Skip to main content
Die Ärztliche Begutachtung
Info
Publiziert am: 06.08.2024

Allgemein-körperliche Schädigungen durch Hitze und elektrischen Strom – Begutachtung

Verfasst von: Jürgen Fritze und Bernd Hartmann
Infolge des Klimawandels werden Hitzetraumen häufiger. Arbeitsbedingungen können das Risiko erhöhen. Im Einzelfall den Beweis eines überwiegend dem Hitzetrauma zuzuschreibenden Schadens zu führen, dürfte herausfordernd sein.
Jedenfalls tödliche Stromunfälle sind über die letzten Dekaden seltener geworden, mutmaßlich infolge technischer Fortschritte. Art und Ausmaß der Stromschäden hängen von Spannung, Stromstärke sowie Dauer und Weg des Stroms durch den Körper ab. Am Herzen führt insbesondere Wechselstrom zu Herzstillstand oder auch überdauernden, potenziell tödlichen Rhythmusstörungen, weshalb es der EKG-Kontrolle bedarf. Wird der Unfall überlebt, sind kardiale Spätfolgen nicht zu erwarten. Abhängig vom Weg des Stromes können Verbrennungen mit Dauerschäden (z. B. Muskelnekrosen) resultieren, die als GdB bzw. bei beruflichem Stromunfall als MdE zu würdigen sind.

Allgemeine Überwärmung

Die Körpertemperatur wird durch das autonome thermoregulatorische System stabil gehalten, das aber überfordert werden kann, wenn Umgebungstemperatur, Wärmeproduktion des Organismus durch körperliche Aktivität (z. B. Arbeit, Sport), Wärmeabgabe (Vasodilation in der Haut mit konsekutiv gesteigerter Herzbelastung) und Kühlung (Schwitzen mit Flüssigkeitsverlust) durch unangemessene Dämmung (Kleidung) ins Mißverhältnis geraten. Die Arbeitsstättenregel ASR A3.5 Raumtemperatur vom Juni 2010 legt im Punkt 4.2 Abs. 3 fest, dass die Lufttemperatur in Arbeits- und Sozialräumen + 26 °C grundsätzlich nicht überschreiten soll.
Bei Umgebungstemperatur über 30 °C wird von Hitze gesprochen. Infolge des Klimawandels steigen nicht nur die Durchschnittstemperaturen, sondern auch die Zahl der Hitzetage. Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen (insbesondere koronare Herzkrankheit) und damit assoziierte Arzneimittel, Konstitution und Akklimatisationsgrad beeinflussen die individuelle Hitzetoleranz (Foster et al. 2020).

Schädigungsbilder

Bei akuter Überwärmung (Hyperthermie) können im Zusammenhang mit der massiven Schweißbildung und daraus resultierendem Natriumverlust Muskelkrämpfe, sogenannte Hitzekrämpfe, auftreten. Dabei braucht die Funktion und Regulation des Herz-Kreislauf-Systems nicht wesentlich beeinträchtigt zu sein. Beim Hitzekollaps und besonders beim Hitzschlag mit Hyperthermie stehen dagegen die Symptome der schweren Kreislaufregulationsstörung im Vordergrund. Hitzekollaps und Hitzschlag sind nicht streng zu trennen. Der Sonnenstich ist klinisch und anatomisch nicht vom Hitzschlag zu trennen. Mit steigender Umgebungstemperatur steigt auch ohne Hyperthermie das Unfallrisiko (Winklmayr et al. 2023).
Vor allem eine plötzliche Hyperthermie, die den Hitzschlag kennzeichnet, verursacht Schäden des Zentralnervensystems mit Hirnödem, Blutungen in die subarachnoidalen Räume und in die Hirnsubstanz sowie mit gelegentlichen zerebralen Erweichungsherden und entsprechenden nervösen Ausfällen. Der schwere Hitzschlag kann durch Verminderung des Herz-Zeit-Volumens und Herzinsuffizienz zu schwerer allgemeiner Hypoxie und zum Tode führen.
Gefährdet sind insbesondere Berufe, bei denen sich ungünstige Bedingungen für die Wärmeabgabe mit gesteigerter Wärmeproduktion durch körperliche Schwerarbeit verbinden. Dazu gehören zum Beispiel Arbeiter in Bergwerken, Eisengießereien und Heizungsanlagen, Schiffsheizer oder Tunnelarbeiter.
Chronische Hitzeeinwirkungen sollen zu Dauerschäden insbesondere der Haut und der Schweißdrüsen und damit zu Störungen der Wärmeregulation, aber auch zu Kreislaufschäden führen können. Sogar psychische Veränderungen als Folge eines chronisch gestörten Wasser- und Mineralhaushaltes und endokrine Störungen, entstanden auf dem Boden chronischer Hitzeeinwirkung, wurden diskutiert. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass bei gesunden Menschen, bei normaler Ernährung und Flüssigkeitszufuhr selbst jahrelange Hitzearbeit zu Dauerschäden führen kann, denn dann müssten solche Dauerschäden mit regional höheren Temperaturen assoziiert sein; das ist nicht erwiesen. Weitgehend erwiesen ist, dass akuter Hitzestress mit erhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität assoziiert ist (z. B. Green et al. 2019; Liu et al. 2022), insbesondere in höherem Lebensalter wegen abnehmender Anpassungsfähigkeit und aus Gründen der Multimorbidität.

Epidemiologie

Die Mortalität infolge Hitze kann nicht unmittelbar gemessen werden, weil gemäß Robert-Koch-Institut (RKI) „nur für einen sehr kleinen Teil der während Hitzeperioden aufgetretenen Sterbefälle Hitze als Todesursache (ICD-10-GM T67) identifiziert wird“ (Winklmayr et al. 2023). Die hitzebedingte Mortalität wird vielmehr mittels verschiedener Methoden geschätzt. „Insgesamt beläuft sich die Schätzung im Jahr 2018 auf etwa 8300 hitzebedingte Sterbefälle. Im Jahr 2019 waren es rund 6900 Sterbefälle und etwa 3600 im Jahr 2020. Im Jahr 2021 war die Zahl der hitzebedingten Sterbefälle in Deutschland nicht statistisch signifikant. Im Jahr 2022 wurden dann rund 4500 hitzebedingte Sterbefälle geschätzt“ (Winklmayr et al. 2023).
Seit 2019 veröffentlicht das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) den InEK DatenBrowser (https://datenbrowser.inek.org), dem sich u. a. die vollstationären Fälle nach Haupt- und Nebendiagnosen entnehmen lassen. Danach erfolgten in den Jahren 2019 bis 2023 jährlich im Mittel 1671 Aufnahmen in somatischen Einrichtungen (Abb. 1) unter einer Haupt- oder Nebendiagnose eines Hitzeschadens (mindestens ein Kode aus ICD-10-GM T67.-), wobei der Kode T67.0 (Hitzschlag und Sonnenstich) jeweils mit etwa 80 % dominierte. Der Vergleich mit der oben zitierten Mortalitätsstatistik des RKI, wonach sich die hitzebedingten Sterbefälle weit überwiegend prästationär ereignet haben müßten, illustriert die Unsicherheiten der ursächlichen Zuordnung zur akuten Hitzeschädigung.
Präventive Maßnahmen gewinnen auch infolge des Klimawandels an Bedeutung (Winklmayr et al. 2023). Diese können letztlich nur einerseits Vorschriften zu Umgebungstemperaturen adressieren, andererseits an die Eigenverantwortung appellieren. Rechtlich einklagbare Höchstwerte zur Umgebungstemperatur an Orten, denen sich der Bürger nicht entziehen kann (z. B. Arbeitsplatz, Pflegeheim, Krankenhaus) gibt es bisher nicht – was hinreichend begründet sein mag.

Gutachtliche Bewertung

Die Thermoregulation obliegt grundsätzlich dem Individuum. Erleidet ein Individuum durch ein Hitzetrauma einen bleibenden Schaden (z. B. Folgen eines Herzinfarktes, Verschlimmerung einer vorbestehenden Krankheit), so ist dies im GdB entsprechend den jeweiligen funktionellen Einschränkungen gemäß Versorgungsmedizinverordnung zu würdigen. Ist das Hitzetrauma einer Exposition zuzuschreiben, der sich das Individuum nicht entziehen konnte (z. B. Arbeitsplatz, Pflegeheim, Krankenhaus), dann ist in jedem Einzelfall zu klären,, inwieweit der Schaden wesentlich bzw. kausal der Exposition einerseits oder bereits zuvor bestehenden Krankheiten andererseits zuzuschreiben ist. Das scheinen derzeit weitgehend theoretische Probleme darzustellen, indem es keine Präzedenzen zu geben scheint. Banal sind die Fragen nicht: verstirbt z. B. ein Pflegeheimbewohner vorzeitig infolge eines Hitzetraumas, das unzureichender Klimatisierung des Pflegeheims zuzuschreiben sein könnte, so könnten Hinterbliebene Schmerzensgeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB fordern. Erleidet ein Arbeitnehmer einen bleibenden Schaden infolge Hitze am Arbeitsplatz, dann könnten die Schäden entsprechend einer den funktionellen Einbußen entsprechenden MdE gemäß Versorgungsmedizinverordnung zu entschädigen sein. Den Beweis eines überwiegend dem Hitzetrauma zuzuschreibenden Schadens zu führen, dürfte herausfordernd sein, denn in der Regel dürften Vorerkrankungen (zum Beispiel koronare Herzkrankheit, Carotisstenose) ausschlaggebend gewesen sein.

Elektrounfälle

Die vielfältige und zunehmende Verwendung elektrischer Energie und elektrischer Geräte im täglichen Leben, in der Industrie, im Verkehrswesen und in der Landwirtschaft bringt trotz bestehender Sicherheitsbestimmungen des VDE (Verband Deutscher Elektrotechniker) und auch auf internationaler Ebene eine große Zahl von Unfällen mit sich. Nach einem schweren Elektrounfall entscheiden die ersten Minuten über Leben und Tod.

Verhütung eines Elektrounfalls

Zur Verringerung der Gefahren im Arbeitsleben haben die Berufsgenossenschaften entsprechende Unfallverhütungsvorschriften erlassen. Bei der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, durch mehrere Zusammenschlüsse seit dem Jahr 2008 heute Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM), besteht ein Institut zur Erforschung elektrischer Unfälle in Köln, dessen Arbeiten wichtige Erkenntnisse gebracht und dazu beigetragen haben, dass die Häufigkeit von Stromunfällen im Arbeitsleben und ihr Anteil an den Arbeitsunfällen insgesamt rückläufig ist. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat 2016 einen Leitfaden bereit gestellt (https://www.dguv.de/medien/fb-erstehilfe/de/pdf/stromunfall-2016.pdf).

Voraussetzungen eines Elektrounfalles

Elektrounfälle können durch Gleichstrom, Wechselstrom oder Drehstrom hervorgerufen werden. Da auch bei Unfällen durch Drehstromanlagen nur Wechselstrom auf den menschlichen Körper einwirkt, genügt es, die Auswirkungen des Gleichstroms und des Wechselstroms auf den Organismus zu besprechen.
Voraussetzung für einen Elektrounfall ist eine bestimmte Mindestspannung. Die gebräuchlichste Stromart ist Wechselstrom mit einer Spannung von seit 2009 230 ± 10 % Volt und einer Frequenz von 50 Hz. Straßenbahnen und Oberleitungsbusse werden meist mit Gleichstrom von 500–1200 V Fahrdrahtspannung betrieben. Die Deutsche Bahn verwendet Wechselstrom von 15.000Volt mit einer Frequenz von 16 2/3 Hz. Überlandleitungen haben hierzulande Spannungen bis 380.000 V, Blitze erzeugen Spannungen von 25–50 Mio. Volt.
Die Folgen der Einwirkung des elektrischen Stromes werden von der auf den Körper bzw. auf seine Gewebe einwirkenden Stromstärke, von der Dauer dieser Einwirkung, von dem Stromweg im Körper und für den Fall des Wechselstromes von der Stromfrequenz bestimmt. Die bei gegebener Spannung beim Stromdurchgang durch den menschlichen Körper wirksam werdende Stromstärke hängt von den Widerständen an den Stromeintritts- und Stromaustrittsstellen der Haut und von dem sogenannten inneren Körperwiderstand der Gewebe ab. Abhängig von der Fläche des Stromeintritts bzw. -austritts ist der Hautwiderstand im Vergleich zum inneren Körperwiderstand relativ hoch. Außerdem spielt der Zustand und insbesondere die Feuchtigkeit der Haut, die Dicke der Haut, aber auch die Bedeckung der Haut mit Kleidung oder Schuhwerk eine Rolle. Weil der innere Körperwiderstand – bei einem Stromweg von einer Hand durch den Oberkörper zur anderen Hand mit etwa 1200 Ohm etwa doppelt so groß wie bei einem Stromweg über beide Hände durch den Rumpf und beide Beine – relativ gering, oder umgekehrt ausgedrückt die Leitfähigkeit der Gewebe hoch ist, spielt die Wärmeentwicklung beim Stromdurchgang keine wesentliche Rolle. Dagegen führt der große Hautwiderstand beim Stromfluss, abhängig von der Berührungsfläche und dem Berührungsdruck, aber auch von dem betroffenen Material der Kleidung, Schuhsohlen und des Fußboden, zu erheblicher Wärmeentwicklung und damit zu mehr oder weniger schweren Verbrennungen an den Stromeintritts- und besonders an den Stromaustrittsstellen der Haut. Schuhe mit dicken Gummisohlen haben einen elektrischen Widerstand von 70.000 Ohm, solche mit feuchten, dünnen Ledersohlen nur von 70 Ohm. Die wirksam werdende Spannung und die Summe aller Durchflusswiderstände entscheiden, mit welcher Stromstärke der Strom durch den Körper fließt. Köppen (1961) hat zur Beurteilung des Elektrounfalles eine Einteilung in Stromstärkebereiche vorgenommen, die in die Norm VDE V 0140-479-1 eingegangen sind. Die BG ETEM bietet eine Monografie „Stromunfälle, Herzkammerflimmern und Letalität“ (Kieback 2009).

Stromstärkebereiche und ihre Schädigungen

  • Stromstärkebereich I:
    a.
    Gleichstrom: Stromstärke unterhalb etwa 80 mA
     
    b.
    Wechselstrom: Stromstärke unterhalb etwa 25 mA
     
Einwirkungsdauer unbegrenzt. Ein hoher Übergangswiderstand liegt vor. Es treten geringgradige Blutdrucksteigerungen in Abhängigkeit von der Stromstärke auf, ferner eine geringe Verkrampfung der Atemmuskulatur, keine nachfolgende Schädigungen des Leitungssystems des Herzens. Der Stromstärkebereich I (hoher Übergangswiderstand: trockener Fußbodenbelag, Schuhe, Kleidung, trockene schwielige Hände) ist absolut ungefährlich und hinterlässt keinerlei pathologische Wirkungen auf Herz, Nerven und Kreislauf. Irgendwelche nachfolgenden Erkrankungen sind nach diesen physiologischen Erkenntnissen selbst bei längerer Einwirkungsdauer unwahrscheinlich. Die Grenzen zum Stromstärkebereich II sind fließend. 18 bis 20 bis 25 mA ist etwa die unterste Grenze. Auch Hochspannungsunfälle können in den Stromstärkebereich I eingeordnet werden, falls entsprechend hohe Übergangswiderstände vorliegen.
  • Stromstärkebereich II:
    a.
    Gleichstrom: Stromstärke zwischen 80 und 300 mA
     
    b.
    Wechselstrom: Stromstärke zwischen 25 und 80 mA
     
Niedrigerer Übergangswiderstand als beim Stromstärkebereich I; Herzstillstand mit nachfolgender unregelmäßiger Herzschlagfolge (arrhythmisch wie im Stromstärkebereich IV), Blutdrucksteigerung, Atmungsverkrampfung; bei einer Einwirkungsdauer von etwa 25–30 s geht der Herzstillstand bei Wechselstromeinwirkung in Herzkammerflimmern über.
  • Stromstärkebereich III:
    a.
    Gleichstrom: Stromstärke zwischen 300 mA und 3–8 A
     
    b.
    Wechselstrom: Stromstärke zwischen 80 und 100 mA und 3–8 A
     
Sehr niedriger Übergangswiderstand; Herzkammerflimmern (irreversibel) mit Ausnahme kurzer Zeiten: etwas kleiner als 0,2–0,3 s (physiologische Reaktionen wie im Stromstärkebereich Il).
Bei Gleichstrom: Herzkammerflimmern nur bei einem Stromweg Hände-Rumpf-Füße-Erde, während bei einer Durchströmung Hand-Hand kein Herzkammerflimmern zu beobachten ist.
Bei Wechselstrom: In diesem Stromstärkebereich tritt unabhängig vom Stromweg (wenn das Herz im Stromkreis liegt) in der Regel irreversibles Herzkammerflimmern auf. Ausnahme: sehr kurze Einwirkungsdauer von 0,1 bis max. 0,3 s. Bei letzterer Einwirkung Reaktion ähnlich wie im Stromstärkebereich II.
  • Stromstärkebereich IV:
    • Stromstärken oberhalb 3 A
Kreislauf- und Herzstillstand mit nachfolgender, sehr lang anhaltender Herzunregelmäßigkeit (arrhythmisch wie im Stromstärkebereich II), Blutdrucksteigerung während der Durchströmung und Verkrampfung der Atmung. Einwirkungsdauer bis zu einigen Sekunden, dann Tod infolge schwerster Verbrennungen, nicht durch Herzkammerflimmern.
In den Stromstärkebereichen I bis III ist mit Auswirkungen an den inneren Organen – mit Ausnahme des Herzens – und am Zentralnervensystem nicht zu rechnen. Bei tödlichen Unfällen der Stromstärkebereiche II und III wurden lediglich eine Hyperämie der inneren Organe, venöse Blutstauung und vereinzelt auch perivaskuläre Blutaustritte beobachtet, aber keine ernsthafte Schädigung zum Beispiel an den Ganglienzellen des Gehirns oder des Rückenmarks nachgewiesen. Die vorübergehend während der Stromeinwirkung auftretende Verkrampfung der Atmungsmuskulatur und auch die Blutdrucksteigerung klingen innerhalb weniger Sekunden nach Beendigung der Stromeinwirkung wieder ab.
Bei Hochspannungsunfällen, also bei Unfällen im Stromstärkebereich IV, kommt es zu Verbrennungen, die abhängig von der Einwirkungsdauer zu oberflächlichen oder auch zu tiefen Gewebszerstörungen unter anderem auch des Gehirns führen können (Abb. 2). Es kann aber auch im Niederspannungsbereich zu allerdings reversiblen neurologischen Ausfällen mit vorübergehenden Lähmungen, Paresen oder Sensibilitätsstörungen kommen.
Periphere Nervenschäden sind ausgesprochen selten und werden nur nach schweren Verbrennungen beobachtet. Solche Verbrennungen reichen von den meist oberflächlichen Strommarken über ausgedehnte Gewebsverbrennungen bis zu den schweren Verbrennungen durch Flammbogenwirkung und bis zur schweren allgemeinen Verbrennungskrankheit mit ihren komplizierenden sekundären Organschädigungen zum Beispiel mit Stressulzera am Magen und Zwölffingerdarm, mit Folgen der Schockniere und anderer Organschädigungen. Es handelt sich dabei also nicht um eigentliche Folgen der Einwirkung des elektrischen Stromes, sondern vielmehr um die Auswirkungen der dadurch verursachten Verbrennungskrankheit.
Mit diesem wärmeenergetischen Effekt des elektrischen Stromes ist bei Stromstärken über 1 A und bei sekundenlangem Stromdurchfluss zu rechnen. Dieser Stromstärkebereich entspricht dem Hochspannungsbereich über 1000 V. Die thermische Wirkung des Stromes führt dabei zur schnellen Verkohlung der Haut, ihr Widerstand sinkt dadurch ab, und die Muskulatur wird im Bereich des Stromweges bis über 70 °C erhitzt und geht zugrunde. Die unmittelbaren Folgen der Hochspannungsverbrennung und auch die Spätfolgen sind also im Wesentlichen durch das zugrunde gegangene Muskelgewebe verursacht. Dadurch kommt es auch zur Nierenschädigung und unter dem Bild der Schockniere zum Nierenversagen.
Die Verbrennungen durch einen elektrischen Lichtbogen, häufig ohne Stromdurchgang durch den Körper, sind im Allgemeinen weniger schwerwiegend und durch Hautverbrennungen, aber auch durch Verbrennungsauswirkungen an den Augen und anderen Organen gekennzeichnet.
Abb. 3 stellt die verschiedenen Schädigungsmöglichkeiten für Wechselstrom der Frequenz von 50–60 Hz bei unterschiedlichen Stromwegen durch den Körper synoptisch dar.
Die psychischen Auswirkungen eines Elektrounfalles spielen in der Diskussion um die versicherungsrechtlichen Folgen eine gewisse und gegenüber anderen Unfallfolgen besondere Rolle. Das rührt daher, dass das Phänomen der Todesangst nicht selten bei erhaltenem Bewusstsein erlebt wird. Der Elektrounfall als Erlebnisreaktion ist von dem Unfallablauf mit Verkrampfung der Muskulatur im Bereich des Stromweges, durch die Unmöglichkeit, sich aus dem Stromkontakt zu befreien, entscheidend bestimmt. Es besteht ein Schreckerlebnis mit extremer Atemnot, oft heftigem Kopfschmerz und Vernichtungsangst. Reizbarkeit, Konzentrationsmangel, Angst, u. a. auch vor erneutem Umgang mit elektrischen Anlagen, aber auch organbezogene psychische Fixierung wie zum Beispiel die Faustschlusshaltung einer Hand können geraume Zeit nach dem Unfall noch vorhanden sein.

Epidemiologie

Die Zahl der tödlichen Stromunfälle hat in Deutschland über die letzten Dekaden eindrucksvoll abgenommen, obwohl die Chancen, mit elektrischen Geräten in Konflikt zu geraten, sicher gestiegen sind: Während sie in den 1970er-Jahren noch fast 300 erreichte, lag sie 2021 gemäß statistischem Bundesamt bei 88 (Abb. 4). Dazu dürften Sicherungsmaßnahmen wie zum Beispiel Fehlerstromschutzschalter beigetragen haben. Die BG ETEM bietet beachtliches statistisches Material (https://www.bgetem.de/arbeitssicherheit-gesundheitsschutz/institute/institut-zur-erforschung-elektrischer-unfaelle/statistik-der-stromunfaelle; Zugriff am 06.06.2024). Danach ereignen sich nur ca. 10 % der Stromunfälle in beruflichem Kontext. Sowohl die BG ETEM als auch der VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V.) veröffentlichen langfristige Zeitreihen zu den Sterbefällen (https://www.bgetem.de/arbeitssicherheit-gesundheitsschutz/institute/institut-zur-erforschung-elektrischer-unfaelle/statistik-der-stromunfaelle; https://www.vde.com/de/suf/statistik-stromtote; Zugriff am 06.06.2024), die sich auf Zahlen des statistischen Bundesamtes berufen und miteinander harmonieren, aber deutlich niedriger liegen als die in Abb. 4 präsentierten Zahlen des statistischen Bundesamtes. Laut VDE seien Suizide und Bahnunfälle nicht enthalten, was die Diskrepanzen aber nur teilweise aufklären kann.
Seit 2019 veröffentlicht das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) den InEK DatenBrowser (https://datenbrowser.inek.org), dem sich u. a. die vollstationären Fälle nach Haupt- und Nebendiagnosen entnehmen lassen. Danach erfolgten in den Jahren 2019 bis 2023 jährlich im Mittel 50 Aufnahmen in somatischen Einrichtungen (Abb. 5) unter einer Haupt- oder Nebendiagnose eines Blitzschlages (ICD-10-GM T75.0) und 5898 eines Schadens durch elektrischen Strom (T75.4). Bei Hauptdiagnose waren über 90 % sog. Kurzlieger (Unterschreiten der unteren Grenzverweildauer), bei Nebendiagnose etwa 70 %. Die Kurzlieger dürften i.W. das nach Leitlinie gebotene kardiovaskuläre Monitoring (insbesondere EKG) erfahren haben. Ob dieses unter vollstationären Bedingungen zu erfolgen hat, wurde debattiert (Searle et al. 2013).

Gutachtliche Bewertung

Mit Spätschäden ist auch nach schweren Niederspannungsunfällen sehr selten zu rechnen. Selbst bei schweren Herzrhythmusstörungen werden – wenn der Betreffende überlebte – in der Regel keine Dauerfolgen zurückbehalten. Auch Hochspannungsunfälle mit äußerlichen Verbrennungen hinterlassen meist – wurden die Frühschäden am Herzen oder am Zentralnervensystem überstanden – keine Dauerfolgen. In einigen Fällen bleibt eine Funktionseinschränkung einer Extremität zurück. Ein vorgeschädigtes Herz mag auf einen Elektrounfall empfindlicher reagieren als ein gesundes. Niemals ist aber ein späterer Myokardinfarkt einem früheren Elektrounfall anzulasten; ein solches Ereignis im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Elektrounfall, bei dem das Herz im Stromkreis zu liegen kam, ist besonders bei bestehender Koronararteriosklerose aber durchaus möglich. Das Risiko des Elektrounfalles liegt in den tödlichen Sofortauswirkungen insbesondere auf das Herz. Dauerschäden sind dagegen ungewöhnlich. Letztlich gibt es kein Organ und folglich keine funktionelle Einbuße, die nicht durch Stromunfall oder Blitzschlag herbeigeführt werden kann: der Schaden hängt vom Weg des Stromes ab. Der Weg des Stromes muss versucht werden zu rekonstruieren (VDE-Leitfaden; https://www.vde.com/resource/blob/1574608/1628eac2442e5e555d0eca47fa1b56d1/leitfaden-technisches-gutachten-download-data.pdf; Zugriff am 07.06.2024). Dauerschäden sind gemäß Versorgungsmedizinverordnung gemäß den funktionellen Auswirkungen im GdB bzw. im Falle eines Arbeitsunfalls als MdE zu würdigen.
Literatur
Foster J, Hodder SG, Lloyd AB, Havenith G (2020) Individual responses to heat stress: implications for hyperthermia and physical work capacity. Front Physiol 11:541483. Published online 2020 Sep 11. https://​doi.​org/​10.​3389/​fphys.​2020.​541483CrossRefPubMedPubMedCentral
Green H, Bailey J, Schwarz L, Vanos J, Ebi K, Benmarhnia T (2019) Impact of heat on mortality and morbidity in low and middle income countries: a review of the epidemiological evidence and considerations for future research. Environ Res 171:80–91. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​envres.​2019.​01.​010. Epub 2019 Jan 11. PMID: 30660921CrossRefPubMed
Köppen S (1961) Gesundheitsschäden durch elektrischen Strom. Handbuch der gesamten Arbeitsmedizin. Urban & Schwarzenberg
Liu J, Varghese BM, Hansen A, Zhang Y, Driscoll T, Morgan G, Dear K, Gourley M, Capon A, Bi P (2022) Heat exposure and cardiovascular health outcomes: a systematic review and meta-analysis. Lancet Planet Health 6(6):e484–e495. https://​doi.​org/​10.​1016/​S2542-5196(22)00117-6. Erratum in: Lancet Planet Health. 2022 Aug;6(8):e644. PMID: 35709806CrossRefPubMed
Searle J, Slagman A, Maaß W, Möckel M (2013) Cardiac monitoring in patients with electrical injuries – an analysis of 268 patients at the Charité hospital. Dtsch Arztebl Int 110(50):847–853. https://​doi.​org/​10.​3238/​arztebl.​2013.​0847CrossRefPubMedPubMedCentral
Winklmayr C, Matthies-Wiesler F, Muthers S, Buchien S, Kuch B et al (2023) Hitze in Deutschland: Gesundheitliche Risiken und Maßnahmen zur Prävention. J Health Monit 8(S4):3–34. https://​doi.​org/​10.​25646/​11645CrossRefPubMedPubMedCentral
Zorn H (1980) Die Prognose des elektrischen Unfalles. Lebensversicherungsmedizin 32:152PubMed