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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 24.07.2024

BK 13 – Durch Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe verursachte Erkrankungen

Verfasst von: Gerhard Triebig
In diesem Beitrag werden die durch chemische Einwirkungen verursachten Berufskrankheiten der Ziffern BK 1301 bis BK 1321 behandelt. Einen Überblick über die Häufigkeit der angezeigten und der entschädigten Berufskrankheitenfälle durch chemische Einwirkungen

Einleitung

In diesem Beitrag werden die durch chemische Einwirkungen verursachten Berufskrankheiten der Ziffern BK 1301 bis BK 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankenheiten-Verordnung (BKV) behandelt. Nähere Ausführungen zu Krankheitsbil, Diagnostik und Prävention finden sich bei Triebig ,Kentner,Schiele(Hrg.)2014.
  • Bedeutung der BK-Gruppe 13 für die Praxis der Begutachtung
    Einen wichtigen Überblick über die Häufigkeit der angezeigten und der entschädigten Berufskrankheitenfälle durch chemische Einwirkungen und damit deren Bedeutung für die Praxis der Begutachtung gibt Tab. 1.
  • Entschädigung nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VII („Wie-BK“)
    Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 (Berufskrankheit) erfüllt sind.
Nach Auskunft der DGUV sind ab 2015 folgende Krankheitsfälle häufiger nach § 9 Abs. 2 SGB VII („wie eine BK“) entschädigt worden.
  • Läsionen der Rotatorenmanschette der Schulter
  • Plattenepithelkarzinome und deren Vorstufen durch UV-Strahlen
  • Harnblasenkrebs durch PAK
  • Karpaltunnelsyndrom
  • Gonarthrose durch Lastenhandhabung
  • Abrasion der Zähne durch Korundstaub
  • Störungen des Geruchssinns durch Lösungsmittel
  • Bronchialkrebs durch Passivrauchen

BK 1301 – Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine

Die Gruppe der aromatischen Amine (sog. Arylamine) ist industriell bedeutsam, und zwar vor allem für die Herstellung von Farbstoffen, Arzneimitteln, Pestiziden und Kunststoffen. Sie werden sowohl inhalativ als auch perkutan (z. B. nach Hautkontakt oder durch kontaminierte Kleidung) resorbiert. Die Ausscheidung erfolgt – in der Regel nach Metabolisierung – hauptsächlich über die Niere. Aufgrund des chronischen Kontaktes der genotoxischen Metabolite mit den Zellen im Urotheltrakt (Nierenbecken, Harnleiter, Harnröhre, Harnblase) kann Krebs entstehen. Zu rund 90 % ist die Harnblase betroffen. Nierenzellkarzinome gehören nicht zur Berufskrankheit BK 1301.
Erkrankungen durch aromatische Amine infolge beruflicher Exposition werden unter der BK-Ziffer 1301 (s. unten) entschädigt.
Nach aktuellem Kenntnisstand sind folgende Arylamine und Arbeitsprozesse grundsätzlich in der Lage, eine Berufskrankheit BK 1301 zu verursachen:
  • 4-Aminodiphenyl,
  • Azofarbstoffe, aus denen kanzerogene aromatische Amine freigesetzt werden können,
  • Benzidin und seine Salze,
  • 2- bzw. β-Naphthylamin,
  • 4-Chlor-o-toluidin,
  • Einwirkung permanenter Haarfärbemittel vor dem Jahr 1977,
  • o-Toluidin,
  • Auraminherstellung,
  • Fuchsinherstellung.
Weitere aromatische Amine haben sich in Versuchen an Tieren als krebserzeugend erwiesen und gelten auch für den Menschen als krebsgefährdend. Für die kanzerogene Wirkung ist die metabolische Aktivierung (Hydroxylierung) wesentlich. Für die Entgiftung ist die genetisch determinierte Aktivität der N-Acetyltransferase wichtig mit der Folge, dass langsame Acetylierer statistisch ein höheres Erkrankungsrisiko tragen.
Aufgrund epidemiologischer Befunde betragen Expositionsdauer und Latenzzeit meist mehrere Jahrzehnte. Nach der Statistik der DGUV lagen die mittlere Expositionsdauer bei rund 20 Jahren und die durchschnittliche Latenzzeit bei ca. 36 Jahren.
Für die Kausalität ist auch die Interimszeit bedeutsam, d. h. die Zeitspanne zwischen Expositionsende und Erstmanifestation. Diese liegt in der Größenordnung von 10–15 Jahren, wie die Erfahrungen bei Exrauchern bzw. bei beruflich exponierten Chemiearbeitern gezeigt haben.
Bezüglich der Anerkennung von Primärkarzinomen anderer Lokalisation ist eine Prüfung nach § 9 Abs. 2 SGB VII („wie eine Berufskrankheit“) vorzunehmen. Handelt es sich um eine Organmetastase eines Harnwegskarzinoms, kommt eine Mitentschädigung nach der Berufskrankheit BK 1301 in Betracht.
Die Prognose des Harnblasenkarzinoms hängt im Wesentlichen von der Infiltrationstiefe des Tumors, der Ausdehnung der Lymphknotenmetastasierung und dem Vorhandensein von Fernmetastasen (TNM-System) ab. Rezidiv- und Progressionsgefahr steigen mit zunehmender Entdifferenzierung des Tumors an.
Zur Früherkennung gehört die regelmäßige arbeitsmedizinische Untersuchung von Beschäftigten, die exponiert sind oder waren. Zur Diagnostik gehören die Bestimmung des Urinstatus und eine zytologische Untersuchung des Urinsediments, ggf. eine weiterführende fachurologische Abklärung.
Es handelt sich damit um eine relativ häufige Berufskrebserkrankung (vgl. Tab. 1), wobei am häufigsten Chemiearbeiter betroffen sind. Mit größerem Abstand folgen Maler, Lackierer, Schlosser und Techniker.
Tab. 1
Anzeigen auf Verdacht von Berufskrankheiten, anerkannte Berufskrankheiten und neue Berufskrankheitenrenten wegen BK 13 in den Jahren 2010 bis 2022
BKV Nr.
Erkrankung
Angezeigte Verdachtsfälle
Anerkannte Berufskrankheiten
Neue Rentenfälle
  
2010
2015
2020
2021
2022
2010
2015
2020
2021
2022
2010
2015
2020
2021
2022
1301
Schleimhautveränderung, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine
1138
1334
2374
1966
1947
152
186
155
114
87
143
177
158
116
83
1302
Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe
365
276
249
392
368
11
14
16
8
12
9
8
16
7
12
1303
Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol
87
54
51
41
41
27
4
1
23
3
1304
Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge
17
8
10
17
19
1
1305
Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff
4
5
3
3
6
2
1
1306
Erkrankungen durch Methlyalkohol (Methanol)
4
8
5
3
10
1307
Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen
6
8
6
2
4
1308
Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen
8
6
7
11
7
1309
Erkrankungen durch Salpetersäureester
1
1
4
1
5
1310
Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide
22
14
25
14
15
2
2
1311
Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide
1
2
3
6
1312
Erkrankungen der Zähne durch Säuren
128
62
51
39
45
1
2
4
3
1
1313
Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon
1
1
2
1314
Erkrankungen durch para-tertiär-Butylphenol
2
2
2
3
1
1315
Erkrankungen durch Isocyanate
119
103
92
87
73
30
38
27
61
30
13
21
15
32
20
1316
Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid
22
11
7
14
9
1
1
1
1317
Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische
234
164
120
89
95
8
6
5
3
4
6
5
3
2
5
1318
Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol
725
1261
2010
2120
1792
159
303
381
290
258
151
266
355
292
249
1319
Larynxkarzinom durch intensive und mehrjährige Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen
46
37
41
36
1
2
3
1
1
2
3
1320
Chronisch-myeloische oder chronisch-lymphatische Leukämie durch 1,3-Butadien bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 180 Butadien-Jahren (ppm x Jahre)
36
41
42
1321
Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren [(μgm3) x Jahre]
567
551
572
24
17
22
22
16
15

BK 1302 – Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe

Die Halogenkohlenwasserstoffe (Verbindungen von aliphatischen, heterozyklischen sowie aromatischen Kohlenwasserstoffen mit Fluor, Chlor, Brom und Iod) sind eine heterogene Gruppe organischer Verbindungen. Sie werden industriell vielseitig verwendet und kommen auch als Stoffgemische vor. Als bevorzugte Einsatzgebiete (teilweise betrifft dies die Vergangenheit) sind zu nennen: Lösungsmittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide), Kältemittel, Treibgase für Aerosole, Trennmittel, Feuerlöschmittel, Syntheseausgangsstoffe und Zwischenprodukte in der chemischen Industrie, Isoliermittel in der Elektroindustrie, Narkose- und Desinfektionsmittel.
Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe gehören zu den häufiger gemeldeten „chemischen Berufskrankheiten“ (Tab. 1).
Die Toxikologie der Halogenkohlenwasserstoffe ist uneinheitlich und bedarf stets einer stoffspezifischen Betrachtung. Daher kann im Folgenden nur beispielhaft auf einige wichtige Verbindungen eingegangen werden.

Chlorkohlenwasserstoffe (CKW)

Hinsichtlich Produktion und Verwendung nehmen die Chlorkohlenwasserstoffe (CKW) eine herausragende Rolle ein. Sie werden wegen ihrer Fettlöslichkeit und Nichtbrennbarkeit als Lösungs- und Reinigungsmittel in großen Mengen eingesetzt. Wichtige Beispiele sind: Dichlormethan (Methylenchlorid), Tetrachlorethen (Perchlorethylen), und 1,1,1-Trichlorethan (Methylchloroform). Tetrachlorkohlenstoff spielt wegen seiner starken Hepatotoxizität in der Arbeitswelt seit längerem keine Rolle mehr. Eine mögliche Verwechslung mit Tetrachlorethen („Tetra“ oder „Per“) ist zu berücksichtigen. Im Fall von Trichlorethen ist nach gewerblicher Nutzung vereinzelt eine Schnüffelsucht beschrieben worden.
Bei der akuten Vergiftung stehen die haut- und schleimhautirritierenden Wirkungen sowie die Neurotoxizität mit der Folge narkotischer Effekte im Vordergrund.
Im Fall einer chronischen Exposition ist die Entstehung einer chronischen Enzephalopathie (organisches Psychosyndrom) und eines Leberschadens möglich. Infolge der Sensibilisierung des Myokards gegenüber Katecholaminen können Chlorkohlenwasserstoffe Herzrhythmusstörungen induzieren. Neben der Neuro- und Hepatotoxizität sind bestimmte Chlorkohlenwasserstoffe auch nierenschädigend.

Trichlorethen (Trichlorethylen, TRI)

Die krebserzeugende Wirkung von Trichlorethen (Trichlorethylen, TRI) gilt toxikologisch und aufgrund epidemiologischer Befunde für den Menschen als gesichert. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die beim Menschen beobachteten Nierenzellkrebserkrankungen nach langjähriger und massiver Belastung aufgetreten sind. Trichlorethen wurde demzufolge in weiten Bereichen durch andere Reinigungsmittel insbesondere auf Wasserbasis ersetzt.

Vinylchlorid

Vinylchlorid, das in den 1930er-Jahren zur Herstellung von PVC in großem Umfang eingesetzt wurde, kann ein Krankheitsbild mit sklerodermieartigen Hautveränderungen, Raynaud-Symptomatik, Hepatosplenomegalie und Akroosteolysen der Fingerendphalangen verursachen (sog. Vinylchlorid-Krankheit). Die krebserzeugende Wirkung betrifft insbesondere die Verursachung eines Hämangiosarkoms der Leber; die Entstehung von Leberzellkarzinom wird diskutiert.

Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW)

Die industriell früher bedeutsamen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) sind in der Regel deutlich geringer toxisch als die Chlorkohlenwasserstoffe. Wegen ihrer langen Persistenz in der Atmosphäre und Reaktionen mit Ozon sind sie weitgehend ersetzt worden.

Insektizide

Zu den Listenstoffen der BK1302 zählen auch bestimmte Insektizide, z. B. DDT oder γ-Hexachlorcyclohexan (Lindan), die Gruppe der chlorierten Naphthaline sowie die polychlorierten Biphenyle (PCB). Die Verwendung dieser CKW ist in Deutschland seit längerem verboten. Bei einer akuten Vergiftung kommt es primär zu einer zentralnervösen Symptomatik. Chlorierte Naphthaline sowie polychlorierte Biphenyle sind leberschädigend und können akneartige Hautveränderungen (Chlorakne) hervorrufen. PCB sind auch endokrin aktive Stoffe und können sich negativ auf das Hormonsystem auswirken. Für die PCB besteht der begründete Verdacht auf ein krebserzeugendes Potenzial für den Menschen(K3-Stoff nach Einstufung durch die Arbeitsstoffkommission), die epidemiologische Datenlage wird kontrovers diskutiert. MAK-und BAT-Werte sind definiert.

BK 1303 – Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol

Benzol, Toluol, Xylol und Styrol rufen bei akuter Intoxikation pränarkotische Symptome (Rauschstadien) hervor. Darüber hinaus sind auch Schleimhautreizungen zu beobachten.
Nach chronischer und hoher Belastung – die Aufnahme erfolgt überwiegend inhalativ – kann es zu einer chronischen Enzephalopathie (organisches Psychosyndrom) kommen. Dieses spezifische Krankheitsbild kann als Berufskrankheit BK 1317 (s. unten) behandelt und gegebenenfalls entschädigt werden.
Für Benzol ist eine ausgeprägte hämatotoxische Wirkung bekannt, die schwere Schädigungen des blutbildenden Gewebes induziert; Folgen sind aplastische Anämie, Agranulozytose, Thrombozytopenie oder Panmyelophthise. Auch nach Beendigung der Benzolexposition kann die Knochenmarkschädigung fortschreiten und in eine Leukämie übergehen. Aufgrund zahlreicher epidemiologischer Befunde gilt dabei die akute myeloische Leukämie als typisch.
Benzol-verursachte Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems werden als Berufskrankheit BK 1318 behandelt.
Toluol, Xylole und Styrol sind nach aktuellem Wissensstand nicht krebserzeugend für den Menschen. Ihre toxische Wirkung betrifft insbesondere das zentrale Nervensystem und die Sinnesorgane.
Nähere Angaben zur Häufigkeit der BK 1303 finden sich in Tab. 1.

BK 1304 – Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge

Die Toxizität der aromatischen Nitroverbindungen ist wegen ihrer Verwendung zur Sprengstoffherstellung (z. B. Trinitrotoluol, TNT) seit langem bekannt. Sie werden vorwiegend inhalativ als Staub oder Dampf über die Atemwege aufgenommen. Sie können auch gut über die Haut und den Gastrointestinaltrakt in den Körper gelangen. Ihre Ausscheidung erfolgt erst nach Metabolisierung, und zwar hauptsächlich über die Niere. Die Giftwirkung beruht auf der Reduktion der Nitrogruppe zur Amino- oder N-Hydroxylaminogruppe, die durch Darmbakterien oder in der Leber erfolgt.
Die aromatischen Nitro- und Aminoverbindungen sind Methämoglobinbildner (Hämiglobin). Auf die starke Empfindlichkeit gegenüber Alkohol, der die Symptomatik verstärken kann, ist hinzuweisen.
Die starken individuellen Unterschiede in der Krankheitsausprägung lassen sich durch genetische Polymorphismen der beteiligten Enzymsysteme, z. B. Cytochrom-P450-Oxygenasen, Glucose-6-Phosphatdehydrogenase und N-Acetyltransferasen erklären.
Symptome einer akuten Vergiftung sind Übelkeit, Kopfschmerz, Schweißausbrüche und Dyspnoe. Die blaugraue Hautverfärbung infolge der Methämoglobinämie zeigt sich zunächst an Fingernägeln und Lippen. In höherer Dosis kann eine Bewusstseinstrübung mit Erregungszuständen und Krämpfen mit schließlich letalem Verlauf auftreten. In der Regel ist die Hämiglobinbildung reversibel. Als charakteristisch gelten die sogenannten Heinz’schen Körperchen, die im Blutbild nachweisbar sind.
Bei der chronischen Vergiftung stehen Anämie, Hautveränderungen und Leberschaden im Vordergrund. Eine passagere Bradykardie und Hypertonie sind bei Einwirkung von Nitroverbindungen beobachtet worden.
Zur krebserzeugenden Wirkung bestimmter aromatischer Aminoverbindungen wird auf die Ausführungen zur Berufskrankheit BK1301 verwiesen (s. oben).
Zur Häufigkeit der BK 1304: Tab. 1.

BK 1305 – Berufskrankheit durch Schwefelkohlenstoff

Schwefelkohlenstoff (CS2, Kohlendisulfid, Kohlenstoffdisulfid) ist ein Lösungsmittel, das vor allem in der Synthetikfaserproduktion eingesetzt wird. Es riecht nach faulem Rettich. CS2 wird sowohl über die Atemwege als auch perkutan aufgenommen. Wegen der guten Lipoidlöslichkeit steht die narkotische Wirkung im Vordergrund: Es kommt zu Erregungszuständen, Gesichtsrötung und Benommenheit.
Das Krankheitsbild der chronischen Schwefelkohlenstoffintoxikation ist vielgestaltig und beruht überwiegend auf neurotoxischen Wirkungen.
Folgen der CS2-Vergiftung sind eine Polyneuropathie und eine chronische Enzephalopathie mit extrapyramidaler, pyramidaler und psychischer Symptomatik (chronische Enzephalopathie). Auffällig sind dabei auch Parkinson-ähnliche Symptome. Mittels Computertomografie und Kernspintomografie konnten morphologische Veränderungen in den Basalganglien nachgewiesen werden.
Bei chronischer Schwefelkohlenstoffintoxikation wurde zudem vermehrt eine zerebrovaskuläre Insuffizienz (sog. Encephalovasculopathia sulfocarbonica) beobachtet. Die Arteriosklerose betrifft auch das kardiovaskuläre System mit einer erhöhten Mortalitätsrate nach koronaren Herzerkrankungen. Die genauen pathophysiologischen Mechanismen sind nicht bekannt, eine Störung des Fettstoffwechsels soll die Arteriosklerose beschleunigen.
Um diese Berufskrankheit zu vermeiden, sind die zulässigen Grenzwerte am Arbeitsplatz einzuhalten. Der MAK-Wert beträgt 5 ppm (Stand 2024). Für das Biomonitoring gilt aktuell ein biologischer Arbeitsstofftoleranzwert (BAT) von 2 mg TTCA pro Gramm Kreatinin (TTCA: 2-Thiothiazolidin-4-carboxylsäure).
Zur Häufigkeit der BK 1305: Tab. 1.

BK 1306 – Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol)

Methanol (CH3OH) kann über die Atemwege und durch die Haut aufgenommen werden. Häufiger gelangt es jedoch durch Verwechslung mit Ethylalkohol (bekannt geworden vor allem durch kriminellem Zusatz zu einigen ausländischen Weinen) durch orale Aufnahme in den Organismus. Methylalkohol wirkt wie andere Alkohole berauschend, ist aber wegen seines Abbaues über Formaldehyd zu Ameisensäure ein starkes Zellgift, das einerseits Oxidationsvorgänge des Stoffwechsels blockiert, andererseits zur Eiweißdenaturierung und zur Hemmung enzymatischer Prozesse führt. Akute Vergiftungen können zu schweren Schäden des Sehnerven (Optikusatrophie) und nicht selten zum Tode führen. Auch Leber- und Nierenschäden sind möglich.
Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren (CT, MRT) konnten Läsionen im Bereich des Putamen nachgewiesen werden, die sich nach Abklingen der akuten Intoxikation wieder zurückgebildet haben. Klinisches Korrelat ist eine Parkinson-ähnliche extrapyramidale Symptomatik.
Da das Krankheitsbild einer chronischen Methanolintoxikation uncharakteristisch ist, erfordert die Diagnosestellung eine umfassende Arbeitsanamnese sowie den Nachweis einer erhöhten inneren Methanolbelastung mittels Biomonitoring. Der biologische Arbeitsstofftoleranzwert (BAT) beträgt 15 mg Methanol pro Liter Urin (Stand 2024).
Zur Häufigkeit der BK 1306: Tab. 1.

BK 1307 – Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen

Organische Phosphorverbindungen sind Ester oder Amide der Phosphorsäure, man bezeichnet sie auch als Organophosphate. Sie werden vorwiegend als Insektizide eingesetzt. Sie gelangen über den Magen-Darm-Trakt und die Lungen sowie auch über die intakte Haut in den Körper und werden dort zu wasserlöslichen Verbindungen verstoffwechselt. Organophosphate entfalten ihre humantoxische Wirkung durch Hemmung der Acetylcholinesterase.
Bei der akuten Vergiftung kommt es zu einer Überschwemmung der cholinergen Synapsen mit Acetylcholin. Typische Symptome sind: enge Pupillen (Myosis), Speichel- und Tränenfluss, Übelkeit, Erbrechen, Darmkoliken, starke Bronchialsekretion, Bronchokonstriktion, Faszikulationen und Atemdepression. Symptomatik und Reihenfolge des Auftretens wechseln stark.
Als Folge einer akuten Vergiftung kann das sogenannte Intermediate-Syndrom (Hirnnervenlähmungen, proximale Muskelschwäche an den Extremitäten, Atemmuskellähmung 24–96 h nach Intoxikation) sowie die OPIDN (Organophosphate Induced Delayed Neuropathy) auftreten. An Spätfolgen sind auch neuropsychopathologische Veränderungen zu diskutieren.
Bei schweren Vergiftungen ist die rechtzeitige Antidottherapie eine lebensrettende Maßnahme. Durch Gabe von Atropin kann die Übererregung gedämpft werden. Auch Oxime sind bei einigen Alkylphosphatvergiftungen wirksam.
Es handelt sich um eine seltene Berufskrankheit in Deutschland (Tab. 1).

BK 1308 Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen

Berufliche Gefährdungen sind beim Umgang mit Fluorwasserstoff, Flusssäure bzw. anderen anorganischen fluorhaltigen Säuren sowie löslichen Fluoriden möglich. Fluorverbindungen wirken lokal ätzend auf die Schleimhäute der Augen und Atemwege sowie auf die Haut. Als Folge können starke Gewebeschäden auftreten.
Die chronische Belastung führt zu einer Störung des Mineralstoffwechsels mit der Folge einer Osteosklerose (Knochenfluorose). Dieses Krankheitsbild ist in der Regel dann anzunehmen, wenn eine Polyarthralgie, verknöcherte Bandansätze und eine erhöhte Fluoridausscheidung im Urin nachweisbar sind. Radiologisch unterscheidet man 3 Stadien, die schwerste Form wird auch als Eburnisation (elfenbeinartige Umwandlung des Knochens) bezeichnet.
Der biologische Arbeitsstofftoleranzwert (BAT) beträgt für die Fluoridausscheidung im Harn 4,0 mg/g Kreatinin in der Nachschichtprobe (Stand 2024).
Fluor-verursachte Berufskrankheiten sind eher selten (Tab. 1).

BK 1309 Erkrankungen durch Salpetersäureester

Salpetersäureester sind Verbindungen der Salpetersäure mit ein- oder mehrwertigen Alkoholen. Bedeutsam sind vor allem Nitroglykol und Nitroglyzerin. Die Aufnahme erfolgt sowohl inhalativ als auch bei Hautkontakt über die intakte Haut.
Die akute Intoxikation äußert sich durch Kopfschmerzen, Trunkenheitsgefühl, Gesichtsrötung, Schwindel und Brechreiz. Ein verminderter Blutdruck sowie Angina-pectoris-Beschwerden sind möglich. Die wiederholte Exposition kann zu Gewöhnung führen, die nach Wiederaufnahme der Tätigkeit nach einem Wochenende das Aufleben der Beschwerden zur Folge hat (sog. Montagskrankheit). Auch plötzliche Todesfälle sind dabei beobachtet worden. Im Allgemeinen ist die Prognose gut, Spätschäden sind nicht zu erwarten.
Ob die Intoxikation mit Salpetersäureestern geeignet ist, einen Herzmuskelinfarkt zu begünstigen, ist gutachterlich anhand der gegebenen Situation und nach dem zeitlichen Ablauf, der sehr eng sein muss, zu beantworten.
Es handelt sich um eine sehr seltene Berufskrankheit in Deutschland (Tab. 1).

BK 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide

Diese Berufskrankheit erfasst chemisch und toxikologisch heterogene Stoffe. Listenstoffe sind halogenierte Alkohole, Ether, Epoxide und Phenole wie beispielsweise Epichlorhydrin, Dichlordimethylether, Pentachlorphenol (Holzschutzmittel), Chlorkresole, Dioxine und Furane. Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind Listenstoffe der BK 1302.
Die Resorption erfolgt über die Atemwege und die Haut. Bei lokaler Einwirkung kann es zu mehr oder weniger stark ausgeprägten Reizerscheinungen an Haut und Schleimhäuten kommen. Systemische Wirkungen betreffen Nervensystem, Leber und Nieren. Monochlordimethylether und Dichlordimethylether sind starke Kanzerogene (Lungen- bzw. Bronchialkrebs).
Als Dioxine bezeichnet man polychlorierte Dibenzo-p-dioxine (PCDD), von denen es 75 Kongenere gibt. Sie treten i. d. R. zusammen mit den polychlorierten Dibenzofuranen (PCDF) – 135 Kongenere – auf. Das akute Krankheitsbild ist durch akneiforme Hautveränderungen (Chlorakne) gekennzeichnet. Polyneuropathie und psychische Veränderungen wurden in Fallbeschreibungen berichtet, sie sind jedoch nicht generell beobachtet worden. Immunologische Veränderungen sowie erhöhte Leberenzymaktivitäten und Fettstoffwechselstörungen sind bei stark exponierten Personen beschrieben. Pathophysiologisch sind die Induktion bzw. Hemmung von Enzymen sowie die Modulation der Synthese und Aktivität zellulärer Rezeptoren bedeutsam.
2,3,7,8-TCDD (2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin) gilt als humankanzerogen (Promoter). In epidemiologischen Studien ist eine Überhäufigkeit an verschiedenen Krebserkrankungen berichtet worden: Lungen- und Magenkrebs, Weichteilsarkome, Leukämie und Non-Hodgkin-Lymphome. Die Befunde sind allerdings nicht konsistent. Da der kanzerogenen Wirkung der PCDD/PCDF ein nichtgenotoxischer Mechanismus zugrunde liegt, hat die Arbeitsstoffkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefolgert, dass bei Einhaltung des MAK-Wertes kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten ist.
Häufige Zielorgane der BK 1310 sind Lunge, Magen/Darm und Harnorgane. Betroffen sind vor allem Beschäftigte aus der chemischen Industrie und der Kunststoffverarbeitung.
Für die Anerkennung einer Berufskrankheit sind eine hohe TCDD-Exposition (z. B. Nachweis einer Chlorakne), eine lange Latenzzeit und der Ausschluss von konkurrierenden Faktoren maßgeblich. Aufgrund der langen biologischen Halbwertszeit von 2,3,7,8-TCDD kann mittels Blutfettanalyse auch eine länger zurückliegende Exposition abgeschätzt werden.
Im Einzelfall ist – neben bösartigen Tumoren – auch die Frage zu beantworten, ob eine berufliche TCDD-Exposition eine wesentliche Ursache bzw. Mitursache für eine koronare Herzkrankheit darstellt.
Die polybromierten Dioxine und Furane weisen ein ähnliches Wirkprofil auf wie die chlorierten Verbindungen, sind jedoch geringer toxisch.
Zur Häufigkeit der BK 1310:. Tab. 1. Für einige PCBs sind BAT- bzw. BAR-Werte definiert(s.aktuelle BAT-Werte-Liste).

BK 1311 – Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide

Praktisch relevant ist vor allem 2,2-Dichlordiethylsulfid (Schwefellost, Senfgas, Gelbkreuz), das im ersten Weltkrieg als Kampfstoff bei Ypern (Flandern) erstmals eingesetzt wurde. Es handelt sich um eine farblose bis gelbliche Flüssigkeit, deren Dämpfe schwerer als Luft sind. Gefährdungen können bei der Entsorgung von Fundmunition auftreten. Schwefellost durchdringt Gummi, Leder und Textilien.
Bei Hautkontakt kommt es nach einer Latenzzeit zu schweren Nekrosen und zu Blasenbildung. Bei Inhalation können eine Pneumonie und ein Lungenödem auftreten. Spätschäden sind obstruktive Atemwegserkrankungen mit Lungenemphysem, Ulzerationen und Krebserkrankungen (Bronchial- und Larynxkarzinom).
Es handelt sich um eine seltene Berufskrankheit in Deutschland (Tab. 1).

BK 1312 – Erkrankungen der Zähne durch Säuren

Zahnschäden können beim Umgang mit anorganischen Säuren (Mineralsäuren) entstehen, insbesondere Essig-, Ameisen- und Oxalsäure. Davon abzugrenzen sind organische Säuren, die sich aufgrund von Gärungsprozessen in der Mundhöhle bilden, z. B. Milchsäure, Buttersäure und Brenztraubensäure. Entsprechende Zahnschäden – sogenannte Zuckerbäckerkaries – wurden vor allem bei Konditoren, Beschäftigten in der Süßwarenindustrie und seltener bei Bäckern beobachtet.
Zahnerkrankungen gehören zu den häufiger gemeldeten Berufskrankheiten Eine Entschädigung druch Rente ist dabei aber nur selten erforderlich, weil im Allgemeinen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit eintritt (Tab. 1).

BK 1313 – Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon

Benzochinon verursacht bei entsprechender Konzentration und längerer Einwirkungszeit Haut- und Schleimhautreizungen, insbesondere sind Hornhautschädigungen des Auges beschrieben.
Es handelt sich um eine sehr seltene Berufskrankheit (Tab. 1).

BK 1314 – Erkrankungen durch para-tertiär-Butylphenol

Para-tertiär-Butylphenol (und chemisch ähnlich strukturierte andere Phenole und Katechole) kommt beispielsweise in bestimmten Kleb- und Kunststoffen vor. Die Aufnahme erfolgt vorwiegend inhalativ als Dampf oder Staub. Das Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch Depigmentierungen am Stamm und an den Extremitäten (Weißflecken-Krankheit, Vitiligo), Leberfunktionsstörungen sowie eine Schilddrüsenvergrößerung.
Zur Verhütung der Berufskrankheit ist der biologische Arbeitsstofftoleranzwert (BAT) einzuhalten. Dieser beträgt 2 mg p-tert-Butylphenol pro Liter Harn in der Nachschichtprobe (Stand 2024).
Die Berufskrankheit BK 1314 ist in Deutschland selten (Tab. 1).

BK 1315 – Erkrankungen durch Isocyanate

Isocyanate sind infolge der NCO-Gruppen stark reaktive Verbindungen, die ein breites Anwendungsfeld in Industrie und Handwerk haben. Wichtige Beispiele sind die Herstellung von Schaumstoffen, Lacken, Elastomeren und Klebstoffen.
Häufige Isocyanate und deren Einsatzgebiete sind:
  • TDI (Toluylendiisocyanat): Lacke, Klebstoffe, Beschichtungen, Schäume
  • MDI (Diphenylmethandiisocyanat): Hartschaumproduktion, Leder-und Textil- Beschichtung
  • HDI (Hexamethylendiisocyanat): Lacke, Beschichtungen
Die Isocyanate werden am Arbeitsplatz primär inhalativ über Aerosole aufgenommen, sodass die Wirkungen auf den Atemtrakt im Vordergrund stehen. Zum einen kann es akut zu Husten, Bronchospasmus, Bronchitis und einem Lungenödem im Sinne eines Arbeitsunfalles kommen. Auch ein RADS nach hoher Exposition ist möglich.
Zum zweiten kann nach wiederholten Expositionen ein überempfindliches Bronchialsystem bzw. ein Isocyanat-Asthma entstehen, wofür pathogenetisch zwei unterschiedliche Mechanismen verantwortlich sind: Das IgE-vermittelte und das toxische Asthma.
Bei der Mehrzahl der Erkrankten lassen sich im Serum keine spezifischen IgE-Antikörper nachweisen. Klinisch unterscheiden sich beide Krankheitsbilder nicht wesentlich voneinander. Das Isocyanat-Asthma unterscheidet sich im klinischen Bild prinzipiell nicht von anderen Astmaformen.
Zum Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung als BK 1315 ist in der Regel eine Begutachtung erforderlich. Hierfür sollte die Reichenhaller Empfehlung der DGUV (Stand 2012 beachtet werden: https://publikationen.dguv.de/versicherungleistungen/berufskrankheiten/1946/reichenhaller-empfehlung Letzter Zugriff: 12.6.2024).
Darin sind auch Vorschläge zur Einschätzung der MdE anhand von Anamnese, Klinik Lungenfunktion, Belastungsuntersuchung und Therapie enthalten.
In einem geringen Prozentsatz der exponierten Personen kann auch eine akute Alveolitis auftreten, die eine besondere Herausforderungen für die Begutachtung darstellt. Eine Empfehlung hierfür wurde von Sennekamp et al. in 2007 veröffentlicht. Hauterkrankungen durch Isocyanate sind als BK 5101 zu beurteilen.
Die wichtigste Therapiemaßnahme ist die Expositionsvermeidung durch geeignete Maßnahmen am Arbeitsplatz oder durch einen Berufswechsel. Die Erkrankung ist leitliniengerecht fachärztlich zu behandeln. Für TDI ist ein BAT-Wert (Urinanalyse) verfügbar, um die berufliche Gefährdung einzuschätzen (Summe aus 2,4-und 2,6-TDA: 5ug/g Kreatinin).

BK 1316 – Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid

Dimethylformamid (DMF) ist ein bedeutsames Lösungsmittel, das vor allem in der Kunstlederproduktion sowie bei der Herstellung von Polyacrylnitrilfasern, Pflanzenschutzmitteln, Speziallacken und pharmazeutischen sowie kosmetischen Produkten eingesetzt wird. DMF wird sowohl inhalativ als auch dermal gut resorbiert.
Zielorgan ist die Leber. Klinisch handelt es sich meistens um eine Leberverfettung bzw. Fettleber. Die Prognose ist nach Expositionskarenz günstig, die Leberveränderungen sind in der Regel vollständig reversibel. Im Einzelfall ist die Abgrenzung gegenüber anderen Lebernoxen (z. B. Alkoholkonsum oder Medikamente) erforderlich. Eine Alkoholüberempfindlichkeit ist bereits bei geringer DMF-Exposition beschrieben (Flush-Syndrom). Ursächlich hierfür ist die kompetitive Hemmung der Aldehyddehydrogenase durch DMF.
Für die Diagnostik bzw. Expositionskontrolle ist ein Biomonitoring in einer Urinprobe zu empfehlen und anhand der BAT-Werte zu beurteilen.
Zur Häufigkeit der Berufskrankheit: Tab. 1.

Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische

Organische Lösungsmittel und deren Gemische sind an vielen Arbeitsplätzen anzutreffen.
Als gesichert neurotoxisch gelten folgende Listenstoffe:
  • aliphatische Kohlenwasserstoffe: n-Hexan, n-Heptan;
  • Ketone: 2-Butanon (Methylethylketon), 2-Hexanon;
  • Alkohole: Methanol, Ethanol, 2-Methoxyethanol;
  • Aromatische Kohlenwasserstoffe: Benzol, Toluol, Xylole, Styrol;
  • chlorierte aliphatische Kohlenwasserstoffe: Dichlormethan, 1,1,1-Trichlorethan, Trichlorethan, Tetrachlorethen.
Diese Chemikalien können in zahlreichen Produkten einzeln oder in Gemischen mit anderen Lösungsmitteln zur Anwendung kommen:
  • zum Reinigen und Entfetten in der Metall-, Textil- und Kunststoffindustrie;
  • als Lösungsmittel für Farbe, Lacke, Klebstoffe, Holzschutzmittel, Gummilösungen und zum Abbeizen;
  • für zahlreiche chemische Reaktionen als Ausgangs- oder Zwischenprodukt oder als Lösungsvermittler.
Organische Lösungsmittel sind in der Regel leicht flüchtig und werden unter Arbeitsplatzbedingungen vorwiegend inhalativ aufgenommen.
Die peripher neurotoxisch wirkenden organischen Chemikalien (n-Hexan – auch in Verbindung mit Methylethylketon –, Methyl-n-Butylketon und Schwefelkohlenstoff; vgl. BK 1305) verursachen in der Regel eine sensible oder sensomotorische Polyneuropathie vom axonalen Typ. Toxische Polyneuropathien sind stets selbstbegrenzende Krankheitsbilder, d. h. nach Expositionskarenz kommt es im Allgemeinen zu einer Besserung oder sogar vollständigen Rückbildung der PNP.
Bei einem Restless-Legs-Syndrom handelt es sich nicht um ein Krankheitsbild im Sinne der BK 1317.
Die chronische Intoxikation des ZNS durch organische Lösungsmittel wird unter dem Begriff der toxischen Enzephalopathie (i. W. organische Psychosyndrome) subsumiert. Neurologische Symptome wie Ataxie, Tremor oder Rigor sind eher selten und treten meist in fortgeschrittenen Krankheitsstadien auf. Im Hinblick auf das Krankheitsbild und dessen Prognose sind 3 Schweregrade zu differenzieren, deren Übergänge fließend sind.
  • Das leichte Stadium I ist ausschließlich durch subjektive Symptome gekennzeichnet. Im Vordergrund stehen verstärkte Müdigkeit, Nachlassen von Erinnerung und Initiative, Konzentrationsschwierigkeiten und erhöhte Reizbarkeit. In der Regel liegen keine objektivierbaren Zeichen eines Funktionsdefizits kognitiver Fähigkeiten sowie Persönlichkeitsveränderungen vor. Nach Beendigung der Exposition kommt es meistens innerhalb von mehreren Wochen oder einigen Monaten zu einer vollständigen Rückbildung.
  • Beim Schweregrad II ist die Symptomatik stärker ausgeprägt und längere Zeit vorhanden. Veränderungen kognitiver Leistungen bestimmen in der Regel das Krankheitsbild und sollten mit standardisierten Methoden nachgewiesen sein. Einschränkungen im Bereich der Aufmerksamkeit, des Kurzzeitgedächtnisses und der psychomotorischen Geschwindigkeit werden häufiger beobachtet. Unspezifische neurologische Zeichen in Form von Koordinationsstörungen (ungerichtete Ataxie, Tremor, Dysdiadochokinese) können vorkommen.
    Erkrankungen des Schweregrades II haben eine unterschiedliche Prognose. Nach Beendigung der ursächlichen Exposition sind Besserungen der gesundheitlichen Beschwerden sowie der Funktionsstörungen möglich. Auch über bleibende Gesundheitsstörungen wurde berichtet. Differenzialdiagnostisch ist bedeutsam, dass die Progredienz einer toxischen Enzephalopathie nach Expositionsende unwahrscheinlich ist. Bei progredienten Verläufen sind Alterungseffekte und Komorbidität zu berücksichtigen.
  • Der Schweregrad III entspricht dem Krankheitsbild der schweren Demenz mit ausgeprägten globalen Einschränkungen der intellektuellen Leistungen und des Gedächtnisses. Bei der schweren Form kann eine diffuse innere und äußere Hirnatrophie vorliegen. Dieses Krankheitsbild ist wenig reversibel, nach Ausschalten der Noxe jedoch auch nicht progredient. Eine schwere Lösungsmittel-induzierte Enzephalopathie ist vorwiegend bei Schnüfflern beobachtet worden.
Nicht zur toxischen Enzephalopathie im Sinne dieser Berufskrankheit gehören die degenerativen Erkrankungen des Nervensystems wie M. Alzheimer, Parkinson-Syndrome, Multiinfarktdemenz und multiple Sklerose. Ferner sind differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen: alkoholtoxische Enzephalopathie, affektive Störungen (Depression), Angststörungen, somatoforme Störungen und posttraumatische Belastungsstörung.
Im Rahmen der Begutachtung ist ein interdisziplinäres Vorgehen mit Beteiligung erfahrener Arbeitsmediziner, Neurologen, Neuroradiologen, Psychiatern und Neuropsychologen erforderlich.
Wegen der weiten Verbreitung organischer Lösungsmittel ist die Bedeutung dieser Berufskrankheit relativ groß (Tab. 1).

BK 1318 – Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol

Benzol ist in der Arbeits- und Umwelt weit verbreitet. Es ist vor allem in Ottokraftstoffen enthalten, früher auch in zahlreichen Lösungs- und Reinigungsmitteln. Benzol entsteht ferner durch unvollständige Pyrolyse von organischem Material, insbesondere durch Kraftfahrzeugemissionen. Benzol wird als Dampf inhalativ sowie auch über die Haut gut aufgenommen. Die biologische Halbwertszeit beträgt nur einige Minuten, allerdings wird Benzol zu reaktiven Zwischenprodukten oxidiert, z. B. Phenol, Hydrochinon, Brenzcatechin. Dabei entstehen auch reaktive Sauerstoffspezies (ROS), welche die DNA schädigen können.
Nach Auffassung des Ärztlichen Sachverständigenbeirates „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist Benzol grundsätzlich in der Lage, die in der folgenden Übersicht aufgeführten malignen Erkrankungen zu verursachen (Stand 2007).
Krankheitsbilder der BK 1318:
Myelodysplastische Syndrome (MDS)
  • Refraktäre Anämie (RA)
  • Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten (RARS)
  • Refraktäre Anämie mit Exzess von Blasten (RAEB)
  • Refraktäre Anämie mit Exzess von Blasten in Transformation (RAEB-t)
  • Chronische myelomonozytäre Leukämie (in Abhängigkeit von der Leukozytenzahlklassifizierung als MDS oder MPE)
Akute myeloische Leukämie (AML)
Myeloproliferative Erkrankungen (MPE)
Non-Hodgkin-Lymphome
Zur Abschätzung des Erkrankungsrisikos wird zwischen Krankheitsbildern mit epidemiologischer Information zur Dosis-Risiko-Beziehung und solchen ohne entsprechende ausreichende Informationen differenziert. Schwierigkeiten bestehen darin, die retrospektive berufliche Benzolbelastung zu quantifizieren. Im Falle der Leukämien (einschließlich chronisch-lymphatischer Leukämie, aplastischer Anämie, myelodysplastischem Syndrom, aber ausschließlich der chronisch-myeloischen Leukämie) ist laut wissenschaftlicher Begründung ab einem Bereich von 10 ppm-Benzoljahren von einer Verursachungswahrscheinlichkeit über 50 % auszugehen, d. h. eine Berufskrankheit BK 1318 ist zu bestätigen.
Ungeachtet der „wissenschaftlichen Begründung“ wird im internationalen wissenschaftlichen Schrifttum die Frage, ob Benzol grundsätzlich in der Lage ist, alle Formen der Non-Hodgkin-Lymphome zu verursachen, kontrovers diskutiert.
Das vom Ärzlichen Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim BMAS in 2009 veröffentlichte Merkblatt zur BK 1318 ist zu beachten.
Neben der stattgehabten Benzolbelastung sind auch die zeitlichen Abläufe zwischen Expositionsbeginn und Krankheitsmanifestation (Latenzzeit) sowie Expositionsende und Krankheitsmanifestation (Interimszeit) kausalanalytisch bedeutsam Interimszeiten von mehr als 15 Jahren sind zu berücksichtigen, da mit zunehmendem Zeitabstand von der Krankheitsursache das Erkrankungsrisiko statistisch-epidemiologisch abnimmt. Dies ist vergleichbar mit dem Rückgang des Lungenkrebsrisikos bei Exrauchern.

BK 1319 – Larynxkarzinom durch intensive und mehrjährige Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen

Schwefelsäure gehört zu den starken anorganischen Säuren, die in verschiedenen Produktionsverfahren zum Einsatz kommt: Ethanol- und Isopropanolherstellung sowie Düngemittelproduktion. Ferner wird es zum Beizen von Metallen, bei der Papierherstellung, in der Seifenindustrie und in der Galvanik eingesetzt. Die an Arbeitsplätzen auftretenden Aerosole, dabei hat die Luftfeuchtigkeit eine großen Einfluss auf die Teilchengröße, können sich insbesondere im oberen Atemtrakt auf die Schleimhäute niederschlagen. Die Bildung von Wasserstoffionen führt am Plattenepithel zu dysplastische präkanzerogenen Läsionen.
Mehrere Fall-Kontroll- sowie Kohortenstudien aus 1980/1990 iger Jahren haben erhöhte Inzidenzen für Larynxkarzinom in den exponierten Berufsgruppenergeben, wobei die Studie von Soskolne et al. 1992 besonders aussagefähig ist.
In der wissenschaftlichen Begründung aus 2011 folgt der Ärztliche Sachverstängigenbeirat der Einstufung von IARC und DFG, dass Schwefelsäuredämpfe gesichert humankanzerogen sind und Larynxkrebs verursachen können.Weiterhin wird aus den Studienergebnissen abgeleitet, dass unter einen intensivenSchwefelsäurekonzentration eine Expositionshöhe von 0,2 mg/m3 und mehr zu verstehen ist. Mehrjährige Exposition ist eine mindestens fünfjährige, vollschichtigeTätigkeit.

BK 1320 – Chronisch-myeloische oder chronisch-lymphatische Leukämie durch 1,3-Butadien bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 180 Butadien-Jahren (ppm × Jahre)

1,3-Butadien ist ein farbloses Gas mit großer industrieller Bedeutung. Es wird vorwiegend in der chemischen Industrie zur Herstellung verschiedener Kautschuksorten und Kunststoffen verwendet. An diesen Arbeitsplätzen kann es zu einer inhalativen Exposition und somit zu einer gesundheitlichen Gefährdung kommen.
1,3-Butadien wirkt über die Bildung von Metaboliten genotoxisch, es wurde von IARC und DFG als sicher krebserzeugend für den Menschen eingestuft.
Anhand der Resultate epidemiologischer Studien aus Chemiebetrieben in Kanada und den USA hat der Sachverständigenbeirat in seiner wissenschaftlichen Begründung in 2016 das Erkrankungsrisiko an Leukämie näher definiert. Es wird auf der Basis der Studienergebnisse von Graff et al. 2005 gefolgert, dass sich ab einer kumulativen Butadien-Dosis von 180 ppm × Jahren das Risiko für eine CML oder CLL verdoppelt.
Zum Krankheitsbild s. Kapitel Leukozyten und Leukämie.

BK 1321 – Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis einer Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren ((ug/m3) × Jahre)

Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) sind ubiquitär vorkommende Substanzen, die durch das Erhitzen bzw. Verbrennen von organischen Materialien unter Sauerstoffmangel auftreten. Es handelt sich im allgemeinen um komplexe Gemische, die analytische Leitkomponente ist das Benzo(a)pyren (BaP).
In mehreren epidemiologischen Studien werden leicht erhöhte Harnblasenkrebsrisiken bei Beschäftigten in der Aluminiumproduktion sowie in Eisen-und Stahlgießereien beschrieben (Rota et al. 2014). Die Ableitung der kumulativen Dosis von 80 BaP-Jahren stützt sich auf das Ergebnis der Kohortenstudie in der Kanadischen Aluminium-Produktion (Gibbs et al. 2014).
Literatur
Gibbs GW, Labreche F, Busque MA, Duguay P (2014) Mortality and cancer incidence in aluminium smelter workers, a 5-year update. Occup Environ Med 56:739–764CrossRef
Graff JJ, Sathiakummar N, Macaluso M, Malddonado G, Matthews R, Delzell E (2005) Chemical exposures in the synthetic rubber industry and lymphohematopoietic cancer mortality. J Occup Environ Med 47:916–932CrossRefPubMed
Rota M, Bosetti C, Boccia S, Boffetta P, LaVecchia C (2014) Occupational exposures to polycyclic aromatic hydrocarbons and respiratory and urinary tact cancers < an updated systematic review and meta analysis to 2014. Arch Toxicol 88:1479–1490CrossRefPubMed
Sennekamp J, Müller-Wenig D, Amthor M, Baur X, Bergmann KCH, Costabel U, Kirsten D, Koschel D, Kroidl R, Liebtrau G, Nowak D, Schreiber J, Vogelmeier C (2007) Empfehlungen Zur Diagnostik der exogen-allergischen Alveolitis. Pneumologie 61:52–56
Soskolne CL, Jhangri GS, Siemiatycki J, Lakhani R, Dewar R, Buech JD, Howe GR, Miller AB (1992) Occupational Exposure to sulphuric acid in Sothern Ontario,Canada, in association with laryngeal cancer. Scan J Work Environ Health 18:225–232CrossRef