Skip to main content
Die Ärztliche Begutachtung
Info
Publiziert am: 19.09.2024

BK 42 – Erkrankungen durch organische Stäube

Verfasst von: Michael Wich, Andrea Popa und Rolf Merget
Neben infektiösen Lungenkrankheiten kann die Inhalation von Stäuben pflanzlichen oder tierischen Ursprungs zu toxischen und allergischen Atemwegs- oder Lungenkrankheiten führen, insbesondere wenn die Partikel in hohen Konzentrationen eingeatmet werden. Die Anlage 1 zur geltenden Berufskrankheitenverordnung enthält drei Erkrankungen, die sich auf organische Stäube zurückführen lassen: BK 4201, 4202 und 4203. Bei „organischen Stäuben“ handelt es sich um eine komplexe Mischung von Substanzen, die beträchtliche qualitative Unterschiede in der Exposition zwischen einzelnen Tätigkeiten aufweist. Die durch organische Stäube verursachten Krankheiten sind vielfältig. Bei den durch toxische Wirkungen verursachten Atemwegserkrankungen sind das Asthma, das „asthma-like syndrome“ und die COPD sowie das „organic dust toxic syndrome“ (ODTS) zu unterscheiden. Die Byssinose ist eine hinsichtlich ihres Pathomechanismus wenig verstandene, ähnliche Erkrankung, die in Industrienationen selten geworden ist. Bei den exogen allergischen Alveolitiden ist die Farmerlunge, auch Drescherlunge genannt, von besonderer Bedeutung.

Einleitung

Neben infektiösen Lungenkrankheiten kann die Inhalation von Stäuben pflanzlichen oder tierischen Ursprungs zu toxischen und allergischen Atemwegs- oder Lungenkrankheiten führen, insbesondere wenn die Partikel in hohen Konzentrationen eingeatmet werden. Die Anlage 1 zur geltenden Berufskrankheitenverordnung (BKV) enthält drei Erkrankungen, die sich auf organische Stäube zurückführen lassen:
  • BK 4201 – Exogen allergische Alveolitis
  • BK 4202 – Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)
  • BK 4203 – Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen durch Stäube von Eichen- oder Buchenholz.
Bei „organischen Stäuben“ handelt es sich um eine komplexe Mischung von Substanzen, die beträchtliche qualitative Unterschiede in der Exposition verschiedener Tätigkeiten aufweist. Die durch organische Stäube verursachten Krankheiten sind vielfältig. Eine umfangreiche Übersicht über Atemwegs- und Lungenkrankheiten in der Landwirtschaft wurde von der Amerikanischen Thoraxgesellschaft publiziert (ATS 1998). Eine besondere Rolle spielen dabei Bakterien und Schimmelpilze beziehungsweise Produkte aus diesen Organismen (Endotoxine und Mykotoxine).
Bei den durch toxische Wirkungen verursachten Atemwegserkrankungen sind das Asthma, das „asthma-like syndrome“ und die COPD sowie das „organic dust toxic syndrome“ (ODTS) zu unterscheiden. Als ursächlich für diese Krankheiten werden vor allem Endotoxine angesehen, z. B. hitzestabile Lipopolysaccharide (LPS), die meist aus Teilen der Zellmembran gramnegativer Bakterien stammen. Inhalationsstudien mit gereinigten LPS konnten Krankheitssymptome und -befunde reproduzieren, sodass hierin allgemein der wesentliche Faktor für die o. g. nichtallergischen Krankheiten gesehen wird.
Die Byssinose ist eine hinsichtlich ihres Pathomechanismus wenig verstandene, ähnliche Erkrankung, die in Industrienationen selten geworden ist.
Bei den exogen allergischen Alveolitiden ist die Farmerlunge, auch Drescherlunge genannt, von besonderer Bedeutung. Neben der Farmerlunge gibt es noch eine Fülle berufstypischer exogen allergischer Alveolitiden, die als Berufskrankheiten unter der BK 4201 zu subsumieren, insgesamt aber vergleichsweise selten sind. Schließlich ist die kanzerogene Wirkung organischer Stäube aus einheimischen Hölzern bekannt.
Die Häufigkeit toxischer oder allergischer Reaktionen variiert tätigkeitsbezogen beträchtlich: Während zum Beispiel bei Mehlstaubexposition das allergische Asthma dominiert, ist es bei Schweinezüchtern das nichtallergische Asthma, bei Getreidearbeitern das ODTS und bei Landwirten mit Exposition zu feuchtem Heu die exogen allergische Alveolitis.

Asthma, „asthma-like syndrome“, COPD

Asthma und „asthma-like syndrome“ unterscheiden sich formal darin, dass unter „asthma-like syndrome“ eine nichtallergische, akute und reversible Reaktion nach Inhalation organischer Stäube verstanden wird. Vermutlich handelt es sich um eine Krankheitsentität mit dem nichtallergischen Asthma, denn es ist zu hinterfragen, ob die Langzeitprognose bei Personen mit „asthma-like syndrome“ wirklich günstig ist.
Es gibt inzwischen ausreichende Hinweise auf eine erhöhte Prävalenz obstruktiver Atemwegserkrankungen bei langjährig gegenüber organischen Stäuben exponierten Personen, sodass davon auszugehen ist, dass auch eine COPD durch langjährige hohe Einwirkung von organischen Stäuben induziert werden kann (siehe hierzu Kap. „Bronchitis, COPD, Lungenemphysem, Bronchiektasen – Begutachtung“, Hoffmeyer und Eisenhawer; Kap. „BK 43 – Obstruktive Atemwegserkrankungen“, Steiner und Eisenhawer). Teilweise sind hier Mischexpositionen mit chemisch-irritativ wirkenden Substanzen zu berücksichtigen (z. B. Ammoniak bei Landwirten).
Ein Problem gerade bei Landwirten ist die Tatsache, dass diese meist auf dem elterlichen Hof aufwachsen und eine Trennung zwischen beruflichen Ursachen bzw. Verschlimmerungen und nichtberuflichen Ursachen schwierig oder unmöglich ist.

Allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA)

Bei der ABPA handelt es sich um eine seltene allergische Krankheit mit Sensibilisierung gegen Schimmelpilzallergene. Die Symptomatik ist bestimmt von asthmatischen Beschwerden mit rezidivierenden „Lungenentzündungen“. Die Diagnostik fußt im Wesentlichen auf dem Nachweis eines Asthma bronchiale, einem erhöhten Gesamt-IgE, einer Schimmelpilzsensibilisierung (IgE und IgG) und wechselnden (nichtinfektiösen) Lungeninfiltraten sowie in Spätstadien zentralen Bronchiektasen. Es ist möglich, die Erkrankung durch Nachweis eines speziellen Einzelallergenspektrums mit hoher Spezifität vom allergischen Schimmelpilzasthma abzugrenzen.
Die ABPA ist keine Berufskrankheit, es existieren auch keine Hinweise auf Häufungen bei bestimmten Berufsgruppen. Als Kasuistik wurde der Fall eines Müllwerkers mit ABPA beschrieben. Bei einem Landwirt mit arbeitsbezogenenen Beschwerden wurde der asthmatische Anteil der Erkrankung als BK 4301 anerkannt (Siehe Kap. „BK 43 – Obstruktive Atemwegserkrankungen“, Steiner und Eisenhawer).

Organic Dust Toxic Syndrome (ODTS)

Das ODTS ist eine durch organische Stäube ausgelöste, nach mehrstündiger Latenzzeit auftretende entzündliche Reaktion der Atemwege, die mit leichtem Fieber und grippeartigen Allgemeinsymptomen einhergeht. Das ODTS tritt überwiegend in der Landwirtschaft auf, insbesondere nach intensivem Kontakt mit Getreidestaub.
Es kommt typischerweise zu einer akuten, grippeähnlichen, entzündlichen Reaktion der Atemwege mit Fieber, Muskelschmerzen, Engegefühl im Brustkorb, Husten und Übelkeit. Die Beschwerden zeigen sich meist 4–8 h nach inhalativer Staubbelastung. Diese Reaktionen treten bereits bei der ersten Exposition auf. Neben dem akuten ODTS wird auch eine chronische Verlaufsform mit Auftreten einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung beschrieben. Die Beschwerden sind verbunden mit Leukozytose und Linksverschiebung im Differenzialblutbild. In der Lungenfunktion findet sich eine obstruktive Ventilationsstörung.
Bisher ist das ODTS nicht als Berufskrankheit anerkannt; präventive Maßnahmen werden nur teilweise von den Berufsgenossenschaften getragen.
Bildgebend sind keine Auffälligkeiten bekannt, erhöhte IgG-Antikörper sind im Gegensatz zur exogen allergischen Alveolitis nicht nachweisbar. Die Differenzialdiagnose zur exogen allergischen Alveolitis ist in Einzelfällen nicht einfach, weil sich die Symptome beider Krankheiten sehr ähneln. Die Diagnostik stützt sich auf die typische Exposition, eine typische Anamnese und den Ausschluss einer exogen allergischen Alveolitis (siehe Kap. „Funktionsprüfungen und Diagnostik als Grundlagen der Begutachtung in der HNO zur Begutachtung“). Die Erkrankung tritt nur bei hohen Expositionen auf, präventive Maßnahmen (Atemschutz) sind von hoher Effektivität.

BK 4201 – Exogen-allergische-Alveolitis

Die Antigene der exogen allergischen Alveotitis sind in einer Vielzahl von Stäuben enthalten und haben häufig eine Tätigkeits-(berufs-)spezifische Herkunft, was meist in den Bezeichnungen der Erkrankung zum Ausdruck kommt (z. B. Farmerlunge, Vogelhalterlunge, Befeuchterlunge, Holzarbeiterlunge, Pilzzüchterlunge). Die häufigsten Allergene sind Tierallergene, Pflanzenallergene, Allergene von Bakterien (z. B. Aktinomyzeten) und Schimmelpilzen sowie Chemikalien (Isocyanate, Phthalsäureanhydrid). In Deutschland werden ohne wesentliche Schwankungen der Inzidenz etwa 20 Fälle pro Jahr als Berufskrankheit anerkannt.
Bezüglich der vielfältigen möglichen Ursachen wird auf das deutschsprachige Standardwerk verwiesen (Sennekamp 1998). Eine häufige Ursache allergischer Alveolitiden ist der Staub aus verschimmeltem Heu oder Stroh (sog. Farmerlunge).
Die typischerweise anzutreffenden akuten Krankheitserscheinungen setzen in der Regel 4–8 h nach Inhalation des Staubes ein. Im Vordergrund stehen Atemnot, Gliederschmerzen, mehr oder weniger hohes Fieber, Schüttelfrost und Schweißausbrüche, ferner Husten, der mit zunächst geringem, später auch mit reichlich schleimigem und gelegentlich blutigem Auswurf einhergeht. Der anfänglich schubweise Verlauf geht bei weiter anhaltender Staubexposition in das chronische Stadium über, das durch Dyspnoe und anhaltenden Husten mit Auswurf gekennzeichnet ist. Diese chronischen Verlaufsformen können auch primär auftreten und lassen die Akutsymptomatik zurücktreten oder auch ganz vermissen. Kurz dauernde Exazerbationen nach verstärkter Exposition können das allmähliche Fortschreiten überlagern. In späteren Stadien entwickelt sich eine Lungenfibrose mit Cor pulmonale. Die Diagnose stützt sich wesentlich auf die 4–8 h nach spezifischer Exposition auftretende akute Symptomatik und den Nachweis präzipitierender Antikörper im Serum.
Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin hat 2007 folgende diagnostische Kriterien zusammengetragen (Sennekamp et al. 2007):
Hauptkriterien
  • Antigenexposition
  • Expositions- und/oder zeitabhängige Symptome
  • Spezifische IgG-Antikörper im Serum
  • Knisterrasseln
  • Röntgenzeichen der EAA, ggf. im HRCT
  • Sauerstoffpartialdruck oder DCO erniedrigt
Fehlt eines der Hauptkriterien, kann es durch ein Nebenkriterium ersetzt werden:
Nebenkriterien
  • Lymphozytose in der BAL (bronchial-alveoläre Lavage)
  • Zu vereinbarende Histologie
  • Positiver Karenztest
  • Positiver Provokationstest im Umfeld oder Labor
Die Wahrscheinlichkeit einer exogen allergischen Alveolitis wurde von dieser Arbeitsgruppe anhand von 116 Patienten mit exogen allergischer Alveolitis und 284 Kontrollpersonen errechnet und ist in Tab. 1 angegeben.
Tab. 1
Wahrscheinlichkeit für eine exogen allergische Alveolitis; Goldstandard waren ein typischer CT-Befund sowie ein typischer BAL-Befund. (Nach Lacasse et al. 2003)
Exposition zu einem bekannten Antigen
Rezidivierende Symptome
Symptome 4–8 h nach Exposition
Gewichtsverlust
Rasselgeräusche
+
Serumpräzipitine
Serumpräzipitine
+
+
+
+
+
+
98
92
93
72
+
+
+
97
85
87
56
+
+
+
90
62
66
28
+
+
81
45
49
15
+
+
+
95
78
81
44
+
+
90
64
68
28
+
+
73
33
37
10
+
57
20
22
5
+
+
+
62
23
26
6
+
+
45
13
15
3
+
+
18
4
5
1
+
10
2
2
0
+
+
33
8
10
2
+
20
4
5
1
+
6
1
1
0
3
1
1
0
Es sind weiterhin restriktive Ventilationsstörung oder bildgebende Hinweise auf eine Alveolitis zu fordern. Sehr sensitiv ist die Computertomographie des Thorax mit Nachweis landkartenartiger, milchglasartiger Verschattungen der Lungenfelder sowie zentrilobulärer Knötchen. Im konventionellen Röntgenbild zeigt sich eine basale milchglasartige Verschattung, wobei bei radiologischen Auffälligkeiten bereits eine deutliche Funktionseinschränkung vorliegt (Abb. 1).
In Zweifelsfällen kann ein arbeitsplatzbezogener Expositionstest zur Krankheitserkennung erforderlich sein. Diese Tests sind hinsichtlich der maximalen Dosis wenig standardisiert und nicht ungefährlich, weshalb diese Diagnostik nur von besonders in der Diagnostik der exogen allergischen Alveolitis erfahrenen Gutachtern durchgeführt werden sollte.
Auch die bronchoalveoläre Lavage (BAL) kann Hinweise auf eine exogen allergische Alveolitis geben: Typischerweise findet sich eine ausgeprägte Lymphozytose (> 30 %) mit Überwiegen von TH1-Lymphozyten (CD4/CD8- Ratio häufig erniedrigt).
Die Vielzahl der möglichen Antigene, die häufig sowohl falsch positive (der Antikörpernachweis ist ein Expositionsmarker, der nicht unbedingt mit Krankheit assoziiert ist) als auch falsch negative Antikörperbestimmung sowie die unterschiedlich ausgeprägten Krankheitsbilder machen die Diagnostik und Begutachtung schwierig, der zweifelsfreie Nachweis einer exogen allergischen Alveolitis gelingt in vielen Fällen nicht. Zweifel sind vor allem dann angebracht, wenn bei entsprechenden Berufsgruppen eine exogen allergische Alveolitis zwar aufgrund einer entsprechenden Exposition möglich, in der Literatur aber nicht oder nur als Einzelkasuistik beschrieben ist (z. B. exogen allergische Alveolitis bei Getreidesiloarbeitern oder Bäckern).

BK 4202 – Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)

Als Byssinose (BK 4202) bezeichnet man eine Erkrankung von Arbeitern in Baumwoll- und Flachsspinnereien sowie in Hanfbetrieben, die nach Inhalation von Stäuben ungereinigter Rohbaumwolle bzw. rohen Flachses oder von Hanfstaub auftritt. Die Erkrankung tritt nur bei den Arbeitern auf, die in den Vorwerken oder Baumwollspinnereien (Ballenöffner, Mischanlagen, Putzereien, Krempelei) Stäube ungereinigter Baumwolle einatmen. Es handelt sich nicht um eine allergische Krankheit. Bei nur unzureichend bekannter Pathogenese wird angenommen, dass die wesentlichen pathogenen Inhaltsstoffe Endotoxine sind, d. h. Zellwandbestandteile von gramnegativen Bakterien.
Als klinische Leitsymptome gelten das Engegefühl über der Brust und Atembeschwerden, die einige Stunden nach Wiederaufnahme der Berufstätigkeit im Anschluss an eine mindestens eintägige Arbeitspause auftreten (Montagssymptomatik) (Nowak et al. 2021). Im Laufe der Arbeitswoche nehmen die Beschwerden ab. Die Atemnot hat Anfallscharakter. Ihr liegt letztlich eine akute Bronchialobstruktion zugrunde. Die Ursache der Montagssymptomatik ist nicht bekannt.
Schwere Krankheitserscheinungen werden im Allgemeinen erst nach längerer Expositionsdauer gefunden. Chronische Atemwegserkrankungen sind in der Regel erst nach 8–10-jähriger Exposition zu erwarten. Vor allem in den fortgeschrittenen Stadien ist die Differenzialdiagnose zu Bronchialerkrankungen anderer Genese schwierig und fußt ausschließlich auf der Anamnese. Provokationstests oder die immunologische Diagnostik haben sich differenzialdiagnostisch als nicht hilfreich erwiesen.

BK 4203: Adenokarzinome der Nasenhaupt- und -nebenhöhlen durch Stäube von Eichen- oder Buchenholz

In der internationalen und deutschen Literatur wird die Entstehung von Adenokarzinomen der Nasenhaupt- und -nebenhöhlen durch Holzstäube ausführlich beschrieben (Schroeder et al. (1989); Binazzi et al. (2015); Mayr et al. (2010); Alberty et al. (2009), u. a.). Die berufsanamnestischen Erhebungen haben in auswertbaren Fällen mit gesichertem Adenokarzinom ergeben, dass sich bei Personen nach langjähriger Eichen- und Buchenholzstaubexposition eine überhäufige Anzahl von Erkrankten fand. Die Adenokarzinome der Nasenhaupt- und -nebenhöhlen durch Stäube von Eichen- und Buchenholz stellen daher eine Berufskrankheit nach BK 4203 dar, die seit 1988 zu den gelisteten Berufskrankheiten zählt.
Die Aktuell zur Empfehlung stehenden Hinweisen für die MdE-Einschätzung bei berufsbedingtem Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen wurden 2009 von einem Team aus der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum Münster publiziert. Die Aufgrund von Veränderungen der Therapieformen seit der Ausgabe der „Hartung-Klassifikation“ (Hartung et al. (1990) werden in Tab. 2 fettgedruckt hervorgehoben.
Tab. 2
Ergänzung der gutachterliche Hinweise (die sog. „Hartung- Klassifikation“) für die MdE-Einschätzung bei berufsbedingtem sinunasaler Adenokarzinome (Erweiterungen sind Fett gedruckt). (Quelle: Alberty et al. 2009)
Kategorie I
MdE 20–40 %
Tumor durch Operation entfernt,
keine bleibenden entstellenden äußerlichen Veränderungen im Gesicht,
evtl. adjuvante Strahlentherapie.
Bis 40 % MdE-Einschätzung zu wertende zusätzliche Funktionsstörungen, wie
- Augentränen,
- Riech- und Geschmacksverlust,
- Sensibilitätsstörungen im Gesicht,
- leicht behinderte Nasenatmung,
- geringe chronische Schleimhautentzündungen mit Pflegebedürftigkeit der Nase
Kategorie II
MdE 40–60 %
Tumor durch Operation entfernt,
evtl. adjuvante Strahlentherapie,
erhebliche funktionelle Störungen mit eventuellen sekundären Komplikationen, wie
- schwere chronische Schleimhautentzündungen mit erheblicher Pflegebedürftigkeit
der Nase (z. B. instrumentelle Reinigung),
- Nervenläsionen, z. B. nach Neck dissection,
- Augenmotilitätsstörungen,
- Entstellungen der äußeren Nase und/oder des Gesichts,
- Folgen einer Strahlentherapie (Dermatitis, Xerostomie, Strahlensyndrom).
Kategorie III
MdE 60–90 %
Tumor durch ausgedehnte Operation entfernt,
oder
Tumor partiell entfernt mit postoperativer Bestrahlung in kurativer Intention;
posttherapeutisch kein Residualtumor nachweisbar.
Bis 90 % MdE-Einschätzung zu wertende zusätzliche Funktionsstörungen:
- ausgeräumte Augenhöhle (Exenteratio orbitae)
- Folgen einer Strahlentherapie (Dermatitis, Xerostomie, Strahlensyndrom)
- teilweiser oder ganzer Verlust des Oberkiefers einschließlich des Gaumens
Kategorie IV
MdE 100 %
Inkurables Tumorstadium
Die Rente auf unbestimmte Zeit ist nach drei Jahren unter Berücksichtigung von Funktionsverlust und Leistungsbeeinträchtigung neu festzustellen. Bei fehlendem Funktionsverlust kann auch eine MdE von unter 20 % angemessen sein.
Literatur
Alberty J, Möllers A, Stoll W (2009) Aktualisierung der Hinweise zur Begutachtung holzstaubassoziierter sinunasaler Adenokarzinome (BK 4203). Laryngo-Rhino-Otologie 88(02):106–111CrossRefPubMed
American Thoracic Society (1998) Respiratory health hazards in agriculture. Am J Respir Crit Care Med 158:S1–S67CrossRef
Binazzi A, Ferrante P, Marinaccio A (2015) Occupational exposure and sinonasal cancer: a systematic review and meta-analysis. BMC Cancer 15:49. https://​doi.​org/​10.​1186/​s12885-015-1042-2CrossRefPubMedPubMedCentral
Hartung M, Walter W, Schroeder HG (1990) Hinweise für die MdE-Einschätzung bei berufsbedingtem Nasenkrebs. Med Sach 86:173–176
Lacasse Y, Selman M, Costabel U et al (2003) Clinical diagnosis of hypersensitivity pneumonitis. Am J Respir Crit Care Med 168:952–958CrossRefPubMed
Mayr SI, Hafizovic K, Waldfahrer F, Iro H, Kütting B (2010) Characterization of initial clinical symptoms and risk factors for sinonasal adenocarcinomas: results of a case–control study. Int Arch Occup Environ Health 83:631–638CrossRefPubMed
Nowak D, Ochmann U, Mueller-Lisse UG (2021) Berufskrankheiten der Atemwege und der Lunge [Occupational diseases of the airways and the lungs]. Internist (Berl). 62(9):906–920. German. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00108-021-01109-7. Epub 2021 Aug 13. PMID: 34387701; PMCID: PMC8361830
Schroeder HG, Kleinsasser O, Wolf J (1989) Adenokarzinome der Nasenhaupt-und Nasennebenhöhlen durch Stäube von Eichen-und Buchenholz. Dtsch Ärztebl:A2462–A2470
Sennekamp HJ (1998) Exogen allergische Alveolitis. Dustri-Verlag, Oberhaching
Sennekamp J, Müller-Wening D, Amthor M, Baur X, Bergmann K-C, Costabel U, Kirsten D, Koschel D, Kroidl R, Liebetrau G, Nowak D, Schreiber J, Vogelmeier C (2007) Empfehlungen zur Diagnostik der exogen-allergischen Alveolitis. Arbeitsgemeinschaft Exogen-Allergische Alveolitis der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) und der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI). Pneumologie 61:52–56. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-2006-944326CrossRefPubMed