Stimulation der Erythropoese
Die Erythropoese
findet vor der Geburt in Dottersack, Leber, Milz und im
Knochenmark, nach der Geburt nur noch im roten Knochenmark der platten und kurzen Knochen statt. Sie wird durch das Hormon
Erythropoetin (EPO) stimuliert, das bis zu 90 % in den Endothelzellen der Niere, zu einem geringen Teil auch in den Hepatozyten der Leber synthetisiert wird. Die Hormonfreisetzung erfolgt durch eine verminderte
Sauerstoffsättigung des Blutes (
Hypoxie) mit anschließender Bindung an den EPO-Rezeptor auf der Oberfläche der Zellen. Es resultiert eine Aktivierung der Erythropoese. Die Vorstufen der Blutzellen entstehen aus multipotenten mesenchymalen Vorläuferzellen (Kap. Stammzellkonzept der Hämatopoese und deren Regulation). Durch Wachstumsfaktoren stimuliert werden sie zu unipotenten Stammzellen, die nur noch eine Entwicklungsrichtung besitzen. Die unipotente Stammzelle
der
Erythrozyten ist die „erythropoetin responsive cell
“ (ERC). Über den
Proerythroblasten,
Erythroblasten,
Normoblasten und
Retikulozyten entwickelt sie sich zum Erythrozyten
(
Normozyten). Der Zyklus dauert im Knochenmark fünf bis neun Tage. Zur Bildung von funktionsfähigen Erythrozyten benötigt die Stammzelle mehrere Substrate. Die wichtigsten sind das
Vitamin B12 (Cobalamin),
Folsäure und
Eisen.
Retikulozyten sind etwas größer als
Erythrozyten. Sie sind bereits kernlos, enthalten aber noch Reste von RNA (
Substantia granulofilamentosa). Diese RNA-Reste lassen sich mithilfe einer Supravitalfärbung darstellen. Die Erythrozytenüberlebensdauer im peripheren Blut beträgt durchschnittlich 120 Tage, der Abbau der Erythrozyten erfolgt in der Milz.
Hämoglobinsynthese
Häme sind Komplexverbindungen mit einem Eisenion als Zentralatom und einem Porphyrinmolekül als
Ligand. Häm
ist der rote Blutfarbstoff der Wirbeltiere, der in den
Erythrozyten enthalten ist und als
Hämoglobin 95 % ihrer Trockenmasse ausmacht. Bei seinem Abbau entsteht über
Biliverdin Bilirubin, das in der Leber konjugiert und mit der
Galle ausgeschieden wird. Die Synthese des Hämoglobins
erfolgt nach der Geburt im
Knochenmark. Es enthält 0,35 % an Häm gebundenes
Eisen, das entspricht etwa 70 % des Gesamtkörpereisens. Das Hämoglobinmolekül ist ein tetrameres Eisenprotein, dessen Monomere aus je einer Globinkette mit einem
Mol Häm als
prosthetischer Gruppe besteht. Bei den Globinketten unterscheidet man α-, β-, δ- und γ-Ketten. Vier Monomere bilden ein globuläres Makromolekül mit vier Hämeinheiten. Jeweils zwei Globinuntereinheiten eines Tetrameren sind einander gleich. Nach der Geburt ändert sich die Zusammensetzung der Globine
: α- und β-Ketten überwiegen mit 96–98 % (HbA1). Die Zusammensetzung des Hämoglobins kann in der Hämoglobinelektrophorese dargestellt werden. Die Kenntnis der normalen Verteilung ist wichtig zur Beurteilung angeborener Hämoglobinopathien (Tab.
1) (Pühler et al.
2000).
HbA1 (α2, β2) | 95–98 % | 60–80 % |
HbA2 (α2, δ2) | 1,5–3 % | 20–40 % |
HbF (α2, y2) | 0,2–0,8 % | 0,5 % |
Eisenmetabolismus
Mit der Nahrung werden täglich ca. 1–2 mg
Eisen aufgenommen und ebenso viel Eisen
geht über abgeschilferte Epithelien oder kleine Blutverluste verloren. Ein Erwachsener speichert Eisen hauptsächlich in Form von
Hämoglobin (rund 70 %), aber auch in Myoglobin, verschiedenen
Enzymen, die Eisen als Cofaktor benötigen (2 %) sowie als Depoteisen im
Ferritin (10–25 %). Die Resorption des zweiwertigen Eisens erfolgt vorwiegend im oberen Dünndarm. Als Regulator der Eisenresorption im Darm bzw. der Eisenfreisetzung aus Speichereisen wurde ein Protein beschrieben, das
Hepcidin 20 („hepatic bactericidal protein“). Die Vorstufe wird in der Leber gebildet (Pro-Hepcidin). Bei erhöhtem Eisen- oder Sauerstoffgehalt sowie erhöhtem Interleukin 6 (bei Entzündungen) steigt der Hepcidinspiegel an. Das in
Makrophagen der Milz gespeicherte Eisen kann nicht recycelt werden, wenn Hepcidin an Ferroprotein, das für den Transport von Eisen aus dem Zellinneren nach außen verantwortlich ist, bindet. Im Darm führen hohe Hepcidinspiegel dazu, dass das in der Mukosa gespeicherte Eisen nicht aufgenommen, sondern mit den Epithelien in den Darm abschilfert wird. Die intestinale Eisenresorption sinkt. Somit bewirken hohe Hepcidinspiegel eine verminderte Eisenresorption und -freisetzung, während niedrige Hepcidinspiegel zu einer erhöhten Eisenaufnahme
führen (Ganz
2003; Hentze et al.
2010).
Dieser Pathomechanismus wurde für die
Hämochromatose Typ 2 B nachgewiesen, bei der ein autosomal-rezessiv vererbter Mangel an
Hepcidin vorliegt (Mutation im HFE-Gen,
Chromosom 19, q13.1) (Erwin et al.
2008).
Der Serumeisen
spiegel unterliegt erheblichen physiologischen Schwankungen (nahrungsabhängig und tageszeitlich). Eisenmangelanämien und Anämien bei chronisch entzündlichen Erkrankungen zeigen erniedrigte Serumeisenspiegel (
Hepcidin). Bei einem Eisenmangel kommt es zum Anstieg des Transportproteins
Transferrin im Blut und die
Transferrinsättigung sinkt. Im Rahmen von Akut-Phase-Reaktionen wird die Transferrinsynthese supprimiert. Der Eisenspiegel kann ebenfalls absinken. Daraus resultiert trotz erniedrigter Transferrinwerte eine normale Transferrinsättigung. Normalerweise liegt diese zwischen 15–45 %. Eine unauffällige Transferrinsättigung schließt somit einen Eisenmangel nicht aus.
In der Praxis hat sich die Bestimmung des Serumferritin
s zur Beurteilung des Depoteisen
s etabliert. Serumferritin ist nahezu eisenfrei (Apoferritin). Es befindet sich aber mit dem eisenspeichernden
Ferritin im Retikuloendothelialen System (RES) im
Fließgleichgewicht und dient daher zur quantitativen Bestimmung der Eisenspeicher. Ferritin zählt zu den Akut-Phase-Proteinen, sodass bei Entzündungen, Tumorleiden oder Leberparenchymschäden eine Erhöhung des Serumferritins trotz Eisenmangels vorliegen kann. Als gesichert gilt der Eisenmangel
, wenn der Serumferritinwert unter 12 μg/l liegt. Eine Eisenüberladung
gilt als gesichert, wenn der Serumferritinwert über 220 μg/l liegt. Die Werte dazwischen können durch eine Akut-Phase-Reaktion bedingt sein (Worwood
1989). Der Transferrinrezeptor wird auf allen eisenaufnehmenden Zellen exprimiert, vorwiegend den Zellen der Erythropoese. Durch Proteolyse entsteht ein löslicher Transferrinrezeptor, der im
Plasma als Komplex mit
Transferrin vorkommt. Dieser steht in direkter Korrelation zur Transferrinrezeptorkonzentration der Zellmembran. Bei Eisenmangel wird der Transferrinrezeptor hochreguliert. Im Gegensatz zu Ferritin haben chronische Entzündungen, Leberschäden und Tumorleiden keinen Einfluss auf den Transferrinrezeptor
, aber eine Erhöhung findet sich auch bei einer gesteigerten Erythropoese im
Knochenmark, z. B. im Rahmen von akuten Blutungen,
Thalassämie, Polyzythämia vera (Beguin
2003).
Die intraerythrozytäre Zinkprotoporphyrin
(ZPP)-Konzentration steigt bei eisendefizitärer Erythropoese an. Mit der Messung dieses Parameters kann ein Eisendefizit frühzeitig erfasst werden. Die Methode differenziert aber nicht zwischen echtem Eisenmangel und einer Eisenverwertungsstörung. Sie hat sich bisher in der Routinediagnostik noch nicht durchgesetzt (Hastka et al.
1994).
Die
Retikulozytenhämoglobinbestimmung erlaubt eine Momentaufnahme der Eisenversorgung der Erythropoese, indem nur die gerade gebildete Erythrozytenpopulation ausgewertet wird („content hemoglobin of reticulocytes, Ret-Hb, CHr). Werte unter 28 pg gelten als früher Marker einer eisendefizitären Erythropoese (Thomas et al.
2005). Die Bestimmungsmethode ist jedoch nicht überall verfügbar.
Tabelle
2 gibt eine Übersicht der Normwerte der Eisenstoffwechselparameter.
Tab. 2
Normwerte der Eisenstoffwechselparameter
| 16–45 % | 16–45 % |
| 200–400 mg/dl | 200–400 mg/dl |
| 30–400 μg/l | 15–150 μg/l |
Serumeisen | 11–28 μmol/l | 6,6–26 μmol/l |
ZPP | | <40 μmol/mol Häm |
| >28 pg | >28 pg |
Erythrozytenabbau
Beim physiologischen Abbau von
Erythrozyten in der Milz wird Häm über
Biliverdin zu
Bilirubin abgebaut, in der Leber konjugiert und mit der
Galle ausgeschieden. Ein verstärkter Erythrozytenabbau
führt zu erhöhten indirekten Bilirubinwerten. Ebenfalls werden weitere zytoplasmatische Bestandteile freigesetzt und es resultiert vor allem eine Erhöhung der
Laktatdehydrogenase (LDH). Bei einem deutlich gesteigerten lienalen Erythrozytenabbau, z. B. im Rahmen einer
autoimmunhämolytischen Anämie, entwickelt sich eine
Splenomegalie.
Erfolgt der Abbau der
Erythrozyten innerhalb des Gefäßsystems, wird erhöhtes freies
Hämoglobin im
Serum gemessen. Ebenso kann Hämoglobin bzw.
Hämosiderin im
Urin nachgewiesen werden. Die erhöhte Ausscheidung verursacht eine Dunkelfärbung des Urins.
Haptoglobin ist ein Transport- und Akut-Phase-Protein und gehört zur Gruppe der α2-Globuline. Die Bildung erfolgt in der Leber. Haptoglobin bindet Hämoglobin und transportiert dieses von seinem Abbauort zum Retikuloendothelialen System (RES). Bei einem verstärkten Abbau von Erythrozyten sinkt der messbare Haptoglobinspiegel im Serum.