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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 13.03.2018

Labordiagnostik: Gerinnungsdiagnostik

Verfasst von: Berend Isermann und Juliane Hoffmann
Eine Gerinnungsdiagnostik ist induziert bei klinisch manifester oder Verdacht auf eine Hämostasestörung, Abklärung nicht symptomatischer Gerinnungsstörungen vor geplanten Risikosituationen (z. B. Operation, invasiver Eingriff wie Spinalanästhesie) oder zur Überwachung einer therapeutischen Therapie, die das Hämostasesystem beeinflusst (z. B. Steuerung einer Gerinnungshemmung oder Überwachung einer Thromboyztenhemmung). Gemäß dieser Indikationen unterscheidet man globale (erfassen mehrere Gerinnungsfaktoren, z. B. TPZ, APTT) und spezifische (z. B. Einzelfaktorbestimmung) Gerinnungsassays.

Stellenwert der Diagnostik

Eine Gerinnungsdiagnostik ist induziert bei klinisch manifester oder Verdacht auf eine Hämostasestörung, Abklärung nicht symptomatischer Gerinnungsstörungen vor geplanten Risikosituationen (z. B. Operation, invasiver Eingriff wie Spinalanästhesie) oder zur Überwachung einer therapeutischen Therapie, die das Hämostasesystem beeinflusst (z. B. Steuerung einer Gerinnungshemmung oder Überwachung einer Thromboyztenhemmung). Gemäß dieser Indikationen unterscheidet man globale (erfassen mehrere Gerinnungsfaktoren, z. B. TPZ, APTT) und spezifische (z. B. Einzelfaktorbestimmung) Gerinnungsassays.
Jede Anforderung eines Gerinnungsassays sollte durch eine Anamnese ergänzt werden, die Störungen der Hämostase in der Eigen- oder Familienanamnese und die Einnahme von Medikamenten, die die Gerinnung beeinflussen, erfragen. Dies ist nicht nur notwendig, um unnötige Diagnostik zu vermeiden, sondern es ist erforderlich, um die Laborbefunde adäquat interpretieren zu können.
Durch die Verfügbarkeit neuer Gerinnungs- und Thrombozytenhemmer sowie neuer Therapieoptionen bei Hämophilie ist die hämostaseologische Diagnostik umfangreicher geworden. Kenntnisse, welche Gerinnungshemmer die globalen Gerinnungsassays beeinflussen, Informationen über die Kinetik der Gerinnungshemmer (Peak versus Talspiegel) oder die Interpretation spezifischer Gerinnungsassays (funktionelle versus pharmakokinetischen Analysen) sind notwendig, um den Befund korrekt interpretieren zu können. Hier ist ggf. Rücksprache mit dem Laborarzt oder Klinischen Chemiker zu halten.

Material und Präanalytik

Die Einhaltung der präanalytischen Erfordernisse ist für die korrekte Diagnostik essenziell. Die Gerinnung wird durch Citrat (üblich: 3,2 %, ca. 0,105 mmol/l), das die für die Gerinnungsreaktion notwendigen Calciumionen bindet, inhibiert. Da im Labor eine definierte Menge Calcium zugeben werden muss, um die Gerinnung und damit die Assaydurchführung zu ermöglichen, muss das Verhältnis von Blut und Citrat bei der Blutentnahme eingehalten werden. Bereits geringe Abweichungen (>10 %) beeinflussen die Analytik und führen zu falschen Werten. Nicht ausreichend gefüllte Blutröhrchen können deshalb vom Labor nicht untersucht werden.
Alternative Antikoagulanzien sind nur selten indiziert. Indikationen sind z. B. seltene Thrombozytenfunktionsstörungen, deren Diagnostik in Gegenwart von Calcium nicht möglich sind. Hier können z. B. Thrombininhibitoren (z. B. Hirudin) verwendet werden.
Um eine Aktivierung des Gerinnungssystem im Rahmen der Abnahme und damit eine Verfälschung des Messergebnisses zu vermeiden, sollte die Blutentnahme idealerweise ohne Stauung erfolgen. Wenn dies nicht möglich ist, sollte die erste „Blutportion“ verworfen oder für weiteres Material (z. B. Serumröhrchen) verwendet werden. Bei Blutabnahme aus einem zentralen Venenkatheter ist unbedingt eine Kontamination mit Heparin aus dem Katheter zu vermeiden, ggf. müssen die ersten 10 ml der Entnahme verworfen werden.
Bei POCT-(Point-of-Care-)Methoden wird Kapillarblut verwendet. Hier ist eine übermäßige Massage der Punktionsstelle oder gar Drücken zu vermeiden, da hierdurch die Gerinnung artifiziell aktiviert wird.
Die Proben können auch nach Zentrifugation und Gewinnung des Plasmas in der Regel für maximal 4 Stunden aufgehoben werden. Daher sind Nachforderungen nicht möglich, wenn die Blutentnahme mehr als 4 Stunden zurückliegt. Aus dem gleichen Grunde ist ein rascher Probentransport in das Labor notwendig. Der Probentransport muss bei Raumtemperatur (18–25 °C) erfolgen. Auf keinen Fall dürfen die Blutröhrchen gekühlt werden, da dies zu einer Gerinnungsaktivierung (Kälteaktivierung) führen würde. Sollen Analysen zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden, müssen die Plasmaproben nach Zentrifugation bei −80 °C gelagert werden.

Analytische Methoden

Zunächst ist die Untersuchung des plasmatischen Gerinnungssystems (also im Wesentlichen der löslichen Gerinnungsfaktoren im Blut) und der thrombozytären Gerinnungsfunktionen zu unterscheiden. Die Aufteilung in eine plasmatische und eine thrombozytäre Gerinnungsanalyse ist nur bedingt physiologisch sinnvoll, da die plasmatische und thrombozytäre Gerinnung in vivo nicht getrennt stattfinden. Im Sinne einer gut reproduzierbaren und damit standardisierbaren Diagnostik ist diese Aufteilung jedoch zielführend.
Zu den Assays des plasmatischen Gerinnungssystem gehören die globalen Gerinnungsassays (Thromboplastinzeit, aktivierte partielle Thromboplastinzeit) sowie Assays von Einzelfaktoren oder Inhibitoren. Diese Assays werden immer mit thrombozytenarmem Citratplasma durchgeführt. Die Analytik des thrombozytären Gerinnungssystems umfasst verschiedene Aspekte der Thrombozytenfunktion und erfordert dementsprechend verschiedene Materialen. Im Rahmen der Thrombozytenfunktionstestung ist die Bestimmung der Thrombozytenzahl unabdingbar. Die Interpretation der meisten Analysen der thrombozytären Funktion ist nur bei einer ausreichenden Thrombozytenzahl möglich (i. d. R. > 100.000/μl).
Zudem besteht die Möglichkeit, Vollblutassays durchzuführen. Hier ist vor allem die Thrombelastometrie (z. B. Rotem) zu nennen. Im Rahmen der Thrombelastrometrie wird die Thrombusentstehung, dessen Festigkeit und die Lyse des Thrombus erfasst. Damit ist die Thrombelastometrie der einzige etablierte Assay zur Erfassung der physiologischen Lysereaktion.
Die Thrombophilie bezeichnet ein erhöhtes Thromboserisiko. Die Ursachen sind vielfältig und umfassen neben einem erhöhten Alter und Immobilisation angeborene (z. B. Mutationen des Faktor V, Protein C oder Antithrombinmangel) und erworbene (z. B. hormonell-bedingte APC-Resistenz) Ursachen. Bei der Diagnostik der Thrombophilie ist zu beachten, dass Funktionsassays (z. B. APC-Resistenz, FVIII-Plasmaspiegel) in der akuten Erkrankungsphase nicht sinnvoll sind, da im Rahmen der Thrombose und der anschließenden endogenen Fibrinolyse die Assays gestört werden können. Genetische Risikofaktoren (z. B. Faktor-V-Leiden oder Prothrombin-G20210A-Mutation) oder Antiphospholipidantikörper können hingegen auch während bzw. unmittelbar nach der akuten Thrombose bestimmt werden. Da jedoch in der Regel eine Antikoagulationstherapie für 3 oder 6 Monate erfolgt, ist eine Thrombophilieabklärung nach Absetzen der Antikoagulationstherapie ausreichend.
Eine Übersicht über die Assays mit Parametern gibt Tab. 1.
Tab. 1
Parameterübersicht
Assay
Anmerkung
Plasmatische Gerinnungsassays
Auch TPZ bzw. Prothrombinzeit (PT); globaler Gerinnungsassay
Einheit: Angabe in Sekunden (s) oder in % der Norm
Wegen der starken Abhängigkeit der TPZ von den Reagenzien wird die Angabe in Form des Quick-Wert bzw. des INR-Werts („international normalized ratio“) normalisiert; letztere ist insbesondere bei verlängerter TPZ, also bei Gerinnungshemmung, zu bevorzugen
Aussagen bzgl. des plasmatischen Gerinnungssystems, insbesondere der Faktoren VII, X, V und II; geeignet zur Überwachung einer Vitamin-K-Antagonisten-Therapie oder der Überwachung einer Therapie mit Prothrombinkomplexkonzentraten
Störfaktoren: Fibrinogenspaltprodukte (>50 mg/l verlängern die TZW; Antiphospholipidantikörper (TPZ in s ↑), direkte Thrombin- oder Faktor-Xa-Inhibitoren (TPZ in s ↑)
Indikation u. a. Ausschluss einer Blutungsneigung (aufgrund eines Faktorenmangels) präoperativ bzw. in der Notfalldiagnostik
Aktivierte partielle Thromboplastinzeit
Auch aPTT; globaler Gerinnungsassay
Einheit: Gerinnungszeit in s
Aussagen bzgl. des plasmatischen Gerinnungssystems, insbesondere der Faktoren XII, XI, IX, VIII, sowie der gemeinsamen Endstrecke FX, FV,F II und des Fibrinogens; geeignet zur Überwachung einer Heparintherapie (nur unfraktioniertes, hochmolekulare (HMW-) Heparine)
Verlängerung auch bei einer Therapie mit direkten Thrombininhibitoren (z. B. Argatroban, Hirudin)
Verlängerung bei einem Mangel der Faktoren XII, XI, IX, VIII, X, V sowie – in Abhängigkeit von der Messmetode – bei einem Fibrinogenmangel
Inhibitoren gegen die einzelnen Gerinnungsfaktoren und Lupusantikoagulanz führen ebenfalls zu einer verlängerten aPTT
Referenzbereich abhängig von den verwendeten aPTT-Reagenzien (laborspezifischen Referenzbereich beachten!)
Indikation u. a. Ausschluss einer Blutungsneigung (aufgrund eines Faktorenmangels) präoperativ bzw. in der Notfalldiagnostik
Activated clotting time
ACT, i. d. R. eine POCT-(Point-of-Care-)Methode
Indikation: Überwachung einer hoch dosierten Gerinnungshemmung (Heparin, Thrombininhibitoren) zur extrakorporalen Antikoagulation
Einzelfaktorenbestimmung
Differenzialdiagnostische Abklärung bei verlängerten globalen Gerinnungsassays
Überwachung einer Substitutionstherapie mit Gerinnungsfaktoren
Laborspezifische Referenzmethoden
Fibrinogenbestimmung
Indikationen: Verdacht auf angeborenen oder erworbenen Fibrinogenmangel, Überwachung einer Fibrinolysetherapie oder einer Fibrinogensubstitutionstherapie
Faktor-XIII-Bestimmung
Faktor XIII wird nicht von den globalen Gerinnungsassays erfasst
Indikation: Verdacht auf Faktor-XIII-Mangel oder im Rahmen einer Faktor-XIII-Substitutionstherapie
Anti-Faktor-Xa-Bestimmung
Indikation: Überwachung einer Therapie mit niedermolekularem (LMW-) oder synthetischem Heparin oder von direkten Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixapan, Fondaparinux); Angabe des Antikoagulanz zwingend notwendig, da substanzspezifische Eichkurven verwendet werden
Bestimmung des Plasmaspiegels
Thrombozytäre Assays
In-vivo-Blutungszeit nach Verletzung mit standardisierter Stechhilfe; wegen unzureichender Standardisierung obsolet
In-vitro-Butungszeit
Mittels „platelet function analyser“ (PFA); Vollblut (NB: als Antikoagulanz Trinatriumcitrat-Citronensäure-Puffer, 0,129 mol, pH 5,5 verwenden); verlängerte Zeiten bei den meisten Formen des Von-Willebrand-Faktor-(vWF-)Syndroms und thrombozytären Störungen, einschließlich medikamentöser Thrombozytenaggregationshemmung; ggf. ist eine weitere Diagnostik bei Verdacht auf vWF-Mangel oder thrombozytärer Störung notwendig
Thrombozytenfunktionsdiagnostik
Es wird die Fähigkeit der Thrombozyten erfasst, nach Zugabe spezifischer Agonisten ein stabiles Thrombozytenaggregat zu bilden; verschiedene Assays (z. B. photooptische Methoden oder die Impedanzaggregometrie); je nach Assays und Aktivator sind verschiedene Materialen notwendig (Rücksprache mit dem Laborarzt); es können Aussagen bzgl. Thrombozytopathien (z. B. vWF-Mangel, Storage-Pool-Disease, Benard-Soulier-Syndrom) oder der Wirkung von Aggregationshemmern (z. B. ASS, Thienopyridine) gemacht werden; ggf. ist eine weitere Abklärung bei Verdacht auf vWF-Mangel oder thrombozytärer Störung indiziert
Thrombophiliediagnostik
APC-Resistenz
Genetisch oder erworben (z. B. infolge hormoneller Kontrazeption)
Faktor-VIII-Aktivität
 
I. d. R. genetisch
Genetisch oder erworben; generell ist Protein S, da sowohl frei als auch gebunden vorkommend, variabel (z. B. Verminderung in der Schwangerschaft) und die Messwerte methodenabhängig
Antithrombin
Genetischer oder erworbener (z. B. Leberinsuffizienz) Mangel
Faktor-V-Mutation
Bei Kaukasiern i. d. R. die Faktor-V-Leiden-Mutation
Prothrombin-G20210A-Mutation
 
Antiphospholipidantikörper
 
Weitere Assays
HIT-Diagnostik
Verschiedene Assays zur Abklärung bei Verdacht auf heparininduzierte Thrombozytopenie
Nachweis der Antikörper durch direkte (z. B. Agglutination antigenbeschichteter Partikel) oder indirekte (Inkubation von Spenderthrombozyten mit Testserum in Anwesenheit von Heparin; Endpunkt: Thrombozytenaktivierung) Assays
Indikation: Verdacht auf Thrombose (bei niedriger/mittlerer klinischer Wahrscheinlichkeit)
Abbauprodukt von vernetztem Fibrin
Hohe Sensitivität, aber geringe Spezifität für intravaskuläre Thrombosen; daher gut als Ausschlussdiagnostik geeignet (fehlender D-Dimere-Nachweis: Ausschluss einer intravaskulären Thrombose; Interpretation immer in Zusammenschau mit der Klinik)
Thrombelastogramm
Globaler Gerinnungsassay; einschließlich Überwachung der Fibrinolyse
Als Material wird Citrat-antikoaguliertes Vollblut verwendet