis. Die Erythrocyanosis crurum kann von der Innenseite der Oberschenkel und der Knieregion bis auf die unteren Drittel der Unterschenkelaußenseite reichen. Man findet livide, unscharf gegen die Umgebung abgesetzte, bläuliche Hautverfärbungen, die durch eingestreute hellrote Flecken besonders typisch sind. Wie bei Akrozyanose und Cutis marmorata ist auch hier das Irisblendenphänomen positiv. Die lividen Zonen reagieren auf Scheuern und Fingerdruck reaktiv mit arteriell-hyperämischen Zinnoberflecken. Während die rein funktionelle Akroasphyxie sich in der Wärme ausgleicht, führt Kälte zu einer anatomischen Schädigung der paralytischen Gefäße, zieht also auch entzündliche Vorgänge nach sich. Hinzu kommt ein Ödem, durch das die befallenen Areale pastös aussehen; es stellen sich in der kalten Jahreszeit auch pernioartige Indurationen ein. Hautkälte findet sich ebenso wie bei Akrozyanose.
Differenzialdiagnose
Perniones, nodöse Erytheme, Pannikulitis sind abzugrenzen.
Verlauf
Wie bei Akrozyanose ist mit einer spontanen Besserung im 3.–4. Lebensjahrzehnt zu rechnen. Persistierende Restzustände kommen aber nach stärkerer Kälteschädigung der Gefäße vor. Die chronisch-funktionelle Durchblutungsstörung kann eine Abwehrschwäche der Haut bedeuten und Folgeerkrankungen wie bei Akrozyanose begünstigen.
Therapie
Sie entspricht der bei Akrozyanose. Bei gesicherten endokrinen Störungen kann eine Hormonbehandlung indiziert sein.

Cutis marmorata

Epidemiologie
Die Erkrankung kommt meist zusammen mit Akrozyanose bei jungen Mädchen und Frauen vor, seltener auch unabhängig von Akrozyanose. Bis zu 50 % der jungen Mädchen sind betroffen; bei Männern ist sie seltener.
Ätiopathogenese
Es handelt sich um eine harmlose, großmaschige Marmorierung der Haut infolge funktioneller Gefäßreaktionen. Diese entsprechen weitgehend denen bei Akrozyanose; die rein funktionelle Atonie der Venolen und die Hypertonie der Arteriolen sollen jedoch eher die tieferen dermalen und die subkutanen Gefäße betreffen.
Klinik
Häufig löst sich eine Akrozyanose proximal in die großmaschige livide Scheckung der Cutis marmorata auf. Auch unabhängig davon kann sie weite Bereiche der Extremitäten und des Rumpfs betreffen. Typisch ist, dass das Muster der lividen Ringe und Maschen zu verschiedenen Zeiten wechselt und nach längerem Aufenthalt in der Wärme sowie nach Reiben der Haut verschwindet (Abb. 3). Subjektive Beschwerden fehlen.
Differenzialdiagnose
Entzündliche Gefäßerkrankungen aus dem Formenkreis der Livedo racemosa (Kap. Vaskulitis) sollten ausgeschlossen werden.
Verlauf
Cutis marmorata verliert sich mit zunehmendem Alter. Die Bedeutung der lividen Hautscheckung liegt manchmal in der erschwerten Erkennung diskreter fleckförmiger Exantheme, beispielsweise einer syphilitischen Roseola.
Therapie
Sie erfolgt, sofern erforderlich, wie bei Akrozyanose. Auch PUVA-Behandlung kann sich günstig auswirken.

Pseudoleukoderma angiospasticum

Diese weißliche Scheckigkeit der Handinnenflächen, Unterarme oder Gesäß kommt bei vegetativ labilen Individuen, aber auch bei Gesunden vor. Pseudoleukoderma angiospasticum kann einem echten Leukoderm ähneln. Unter Glasspateldruck erkennt man aber, dass keine Depigmentierung zugrunde liegt. Die Hautveränderung ist Auswirkung des funktionellen Spiels der peripheren Gefäße (zentraler Arteriolenspasmus, periphere Venendilatation) und entspricht der Cutis marmorata. Sie findet sich häufiger bei Rauchern. Selten kann sie Hinweis auf eine Paraproteinanämie sein.

Erythema ab igne

Durch intensive Wärmestrahlung (Öfen, Heizkissen) entsteht zunächst eine netzartige Rötung, die in retikuläre Hyperpigmentierung der Haut übergehen kann. Man bezeichnet sie dann auch als Buschke-Hitzemelanose, die oft jahrelang als auffällige Hautveränderung bestehen bleibt (Kap. Physikalisch und chemisch bedingte Hautkrankheiten).

Cutis marmorata teleangiectatica congenita

Bei diesem sporadisch oder auch familiär auftretenden Krankheitsbild handelt es sich um eine angeborene nävoide Fehlbildung der kutanen Blutgefäße (Naevus vascularis reticularis), das an anderer Stelle beschrieben ist (Kap. Infantile Hämangiome und Fehlbildungen von Gefäßen, Fettgewebe und Bindegewebe).

Erythromelalgie (Mitchell 1872; Gerhardt 1892)

Synonyme
Erythermalgie (Smith und Allen 1938), Erythralgie (Lewis 1933)
Epidemiologie
Die sehr seltene Erkrankung tritt bei beiden Geschlechtern mit Bevorzugung des jüngeren und mittleren Alters und beim familiären Typ auch im Kindesalter auf. In Skandinavien wird ihre Inzidenz auf 0,3–0,4 pro 100.000 Einwohner geschätzt und die Diagnose nach Untersuchungen aus Neuseeland häufig verkannt.
Ätiopathogenese
Man unterscheidet drei Typen der Erythromelalgie:
1.
Primäre Form (Erythermalgie), provoziert durch Wärme oder Muskelarbeit; dominante Vererbung wurde beschrieben.
 
2.
Sekundäre Form bei hämatologischen Erkrankungen mit erhöhter Thrombozytenzahl (Polycythaemia vera, essenzielle Thrombozythämie), bei denen Thrombozyten- und Gefäßwandaktivierung über Platelet-derived-growth-Faktor beteiligt sind.
 
3.
Sekundäre Form nach entzündlichen oder degenerativen Gefäßerkrankungen (arterielle Verschlusskrankheit, Thrombophlebitis), die ebenfalls mit Plättchen- oder Gefäßwandaktivierung einhergehen, so bei Diabetes mellitus, Hypertonie, Perniose, neurologischen Erkrankungen sowie nach Medikamenten mit Wirkung auf die Vasomotorik (Nifedipin, Bromocriptin).
 
Pathogenetisch besteht eine abnorme Reaktion der Endstrombahn auf Wärme offenbar infolge einer gestörten vasomotorischen Regulation und abnormalen sudomotorischen Reflexen. Genetisch bedingte Fälle weisen Mutationen in natriumkanalkodierenden Genen auf. Die Schmerzen werden durch Temperaturerhöhung ausgelöst, nicht durch die vermehrte Blutfülle. Ein Anfall lässt sich durch körperliche Aktivität, durch emotionale Belastung oder ein Temperaturerhöhung der Extremität auf einen jeweils individuellen kritischen thermischen Punkt zwischen 32 °C und 37 °C provozieren. Der gestörte Prostaglandinstoffwechsel bei Thrombozythämie (vermehrte Synthese oder Freisetzung) macht das Ansprechen auf Acetylsalicylsäure verständlich.
Klinik
Die Erythromelalgie ist gekennzeichnet durch eine anfallsweise auftretende Hyperämie einer Extremität mit Rötung, Schwellung, heftigen, brennenden Schmerzen, Erhöhung der Hauttemperatur, Berührungsempfindlichkeit sowie Hyperhidrose. Bei Erwärmung, auch durch Muskelarbeit, kommt es zur typischen Symptomatik. Meist sind die Beine oder Füße, selten die Hände betroffen. Die Anfälle dauern Minuten bis Stunden und können von einer mehrtägigen Refraktärphase gefolgt sein.
Differenzialdiagnose
Abzugrenzen sind Burning-feet-Syndrom, Morbus Raynaud, dabei aber Anfälle durch Kälte, mehr an Extremitäten, typische Phasen und Beginn mit Spastik.
Verlauf
Er ist chronisch und quoad vitam günstig. Bei der sekundären Form und Gefäßerkrankungen sind trophische Störungen und Ulzeration möglich.
Therapie
Kupierung der Anfälle ist meist durch Abkühlung der Glieder in kaltem Wasser möglich. Erneute Wärmezufuhr oder Muskelarbeit führen aber zu einer neuen Attacke. So weit wie möglich sollte die Grundkrankheit behandelt werden. Niedrig dosierte Gabe von Acetylsalicylsäure hilft bei der mit Thrombozythämie assoziierten Form. Vorsichtige Desensibilisierung durch Teilbäder mit allmählich ansteigender Temperatur kann versucht werden. Erfolge wurden auch mit Serotonin-Inhibitoren, β-Blockern und Kalziumantagonisten berichtet. In refraktären Fällen wurden Schmerzlinderung und Rückbildung der Ödeme auch mittels intrathekal verabreichter Analgetika oder Stimulation der Spinalganglien berichtet.

Raynaud-Syndrom und Morbus Raynaud (Raynaud 1862)

Epidemiologie
Morbus Raynaud findet sich bevorzugt bei Frauen im 3. Lebensjahrzehnt (Geschlechtsverteilung etwa 5:1), wohingegen die Alters- und Geschlechtsverteilung des Raynaud-Syndroms denjenigen der Grundkrankheiten entsprechen.
Ätiopathogenese
Die Ursache ist unbekannt. Veränderungen der sympathischen Innervation, der Kälteempfindlichkeit der Gefäße sowie der Blutviskosität werden vermutet, ebenso wie eine Anomalie des hypothalamischen Temperaturzentrums, wobei multiple Faktoren zusammenwirken können, einschließlich systemischer oder lokal freigesetzter Vasokonstriktoren (Endothelin, 5-Hydroxytryptamin, Thromboxan).
Das sekundäre Raynaud-Syndrom kommt bei einer Vielzahl von Grunderkrankungen vor (Tab. 1).
Tab. 1
Mögliche Ursachen bei Raynaud-Syndrom
Krankheitsgruppe
Krankheit/Schädigung
Fehlbildungen
Halsrippen (Kostoklavikular- oder Scalenus-anterior-Syndrom)
Traumen
Nach Verletzungen oder Operationen
Sudeck-Dystrophie
Anklopfkrankheit (Arbeit mit Presslufthammer)
Hypothenar-Hammer-Syndrom (Metzger, Zimmerer, Automechaniker)
Gefäßerkrankungen
Atherosklerose
Thrombembolische Erkrankungen
Arteriovenöse Fisteln
Neurologische Störungen
Periphere Neuropathien
Nucleus-pulposus-Prolaps
Hämatologische Störungen
Kältehämolysine
Makroglobulinämie Waldenström
Paroxysmale Hämoglobinurie
Polycythaemia vera
Leichtketten-Amyloidose
POEMS-Syndrom
Mutterkornalkaloide (Ergotismus)
Schwermetalle
Zyanidverbindungen nach Alkoholgenuss
Pilzgifte
Vinylchloridderivate (Vinylchloridkrankheit)
Trichlorethylen
Sonstige
Neoplasien
Medikamente (β-Blocker, Clonidin, Serotoninrezeptor-Agonisten, Ergotamin, Bleomycin, Vinblastin, Cyclosporin, Sympathikomimetika, Östrogene, Interferon-α) Vinblastin, Bleomycin und andere
Klinik
Typisch ist das anfallsweise symmetrische Auftreten der schmerzhaften peripheren Gefäßspasmen. Die plötzlich anstehende Ischämie betrifft einen, oft auch mehrere Finger, gelegentlich auch Zehen und Vorfuß, Ohren, Nase und Zunge (Abb. 4).
Stets lassen sich drei charakteristische aufeinander folgende Phasen unterscheiden:
1.
Arterieller Gefäßspasmus: Finger weiß und steif
 
2.
Venöse Hyperämie: Finger dunkelblaurot
 
3.
Arterielle Hyperämie: Finger hellrot
 
Dauer und Häufigkeit der Anfälle sind von Fall zu Fall verschieden. Manchmal treten sie ohne ersichtliche Gründe, meist jedoch nach Kältereizen auf, auch psychische Erregung kann auslösend wirken. Starke Schmerzen werden meist in der hyperämischen Phase beobachtet. Die sich wiederholenden Anfälle beinträchtigen Gefäßwand und umgebendes Bindegewebe. Allmählich entwickeln sich harte Finger- und Zehenschwellungen. An den Gefäßen kommt es zu organischen Veränderungen mit konsekutiven trophischen Störungen an den Endphalangen. Die Fingerspitzen werden durch resorptive Vorgänge an den Knochen der Endphalangen konisch verkürzt (Röntgenaufnahme). An den Finger- und Zehenspitzen treten als Zeichen der obliterierenden Entzündung frische kleine Nekrosen (Rattenbissnekrosen) mit nachfolgenden kleinen Narben auf. Auch die Nägel zeigen Wachstumsstörungen und Verdickung.
Von einem Digitus mortuus spricht man, wenn es im Rahmen der Gefäßspasmen nach Kälteeinwirkung oder emotionalen Reizen plötzlich zur Ischämie eines oder mehrerer Finger kommt, die weiß und daher wie abgestorben aussehen. Daumen und kleiner Finger bleiben meist verschont.
Differenzialdiagnose
Besonders wichtig ist die Abgrenzung von der initialen, systemischen Sklerodermie. Die Sklerodaktylie als besondere Ausprägungsform einer solchen (Typ Akrosklerodermie) beginnt einerseits meist mit Raynaud-Anfällen, andererseits kommt es im Verlauf des Morbus Raynaud oft zu sklerodermieartigen Gewebeverhärtungen an den Fingern. Beginn mit Verhärtung spricht eher für systemische Sklerodermie, ein stationär bleibender Zustand der Sklerosierung über 2 Jahre, trotz wiederkehrender Anfälle, für Morbus Raynaud. Die Akrosklerodermie sollte bei regelmäßigen Kontrolluntersuchungen immer wieder differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden; von besonderer Bedeutung ist die serologische Kontrolle auf antinukleäre Antikörper, speziell der Nachweis von Anti-Centromer-Antikörpern oder anti-Scl-70-Antikörpern (Kap. Sklerodermie).
Diagnostisches Vorgehen
Das klinische Bild des Raynaud-Syndroms ist so typisch, dass es allein aus der Anamnese und dem Befund diagnostiziert wird. Es kann oft durch kurzes Eintauchen der Hände und Unterarme in kaltes Wasser (10–15 s) provoziert werden. Alle in Tab. 1 genannten Ursachen müssen ausgeschlossen werden. Beim Verdacht auf organische Gefäßveränderungen ist eine Angiografie indiziert.
Verlauf
Er ist im Allgemeinen günstig, wenngleich die Erkrankung lästig persistiert. Insbesondere beim Fehlen von Grunderkrankungen und erfolgreichem Meiden feuchtkühler Klimaeinflüsse oder entsprechender beruflicher Expositionen können Spätschäden meist verhindert werden.
Therapie
Sie ist symptomorientiert. Am wichtigsten sind ein wirksamer Schutz gegen Kälte und das Tragen warmer Kleidung. Wegen der vasokonstriktorischen Wirkung von Nikotin dürfen die Erkrankten nicht rauchen. Physikalische Maßnahmen wie heiße Bäder, Unterwassermassagen und Fingerübungen sind oft nützlich. Besonders tägliche Paraffinbäder werden als angenehm empfunden und bewirken lang anhaltende Vasodilatation. Auch vasoaktive Medikamente unterschiedlicher Angriffspunkte können versucht werden (Tab. 2). Insbesondere beim Auftreten trophischer Störungen kann eine Infusionsbehandlung mit Prostaglandinderivaten (Iloprost, Alprostadil) erwogen werden. Beeinflussbarkeit durch Menstruation oder Klimakterium kann die versuchsweise Gabe eines Östrogenpräparats rechtfertigen. Die partielle Sympathektomie bleibt aufgrund geringer Erfolgsaussichten schweren Ausnahmefällen vorbehalten. Von Nutzen kann eine örtliche Behandlung mit Glyzeroltrinitrat- oder Isosorbiddinitratsalbe sein. Auch das Tragen warmer Fußbekleidung soll über reflektorische Vasodilatation einen günstigen Effekt auf Hände und Füße ergeben und somit helfen, vasodilatierende Medikamente einzusparen.
Tab. 2
Vasoaktive Medikamente zur Therapie des Morbus Raynaud
Angriffspunkt
Wirkprinzip
Medikament
Lokal
Relaxation glatter Gefäßwandmuskulatur
Nitrosalben
Systemisch
Kalziumkanalblockade
Nifedipin, Diltiazem, Verapamil
ACE-Hemmung
Captopril
Angiotensin-Rezeptorblockade
Losartan
α1-Rezeptorenbockade
Prazosin
β-Rezeptorenblockade
Propanolol
Serotoninrezeptorenblockade
Ketanserin
Endothelin-1-Rezeptorantagonisierung
Bosentan
Iloprost (Prostaglandin I2),
Alprostadil (Prostaglandin E1)
Phosphodiesterase-Inhibition
Sildenafil, Pentoxifyllin

Erytheme

Anfallsweises Erröten

Synonyme
Episodisches Erröten, Flushing
Epidemiologie
Diese häufige funktionelle Störung tritt aufgrund der hauptsächlich verantwortlichen Triggerfaktoren bevorzugt im Erwachsenenalter und bei Frauen in der Menopause auf.
Ätiopathogenese
Das plötzliche Erröten kann durch den Verlust des neuronalen Vasotonus als Ergebnis einer direkten Reaktion der glatten Gefäßmuskulatur infolge ganz unterschiedlicher Pathomechanismen bedingt sein. Neben emotionell ausgelösten Erythemen (Erythema e pudore, siehe unten) sind verschiedene weitere Faktoren in Betracht zu ziehen (Tab. 3): Der Genuss heißen Kaffees kann unabhängig vom Koffein das Erröten vermutlich über das hypothalamische Wärmeregulationszentrum vermitteln. Auch Alkohol erregt Gesichtsröte durch verschiedene Mechanismen. Acetaldehyd, ein Metabolit, verursacht Gesichtsrötung besonders bei Orientalen, welche die Substanz weniger gut metabolisieren. Arzneimittel können die Enzyme β-Hydroxylase und Alkoholdehydrogenase hemmen und dadurch eine Verstärkung der Alkoholrötung bewirken. Hierzu zählen β-Laktam-Antibiotika, Chlorpropamid, Disulfiram, Griseofulvin, Kalziumcarbamid, Metronidazol, Phentolamin oder Fumarate. Auch bei topischer Anwendung des Alpha-2-Adrenozeptoragonisten Brimonidin zur Therapie von mit Rosazea assoziierten Symptomen kann es zu paradoxem Erröten kommen. Sherry und vor allem Rotwein enthalten Histamin, oft gleichzeitig konsumierte Käsesorten Tyramin, welche zusätzlich zum Erythem beitragen können.
Tab. 3
Episodische Gesichtsröte: Ursachen und Mechanismen
Ursache
Agens
Mediator
Emotion
Neural/ZNS
Physikalisch
Hitze
Mehrere
Chemis
Acetaldehyd
Arzneimittel
Nikotinsäure
Prostaglandin
Nahrungsmittel
Glutamat
Acetylcholin
Endokrinologisch
Menopause
 
Neoplasien
Hyperendorphin-Syndrom
Histamin, Kinine
Vasoaktive intestinale Polypeptide
Gesichtsröte bei Frauen in der Menopause ist ein sehr typisches Phänomen. Veränderungen in der Blutgefäßfülle, der Hauttemperatur, vermehrte Schwitzneigung und erhöhte Herzfrequenz werden gleichzeitig beobachtet. Gonadotropin- und Östrogenblutspiegel sind weitgehend unverändert. Östrogene können die Symptome unterdrücken und verursachen selbst einen Anstieg von Dopamin im ZNS infolge Hemmung der Tyrosinhydroxylase. Enkephaline wurden als Mediator für die Gesichtsröte bei Rosazea diskutiert. Intravenöse Endorphingaben können Gesichtsröte hervorrufen, das Hyperendorphin-Syndrom ebenfalls. Bekannt ist die Gesichtsröte auch nach Genuss glutamathaltiger Speisen in chinesischen Restaurants.
Klinik
Die vorübergehenden, vasodilatatorisch bedingten Rötungen der Haut treten im Gesicht, aber auch zervikal und sternal auf.
Differenzialdiagnose
Abzugrenzen sind anfallsweise auftretende Gesichtserytheme im Rahmen neurologischer Störungen (Trigeminusneuralgie, Horton-Neuralgie, Sympathikusläsionen), die weitere Symptome erkennen lassen und sich meist halbseitig lokalisieren, ferner symptomatisch bedingte Flushs als Ausdruck der Mastozytose (Kap. Mastozytose) oder des Karzinoid-Syndroms (Kap. Endokrinologische Erkrankungen).
Therapie
Nikotinsäurebedingtes Erröten kann über Prostaglandinbeeinflussung durch Indomethacin oder Salicylate gehemmt werden. Atropin lindert den Glutamatflush des China-Restaurant-Syndroms. Östrogene und Isoflavone aus Pflanzenextrakten (Cimifuga racemosa) hemmen den Menopausenflush, Naloxon den Chlorpropamidflush. Ein bei Männern mit testikulärer Insuffizienz beobachtetes Gesichtserythem kann durch Cyproteronacetat beeinflusst werden.

Erythema e pudore

Synonyme
Erythema e irritatione, Schamröte, Affekthyperämie
Epidemiologie
Diese Störung ist vor allem bei Jugendlichen häufig.
Ätiopathogenese
Die anfallsartig einschießenden, emotionell verursachten Erytheme sind Ausdruck einer labilen Gefäßregulation mit plötzlicher Erweiterung der Gefäße des subepidermalen Gefäßplexus infolge psychogener reaktiver Hyperämie.
Klinik
Meistens handelt es sich um psychovegetativ labile Menschen mit weiteren Zeichen psychovegetativer Dysregulation wie Hyperhidrose, Akrozyanose oder Pseudoleucoderma angiospasticum der Hände. Akut entsteht im Gesicht, am Hals und im oberen Brustbereich ein hellrotes, randwärts scharf abgesetztes, fleckiges Erythem. Dieses wird durch psychische Erregung, situativ bei Verlegenheit, Schamgefühl oder anderen Spannungszuständen ausgelöst. Nach überstandener seelischer Emotion klingt es rasch wieder ab. Auch diese Reaktionsweise verliert sich mit zunehmendem Alter.
Therapie
Sie ist im Allgemeinen nicht notwendig. Aufklärung, psychovegetativ stabilisierende Maßnahmen sowie regelmäßiges körperliches Training sind hilfreich.

Erythema faciale perstans

Synonyme
Typus rusticanus, persistierende Gesichtsröte, konstitutionelle Gesichtsmaske
Klinik
Typisch für das Erythema faciale perstans ist symmetrische, persistierende Gesichtsröte der Wangen und zentrofazial, wobei die Perioralregion ausgespart wird. Die Temperatur der erythematösen Haut ist deutlich erhöht. Die Veränderungen entwickeln sich bereits in der Kindheit und kommen familiär gehäuft vor. Das weibliche Geschlecht und pyknische Typen sind bevorzugt.
Oft handelt es sich um ein Teilsymptom bei Ulerythema ophryogenes.

Familiäres palmoplantares Erythem (Lane 1929)

Synonyme
Erythema palmare et plantare hereditarium, Lane-Syndrom
Ätiopathogenese
Bei dieser Störung wird eine hereditäre Dysplasie der Hautblutgefäße bei autosomal-dominantem Erbgang mit bevorzugtem Befall männlicher Familienangehöriger angenommen.
Klinik
Bereits im frühen Kindesalter treten persistierende palmare Erytheme mit Betonung der Thenar- und Hypothenarballen und Aussparung der zentralen Handinnenflächen auf. An den Plantae können sich in der Regel weniger ausgeprägte Erytheme manifestieren.
Differenzialdiagnose
Minimalvarianten von Palmoplantarkeratosen sind ebenso wie die gewöhnlich erst später manifest werdenden symptomatischen Formen der Palmoplantarerytheme abzugrenzen.
Therapie
Es ist keine sinnvolle Therapie verfügbar.

Erworbenes palmoplantares Erythem

Synonym
Erythema palmare et plantare symptomaticum
Klinik
Im Lauf des Lebens bilden sich hier ohne erkennbare erbliche Belastung dauerhafte Erytheme bevorzugt an Handtellern und Beugeflächen der Endphalangen aus. Mehr oder weniger intensive palmoplantare Dauererytheme können sich bei chronischen Lebererkrankungen entwickeln. Hieran ist insbesondere auch beim Vorhandensein weiterer Leber-Hautzeichen (Weißnägel, Naevi aranei) zu denken. Palmoplantare Erytheme können aber auch familiär, paraneoplastisch oder im Rahmen einer Gravidität, bei endokrinologischen oder metabolischen Störungen (Hyperthyreose, Diabetes mellitus), bei rheumatoider Arthritis, bei venöser Stasis der Extremität (gravitational erythema), Lupus erythematodes und im Rahmen eines Nikotinabusus in Erscheinung treten.
Therapie
Gegebenenfalls wird die Grunderkrankung behandelt.
Literatur
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Erstbeschreiber
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