Einführung
Das Hämostasesystem, bestehend aus Endothelzellen,
Megakaryozyten, Blutplättchen,
Gerinnungsfaktoren, Fibrinolysekomponenten und deren Inhibitoren, trägt bei einer Verletzung zur Aufrechterhaltung der Gefäßwandintegrität bei. Unter physiologischen Bedingungen befinden sich
Hämostase fördernde und hemmende Vorgänge im Gleichgewicht. Wird das Hämostasesystem zur falschen Zeit und am falschen Ort aktiviert, kann eine Thrombose resultieren. Defekte des Blutstillungsmechanismus führen demgegenüber zu Hämorrhagien.
Die Diathesen zur Hämorrhagie und zur Hyperkoagulabilität sind häufig pathogenetisch miteinander verknüpft und bieten auch klinische Gemeinsamkeiten, wie Gewebeeinblutungen und Hautulzera, sodass labormedizinisch in beiden Richtungen untersucht werden muss. Die erhöhte Durchlässigkeit von Gefäßwänden oder deren strukturelle Zerstörung und die Perfusionsbehinderung durch Thromben bedingen letztlich gemeinsame Kardinalsymptome wie Gewebeeinblutungen (Petechien, Sugillationen, Ekchymosen) und ischämisch bedingte Nekrosen mit Hautulzera, durch Okklusionen oder durch Strömungsverlangsamung das Leitsymptom der Livedo.
Ein dermatologisches Konsilbegehren in internistischen Kliniken und Ambulanzen mit eingeschränkter Breite der Teilgebiete, also ohne Hämatologie, dürfte zukünftig noch häufiger werden und den Dermatologen früh in die Differenzialdiagnostik offenkundig gravierender Systemerkrankungen einbeziehen. Hautbiopsien sollten früh erwogen werden, da diese mit beachtlich hoher Sensitivität richtungsweisende Details für eine korrekte Diagnose liefern und mikrobielle Antigennachweise per PCR ermöglichen.
Thrombozytär bedingte Hämostasestörungen
Sie sind Symptom einer hochgradig verminderten Thrombozytenzahl (
Thrombozytopenie) oder einer Plättchenfunktionsstörung (Thrombozytopathie). In Kombination werden sie bei akuten
Leukämien und myeloproliferativen Erkrankungen beobachtet. Insbesondere bei Letzteren ist die autonome Thrombozytopoese häufig mit Plättchenfunktionsstörungen assoziiert. Diese können mit Blutungen oder thrombembolischen Komplikationen einhergehen. In ihrer Häufigkeit und dermatologischen Relevanz dominieren die quantitativen Thrombozytenstörungen (Tab.
2). Ätiopathogenetisch können Thrombozytopenien oder
Thrombozytopathien primär Ausdruck einer Erkrankung des
Knochenmarks sein, symptomatisch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen oder arzneimittelinduziert auftreten.
Tab. 2
Einteilung quantitativer Thrombozytenstörungen
Thrombozytopenien | Thrombozytopenien durch Bildungsstörungen | Hereditäre Bildungsstörungen | Infolge reduzierter Megakaryozytopoese (amegakaryozytäre Thrombozytopenien) | |
Infolge ineffektiver Megakaryozytopoese (megakaryozytäre Thrombozytopenien) | |
Erworbene Bildungsstörungen | Reduzierte Megakaryozytopoese | Bildungsstörungen Megakaryozytäre Aplasie Knochenmarkinfiltration (Karzinome, Leukämien, maligne Lymphome) Knochenmarkverdrängung (Osteomyelofibrose; Lipidspeicherkrankheit) Ionisierende Strahlen, myelosuppressive Medikamente Substanzen, die hemmend auf die Plättchenbildung einwirken |
| Virusinfektionen mit ineffektiver Megakaryozytopoese | Nutritive Mangelzustände (Vitamin B 12, Folsäure), Alkohol |
Aufgrund unbekannter Pathogenese | Zyklische Thrombozytopenien |
Thrombozytopenien durch Umsatzstörungen | Hereditäre Formen | Nichtimmunologisch: Infektionskrankheiten DIC | TTP, RUS, HELLP Künstliche Herzklappen |
Erworbene Formen | Immunologisch: | ITP Medikamente |
Thrombozytopenien durch Verteilungsstörung | | Hypersplenie Hyperthermie | |
Thrombozytopenien durch Kombination von Bildungs-, Umsatz- und Verteilungsstörung | | | |
Thrombozytopenien durch Verlust oder Dilution | Blutung Herz-Lungen-Maschine | | |
Thrombozytosen | Primäre Thrombozytosen | Andere myeloproliferative Erkrankungen |
Sekundäre (reaktive) Thrombozytosen | Chronische Entzündungen Maligne Erkrankungen Nach operativen Eingriffen, insbesondere nach Splenektomie Eisenmangel Nach akuter Blutung Körperliche Anstrengungen Medikamente | |
Thrombozytopenien
Cave: Retinale Blutungen weisen auf eine besondere Gefährdung des Patienten hin und können Warnsymptom für weitere petechiale Organblutungen (myokardiale, meningeale oder intrazerebrale Hämorrhagien) sein.
Immunthrombozytopenie
Als Entscheidungskriterium für eine medikamentöse Therapie sollte grundsätzlich die
Blutungsneigung und nicht die Thrombozytenzahl herangezogen werden.
Methylprednisolon wird initial in einer Dosierung von 2 mg/kg KG mit schrittweiser Dosisreduktion um 10–15 mg/Tag bei Anstieg der peripheren Plättchenzahl oder als monatliche Pulstherapie verabreicht. Rituximab führt in 60 % der Fälle zur Erhöhung der Thrombozytenzahl.
Thrombopoietin (TPO) ist das potenteste Zytokin für die Thrombopoese. Ein neuer Ansatz sind deshalb die Thrombopoietin-Mimetika (TPO-Rezeptoragonisten) Romiplostim und Eltrombopag mit vergleichsweise geringen Komplikationen (Blutungen) und intensiverem, nachhaltigerem Anstieg der peripheren Plättchenzahl.
Eine Splenektomie erfolgt bei Patienten ohne Behandlungserfolg, wenn auch ein zweiter Behandlungszyklus mit
Glukokortikoiden nicht zu einem Thrombozytenanstieg auf Werte >30.000–50.000/μl geführt hat. Allerdings ist die Splenektomie erst nach Ablauf eines halben Jahres in Betracht zu ziehen, da noch
Spontanremissionen auftreten können. Langzeitkomplikationen (Frequenz und Schwere von bakteriellen Infektionen) sind allerdings zu beachten.
Zum Einsatz können auch polyvalente
Immunglobuline (0,4 g/kg KG tgl.) an fünf aufeinander folgenden Tagen kommen. Wegen der nur kurz anhaltenden Wirkung und der hohen Kosten dieser Therapie sollte der Einsatz von Immunglobulinen jedoch Akutsituationen (lebensbedrohliche Blutungen, Operationsvorbereitungen, Geburt) vorbehalten bleiben.
Bei rhesuspositiven Patienten mit dem Merkmal D ist Anti-D-Immunglobulin, 30–50 μg/kg KG indiziert.
Eine Thrombozytentransfusion sollte nur bei akuten lebensbedrohlichen Komplikationen erfolgen.
Heparininduzierte Thrombozytopenien
Sie stellen einen Sonderfall medikamentös induzierter Plättchenumsatzstörungen dar. Heparine sind ungemein häufig eingesetzte Medikamente. Geschätzt bis zu 30 % aller stationär versorgten Patienten erhalten Heparine.
HIV-assoziierte Immunthrombozytopenie
Thrombozytosen
Definitionsgemäß handelt es sich um eine Erhöhung der peripheren Thrombozytenkonzentration auf Werte >400.000/μl. Abnorm erhöhte Thrombozytenwerte
sind fast immer Ausdruck einer gesteigerten Plättchenproduktion im
Knochenmark. Dabei werden autonome (idiopathische) Thrombozytosen (
Thrombozythämien) von reaktiven (sekundären) unterschieden.
Thrombozythämie
Autonome Thrombozytosen finden sich bei myeloproliferativen Erkrankungen, wie bei
chronischer myeloischer Leukämie, Polycythaemia vera, Osteomyelofibrose und essenzieller
Thrombozythämie. Es handelt sich um die klonale Erkrankung einer pluripotenten
hämatopoetischen Stammzelle. In die klonale Proliferation sind Myelozytopoese, Erythrozytopoese und Megakaryozytopoese einbezogen. Dies führt zu einer strukturell und funktionell abnormen Plättchenpopulation. Klinisch können diese Erkrankungen sowohl mit hämorrhagischen als auch thrombembolischen Komplikationen einhergehen.
Dermatologische Symptome treten in 20–50 % der zumeist chronisch verlaufenden hämatologischen Erkrankungen auf, in 10 % der essenziellen Thrombozythämiefälle bereits bei Diagnosestellung:
Thrombozytopathien (Thrombozyten-Funktionsstörungen)
Derartige funktionelle Blutplättchenkrankheiten sind zu erwägen, wenn bei klinischer Hämostasestörung die
Blutungszeit verlängert, aber die Plättchenzahl >100.000/μl ist. Anders als bei
Thrombozytopenien sind klinisch Petechien seltener, eher großflächigere Hauteinblutungen, also Ekchymosen, zu erwarten.
Es dominieren die
medikamenteninduzierten Thrombozyten-Dysfunktionen, zumeist die Grundlage gewollter Thrombozytenaggregationshemmung (Acetylsalicylsäure, Ticlopidin, Clopidogrel). Urämie und
Alkoholismus können die
Blutungsneigung unter Acetylsalicylsäure kritisch steigern. β-Laktam-Antibiotika können die Plättchenfunktion mit dem Risiko der bedrohlichen Blutung (bei
Sepsis) beeinflussen.
Hereditäre Thrombozyten-Dysfunktionen sind sehr selten: Hermansky-Pudlak-Syndrom (Kap. „Störungen der Melaninpigmentierung“), Pseudo-von Willebrand-Krankheit (OMIM 177820),
Bernard-Soulier-Syndrom (OMIM 231200), Glanzmann-Thrombasthenie (OMIM 273800).
Thrombozyten-Funktionsstörungen sind auch bei essenzieller
Thrombozythämie und Polycythaemia vera zu erwarten. Auch chronische Lebererkrankungen und Nierenerkrankungen können diese Folge mit gesteigerter
Blutungsneigung haben.
Hämostasestörungen durch Koagulopathien
Störungen des Gerinnungssystems (Koagulopathien)
resultieren aus qualitativen oder quantitativen Defekten oder Mangelzuständen von
Gerinnungsfaktoren. Zu einem geringeren Teil können Koagulopathien auch durch gegenregulatorische Störungen des
Fibrinolysesystems bedingt sein. Dabei sind sekundäre, reaktive hyperfibrinolytische Zustände wesentlich häufiger als primäre. Störungen des Gleichgewichts zwischen Gerinnungs- und Fibrinolysesystem können auch durch qualitative oder quantitative Abweichungen natürlicher Inhibitoren hervorgerufen sein. Bei den Koagulopathien wird zwischen angeborenen und erworbenen Gerinnungsstörungen unterschieden.
Hereditäre Koagulopathien
Für nahezu alle
Gerinnungsfaktoren sind angeborene Mangelzustände bekannt. Die autosomal-rezessiv vererbten Defekte gehen mit einer unterschiedlich ausgeprägten
Blutungsneigung einher, je nachdem, ob ein heterozygoter oder homozygoter Status vorliegt. Eine Ausnahme stellt der Faktor-XII-Mangel dar. Dieser Defekt ist mit einem hohen thrombembolischen Risiko assoziiert, welches durch den Wegfall der Fibrinolyse-stimulierenden Wirkung von Faktor XII (
Hageman-Faktor) erklärt wird. Wichtigste angeborene Gerinnungsstörungen sind die
Hämophilie A und B, welche X-chromosomal-rezessiv vererbt werden, sowie das Von-Willebrand-Syndrom, welches zumeist einen autosomal-dominanten Erbgang aufweist.
Hämophilie A und B
Der angeborene
Faktor-VIII-Mangel (
Hämophilie A; OMIM 306700) und
Faktor-IX-Mangel (
Hämophilie B; OMIM 306900) treten mit einer Häufigkeit von etwa 1:10.000 Einwohnern in Deutschland auf. Dabei ist die
Hämophilie A 5-mal häufiger als die
Hämophilie B. Typische klinische Manifestationen sind bei beiden gleich und bestehen in Gelenk-, Weichteil- und Organblutungen.
Von-Willebrand-Syndrom
(von Willebrand
1926)
VWF
| von Willebrand factor |
Von-Willebrand-Syndrom ist die häufigste hereditäre Koagulopathie, klinisch dem thrombozytopenischen Typ durch kleinherdige mukokutane Blutungen ähnlich und auch für die
operative Dermatologie bedeutsam.
Mangel an antikoagulatorischen Faktoren
Protein S
und
Protein C
sind wichtige antikoagulatorische und profibrinolytische
Plasmaproteine, die bei hereditär bedingten quantitativen Defizienzen (OMIM 176880 und 176860) eine latente Neigung zur Hyperkoagulabilität (
Thrombophilie) bedingen. Die Frequenz thrombotisch-hämorrhagischer Ereignisse, deren Manifestationsalter und klinische Intensität sind abhängig vom homozygoten oder heterozygoten Status. Der homozygote Protein-C-Mangel ist die Ursache der neonatalen Purpura fulminans, der heterozygote Mangel bedeutet lebenslanges Risiko thrombembolischer Prozesse. Außer mit quantitativen Mangelzuständen ist auch mit erworbenen funktionellen Defekten zu rechnen.
Antithrombin III
spielt ebenfalls für die
Hämostase eine wesentliche Rolle. Es inaktiviert
Thrombin und aktiviert prokoagulatorische Faktoren. Hereditäre Mangelzustände (OMIM 107300) führen zu familiär gehäuften und im frühen Lebensalter etablierten schwer wiegenden Thrombosen tiefer Beinvenen und Beckenvenen, aber auch innerer Organe sowie Embolien. Ein bestehender AT-III-Mangel kann sekundär aggraviert werden, so bei Hepatopathie, nephrotischem Syndrom, Schwangerschaft, Verbrennung, durch Antikonzeptiva. Eine Heparintherapie verstärkt den AT-III-Mangel.
Die
Prothrombingenmutation G20210A (OMIM 176930) führt zu erhöhtem Prothrombinplasmaspiegel
und stellt die zweithäufigste genetisch determinierte Ursache tiefer Venenthrombosen dar. Heterozygote (
Prävalenz in Deutschland etwa 2 %) haben ein 4-fach, Homozygote (0,01 %) ein 40-fach erhöhtes Thromboserisiko.
APC-Resistenz bei Faktor-V-Leiden-Mutation
Erworbene Koagulopathien
Diese sind klinisch zumeist von simultanen Thrombosen und Blutungen geprägt (s. Übersicht).
Der Dermatologe sollte die im Folgenden beschriebenen, zum Teil keineswegs sehr seltenen Krankheiten kennen, um durch eine frühe Diagnose schwerwiegende Komplikationen und das erhebliche Letalitätsrisiko mindern zu helfen. Er ist gleichsam als Lotse insbesondere bei einer Erstuntersuchung, in einer Notfallambulanz, einem Bereitschaftsdienst und als Konsiliarius gefordert. Trotz der meist akuten, teils perakuten Krankheitsdynamik sind hereditäre, vorher subklinische Hämostasestörungen mit Hyperkoagulabilität und Hämorrhagien häufig die eigentliche basale Krankheitsursache.
Wesentliche klinische Merkmale sind kleine oder flächenhafte livide Maculae, Hautblutungen und Schleimhautblutungen, Livedo racemosa und schmerzhafte Ulzera. Histologisch und laborchemisch ist häufig eine disseminierte intravasale Gerinnung feststellbar.
Aus klinischer Sicht ist wichtig, dass eine
disseminierte intravasale Gerinnung keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Symptom ganz verschiedenartiger Krankheitszustände ist. Das klassische dermatologische Beispiel einer pathogenetisch zentralen disseminierten intravasalen Gerinnung ist die Purpura fulminans.
Als Synonyme sind gebräuchlich: Verbrauchskoagulopathie, thrombohämorrhagisches Syndrom, Defibrinisierungssyndrom und intravasale Gerinnung mit Fibrinolyse (
disseminated
intravascular
coagulation: DIC). Der die Perfusion störende Zustand ist durch intravasale Thrombosierung der Mikrozirkulation, auch in der Haut, und eine reaktive
Hyperfibrinolyse bedingt. Beides führt zum Zusammenbruch des Hämostasesystems und unbehandelt zum Tod. Vorbestehende metabolische Erkrankungen, wie
Diabetes mellitus, begünstigen offenbar die massive Aktivierung der Koagulation verschiedener Ursachen (Entzündung, Gewebezerstörung). Der erhöhte Verbrauch von
Thrombozyten und Koagulationsfaktoren und deren ungenügende Kompensation können zur erhöhten
Blutungsneigung führen, was bei operativen und invasiven Maßnahmen kritisch zu prüfen ist.
Die laborchemische Diagnose einer DIC erschließt sich nicht aus einem einzelnen Parameter. Der vielfach noch als signifikant empfohlene Fibrinogenspiegel ist nur bei schweren Fällen erniedrigt, kann ansonsten als akuter Phase-Proteincharakter ebenso wie Faktor VIII normal oder gar erhöht sein. Diagnostisch wichtig sind abnehmende und erniedrigte Thrombozytenwerte, verminderte Plasmaspiegel von Koagulationsfaktoren und Inhibitoren sowie Nachweise von verstärkter Fibrinbildung und Fibrindegradation (
D-Dimere). Nützlich ist eine DIC-Score-Methode basierend auf mehreren schnell verfügbaren Koagulationstests.
Die folgenden, auch dermatologisch geprägten Erkrankungen sind zumeist generalisierte Störungen der
Hämostase mit mehr oder minder ausgeprägten sekundären Haut-und Weichteilnekrosen, die wiederum erhebliche langfristige Folgen zeitigen. Zu Beginn können diese dramatisch progredienten Krankheiten zunächst klinisch wie traumatisch bedingte Hämatome oder Sugillationen und Ekchymosen der ITP oder TTP imponieren, die jedoch keine Nekrosen entwickeln.
Antiphospholipid-Syndrom
Es handelt sich um die klinische Manifestation (Multiorganbefall) einer erworbenen Hyperkoagulabilität, primär oder sekundär bei einer Grunderkrankung wie
systemischer Lupus erythematodes und anderer
Autoimmunkrankheiten. Die charakteristischen serologischen Marker sind verschiedenartige
Antikörper, die überwiegend gegen negativ geladene
Phospholipide gerichtet sind: Antikardiolipin-Antikörper und das
Lupus-Antikoagulans. Es gibt Gesunde mit niedrigtitrigen Antiphospholipid-Antikörpern (
Prävalenz bis zu 15 %) ohne wesentliches Thromboserisiko. Ein gravierendes Thrombembolierisiko ist mit hochtitrigen Antikörperspiegeln und einer sich manchmal zeitverschoben manifestierenden Autoimmunkrankheit (Anti-Phospholipid-Antikörper immerhin ARA-Kriterium eines
SLE!) verbunden (Kap. „Vaskulitis“).
Kalziphylaxie
Diese an der Haut manifestierte gefäßbezogene Systemerkrankung befällt fast ausschließlich, aber nicht immer nur Patienten mit terminaler
Niereninsuffizienz (andere Assoziationen: Leberschaden, Marcumar-Therapie) vor dem Hintergrund eines Hyperparathyreoidismus mit Störungen des Kalziumhaushalts und Phosphathaushalts, und bezieht meist funktionelle Protein-S- und -C-Defizite ein. Die mit einem hohen Letalitätsrisiko behaftete Erkrankung betrifft Patienten unter den Bedingungen einer
Hämodialyse und
Peritonealdialyse, kann aber auch nach erfolgreicher
Nierentransplantation eintreten (Kap. „Kutane Kalzinosen“). Leitsymptom ist eine Livedo-racemosa-artige Fläche, auf der sich meist in Verbindung mit Purpurazeichen schmerzhafte Nekrosen entwickeln. Blutgefäßwandkalzifikationen im Korium-Subkutis-Grenzbereich sind histologisch charakteristische Merkmale. Das Hauptrisiko ist eine bakterielle Weichgewebeinfektion, auch mit
Sepsis.
Antikoagulanzienbedingte Nekrosen
Krankheiten mit Defiziten antikoagulatorischer Proteine oder gestörter Fibrinolyse
Bei
Livedo-Vaskulopathie (Synonyme:
Livedo reticularis mit Sommerulzerationen, livedoide
Vaskulitis, Kap. „Vaskulitis“) ist nach subklinischen angeborenen und erworbenen Hämostasestörungen zu fahnden. Infrage kommen Hyperkoagulabilität/Fibrinolysestörung bei Mangel an
Protein C, Antithrombin III, erhöhter Plasminogenaktivator-Inhibitor(PAI)-Aktivität, APC-Resistenz, Prothrombinmutation, Antiphospholipid-Antikörper,
Hyperhomocysteinämie (bei letzterer therapeutische Normalisierung des Serumspiegels [<12 μmol/l] und relativ rasche Abheilung der schmerzhaften Unterschenkelulzera durch kombinierte Gabe von
Folsäure, Vitamin B 6 und B 12). Kürzlich sind Fälle mit erhöhtem Lipoprotein-a-Plasma-Spiegel und rascher Besserung unter Dauermedikation mit niedermolekularem Heparin beschrieben worden.
Bei tiefer, insbesondere rezidivierender Bein- oder
Beckenvenenthrombose oder einem daraus folgenden postthrombotischen Syndrom und thrombembolischen Ereignissen wie Lungenarterienembolie oder zerebralem Insult ist die APC-Resistenz bei
Faktor-V-Leiden-Mutation eine sehr häufige, jedenfalls die häufigste hereditäre Ursache. Zweithäufigste genetische Ätiologie ist die Prothrombinmutation. Auch an eine sehr seltene Homocystinurie, einen genetischen Defekt der Cystathionin-β-Synthase, ist als Ursache thrombembolischer Ereignisse zu denken.
Eine seltene, aber vielleicht in den gravierenden Folgen auch allgemein zunächst unterschätzte systemische Krankheit durch eine akut gestörte
Hämostase ist die Thrombotische thrombozytopenische Purpura (TTP) mit dem Risiko des hämodialysepflichtigen assoziierten Hämorrhagisch urämischen Syndroms (HUS). Auch hier sind wegen unterschiedlicher Therapieansätze ätiologisch primäre hereditäre und idiopathische sowie sekundäre erworbene Formen zu unterscheiden.
Thrombotische thrombozytopenische Purpura
Vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen
Unter diesem Oberbegriff wird eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst, bei denen als Blutungsursache eine Störung der Blutgefäßwände, nicht jedoch eine Störung der thrombozytären oder plasmatischen Komponenten des Hämostasesystems besteht. Je nach Ausmaß und Lokalisation der vaskulären Schädigung tritt eine erhöhte Durchlässigkeit für Blutbestandteile ein, welche das klinische Bild bestimmt. Symptom ist die Purpura, welche als Petechien, Sugillationen und Ekchymosen auftreten kann. Während die beiden Letztgenannten bei allen Hämostasestörungen beobachtet werden können und daher nicht typisch für eine vaskuläre Schädigung sind, stellen Petechien, also Hämorrhagien aus den kleinen dermalen Kapillaren, ein klinisch wertvolles Erscheinungsbild für vaskuläre und thrombozytäre Erkrankungen dar.
Hämangiom-Thrombozytopenie-Syndrom
(Kasabach und Merritt
1940)
Erworbene vaskuläre hämorrhagische Diathesen
Mechanische Purpura
Sie tritt meist in Form von Petechien auf und wird durch einen erhöhten Kapillardruck, beispielsweise beim Valsalva-Manöver, durch Unterdruck (EKG-Saugknöpfe oder nach saugendem Kuss am Nacken:
Medaillon d’amour), bei starkem
Husten oder Einsatz von Blasinstrumenten, auch bei starker körperlicher Belastung (
exercise-induced purpura) beobachtet
. Eine druckbedingte und meist anulär konfigurierte Purpura kann durch Aufprall von Squashbällen oder Golfbällen und Farbkugelbeschuss (
paintball purpura) ausgelöst werden. Ungewöhnliche Konfigurationen wecken den Verdacht auf Misshandlung.
Paroxysmales Fingerhämatom
Purpura factitia
Blutungen können auch durch Manipulationen hervorgerufen sein, beispielsweise durch absichtliches Kneifen der Haut (Kneifartefakte). Diese Art der Purpura kann differenzialdiagnostisch Schwierigkeiten bereiten, wobei eine atypische Lokalisation – entweder nur an gut sichtbaren Körperteilen oder immer an demselben Körperteil – wegweisend für die artifizielle Verursachung, aber auch für Misshandlungsfolgen ist (Kap. „Psychodermatologische Krankheitsbilder“). Spritzerartige Blutungen an den vorderen Achselfalten, besonders bei Frauen, am Hüftgürtel oder den Fußrücken werden oft mechanisch durch Druck und Zug der Kleidung oder durch das Schuhwerk ausgelöst.
In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass Hämostasestörungen auch durch Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten vorgetäuscht werden können. Die Klärung hämostaseologischer Parameter durch Gerinnungstests, einschließlich
Blutungszeit und Rumpel-Leede-Test, ist bei solchen Patienten vor psychiatrischer Exploration empfehlenswert.
Purpura bei Stoffwechselstörungen
Mit Hauteinblutungen ist bei Vitamin-C-Mangel (Kinder unter Malnutrition, Jugendliche und junge Erwachsene mit Anorexie),
Diabetes mellitus und Hyperkortizismus (
Cushing-Syndrom, topische und systemische Glukokortikoidtherapie) zu rechnen. Bei Diabetes mellitus werden vaskuläre Hämostasestörungen als Folge einer erhöhten Gefäßfragilität und Gefäßpermeabilität aufgefasst. Es kann zu retinalen Blutungen und Purpura kommen. Eine Akkumulation von nichtenzymatisch glykosylierten Proteinen in der Gefäßwand des Diabetikers wird als Ursache für die gestörte Endothelfunktion interpretiert (Kap. „Endokrinologische Erkrankungen“).
Purpura bei Infektionskrankheiten
Infektionen durch
Bakterien, Viren, Rickettsien oder Protozoen (
Malaria) können mit einer Purpura einhergehen. Gemeinsam ist diesen Formen, dass eine gesteigerte Gefäßpermeabilität besteht, die durch
Interleukine und Tumornekrosefaktor verursacht werden kann. Die Maximalform bei
disseminierter intravasaler Gerinnung ist die Purpura fulminans, wie bei akuter septischer Infektion (durch
Meningokokken, dabei Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, wenn Nebennierenrindenversagen auftritt) (Kap. „Weitere Bakterieninfektionen der Haut“), insbesondere bei Kindern postinfektiös (zumeist Varizellen,
Streptokokken) sowie idiopathisch.
Purpura durch allergische Vaskulopathien
Entzündliche Veränderungen an den kleinen Gefäßen führen zur Permeabilitätssteigerung der Gefäßwände und zu Hämorrhagien. Im Vordergrund stehen direkte Einflüsse auf das Endothel durch allergische Mechanismen. Bei Immunkomplexvaskulitiden können Immunkomplexniederschläge in der Gefäßwand und im perivaskulären Raum nachgewiesen werden, die sekundär eine komplementinduzierte Diapedese von neutrophilen Granulozyten und auch
Erythrozyten verursachen und zum Symptom der
palpablen Purpura (Vasculitis allergica) führen (Kap. „Vaskulitis“).
Hämorrhagisch-pigmentäre Dermatosen
Diese klinisch, topografisch und in der zeitlichen Ausbreitung gut als solche erkennbaren Purpuraformen
haben eine im Stratum papillare der Dermis etablierte lymphozytäre entzündliche Infiltration gemeinsam. Die Folge sind schleichende kontinuierliche oder rezidivierende Einblutungen mit Nachweis frischer Erythrozytenextravasate und Hämosiderin-speichernden
Makrophagen (
Siderophagen). Zusätzlich wirkt der erhöhte hydrostatische Druck an abhängigen Körperpartien prädilektionsbestimmend. Reaktiv kann es zu epidermalen ekzematösen Veränderungen und Juckreiz kommen. Differenzialdiagnostisch kann eine
Mycosis fungoides klinisch einer Pigmentpurpura ähneln oder dieser auch folgen. Bei chronisch-progredientem Verlauf ist deshalb eine Hautbiopsie sinnvoll.
Purpura pigmentosa progressiva
Schmerzhaftes Ekchymosen-Syndrom
(Gardner und Diamond
1955)
Purpura und Hämatome: Potpourri von Seltenem und Wichtigem
Nicht selten können Dermatosen hämorrhagisch werden, so die konventionelle
Urtikaria, der Zoster, das Erythema migrans, die Urtikariavaskulitis, kutane leukämische Infiltrate und selten Metastasen, auch allergische Kontaktekzeme und eine
Sarkoidose. Purpuriforme Papeln an Händen und Füßen (gloves and socks) sowie auch an den großen Flexuren sind lokalisationstypische Hinweise auf eine Parvovirus-B19-Infektion. Akrale Papulopusteln mit hämorrhagischem Saum sind charakteristisch für die disseminierte Gonokokken-Infektion (benigne Gonokokkensepsis), auch für die schwer zu diagnostizierende chronische Meningokokkämie bei Erwachsenen (PCR aus Hautbiopsien!). Febrile Kinder mit auch nur wenigen Petechien sollten an eine akute Meningokokkeninfektion denken lassen. Purpuriforme Läsionen an Fingerspitzen treten bei Embolisation durch ein kardiales Vorhof-Myxom auf. Hämorrhagische Maculae an Palmar- und Plantarflächen sollten immer eine bakterielle septische Embolie vermuten lassen. Purpuriforme, teils palpable Läsionen an Extremitäten sind bei immunsupprimierten Transplantatträgern verdächtig auf mykotische Mikroembolie (zum Beispiel aus Anastomosen-Aneurysmen). Retiforme purpurische Läsionen treten bei systemischer Mykose (beispielsweise
Aspergillose) und essenzieller
Thrombozythämie auf. Eine hämorrhagische Weichgewebeinfektion (Cellulitis) kann verschiedene Ursachen haben – eine mit hohem Letalitätsrisiko, insbesondere bei Menschen unter
Hämodialyse oder bei schwerer Lebererkrankung, ist die Vibrio-vulnificus-Infektion. Hämorrhagische Blasen können (mit zentraler schwarzer Nekrose) beim Ecthyma gangraenosum auftreten, auch bei
paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie und Spinnenbissen (Fernreise, Hobby-Haltung).
Hautpurpura am Bauchnabel (
Cullen-Zeichen)
oder an den Flanken (
Gray-Turner-Zeichen)
weist auf ein
Pankreaskarzinom hin. Periokuläre und periorale, zumeist symmetrische flächenhafte Hauteinblutungen sind richtungsweisend für eine systemische Amyloidose. Kleine hämorrhagische Papeln mit Schuppenkrusten in seborrhoischen Arealen sollten an eine
Langerhans-Zell-Histiozytose denken lassen. Es ist ratsam, bei Kindern mit purpuriformer
Windeldermatitis oder Kopfhautekzem eine Hautbiopsie durchzuführen. Bei älteren Menschen sollten Petechien auch an bislang unerkannte
Gammopathien (Morbus Waldenström) denken lassen.
Die Histologie ungewöhnlich lokalisierter Purpura kann überraschend spezifisch sein und dadurch eine frühe korrekte Diagnose von Systemkrankheiten ermöglichen: Bei Petechien an Fingerspitzen und Palmoplantarflächen (besonders bei Kindern) findet man neutrophile Papillenabszesse als Hinweis auf eine
Dermatitis herpetiformis Duhring, an eingeblutet erscheinenden Fingernagelbetten epidermotrope atypische
Lymphozyten und Pautrier-Mikroabszesse als kutane Manifestation einer HTLV-I-Infektion.
Für das
CD4+-CD56
+-hämatodermische Neoplasma (früher: Blastisches NK-Zell-Lymphom, heute: Blastisches plasmacytoid dendritisches Zell-Neoplasma) ist der starke hämorrhagische (kontusiforme) klinische Aspekt typisch (>90 % der Fälle). Das Angiosarkom am Kopf alter Menschen beginnt meist uncharakteristisch mit schmerzhaftem, ödematösem Erythem und folgendem hämatomartigem Aspekt (frühe, multiple Biopsien sind indiziert). Netzartige Purpuraformen, auch Purpura-fulminans-artige Konfigurationen (Sugillationen und Ekchymosen) sind charakteristische Hautmanifestationen bei Kryoprotein-Krankheiten (intravasale Gelbildung,
Agglutination).
Bei fieberhaftem Exanthem und Fernreiseanamnese ist ein hämorrhagisches Dengue-Fieber zu erwägen, wenn nach einigen Tagen im Exanthemverlauf durch Petechien ein hämorrhagisches klinisches Bild entsteht. Purpuriforme makulopapulöse Effloreszenzen in linearer oder gruppierter Konfiguration mit Juckreiz sind hochverdächtig auf Wanzenstiche, insbesondere bei erhärtender Reiseanamnese. Die zentralen Einstichorte von Flohstichen sind zumeist hämorrhagisch (Purpura pulicosa). Menschenbisse bieten meist Hämatome mit eher oberflächlichen Hautdefekten.
Das dermatologische Signal
Purpura kann durch Hautbiopsie und gezielte Laborwerte rasch zu sehr seltenen Diagnosen führen. So ist das klinisch variable, jedenfalls für primäre maligne
Lymphome der Haut untypische Bild bei dem intravaskulären großzelligen Lymphom der Haut (zumeist B-Zelltyp) häufig von einer
Pannikulitis und einer Purpura geprägt. Auch ein Makrophagenaktivierungssyndrom bei Autoimmunerkrankungen (
Morbus Still) mit starker Hämophagozytose kann dermatologisch als Pannikulitis und mit purpuriformem Exanthem imponieren. Eine zumeist typisch perifollikuläre Purpura bei offenkundig untergewichtigen dünnen Jugendlichen (auch Jungen) sollte an einen Vitamin-C-Mangel bei Anorexie denken lassen.
Bei Hämatomen nach Bagatelltraumata sind zu erwägen, insbesondere bei Verdacht auf
Kindesmisshandlung: Von-Willebrand-Syndrom,
Ehlers-Danlos-Syndrom,
Hämophilie A und B,
Marfan-Syndrom,
Lipödem. Spontane multiple Hämatome der Haut, auch mit schwerer extrakutaner Beteiligung (gar Cerebrum), sind eine wohl unterschätzte Komplikation bei antidepressiver Therapie mit Serotoninwiederaufnahmehemmern (Paroxetin).
Klinische Zeichen und Symptome einer lokalen oder systemischen Störung der
Hämostase (Blutung und/oder Hyperkoagulabilität) an der Haut und den angrenzenden Schleimhäuten sollten komplett registriert und klar benannt werden. Purpura (Petechien), Sugillationen, Ekchymosen, Suffusionen, aber auch eine lokalisierte oder regionalisierte Livedo racemosa mit Ulzera, auch purpuriforme Pusteln und Papeln sind ein Dorado des interdisziplinär denkenden und handelnden Dermatologen. Eine Hautbiopsie ist zumeist unerlässlich, liefert nicht selten krankheitsspezifische morphologische Befunde. Die Zahl von diagnostisch hilfreichen sensitiven und mehr oder minder spezifischen Laborparametern ist auch für den Nicht-Hämostaseologen überschaubar. Die vielfach entschlüsselten Ätiopathogenesen liefern heute die Basis für manche sehr effektive Therapiemodalitäten mit Biologika (targeted therapies).