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Die Ärztliche Begutachtung
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Publiziert am: 17.06.2022

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Verfasst von: Thorsten Brechmann
Die chronisch entzündlichen Darmkrankheiten, namentlich Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Colitis indeterminata, resultieren bei genetisch prädisponierten Personen aus einer überschießenden Entzündungsaktivität unter Beteiligung residenter Darmflora. Es handelt sich um chronische, schubweise verlaufende Erkrankungen, die im Allgemeinen konservativ behandelt werden. Für die Therapie des akuten Schubes kommen 5-Aminosalizylate (für die Colitis ulcerosa), topische oder systemische Glukokortikosteroide, aber auch zielgerichtete Antikörper (Biologika) oder andere krankheitsmodifizierende Moleküle infrage. Zur Remissionserhaltung können zudem Thiopurine oder MTX verabreicht werden, während die Glukokortikosteroide in dieser Situation keinen Stellenwert haben. Komplikationen bedingen eine chirurgische Therapie.

Einleitung

Die chronisch entzündlichen Darmkrankheiten, namentlich Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Colitis indeterminata, resultieren bei genetisch prädisponierten Personen aus einer überschießenden Entzündungsaktivität unter Beteiligung residenter Darmflora. Es handelt sich um chronische, schubweise verlaufende Erkrankungen, die im Allgemeinen konservativ behandelt werden.
Für die Therapie des akuten Schubes kommen 5-Aminosalizylate (für die Colitis ulcerosa), topische oder systemische Glukokortikosteroide, aber auch zielgerichtete Antikörper (Biologika) oder andere krankheitsmodifizierende Moleküle infrage. Zur Remissionserhaltung können zudem Thiopurine oder MTX verabreicht werden, während die Glukokortikosteroide in dieser Situation keinen Stellenwert haben. Komplikationen bedingen eine chirurgische Therapie.
Für die Colitis ulcerosa sind dies:
  • Anderweitig nicht beherrschbare Blutung
  • Perforation
  • Karzinom
  • Therapierefraktärer Schub
Für den Morbus Crohn sind dies:
  • Klinisch relevante Stenosen
  • Klinisch relevante Fisteln
  • Anderweitig nicht beherrschbare Abszesse
  • Perforation
  • Karzinom
Während bei der Colitis ulcerosa die vollständige Proktokolektomie die Erkrankung weitgehend effizient zu therapieren vermag, ist beim Morbus Crohn jeglicher Verlust funktionstüchtigen Darms zu vermeiden. So wird bei Stenosen vorrangig die Strikturoplastik durchgeführt und Darm – außer bei neoplastischen Läsionen – möglichst nicht oder nur sparsam reseziert. Nach Proktokolektomie kann sich bei Anlage eines Ileumreservoirs eine Pouchitis entwickeln. Auch assoziierte Erkrankungen wie die primär sklerosierende Cholangitis oder extraintestinale Manifestationen an Haut, Augen oder Gelenken müssen erfragt und beachtet werden.

Berufskrankheit und Soziale Entschädigung

Aus den obigen Ausführungen kann bereits abgeleitet werden, dass die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nach dem aktuellen Kenntnisstand nicht primär durch berufsbedingte Faktoren verursacht werden. Psychologische Faktoren oder psychiatrische Erkrankungen sind nach aktuellem Verständnis nicht als Auslöser des Morbus Crohn zu sehen. Zwar findet sich in der Gruppe der Patienten mit Morbus Crohn eine erhöhte Prävalenz psychologischer und psychiatrischer Störungen und assoziierter Medikation; dieser Umstand kann jedoch ebenso der Chronizität oder dem Ausmaß der Invalidisierung durch die Erkrankung selbst geschuldet sein.
In einer maßgeblichen Arbeit zum Zusammenhang zwischen individuell empfundenem Stress und dem Verlauf eines Morbus Crohn konnte eine Assoziation zwischen Stress und den Symptomen eines Morbus Crohn, nicht aber zwischen Stress und dem Auftreten einer entzündlichen Aktivität gesehen werden. Die Wahrscheinlichkeit vermehrter Symptomatik wurde jedoch nur sehr geringgradig erhöht (Odds Ratio 1,07). Psychosoziale Stressoren bzw. bedrohliche Lebensereignisse gehören zu potenziellen Assoziationen. Darüber hinaus erhöht die psychiatrische Komorbidität das Risiko für Crohn-assoziierte Operationen.
Es bleibt sehr kritisch zu beurteilen, ob und inwieweit schwere physische oder langdauernde, schwere, tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychische Belastungen von ursächlicher Bedeutung für den Verlauf der Darmkrankheiten sein können. Haben solche Umstände als Folge eines schädigenden Ereignisses vorgelegen, sind die Voraussetzungen für die Prüfung einer sog. Kann-Versorgung im Einzelfall im Rahmen der sozialen Entschädigung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG bzw. ab dem 01.01.2024 § 4 Abs. 6 SGB XIV) als erfüllt anzusehen, sofern die entsprechenden Symptome während der Einwirkung der genannten Faktoren oder längstens 6 Monate danach aufgetreten sind.

Erwerbsminderung, Berufsunfähigkeit, Versorgungsrecht

Der schubweise Verlauf chronisch entzündlichen Darmkrankheiten ruft immer wieder Arbeitsunfähigkeit hervor. Während im symptomfreien Intervall typischerweise keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit besteht, kann in der akuten Krankheitsphase eine deutliche Einschränkung bestehen und einen Grad der Behinderung nach der VersmedV begründen (Tab. 1). Anhaltspunkte geben verschiedene klinische und endoskopische Scores (CDAI, HBI, CD-EIS, Mayo-Score) ebenso wie der auch in deutscher Sprache validierte Inflammatory Bowel Disease Questionnaire (IBDQ). Die medikamentöse, überwiegend immunsuppressiv wirkende Therapie kann zu eigenständigen Problemen wie rezidivierende oder schwerwiegende Infektionen führen, die das Beschwerdebild maßgeblich gestalten können.
Tab. 1
Einschätzung des GdB bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
Colitis ulcerosa, Crohn-Krankheit (Enteritis regionalis)
GdB
Mit geringer Auswirkung (geringe Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, selten Durchfälle)
10–20
Mit mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufiger Durchfälle)
30–40
Mit schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle)
50–60
Mit schwerster Auswirkung (häufig rezidivierende oder anhaltende schwere Beschwerden, schwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, ausgeprägte Anämie)
70–80
Anmerkung: Fisteln, Stenosen, postoperative Folgezustände (z. B. Kurzdarmsyndrom, Stomakomplikationen), extraintestinale Manifestationen (z. B. Arthritiden), bei Kindern auch Wachstums- und Entwicklungsstörungen, sind zusätzlich zu bewerten
Schwere, therapierefraktäre Verläufe oder Komplikationen wie postoperatives Kurzdarmsyndrom können eine zeitweise oder gar dauerhafte teilweise/volle Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit (nur noch für Personen die vor dem 02.01.1961 geboren sind anwendbar) in der gesetzlichen Rentenversicherung bedingen und ein Erwerbsminderungsrente begründen. Das Ausmaß der Einschränkung muss dabei im Einzelfall durch entsprechende Funktionsuntersuchungen abgeschätzt und objektiviert werden. Auch perianale Fisteln (Tab. 2), extraintestinale Manifestationen, chronische Schmerzzustände und psychische Alterationen verlangen eine entsprechende Beachtung. Der Grad der Behinderung ist nach Resektionen des terminalen Ileums mit 30 bis 50 einzuschätzen, nach Proktokolektomie mit bis zu 40, bei Vorliegen eines Anus praeter liegt der GdB zwischen 50 und 80 (Tab. 3). Ausgedehnte Dünndarmresektionen oder die Existenz sonstiger Komplikationen und extraintestinaler Manifestationen der Grundkrankheit bedingen bisweilen einen GdB bis 100. Kommt es im Rahmen entzündlicher, posttraumatischer/postoperativer oder tumoröser Darmkrankheiten zu analer Inkontinenz, ist je nach Schweregrad ein GdB von 10 bis >50 anzunehmen (Tab. 4).
Tab. 2
Einschätzung des GdB bei Vorliegen einer perianalen Fistel
Fistel in der Umgebung des Afters
GdB
Geringe, nicht ständige Sekretion
10
Sonst
20–30
Tab. 3
Einschätzung des GdB bei Vorliegen eines Anus praeter
Künstlicher After
GdB
Mit guter Versorgungsmöglichkeit
50
Sonst (z. B. bei Bauchwandhernie, Stenose, Retraktion, Prolaps, Narben, ungünstiger Position)
60–80
Tab. 4
Einschätzung des GdB bei Vorliegen einer Analsphinkterinsuffizienz
Afterschließmuskelschwäche
GdB
Mit seltenem, nur unter besonderen Belastungen auftretendem unwillkürlichen Stuhlgang
10
Sonst
20–40
Funktionsverlust des Afterschließmuskels. wenigstens
50
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