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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 13.10.2023

Renale Komplikationen in der Schwangerschaft

Verfasst von: Christine Kurschat und Thomas Benzing
Schwere renale Komplikationen in der Schwangerschaft sind insgesamt selten. Die klinisch relevanteste schwere Komplikation ist die Präeklampsie/Eklampsie, die in 2–8 % aller Schwangerschaften auftritt und mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität sowohl der Mutter als auch des Kindes einhergeht. Eine Dilatation der Ureteren und des Nierenbeckens ist in der Schwangerschaft physiologisch und kann einen Harnaufstau vortäuschen. 80 % aller Schwangeren zeigen im dritten Trimenon eine Hydronephrose, die häufiger rechts als links auftritt. Eine asymptomatische Bakteriurie betrifft 2–10 % aller Schwangeren und sollte antibiotisch behandelt werden, ein Harnwegsinfekt ist bei 1–2 % nachweisbar. Die Therapie einer Hypertonie sollte mit ausgewählten Medikamenten erfolgen, ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptor-Antagonisten sind in der Schwangerschaft kontraindiziert.

Definition

Renale Komplikationen in der Schwangerschaft reichen von einer asymptomatischen, physiologischen Dilatation des Nierenbeckens und der Ureteren über Bakteriurien, Harnwegsinfekte, Entwicklung oder Verschlimmerung einer Hypertonie, Verschlechterung einer chronischen Niereninsuffizienz bis hin zu einer Präeklampsie/Eklampsie mit Nierenfunktionseinschränkung und akuter Bedrohung von Mutter und Kind.

Physiologie und Pathophysiologie

Physiologie

Während der Schwangerschaft nimmt das Blutvolumen signifikant zu. Parallel hierzu wird die Durchblutung der Nieren deutlich gesteigert und die Nieren werden 1–2 cm größer (Fitzpatrick et al. 2016). Kreatinin und Harnsäure im Serum sinken signifikant ab (Kreatinin auf 36–45 μmol/l [0,4–0,5 mg/dl], Harnstoff auf 3,0 mmol/l [18 mg/dl], Harnsäure auf 190–256 μmol/l [3,2–4,3 mg/dl]). Bei Schwangeren, die eine unzureichende physiologische Anpassung der Nieren zeigen, besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Wachstumsretardierung des Fetus. Neuere Studien belegen, dass zusätzlich bei den Kindern ein erhöhtes Risiko für eine verminderte Anzahl von Nephronen, eine spätere Hypertonie oder kardiovaskuläre Erkrankungen besteht.
Ein Serumkreatinin in der Schwangerschaft von > 70 μmol/l (0,8 mg/dl) sowie ein Anstieg der Harnsäure auf > 4,5 mg/dl sollten als pathologisch betrachtet werden.
Im Laufe der Schwangerschaft kommt es zu einer physiologischen Dilatation der Ureteren und des Nierenbeckens, welches einen Harnaufstau vortäuschen kann. Im dritten Trimenon zeigen 80 % aller Schwangeren das Bild einer Hydronephrose, rechts häufiger als links (Cheung und Lafayette 2013). Diese prädisponiert die Schwangere für eine Bakteriurie und aufsteigende Harnwegsinfektionen, ist aber primär nicht pathologisch.
Der Einsatz von Formeln, um die glomeruläre Filtrationsrate zu berechnen, ist in der Schwangerschaft nicht validiert. Daher ist bei speziellen Fragestellungen die Bestimmung der Kreatinin-Clearance im 24-h-Urin notwendig. Allerdings kann die korrekte Sammlung des Urins eine Herausforderung darstellen.
Eine Proteinurie bis zu 300 mg/Tag kann in der Schwangerschaft physiologisch sein und ist Ausdruck der durch die hämodynamischen Veränderungen auftretenden Hyperfiltration. Allerdings ist die Proteinurie auch ein Kardinalsymptom der Präeklampsie (Maynard und Thadhani 2009). Daher sollte eine Proteinurie in der Schwangerschaft mindestens alle 4 Wochen, bei nierenkranken Patientinnen häufiger, kontrolliert werden.
Der Blutdruck nimmt im ersten Trimenon deutlich ab und steigt zum Ende der Schwangerschaft langsam wieder auf das Niveau vor der Schwangerschaft an.

Pathophysiologie

Wegen der physiologischen Dilatation der Ureteren sowie des Nierenbeckens haben Frauen in der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung von Harnwegsinfekten. Anomalien der Harnwege, Diabetes, höheres Lebensalter, Sichelzellanämie und rezidivierende frühere Harnwegsinfekte prädisponieren zu einer asymptomatischen Bakteriurie.
Die Präeklampsie wird durch pathologische Vorgänge in der Plazenta hervorgerufen (Phipps et al. 2019). Ursächlich ist eine Dysbalance zwischen angiogenen und antiangiogenen Faktoren wie Placental Growth Factor (PlGF), Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) und löslichem VEGF-Rezeptor 1 (sFlt-1). Antiangiogene Faktoren wie sFlt-1 sind deutlich erhöht, dies wird vermutlich durch eine Plazentaischämie verursacht. sFlt-1 bindet an VEGF und PlGF und verhindert die Interaktion dieser Faktoren mit endothelialen Rezeptoren. Dadurch kommt es zu einer schwerwiegenden endothelialen Dysfunktion, progredienten Endothelschäden bis hin zur Auslösung einer thrombotischen Mikroangiopathie, die als HELLP-Syndrom („hemolysis, elevated liver enzymes, low platelet count“) in Erscheinung tritt. Zusätzlich wird durch oxidativen Stress eine systemische proinflammatorische Reaktion ausgelöst. Durch eine zusätzliche Vasokonstriktion, Plättchenaktivierung und mütterliche Volumenkontraktion kommt es zu einer verminderten Durchblutung der Plazenta, der Nieren, der Leber und des Gehirns der Schwangeren. Diese Veränderungen steigern sich im Verlauf der Schwangerschaft und verschwinden in der Regel erst mit der Geburt.

Epidemiologie

Eine asymptomatische Bakteriurie ist in 2–10 % aller Schwangerschaften nachweisbar, ein symptomatischer Harnwegsinfekt kommt bei 1–2 % aller Schwangeren vor. Eine Pyelonephritis entwickelt sich in weniger als 1 % aller Schwangeren, aber in bis zu 30 % aller Patientinnen mit asymptomatischer Bakteriurie.
Eine Hypertonie besteht bei 2–10 % aller Schwangerschaften. Davon haben 5–20 % der Frauen eine primäre Hypertonie, 5 % eine sekundäre Hypertonie, 35–70 % eine Präeklampsie und 20–41 % eine Gestationshypertonie. Weltweit ist die Hypertonie die zweithäufigste Todesursache bei Schwangeren nach Blutungskomplikationen.
Eine Präeklampsie entwickelt sich in 2–8 % aller Schwangerschaften und geht mit einer deutlich erhöhten Mortalität der Mutter und des Kindes einher. Bei Frauen, die bereits eine Präeklampsie in einer früheren Schwangerschaft durchgemacht haben, liegt das Risiko einer erneuten Präeklampsie zwischen 15 % und 65 %. Es sind mütterliche und väterliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Präeklampsie bekannt (s. Übersicht). Das Vollbild einer Eklampsie (mit zerebralen Krampfanfällen) ist mittlerweile in westlichen Ländern mit einer Prävalenz von 0,3 % aller hypertensiven Schwangerschaften selten.
Das HELLP-Syndrom geht mit einer mütterlichen Sterblichkeit von 1 % und einer perinatalen Mortalität von 7–34 % einher.
Ein akutes Nierenversagen in der Schwangerschaft mit Dialysepflichtigkeit ist heute selten und tritt in ca. 1 von 20.000 Schwangerschaften auf.
Risikofaktoren für eine Präeklampsie
Mütterliche Risikofaktoren:
Väterliche Risikofaktoren:
  • Vater durch eine Präeklampsie/Eklampsie-Schwangerschaft geboren
Mütterliche genetische Faktoren:
  • Präeklampsie in Schwangerschaft eines Angehörigen 1. Grades

Klinik, Diagnostik, Differenzialdiagnostik und Therapie

Die häufigsten renalen Komplikationen in der Schwangerschaft sind Harnwegsinfekte. In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft ist die Präeklampsie die häufigste Ursache einer Nierenerkrankung. Eine Hypertonie tritt ebenfalls nicht selten auf und kann unterschiedliche Ursachen haben. Ein akutes Nierenversagen, Nierensteine, eine thrombotische Mikroangiopathie oder ein HELLP-Syndrom sind deutlich seltener.

Harnwegsinfekte

Eine asymptomatische Bakteriurie wird außerhalb der Schwangerschaft nicht mit Antibiotika behandelt. In der Schwangerschaft hingegen kann eine asymptomatische Bakteriurie unbehandelt zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Diese wird diagnostiziert, wenn mehr als 105 Bakterien/ml im Urin nachweisbar sind. Bei einem symptomatischen Harnwegsinfekt (Pollakisurie, Dysurie, Algurie) reichen 102 Bakterien/ml für die Diagnose aus. Die Therapie nach Leitlinie kann mit Cephalosporinen der Gruppe 2 und 3 erfolgen, ein Antibiogramm ist sinnvoll. Die Pyelonephritis ist zusätzlich durch Unwohlsein, Flankenschmerzen und Fieber bis hin zu einem septischen Verlauf gekennzeichnet. Sie wird am häufigsten zwischen der 20. und 28. Gestationswoche beobachtet und betrifft meist die rechte Niere, da diese in der Schwangerschaft oft einen stärker dilatierten Ureter aufweist. Als Erreger werden v. a. E. coli, Klebsiella spp., Proteus spp., Enterokokken, Staphylokokken und Pseudomonaden isoliert. Die leitliniengerechte Therapie erfolgt meist mit Cephalosporinen der Gruppe 2 und 3. Eine Pyelonephritis sollte mindestens 2 Wochen lang antibiotisch behandelt werden. Zur Kontrolle des Therapieerfolges ist eine Urinkultur eine Woche nach Absetzen der Antibiotika empfehlenswert.
Nierensteine in der Schwangerschaft sind selten und treten nicht häufiger auf als bei Nichtschwangeren, sie betreffen 0,03–1 % aller Schwangerschaften. Meist gehen die Steine spontan ab, die Frauen werden in der Regel symptomatisch behandelt.

Hypertonie

Die Hypertonie ist eine häufige Erkrankung in der Schwangerschaft und liegt bei Blutdruckwerten > 140/80 mmHg vor. Sie besteht bei 2–10 % aller Schwangeren und wird dadurch, dass Frauen heutzutage zunehmend später schwanger werden, weiter steigen. 5 % der Schwangeren haben einen Bluthochdruck bei vorbestehender Nierenerkrankung, 20 % eine schwangerschaftsassoziierte Hypertonie, 70 % eine Hypertonie im Rahmen einer Präeklampsie und 5 % eine Präeklampsie bei vorbestehendem Bluthochdruck. Eine Hypertonie erhöht das gesundheitliche Risiko für die Mutter und das ungeborene Kind (Tab. 1) (Abalos et al. 2014). Grundsätzlich werden vier verschiedene Hypertonieformen in der Schwangerschaft unterschieden:
  • chronisch vorbestehende Hypertonie (5 %),
  • Gestationshypertonie (20 %),
  • Präeklampsie/Eklampsie (70 %),
  • Präeklampsie/Eklampsie bei vorbestehender Hypertonie (5 %).
Tab. 1
Risiko einer Hypertonie für die Schwangerschaft
Mütterliches Risiko
Kindliches Risiko
Erhöhtes Risiko einer Präeklampsie
Erhöhtes Risiko einer Plazentaablösung
Erhöhtes Risiko für einen Kaiserschnitt
Erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt
Erhöhtes Risiko für eine Wachstumsverzögerung
„small for gestational age“
Erhöhtes Risiko für Frühgeburtlichkeit
Bei chronisch vorbestehender Hypertonie ist der Blutdruck bereits vor der Schwangerschaft und/oder vor der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) erhöht und persistiert länger als 12 Wochen postpartal. Die Gestationshypertonie tritt erst nach der 20. SSW mit oder ohne Proteinurie auf, es fehlen dabei Symptome einer Präeklampsie. Sie kann aber in eine klassische Präeklampsie übergehen. Bei Präeklampsie/Eklampsie tritt eine arterielle Hypertonie und Proteinurie nach der 20. SSW bei vorher normotensiver Patientin auf und ist mit mütterlichen renalen, zerebralen, hepatischen und gerinnungsassoziierten Veränderungen verbunden. Die Präeklampsie/Eklampsie bei vorbestehender Hypertonie liegt vor, wenn eine Schwangere mit bekannter chronischer Hypertonie plötzlich eine deutliche Verschlechterung ihres Blutdrucks und eine neu aufgetretene zunehmende Proteinurie entwickelt. Das Risiko einer Präeklampsie ist bei Hypertonie mit 25 % deutlich erhöht, ohne Hypertonie kommt eine Präeklampsie in 5–6 % aller Schwangerschaften vor. Bei schwerer Hypertonie im ersten Trimester entwickelt sich in 50 % der Fälle eine Präeklampsie.
Nach den Leitlinien wird empfohlen, Blutdruckwerte > 140/90 mmHg zu behandeln (DGGG 2021). Eine schwangere Patientin mit chronischer Nierenerkrankung und Blutdruckwerten > 160/110 mmHg sollte stationär aufgenommen werden. Der Zielblutdruck bei schwangeren Patientinnen mit Niereninsuffizienz sollte zwischen 110/70 mmHg und 135/85 mmHg liegen (Brown et al. 2018; DGGG 2021). Eine ausreichende Studienlage zur Festlegung des optimalen Zielblutdrucks bei schwangeren Patientinnen mit chronischer Nierenerkrankung ist allerdings nicht vorhanden. Mittel der 1. Wahl zur Behandlung des Bluthochdrucks in der Schwangerschaft ist α-Methyldopa, ebenfalls sind Nifedipin und Amlodipin einsetzbar (Tab. 2). Insgesamt sind Amlodipin und Nifedipin bei schwerer Hypertonie effektiver als α-Methyldopa (Abalos et al. 2014). Labetalol ist möglich, aber in Deutschland schwer erhältlich, hier wird meist Metoprolol eingesetzt. Dihydralazin wird aufgrund von maternalen Nebenwirkungen wie einer Reflextachykardie nicht mehr empfohlen. Eine zu starke Blutdrucksenkung kann allerdings die plazentare Perfusion reduzieren und ist mit einem erniedrigten Geburtsgewicht des Kindes assoziiert. Daher sollte bei einer milden Hypertonie der Einsatz von Medikamenten gut abgewogen werden. Alle Antihypertensiva sind plazentagängig. Daher sollte die bestehende Blutdruckmedikation bereits vor Beginn einer Schwangerschaft geprüft und ggf. umgestellt werden. Angiotensin-Converting-Enzyme (ACE)-Hemmer und Angiotensinrezeptor (AT1)-Blocker sind teratogen und foetogen und können im 1. Trimenon zu kardiovaskulären und ZNS-Malformationen und im 2. und 3. Trimenon zu einem Oligo-/Anhydramnion, pulmonaler Hypoplasie, fetaler Hypotension, Wachstumsrestriktion und einer renal-tubulären Dysplasie führen. Sie sollten daher frühzeitig umgestellt werden. Die neonatale Mortalität beträgt bis zu 25 %. Wenn unter der Therapie mit einem ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptor-Antagonisten eine Schwangerschaft eintritt, ist dies allerdings kein Grund, die Schwangerschaft zu unterbrechen (DGGG 2021). Diuretika sollten in der Schwangerschaft nur in Ausnahmefällen, z. B. bei schwerer Herzinsuffizienz und Lungenödem oder schwerer Hypervolämie, eingesetzt werden. Für alle anderen Antihypertensiva, die routinemäßig eingesetzt werden, konnten bisher keine teratogenen oder foetogenen Nebenwirkungen nachgewiesen werden. Daher können Frauen schwanger werden, während sie diese Medikamente einnehmen.
Tab. 2
Blutdruckmedikation in der Schwangerschaft. (Modifiziert nach DGGG 2021)
Medikament
Perikonzeptionell
Schwangerschaft
Stillzeit
Dosierung
Anmerkungen
Geeignete Medikamente
α-Methyldopa
Sicher
Sicher
Sicher
200–250 mg
2–4 ×/Tag
max. 2 g/Tag
Mittel der 1. Wahl
Nifedipin ret.
(Adalat® ret.)
Sicher
Sicher
Sicher
20–60 mg
max. 120 mg/Tag
 
Amlodipin
Sicher
Limitierte
Datenlage
Limitierte
Datenlage
5 mg
max. 10 mg/Tag
 
Urapidil
Nicht teratogen
limitierte Datenlage
Nicht teratogen
limitierte Datenlage
Nicht teratogen
limitierte Datenlage
30–60 mg
max. 180 mg/Tag
 
Labetalol
(in Deutschland nicht eingesetzt)
Sicher
Sicher
Sicher
200 mg 3 ×/Tag
max. 1200 mg/Tag
Selten neonatale Bradykardie und Hypoglykämie
Eingeschränkt geeignete Medikamente
Selektive ß1-
Blocker
Metoprolol
Nicht teratogen
Nicht teratogen
Sicher
25–100 mg/Tag
Cave: IUGR!
selten neonatale Bradykardie und Hypoglykämie
Dihydralazin
(in DGGG-
Leitlinie nicht empfohlen)
Nicht teratogen
Nicht teratogen
Sicher
12,5–25 mg
max. 100 mg/Tag
Ausgeprägte maternale Nebenwirkungen
Nicht geeignete Medikamente
Diuretika
Nicht empfohlen
Nicht empfohlen
Nicht empfohlen
 
Potenzielle Beeinträchtigung der utero-plazentaren Perfusion
ACE-Hemmer
Nicht empfohlen
Nicht empfohlen
Nicht empfohlen
 
Vor allem im 2. und 3. Trimenon: Oligohydramnion, Malformationen, nephrotoxisch
Angiotensin AT1-Antagonisten
Nicht empfohlen
Nicht empfohlen
Nicht empfohlen
 
Oligohydramnion, Malformationen, nephrotoxisch
IUGR „intrauterine growth retardation/restriction“

Präeklampsie

Die Präeklampsie ist durch eine endotheliale Dysfunktion und Minderperfusion v. a. in der Plazenta, in den Nieren, der Leber und im Gehirn gekennzeichnet. Das klinische Bild umfasst die Entstehung oder Verschlechterung einer Hypertonie nach der 20. Schwangerschaftswoche, das Auftreten einer Proteinurie und von Ödemen (Phipps et al. 2019). Zusätzlich sind Sehstörungen, Krampfanfälle und die Entwicklung eines HELLP-Syndroms problematisch. Hierbei kommt es zu Gerinnungsstörungen und Thrombopenie mit zerebralen Blutungen und Leberblutungen, Oberbauchschmerzen und Erbrechen. Es findet sich eine thrombotische Mikroangiopathie mit hämolytischer Anämie, Fragmentozyten, Serumbilirubin- und LDH-Erhöhung, Transaminasenerhöhung sowie eine Thrombozytopenie < 100.000/μl. Treten generalisierte zerebrale Krampfanfälle auf, spricht man von einer Eklampsie. Da es im 3. Trimester physiologisch zu einer Erhöhung des Blutdrucks kommt, kann die Differenzialdiagnose einer Präeklampsie schwierig sein. Neben dem Urintest für Proteinurie/Albuminurie, der Überwachung von Blutbild (Hämoglobinwert, Thrombozytenzahl) und Nierenfunktion (Serumkreatinin, Elektrolyte, Serumharnsäure) und der Leberfunktionsparameter (GOT, GPT, Gerinnung) kann heute auch die sFlt-1/PlGF-Ratio Aufschluss über eine Präeklampsie geben. Diese sollte bei schwangeren Patientinnen mit Niereninsuffizienz bestimmt werden.
Die Nieren zeigen bei der Präeklampsie histologisch eine glomeruläre Endotheliose, die zu einem Verschluss der Kapillarlumina führen kann. Es kommt zu einer Abnahme der glomerulären Filtrationsrate und zu einer Proteinurie durch die Störung des glomerulären Filters der Niere. Häufig zeigt sich auch eine Proteinurie im nephrotischen Bereich > 3,5 g/Tag. Das mütterliche und fetale Risiko scheint mit der Höhe der Proteinurie korreliert zu sein. Zusätzlich kann es durch die Zirkulationsstörungen zu einer akuten Tubulusnekrose kommen, die sich als akutes Nierenversagen manifestiert. Die Verschlechterung der Nierenfunktion kann ein Grund für die Einleitung der Geburt sein. Diagnostisch ist neben der Bestimmung von Serumkreatinin und Urinprotein die Bestimmung der Serumharnsäure wichtig. Physiologisch sind niedrige Serumharnsäurewerte in der Schwangerschaft von < 4,5 mg/dl. Steigt die Serumharnsäure an, kann dies ein erster Hinweis auf die Entwicklung einer Präeklampsie sein.
Bei erhöhtem Risiko einer Präeklampsie sollte niedrig-dosiertes Aspirin ab Woche 12 erwogen werden, wenn kein erhöhtes Risiko einer gastrointestinalen Blutung vorliegt.
Obwohl die Veränderungen der Präeklampsie im Prinzip mit der Geburt komplett reversibel und mit der Geburt der Plazenta beendet sind, besteht ein erhöhtes Risiko eines Rezidivs bei erneuter Schwangerschaft und eine erhöhte Gefahr einer chronischen Nierenerkrankung im Verlauf. Daher muss das Risiko für den Fetus mit dem Risiko der Mutter abgewogen werden. Wegen der Gefahren der Frühgeburtlichkeit wird versucht, die Schwangerschaft durch konsequente Blutdruckeinstellung, Ruhe und intensive Überwachung möglichst lange zu erhalten. Hier kann es notwendig sein, intravenöse Antihypertensiva zu verabreichen. Der Blutdruck sollte nicht zu weit reduziert werden, weil hierdurch die Plazentaperfusion und Versorgung des Kindes weiter kompromittiert werden können. Diuretika sind bei der Präeklampsie relativ kontraindiziert, da sie das ohnehin verminderte intravasale Volumen weiter reduzieren. Magnesium wird zur Prophylaxe von Krampfanfällen eingesetzt, ist jedoch bei eingeschränkter Nierenfunktion vorsichtig zu dosieren, da Magnesium renal eliminiert wird und bei reduzierter Nierenfunktion akkumuliert. Indikationen zur Einleitung der Geburt sind die zunehmende Organdysfunktion der Mutter (Nieren- und Leberfunktionsverschlechterung, zerebrale Veränderungen, Thrombopenie), ein unkontrollierbarer Bluthochdruck, eine fetale Wachstumsretardierung oder ein fetaler Stress und ein Gestationsalter > 37 Wochen.
Innovative Studien zur Therapie der Präeklampsie untersuchen die Injektion von rekombinanten Proteinen wie VEGF, PlGF, die Inhibition der sFLT1-Produktion durch „small molecules“ oder RNA-Interferenz und die selektive Depletion von zirkulierendem sFLT1 durch Antikörper oder extrakorporale Elimination (Phipps et al. 2019).
Zur Reduktion des Präeklampsierisikos sollte bei Schwangeren mit chronischer Niereninsuffizienz ab 11 + 0 bis spätestens 16. Schwangerschaftswoche (SSW) eine Gabe von 150 mg Acetylsalicylsäure (ASS) pro Tag begonnen und bis zur kompletten 34–36 SSW weitergeführt werden. Wenn das Präeklampsiescreening negativ ist, kann der Verzicht auf ASS erwogen werden (DGGG 2021).

Akutes Nierenversagen

Das akute Nierenversagen in der Schwangerschaft ist selten. Prärenale Ursachen im ersten Trimester sind z. B. eine Hyperemesis gravidarum oder ein septischer Abort (Tab. 3). Beim septischen Abort besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Nierenrindennekrose. Im späteren Schwangerschaftsstadium sind als Ursachen eine Präeklampsie mit und ohne HELLP-Syndrom oder schwere Komplikationen wie die Schwangerschaftsfettleber (ASFL) oder eine Abruptio placentae möglich. Ein seltener Auslöser für ein meist dialysepflichtiges Nierenversagen ist die Nierenrindennekrose bei peripartaler Massenblutung.
Tab. 3
Ursachen eines akuten Nierenversagens in der Schwangerschaft
 
Spezifische Ursachen
Prärenal
Hyperemesis gravidarum
schwere Blutung
Sepsis/septischer Abort
Renal
Akute Tubulusnekrose
Nierenrindennekrose
Präeklampsie/HELLP-Syndrom
Medikamententoxizität
Postrenal
Nierensteine
Harnwegsobstruktion (selten)

Thrombotische Mikroangiopathie

Die schwangerschaftsassoziierte thrombotische Mikroangiopathie (TMA) ist durch eine Coombs-negative hämolytische Anämie und Thrombozytopenie sowie Mikrothromben in verschiedenen Organen, u. a. auch in den Nieren, gekennzeichnet. Die häufigste Ursache hierfür ist das HELLP-Syndrom. Allerdings gibt es auch andere, nicht immer einfach zu diagnostizierende Gründe für eine TMA. Bei Patientinnen mit TMA kann es zu einem akuten Nierenversagen mit Dialysepflichtigkeit kommen, ebenfalls wird oft eine Hypertonie beobachtet. Ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) entwickelt sich meist erst postpartum, eine thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) oft im dritten Trimenon oder postpartum (Fakhouri et al. 2010; Fakhouri und Frémeaux-Bacchi 2021; George 2022) (Tab. 4). Im Gegensatz zum HELLP-Syndrom sind die Leberwerte bei diesen beiden Erkrankungen meist normal. Bei einer TTP in der Schwangerschaft ist die Gabe von Caplacizumab möglich (Kühne et al. 2022).
Tab. 4
Differenzialdiagnose von Präeklampsie, HELLP-Syndrom, TTP, aHUS, ASFL und SLE. (Modifiziert nach DGGG 2021)
 
Präeklampsie/Eklampsie
TTP
aHUS
ASFL
SLE
Zeitpunkt des Auftretens
2.–3. Trimenon
3. Trimenon
1.–3. Trimenon
3. Trimenon
postpartum
3. Trimenon
1.–3. Trimenon
MAHA
+
++
+++
+++
(+)
+
Thrombopenie
+
++
+++
++
+
+
DIC
(+)
++
+++
(+)
Hypertonie
+++
++
+
++
+
Anstieg der Transaminasen
+
+++
(+)
(+)
+++
(+)
Proteinurie
++
++
(+)
++
0
++
ANV
(+)
+
+
+++
++
++
ZNS-Beteiligung
++
+
+++
++
++
+
Leukozytose
+++
(+)
HELLP „hemolysis, elevated liver enzymes, low platelet count“; TTP thrombotisch-thrombozytopenische Purpura; aHUS atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom; ASFL akute Schwangerschaftsfettleber; SLE systemischer Lupus erythematodes; MAHA mikroangiopathische hämolytische Anämie; DIC disseminierte intravasale Gerinnung; ANV akutes Nierenversagen

Chronische Niereninsuffizienz

Schwangere Patientinnen mit chronischer Niereninsuffizienz haben ein erhöhtes Risiko für die Verschlechterung ihrer Nierenfunktion und für fetale Komplikationen (Blom et al. 2017; Oliverio et al. 2021). Insbesondere das Ausmaß der Proteinurie ist mit einem erhöhten Risiko für Präeklampsie und Frühgeburtlichkeit verbunden. Der stärkste Risikofaktor für eine Frühgeburtlichkeit ist die chronische Hypertonie. Ebenfalls ist die Rate an Kaiserschnittentbindungen erhöht. Patientinnen mit glomerulären Erkrankungen, insbesondere mit Lupusnephritis, können einen akuten Schub ihrer Erkrankung während der Schwangerschaft entwickeln (Blom et al. 2017; Oliverio et al. 2021).
Die Konzeptionsrate von dialysepflichtigen Frauen ist stark reduziert und beträgt ca. 1/100 im Vergleich zu gesunden Frauen (Oliverio und Hladunewich 2020). Das Management einer schwangeren Dialysepatientin ist komplex und mit deutlich erhöhten Risiken für Mutter und Fetus verbunden. Während der Schwangerschaft ist es essenziell, die Dialysedosis deutlich zu erhöhen (Oliverio und Hladunewich 2020).
Frauen mit chronischer Nierenerkrankung G3–5 ab einer eGFR < 60 ml/min und/oder einer Albuminurie > 300 mg/g sollten eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin während der Schwangerschaft und im Wochenbett (6–8 Wochen postpartal) erhalten (DGGG 2021).

Verlauf und Prognose

Harnwegsinfekte

Trotz adäquater Therapie werden bei bis zu 20 % aller Frauen mit asymptomatischer Bakteriurie die Keime durch Antibiotika nicht eradiziert, sodass eine tägliche Antibiotikaprophylaxe während der Schwangerschaft eine mögliche Option darstellt. Da Harnwegsinfekte und Pyelonephritiden zu frühzeitigen Wehen und niedrigem Geburtsgewicht prädisponieren, sollten die Schwangeren engmaschig überwacht werden.

Hypertonie

Eine Gestationshypertonie sowie die Hypertonie im Rahmen der Präeklampsie verschwinden mit der Geburt des Kindes. 4–6 Wochen nach der Geburt steigt der Blutdruck wieder an, sodass Frauen, die vor der Schwangerschaft Antihypertensiva eingenommen haben, diese in der Regel wieder benötigen.

Präeklampsie

Nach der Geburt dauert die Besserung der Symptome meist 5–7 Tage. Die Hypertonie sollte nach spätestens 3 Monaten nicht mehr nachweisbar sein, die Proteinurie nach spätestens einem Jahr. Die Rekurrenz der Präeklampsie in einer späteren Schwangerschaft beträgt im Durchschnitt ca. 15 %, allerdings 25 % bei Frauen, die vor der 28. Schwangerschaftswoche eine Präeklampsie entwickelt haben. Frauen mit Präeklampsie haben ein erhöhtes Risiko für eine spätere Hypertonie oder eine chronische Nierenerkrankung, eine koronare Herzerkrankung, Thromboembolien und zerebrovaskuläre Insulte. Daher sollten sie auch nach der Geburt regelmäßig kontrolliert werden.

Akutes Nierenversagen

Die Prognose des akuten Nierenversagens in der Schwangerschaft hängt von der zugrunde liegenden Ursache ab. Bei der Präeklampsie und bei blutungsassoziierten Nierenfunktionseinschränkungen ist die Erholungsrate deutlich besser als beim HUS oder bei septischem Abort. Die mütterliche Mortalität liegt zwischen 6 % und 30 %, die fetale Mortalität kann höher sein und hängt stark von der perinatalen Versorgung ab.

Thrombotische Mikroangiopathie

Die mütterliche Mortalität bei HUS und TTP lag früher bei > 90 % und hat in den letzten Jahren stark abgenommen, sie liegt aber immer noch bei ca. 10 %. Die perinatale Mortalität ist mit 30–80 % hoch und wird v. a. durch plazentare Infarkte sowie eine Wachstumsretardierung hervorgerufen. Bis zu 70 % aller Patientinnen mit HUS-assoziiertem akuten Nierenversagen entwickeln eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz.
Literatur
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