Aufnahme und Wirkung
Blei (Pb, CAS-Nr: 7439-92-1) und seine anorganischen Verbindungen werden am Arbeitsplatz meistens inhalativ in Form von Staub, Rauch oder Dampf aufgenommen.
Inhalierte Partikel werden in Abhängigkeit von der Größe und der Ventilationsrate zunächst im Atemtrakt deponiert. Im Alveolarbereich deponierte Partikel werden schnell und nahezu vollständig über die Lunge resorbiert.
Die Resorption von metallischem
Blei über die Haut ist toxikologisch bedeutungslos.
Über den mukoziliären Reinigungsmechanismen des Bronchialbaumes, aber auch infolge mangelhafter Hygiene (z. B. beim
Rauchen oder Essen mit Bleistaub verschmutzten Händen) können Bleipartikel über die Speiseröhre in den Verdauungstrakt aufgenommen werden und dort anteilig zur Resorption gelangen.
Die wichtigsten organischen Bleiverbindungen sind Bleialkyle, die vorwiegend über die Atemwege in den Körper gelangen. Eine Aufnahme über die Haut und über den Magen-Darm-Trakt ist ebenfalls möglich. Durch das Verwendungsverbot von Bleitetraethyl und Bleitetramethyl als Antiklopfmittel im Benzin sind Expositionen am Arbeitsplatz selten.
Vergiftungen waren vor allem bei der Herstellung und Verarbeitung, beim Entfernen von Restblei sowie beim Reinigen von Tanks möglich.
Bleitetramethyl kann – im Vergleich zu Bleitetraethyl – wegen seines höheren Dampfdruckes und seiner größeren Flüchtigkeit zu höheren Luftkonzentrationen führen und damit die Vergiftungsgefahr erhöhen.
Alle Bleialkyle sind gut lipoidlöslich und wirken daher primär neurotoxisch.
Vorkommen
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, als
Blei eines der wichtigsten und meistverwendeten Metalle war, versucht man heute, Blei durch andere, ungiftige Elemente oder Legierungen zu ersetzen.
Berufliche Gefahrenquellen sind und waren vor allem: Verhütten von Bleierzen, Recycling von Altmaterial, Herstellung von Bleiakkumulatoren, Verwendung von Bleiverbindungen in der keramischen, Glas- und Kunststoffindustrie sowie thermisches Bearbeiten bleihaltiger Materialien.
Eine häufige Intoxikationsquelle ist das Entfernen von alten Bleianstrichen, z. B. Bleimennige, wenn entweder durch mechanische Maßnahmen (Schleifen, Strahlen) bleihaltige Stäube in hohen Konzentrationen entstehen oder durch Abbrennen bleihaltiger Rauch auftritt. Durch die Anwendung von technischen und persönlichen Schutzmaßnahmen kann die Aufnahme von toxischen Bleimengen deutlich reduziert werden.
Daneben kann
Blei auch im privaten Bereich aus verschiedenen Bleiquellen aufgenommen werden, so z. B. aus mit Bleilasur beschichteten Geschirr oder durch die Einnahme von Produkten aus der Ayurvedischen Medizin.
Akute Toxizität
Akute
Intoxikationen durch metallisches
Blei sind eher selten. Am ehesten sind sie bei inhalativer Einwirkung von Bleidämpfen zu befürchten, wobei die Vergiftungserscheinungen relativ schnell auftreten können. Symptome beim Einatmen von Bleidämpfen können ein süßlich-metallischer Geschmack, Erbrechen, Darmkoliken, Stuhl- und Harnverhaltung, beginnende Blutschädigung, Untertemperatur und Blutdruckabfall bis zum Kollaps sein. Der Tod kann innerhalb weniger Tage eintreten.
In leichten Fällen wurden nur ein süßlicher Geschmack und über Stunden anhaltende gastrointestinale Beschwerden beobachtet. Möglich sind auch subakute Verläufe, die erst nach ein einer Exposition von mehreren Wochen lebensbedrohlich werden können.
Orale
Intoxikationen durch metallisches
Blei – mit ähnlichen toxischen Effekten – sind wenig wahrscheinlich, zumindest dürften sie selten akut bedrohlich sein. Angaben zu letalen oralen Dosen liegen nicht vor.
Nach der Resorption wird
Blei zu etwa 90 % an die
Erythrozyten gebunden und auf diesem Weg in den gesamten Organismus verteilt. Es passiert auch die Blut-Hirn-Schranke. Die
Halbwertszeiten liegen im Weichgewebe bei ca. 20 Tagen und im Knochen bei ca. 5–20 Jahren. Wasserlösliche Blei-Ionen werden vorwiegend über die Nieren ausgeschieden, zum Teil auch mit den Faeces und zu einem noch geringeren Anteil über Haare, Nägel und
Schweiß eliminiert. Ca. 90 % des im Körper vorhandenen Bleis befindet sich in den Knochen (als schwer lösliches Bleiphosphat).
Chronische Toxizität
Chronische
Bleiintoxikationen können zunächst symptomfrei verlaufen oder durch eine Vielzahl meist unspezifischer Symptome bemerkbar werden. Symptome bei schweren
Vergiftungen sind (mit abnehmender Häufigkeit): kolikartige
Bauchschmerzen („Bleikoliken“),
Obstipation, Erbrechen, schnelle Ermüdung, Sensibilitätsstörungen (Parästhesien), psychische Symptome und Diarrhoe.
In der Anamnese und klinischen Untersuchung imponieren vor allem Blässe, Gewichtsverlust, seltener ein Bleisaum am Zahnfleisch und Streckerschwäche der Hand („Fallhand“) sowie Veränderungen im Blut (
Anisozytose, Poikilozytose,
Anämien) und im
Knochenmark (basophil getüpfelte
Erythroblasten,
Sideroblasten). Die toxische Wirkung des Bleis auf das blutbildende System betrifft sowohl die Erythropoese als auch die Hämoglobinsynthese.
Neurotoxische Wirkungen umfassen periphere (motorische), vegetative und zentralnervöse Funktionsstörungen. Periphere Schädigungen manifestieren sich als Streckerschwäche der Muskulatur bis zur Lähmung des N. radialis hin. Spastische Kontraktionen der glatten Darmmuskulatur verursachen die sehr schmerzhaften Koliken. Eine Schädigung des ZNS äußert sich beim Erwachsenen in Schlaflosigkeit trotz starker Müdigkeit,
Schwindel, Kopfschmerz, Gedächtnisschwäche, Tremor,
Sehstörungen; nur selten Depression, delirante
Erregungszustände und Krämpfe.
Nach langfristig hoher Bleiexposition wurden auch deutliche Nierenfunktionsstörungen (Proteinurie u. ä.) bis hin zu schweren Nierenschädigungen (interstitielle und peritubuläre
Fibrosen; nach massiver Aufnahme Schrumpfniere) gefunden. Aktuell zeigen sich bei den belasteten Arbeitnehmern, z. B. in Bleischmelzen und Akkumulatorenfabriken, deutlich verminderten Blei-Belastungen, sodass meist nur noch geringgradige gesundheitliche Beeinträchtigungen auftreten, wobei den nervalen Störungen die größte Bedeutung zugemessen wird. Am Arbeitsplatz sind akute
Vergiftungen eher selten, meist entwickelt sich eine subakute oder chronische Bleivergiftung.
Arbeitsunfall und Berufskrankheit
Folgende Arbeitsprozesse und Tätigkeiten gehen mit (historischen) Expositionen am Arbeitsplatz einher:
Arbeit in Blei- oder Zinkhütten; Feilen, Sägen, Fräsen, trockenes Schleifen oder Polieren von metallischem
Blei oder Bleilegierungen; Mischen und Anreiben bleihaltiger Farben in Pulverform (z. B. Bleiweiß, bleihaltigem Zinkweiß, Mennige, Bleicyanamid, Chromgelb, Chromrot, Neapelgelb); Aufspritzen der Farben mittels Spritzpistole; Abbürsten und Abbrennen von Bleifarbenanstrichen; Schneiden oder
Schweißen an mit Mennige oder anderen Bleifarben gestrichenen oder verbleiten Teilen (z. B. beim Verschrotten, Abwracken); Warmnieten mit Mennige gestrichener Eisenteile; Altmetallschmelzen; Homogenverbleien; Bleilöten; Arbeiten in Drahthärtereien; Herstellung von Lagerschalen aus Bleibronze; Herstellung von Bleiakkumulatoren; Abziehen der Oxydschicht vom Bleibad; Verstäuben der sog. Krätze und Glätten (Bürsten, Schleifen) von Karosseriefugen u. ä. die mit vorwiegend bleihaltigem Lötzinn behandelt wurden; Herstellung bleihaltiger Glasuren, Dekors, Kristallgläser; Verwendung von Bleiverbindungen als
Stabilisatoren und Gleitmittel in der Kunststoffindustrie; Reinigen von mit Bleibenzin betriebenen Motoren, in denen Bleioxyd oder Bleihalogenide als Verbrennungsrückstand vorkommen; Mischen mit Benzin in Mischanlagen oder beim Reinigen der Bleibenzin-Lagertanks von Bleischlamm.
Das Krankheitsbild ist zumeist durch eine hypo- oder normochrome
Anämie, abdominale Koliken und eine vorwiegend motorische
Polyneuropathie (Parese des N. radialis) gekennzeichnet. Massive und langdauernde Expositionen können auch zu schweren Krankheitsbildern, z. B. Enzephalopathie oder Nierenschäden, führen. Als Folge der Encephalopathia saturnina sind motorische und sensible Störungen, Krämpfe sowie Parkinson-Symptome beschrieben worden. Seltene Manifestationen sind
Epilepsie, Geruchsstörung, Zeugungsunfähigkeit, Augenerkrankungen, Hör- und Gleichgewichtsstörung, Schilddrüsenüberfunktion und Gastritis. Die Nierenschädigung in Form einer sogenannten Bleischrumpfniere ist vor allem bei jüngeren Erwachsenen beobachtet worden, die in der Kindheit wiederholt akute, schwere Bleivergiftungen erlitten hatten. Eine
Gicht ist nicht kausal auf eine chronische
Bleiintoxikation zurückzuführen.
Liegen Hinweise auf eine Blei-Exposition am Arbeitsplatz vor, ist daher beim Vorliegen u. a. einer oder mehrerer der folgenden Diagnosen (ICD-10-Codierung) eine Verdachtsanzeige auf eine Berufskrankheit nach Nr. 1101 zu stellen:
-
F48.9 Neurotische Störung, nicht näher bezeichnet
-
D64.9
Anämie, nicht näher bezeichnet
-
-
G83.9 Lähmungssyndrom, nicht näher bezeichnet
-
G92 Toxische Enzephalopathie
-
H82 Schwindelsyndrome bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
-
K05.6 Krankheit des Parodonts, nicht näher bezeichnet
-
K59.9 Funktionelle Darmstörung, nicht näher bezeichnet
-
K76.9 Leberkrankheit, nicht näher bezeichnet
-
M10.1 Bleigicht
-
N26 Schrumpfniere, nicht näher bezeichnet
-
-
-
R53 Unwohlsein und Ermüdung
-
T56.0 Toxische Wirkung von Metallen –
Blei und seine Verbindungen
Bei der BK-Nr. 1101 liegt ein offener BK-Tatbestand vor. Es besteht keine festgelegte Dosisgrenze. Bestehende biologische Grenzwerte bzw.
Referenzwerte können zur Beurteilung der Expositionshöhe herangezogen werden, stellen jedoch keine grundsätzlichen Kriterien für die Geeignetheit einer Exposition dar, eine Berufskrankheit verursacht zu haben oder nicht.
Die Prognose einer Bleivergiftung ist grundsätzlich als günstig zu bezeichnen.
Anämie, Gastrointestinalsymptome und neurologische Folgen bilden sich nach Expositionsende zurück. In schweren Fällen ist mit Defektheilungen zu rechnen.
Die klinisch manifeste
Bleiintoxikation kann mit Hilfe von EDTA-Infusionen oder mit DMSA (2,3-Dimercaptobernsteinsäure; Mittel der Wahl) bzw. DMPS (2,3-Dimercaptopropan-1-Sulfonsäure) unter Beachtung der Kontraindikationen (eingeschränkte Nierenfunktion) behandelt werden. Eine erhöhte Bleibelastung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Bleikrankheit.
Blei und andere anorganische Bleiverbindungen sind (außer Bleiarsenat und Bleichromat) in der MAK- und BAT-Werte-Liste
in die Kategorie 4 (Stoffe mit krebserzeugenden Eigenschaften) eingeordnet.
Um eine
Bleiintoxikation zu objektivieren und zu quantifizieren, bestimmt man zunächst die Blutbleikonzentration.
Bei beruflicher Bleiexposition ist arbeitsmedizinische Vorsorge (Pflichtvorsorge) zu veranlassen. Der biologische Grenzwert (BGW) von
Blei ist zzt. in Diskussion und beträgt 150 μg/l im Blut. Während die Beschäftigten, die Blei ausgesetzt sind, überwiegend Männer sind, können weibliche Arbeitskräfte zusätzlichen Risiken ausgesetzt sein, da Blei Schwangere und den sich entwickelnden Fötus beeinträchtigen kann. Daher wurde seitens der Europäischen Kommission darauf hingewiesen, dass es zum besseren Schutz enorm wichtig ist, die gebärfähigen Arbeitnehmerinnen zu sensibilisieren und spezifische Maßnahmen zur Minimierung möglicher Risiken zu ergreifen sowie sicherzustellen, dass der Bleigehalt im Blut von Frauen im gebärfähigen Alter die Bezugswerte für die allgemeine Bevölkerung, die keiner berufsbedingten Exposition gegenüber Blei ausgesetzt ist, nicht überschreitet. Dazu sollte der Bleigehalt im Blut bei Frauen im gebärfähigen Alter den biologischen Grenzwert von 45 μg/l zukünftig nicht überschreiten. Im Hinblick auf das fruchtschädigende Potenzial ist zu berücksichtigen, dass im Blut des Feten nahezu gleiche Pb-Spiegel erreicht werden wie im mütterlichen Blut.
Für Bleitetraethyl/Tetraethylblei gelten davon abweichende Grenzwerte bzw. Beurteilungsmaßstäbe.
Weitere Parameter sind die Deltaaminolävulinsäure und Koproporphyrine im
Urin sowie Blutbild und
Differenzialblutbild. Der Nachweis von basophil getüpfelten
Erythrozyten ist hilfreich, obgleich dieser Parameter wenig spezifisch und sensitiv ist.
Hinsichtlich der Bewertung der Einwirkungen am Arbeitsplatz ist zu beachten, dass die maximal zulässige Arbeitsplatzkonzentration (MAK-Wert) in Deutschland aktuell 0,004 mg/m3 (einatembare Fraktion) beträgt. Der Grenzwert für die berufliche Exposition (Arbeitsplatzgrenzwert, AGW) soll auf 0,03 mg/m3 abgesenkt werden.
In den vergangenen Jahren wurden nur wenige Anzeigen auf den Verdacht auf eine Berufskrankheit durch Bleiexposition gestellt und nur vereinzelt eine Berufskrankheit anerkannt.
Zur aktuellen Häufigkeit der BK 1101 siehe Tab.
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