Einführung in Ionisierende Strahlung
Als „ionisierende Strahlung“ werden Photonen- oder Teilchenstrahlung bezeichnet, welche in der Lage sind, direkt oder indirekt Elektronen aus Atomen oder Molekülen zu lösen. Die ionisierende Strahlung kann durch radioaktiven Zerfall, durch Röntgenröhren, Beschleuniger oder Reaktoren erzeugt werden. Unter Teilchenstrahlung zählen α-Strahlung (zweifach positiv geladener Heliumkern), β-Strahlung (Elektronen oder Positronen), welche durch den radioaktiven Zerfall von Atomen entstehen und Neutronen (neutral), Protonen welche z. B. in Reaktoren und Beschleuniger entstehen können. Unter Wellen- oder Photonenstrahlung zählt die γ-Strahlung, die nach dem radioaktiven Zerfall aus dem Atomkern ausgesendet wird und die Röntgenstrahlung. Die Einheit Elektronvolt (eV) gibt die Strahlenenergie an und die Zahl der radioaktiven Zerfälle pro Sekunde, die sogenannte Aktivität, wird in der Einheit Becquerel (abgekürzt Bq) angegeben.
Trifft die ionisierende Strahlung auf Materie, werden durch Ionisationen, Anregungen und andere Wechselwirkung Energie, in Joule, auf die Atome in der Materie, pro kg, übertragen. Die Energiedosis Joule je Kilogramm wird in der Einheit Gray (abgekürzt Gy) angegeben.
Trifft die ionisierende Strahlung auf lebendes Gewebe, werden durch Ionisationen, Anregungen und andere Wechselwirkungen Energie auf die Atome oder Moleküle im Gewebe übertragen und dadurch die biologische Funktion verändert.
Die Strahlung kann auf verschiedene Arten den Körper exponieren. Befindet sich die Strahlenquelle außerhalb des Körpers, externe Bestrahlung, macht die durchdringende Wellenstrahlung den größten Teil der Dosis aus. Bei einer Verunreinigung der
Körperoberfläche mit radioaktiven Stoffen, eine Kontamination, sind Betastrahler aufgrund ihrer Eindringtiefe in der Haut zu berücksichtigen. Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass diese Verunreinigung in den Körper gelangt. Dies kann über Verletzungen (Resorption), durch Verschlucken (Ingestion) oder Einatmen (Inhalation) geschehen und wird Inkorporation genannt.
Die unterschiedlichen Strahlenarten wechselwirken unterschiedlich mit dem biologischen Gewebe. Die Alpha-Strahlung, die aus einem zweifach geladenen Heliumkern besteht, hat eine kurze Reichweite im Gewebe. Schon kurz nach der Entstehung, gibt dieses Teilchen viel Energie auf das umliegende Gewebe ab. Somit werden viele Ionisationen in wenigen Zellen durchgeführt und diese schwer geschädigt. Auf der Hautoberfläche, würde die Alpha-Strahlung schon in der obersten Hornschicht der Haut absorbiert werden und keinen Schaden anrichten. Die Beta-Strahlung, die aus einem Elektron bzw Positron besteht, kann von der Hautoberfläche schon bis in die Stammzellenschicht der Haut vordringen und diese schädigen. Wellenstrahlung wie die Röntgen- und die γ-Strahlung durchdringt den menschlichen Körper und tritt nur dann in Wechselwirkung mit dem biologischen Gewebe, wenn sie ihre Energie ganz oder teilweise auf Elektronen in der Hülle der Atome oder Moleküle übertragen kann. Dies ist ein sehr komplexer Vorgang, je höher die Strahlenenergie ist, desto seltener finden diese Absorptionsprozesse statt.
Um nun die biologische Wirksamkeit der Strahlung, die unterschiedliche Empfindlichkeit der einzelnen Gewebe im Körper zu berücksichtigen und damit eine Bewertung des (stochastischen) zufälligen Strahlenrisikos (Krebs, Leukämie, Erbschäden)
auch bei unterschiedlichen Teilkörperexpositionen abzuleiten, wird die effektive Dosis mit der Einheit Sievert verwendet(Sv), diese setzt sich aus der Summe der Organ-Äquivalentdosen zusammen (International Commission on Radiological Protection (ICRP)
2007).
Die Organ
-Äquivalentdosis (Sv) ist das Produkt aus der Energiedosis (Gy) im betroffenen Organ, multipliziert mit dem dimensionslosen Strahlungswichtungsfaktor. Dieser Faktor gibt die Ionisationsdichte entlang der Strahlungsspur im Gewebe wieder und so die biologische Wirksamkeit der Strahlenart. Da die Organe und Gewebe im menschlichen Körper unterschiedlich empfindlich sind gegenüber ionisierender Strahlung, wird dies über den dimensionslosen Gewebewichtungsfakor berücksichtigt, welcher mit der Organ-Äquivalentdosis multipliziert wird (International Commission on Radiological Protection (ICRP)
2007).
Bedeutung der Dosisermittlung für die Begutachtung der BK 2402
Mit der Festlegung von Grenzwerten
für Bevölkerung und beruflich exponierte Personen sollen schädliche deterministische Effekte vermieden und das Risiko stochastischer Schäden durch Strahlung auf ein tolerables Maß beschränkt werden (SSK Empfehlung Grenzwerte der Organ-Äquivalentdosen für die berufliche Strahlenexposition
2020). Die Überschreitung der Grenzwerte ist kein Kriterium für die Kausalität der Berufskrankheit sowie eine Einhaltung der Grenzwerte nicht automatisch eine Ablehnung der Kausalität begründet (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung „Erkrankungen durch ionisierende Strahlen“; GMBl
2011; Nr. 49-51; Seite 983 ff, Bek. d. BMAS v. 24.10.2011 – IVa 4-45222-2402). Für die Kausalitätsbeurteilung muss die Strahlendosis in dem für die Erkrankung kritischen Organ und die damit verbundene Strahlenempfindlichkeit berücksichtigt werden (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung „Erkrankungen durch ionisierende Strahlen“; GMBl
2011; Nr. 49-51; Seite 983 ff, Bek. d. BMAS v. 24.10.2011 – IVa 4-45222-2402). Um diese abzuschätzen, müssen die Verhältnisse am Arbeitsplatz ermittelt werden. Womit wurde umgegangen, welche Strahlenschutzmaßnahmen wurden durchgeführt und gibt es eine messtechnische Ermittlung von der Orts-, Personendosis oder der Raumluftaktivität.
Bei äußerer Exposition
, kann die effektive Dosis bzw. die Augen-, Haut-Extremitätsdosis über den Messwert, der mit den amtlichen Dosimetern bei beruflich strahlenexponierten Personen gemessen wird, abgeschätzt werden (SSK Band 43 -Berechnungsgrundlage für die Ermittlung von Körper-Äquivalentdosen bei äußerer Strahlenexposition
2016). Bei Personen, die in fremden Anlagen tätig werden und dort eine effektive Dosis von mehr als 1 mSv erhalten können, wird ein Strahlenpass geführt, in den die amtlichen Dosiswerte eingetragen werden (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung „Erkrankungen durch ionisierende Strahlen“; GMBl
2011; Nr. 49-51; Seite 983 ff, Bek. d. BMAS v. 24.10.2011 – IVa 4-45222-2402). Ist von der betroffenen Person kein Dosimeter getragen worden, kann die Belastung ggf. durch Referenzspersonen mit vergleichbaren Tätigkeiten abgeschätzt werden. Es gibt auch die Möglichkeit, durch Messung der Ortsdosis an der Emissionsquelle eine Dosis für die betroffene Person zu bestimmen, wenn die Aufenthaltszeit der Person im Strahlungsfeld bekannt ist. Die retrospektive Bestimmung über die biologische Dosimetrie kann nur zeitlich begrenzt nach einem Vorfall mit höherer Exposition angewendet werden.
Bei einer internen Exposition, sogenannten Inkorporationen
, kann die Dosis mittels aufwändiger Berechnungsverfahren abgeschätzt werden. Wenn kurz nach der Inkorporation mittels Ganzkörperzähler, Ausscheidungsanalyse oder Raumluftaktivitätskonzentration die zugeführte Aktivität bestimmt worden ist (International Commission on Radiological Protection (ICRP)
2007; Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung „Erkrankungen durch ionisierende Strahlen“; GMBl
2011; Nr. 49-51; Seite 983 ff, Bek. d. BMAS v. 24.10.2011 – IVa 4-45222-2402).
Da durch die Aufnahme von Radionukliden in den Körper, eine chronische Exposition durch den Zerfall erfolgt, wird hier die 50-Jahre-Folge-Organ-Äquivalentdosis mit Hilfe von Dosiskoeffizienten und
Messwerten der Aktivitäten (in Bq) berechnet (ICRP
2015,
2016,
2017,
2019). Auch die daraus resultierenden und zu dokumentierenden Dosiswerte sind meist Werte der effektiven Dosis. Sie werden zum Zweck der Prävention und zum Vergleich mit den einzuhaltenden Grenzwerten gemäß den Forderungen der
Strahlenschutzverordnung, dem Jahr der Zufuhr zugeschrieben. Bei Berufskrankheitenverfahren muss jedoch im Einzelfall geprüft werden, welcher Anteil dieser gesamten Inkorporationsdosis bis zum Zeitpunkt der Diagnose angefallen ist (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung „Erkrankungen durch ionisierende Strahlen“; GMBl
2011; Nr. 49-51; Seite 983 ff, Bek. d. BMAS v. 24.10.2011 – IVa 4-45222-2402).
Im Hinblick auf die Kausalitätsfrage in einem Berufskrankheitenverfahren ist ausschließlich die Dosis im erkrankten Organ maßgeblich. In Abhängigkeit der Expositionsbedingungen, insbesondere in Abhängigkeit der Energie der Strahlung, kann diese Organ
-Äquivalentdosis von der effektiven Dosis deutlich unterschiedlich sein. Im speziellen Einzelfall sollte die Berechnung der relevanten Organ-Äquivalentdosis durch einen erfahrenen Dosimetristen durchgeführt werden, insbesondere wenn Inkorporationen zur Exposition beigetragen haben (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung „Erkrankungen durch ionisierende Strahlen“; GMBl
2011; Nr. 49-51; Seite 983 ff, Bek. d. BMAS v. 24.10.2011 – IVa 4-45222-2402).