Einleitung
Bei Erkrankungen, die durch Tropheryma whipplei verursacht werden, sollte man verschiedene Entitäten unterscheiden. Heute muss man davon ausgehen, dass die Besiedlung oder die Infektion mit T. whipplei nur selten zur Entwicklung chronischer Manifestationen führt.
Der klassische
Morbus Whipple ist die bekannteste, aber sehr seltene chronische systemische Infektion mit
T. whipplei, die erstmals 1907 durch Georg Hoyet Whipple beschrieben wurde (Marth et al.
2016). Genaue Daten zur Inzidenz liegen nicht vor, aber sie wird auf 1:1.000.000 geschätzt.
Eine weitere chronische Infektion stellt die isolierte
T.-whipplei-induzierte
infektiöse Endokarditis dar, die häufiger zu sein scheint als der klassische
Morbus Whipple (McGee et al.
2019).
Tropheryma whipplei kann hier nur auf der Herzklappe detektiert werden, und die
Endokarditis verläuft langsam progressiv.
Neben den eher seltenen chronischen Infektionen kann
T. whipplei häufiger im Kontext verschiedener selbstlimitierter Infektionen nachgewiesen werden, wobei die ursächliche Rolle von
T. whipplei hier noch nicht hinreichend evaluiert wurde. So konnte
T.-whipplei-DNA im Stuhl von 15 % von Kleinkindern mit Gastroenteritis in Frankreich meist als einziges potenzielles Pathogen detektiert werden. In 3 % der bronchioalveolären Lavagen von Patienten mit Lungenentzündung wurde ebenfalls
T.-whipplei-DNA nachgewiesen, wobei bei HIV-infizierten Patienten mit 13 % eine deutlich höhere
Prävalenz vorlag. Unter afrikanischen Patienten leiden 6 % unter einer Bakteriämie mit
T. whipplei, die mit
Husten oder
Fieber assoziiert scheint.
T. whipplei kommt auch unabhängig von Erkrankungen vor:
T.-whipplei-DNA ist in Kläranlagen nachweisbar, und asymptomatische Trägerschaft von
T. whipplei wurde gehäuft im Stuhl von Klärwerksarbeitern in Wien und in Frankreich, Familienmitgliedern von Patienten mit
Morbus Whipple, Bewohnern von Obdachlosenunterkünften und Bewohnern ländlicher Regionen des Senegal nachgewiesen. Dagegen kann in gesunden Kontrollen aus Frankreich
T.-whipplei-DNA nur in 2–4 % der Fälle mittels PCR in
Stuhlproben, Zahnplaque und Speichel detektiert werden. Daher wurde eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung postuliert, die unter schlechten hygienischen Bedingungen verstärkt scheint.
Im Folgenden wird auf die klinisch relevanten chronischen Infektionen eingegangen, da die Bedeutung von T. whipplei im Rahmen anderer Manifestationen oder sogar als Kommensale noch nicht hinreichend geklärt ist.
Pathophysiologie
In der ersten Fallbeschreibung des klassischen
Morbus Whipple von 1907 wurde bereits eine Infektion vermutet, die erst sehr viel später durch die erfolgreiche Therapie mit
Antibiotika und die elektronenmikroskopische Darstellung des Erregers erhärtet werden konnte und final durch die Amplifizierung des Gens der 16S-ribosomalen RNA des Erregers, die Kultivierung und letztendlich 2003 durch die Sequenzierung des Genoms von
T. whipplei bewiesen wurde (Raoult et al.
2003).
Mit einer Generationszeit von 18 Tagen zählt
T. whipplei zu den am langsamsten wachsenden humanpathogenen
Bakterien.
T. whipplei besitzt ein reduziertes Genom, was auf eine parasitäre Lebensweise hindeutet (Raoult et al.
2003), jedoch konnte eine replikative Infektion nur beim Menschen nachgewiesen werden und Tiermodelle fehlen bislang. Interessant ist die Resistenz des Erregers gegen Glutaraldehyd.
Der Kontakt mit
T. whipplei scheint sehr viel häufiger als der klassische
Morbus Whipple und führt in den meisten Fällen zu einer protektiven zellulären und humoralen Immunabwehr, die offensichtlich die chronische Infektion verhindern kann. Immunologische Defizienten der Betroffenen, die sowohl protektive T-Zell-Reaktionen als auch die Funktionen
antigenpräsentierender Zellen schwächen, ermöglichen dagegen die Persistenz der Infektion. Eine Prädisposition der Morbus-Whipple-Patienten wird durch die Tatsache unterstützt, dass als genetische Risikofaktoren für die chronische Infektion eine MHC-II/HLA-Assoziation und Polymorphismen in bestimmten Zytokingenen identifiziert werden konnten.
Epidemiologie
Der klassische
Morbus Whipple betrifft hauptsächlich kaukasische Männer mit einem Durchschnittsalter von 55 Jahren bei der Diagnosestellung. Zur Inzidenz gibt es keine systematischen Daten, sie wird aber auf ca. 1:1.000.000 geschätzt. Die
Prävalenz lag in den USA bei ca. 10 pro 1.000.000 (Elchert et al.
2019). In früheren Untersuchungen lag ein Verhältnis von Männern zu Frauen von 7–8:1 vor, inzwischen hat der Anteil an Frauen deutlich zugenommen, sodass das Verhältnis von Männern zu Frauen heute bei 2:1 bis 3:1 liegt (eigene unveröffentlichte Daten), in einigen Studien wird sogar gar kein Unterschied in der Inzidenz zwischen Männern und Frauen mehr beobachtet (Elchert et al.
2019).
Die isolierte
T.-whipplei-Endokarditis macht ca. 6 % der kulturnegativen Endokarditiden (Geissdorfer et al.
2012) aus, und
T. whipplei ist damit der häufigste unter den schwer anzüchtbaren Erregern von infektiösen Endokarditiden.
Differenzialdiagnose
In erster Linie sollte die Diagnose eines
Morbus Whipple aber bei allen Patienten mittleren Alters, die sich mit behandlungsresistenter Rheumafaktor-negativer Arthritis oder ungeklärten neurologischen Symptomen vorstellen, in Betracht gezogen werden (Lehmann et al.
2017; Feurle et al.
2021). Zur Differenzialdiagnose müssen Biopsien aus dem Dünndarm, der Synovialmembran oder anderen symptomatischen Geweben histologisch und Synovialfluid, Liquor oder andere Körperflüssigkeiten mittels PCR untersucht werden. Aufgrund der häufig vorkommenden Lymphadenopathie sollte der klassische Morbus Whipple in die Differenzialdiagnose bei dem Verdacht auf
Sarkoidose oder Lymphom in die histologische Untersuchung von Lymphknotenbiopsien eingeschlossen werden. Bei gastrointestinalen Symptomen müssen mittels histologischer Analyse von Dünndarmbiopsien
Zöliakie, tropische Sprue und mykobakterielle Enteropathien ausgeschlossen werden.
Therapie
Vor der Einführung von
Antibiotika endete der klassische
Morbus Whipple in der Regel tödlich. Die Behandlung basierte lange auf empirischen Daten, aber inzwischen liegen zwei prospektive Behandlungsstudien vor (Feurle et al.
2010b,
2013). Beide verfolgen die Strategie einer Induktionstherapie mit gut liquorgängigen Antibiotika, da beim Einsatz von Substanzen mit schlechterer Penetration der Blut-Hirn-Schranke häufig neuronale Rezidive auftraten. In der ersten prospektiven randomisierten Studie zeigten sich eine 14-tägige Induktionstherapie mit entweder Meropenem oder Ceftriaxon gefolgt von einer oralen Erhaltungstherapie mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol (TMP-SMX) für 12 Monate als gleichwertig (Feurle et al.
2010b), in einer zweiten Studie war eine 3-monatige Erhaltungstherapie mit TMP-SMX gegenüber der 12-monatigen nicht unterlegen (Feurle et al.
2013).
Die Kombination von Doxycyclin und Hydroxychloroquin wurde in vitro als wirksame Behandlung gegen T. whipplei identifiziert. Basierend auf diesen Daten stellt Doxycyclin (2-mal 100 mg/Tag) in Kombination mit Hydroxychloroquin (3-mal 200 mg/Tag) eine vielversprechende, bereits in Fallserien eingesetzte Behandlungsalternative dar, bei der auf die intravenöse Induktionstherapie verzichtet werden kann. Diese rein orale Therapie wurde gerade mit der Kombinationstherapie aus Ceftriaxon und TMP-SMX über 12 Monate in einer prospektiven randomisierten Behandlungsstudie verglichen (Studienleitung durch die Autoren, Manuskript in Vorbereitung).
In Frankreich wird eine lebenslange Behandlung mit Doxycyclin propagiert. Dieser Empfehlung können wir uns aufgrund der mangelnden Evidenz und der zu erwartenden Nebenwirkungen bislang nicht anschließen. Aufgrund der aktuellen Studienlage empfehlen wir die Behandlung mit 2 g Ceftriaxon i.v. für 14 Tage, gefolgt von einer oralen Erhaltungstherapie mit TMP-SMX 960 mg per os für 12 Monate (Feurle et al.
2013).
Verlauf und Prognose
Die antimikrobielle Behandlung führt in der Regel zu einer raschen klinischen Verbesserung und viele Patienten erholen sich komplett. Die häufigste Komplikation während der antibiotischen Therapie stellt das inflammatorische Immunrekonstitutionssyndrom (
IRIS) dar, das nach vorangegangener immunsupprimierender Behandlung gehäuft auftritt (Feurle et al.
2010a). Zum Zeitpunkt des IRIS kann meist kein replikationsfähiger Erreger mehr nachgewiesen werden, und
Fieber, gastrointestinale Probleme, bis hin zur Darmperforation, Arthritis oder Orbitopathie sind häufige Manifestationen. Seltenere Symptome sind hypothalamisches Syndrom, Erythema nodosum, Pleuritis,
Meningitis oder
Hirnabszesse. Neben sehr milden Verläufen kann IRIS damit auch lebensbedrohlich werden. Patienten sprechen in der Regel auf die zusätzliche Therapie mit
Kortikosteroiden (Prednisolon 1,5 mg/kg KG/Tag) an, wobei hier nur auf empirische Erfahrungen zurückgegriffen werden kann (Feurle et al.
2010a).
Infolge von irreversiblen Gewebeschäden besonders bei Befall des Zentralnervensystems (ZNS) kann es zu Defektheilungen kommen, und bei manchen Patienten mit ZNS-Manifestationen verläuft die Erkrankung trotz effizienter antibiotischer Therapie und Eradikation des Erregers progredient bis hin zum Tod.
Rezidive sind bei den heute eingesetzten antibiotischen Regimen relativ selten, jedoch besteht prinzipiell eine lebenslange Suszeptibilität gegenüber einer Neuinfektion, die auch mit anderen Stämmen von T. whipplei als dem initial nachgewiesenen erfolgen kann.
Sehr selten kommt es zu Resistenzentwicklungen gegen Sulfamethoxazol, die wirksame Komponente des TMP-SMX. Bei mangelndem Ansprechen auf die Behandlung mit TMP-SMX sollte daher auf Doxycyclin in Kombination mit Hydroxychloroquin zurückgegriffen werden.