Einführung
Die aktuelle Version des Merkblattes zur BK Nr. 2201 verweist unverändert auf das „Merkblatt zu BK Nr. 24 der Anlage 1 zur 7. BKVO“ aus dem Jahre 1964 hier wird zur Erkrankung ausgeführt:
„Zu rascher Übergang von Normal- auf Überdruck (Einschleusen in den Caisson, Abstieg im Wasser) kann infolge mangelnden Druckausgleichs, z. B. in Ohrtuben, Stirn- und Kieferhöhlen, zu Kopf- und Ohrenschmerzen, bei schadhaftem Gebiss auch zu Zahnschmerzen, führen.
Nach zu schnellem Ausschleusen oder Auftauchen treten innerhalb der ersten halben Stunde, vielfach auch erst nach Stunden oder Tagen, je nach Größe, Anzahl oder Lokalisation im Körper befindlicher Gasblasen, mehr oder weniger heftige „Druckfallbeschwerden“ auf. Zu den Krankheitssymptomen gehören z. B. Gelenk- und Muskelschmerzen, Ohrensausen, Schwerhörigkeit, Mono-, Paraplegie, Tonusverlust der Muskulatur („Zusammensinken des Körpers“), Aphasie und Asphyxie. Mehrtägige Temperatursteigerungen beruhen evtl. auf einer gestörten Wärmeregulation. Örtliche Zirkulationsstörungen können Gefäßerweiterungen,
Ödeme und Marmorierung der Haut verursachen.
Auch ein Herzinfarkt infolge von Stickstoffgasembolie ist möglich …
Dauernde Lähmungen, vorwiegend der unteren Gliedmaßen sowie Symptome des Menièreschen Syndroms
, sind infolge der Stickstoffgasembolien im Zentralnervensystem möglich. Auch vorübergehende
psychische Störungen, epileptiforme Anfälle, Schäden im Hirnstamm und evtl. röntgenologisch nachzuweisende Dauerschäden in den großen Gelenken können Folgeerkrankungen von Arbeit in Druckluft sein.“
Unterdruck
spielt eine bedeutsame Rolle beim Aufenthalt in großen Höhen, hier insbesondere in der Flugmedizin
(Aerospace Medical Association Medical Guidelines Task Force
2003). Mit Überdruck ist demgegenüber der Taucher
konfrontiert, sei es beruflich oder sportlich motiviert und gesundheitlich gefährdet wenn es zu einer plötzlichen Dekompression
(DCS decompression sickness) kommt. Der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Krankheit ist grundsätzlich wissenschaftlich begründet, muss jedoch im Einzelfall auch nachgewiesen werden.
Insbesondere ist es für beruflich tätigen Taucher überlebenswichtig, die Risiken der Caisson-Krankheit zu kennen und präventiv zu handeln.
Als Berufskrankheit spielt die Caisson-Krankheit zahlenmäßig keine Rolle mehr, einerseits weil es diese Arbeitsplätze deutlich weniger geworden sind, andererseits weil die eingeführten präventiven Maßnahmen wirksam eingehalten werden. In der Tab.
1 wird die Epidemiologie der BK über die letzten Jahrzehnte hinweg veranschaulicht.
Tab. 1
Statistiken zur BK 2201 seit 2010
2010 | 6 | 1 | – | – |
2015 | 2 | – | – | – |
2020 | 0 | 1 | – | 1 |
2021 | 3 | - | – | – |
2022 | 1 | 1 | – | – |
Folgen von atmosphärischem Unterdruck
Verminderter Sauerstoffdruck der Atemluft führt zu vermindertem
Sauerstoffpartialdruck des arteriellen Blutes und zum Sauerstoffmangel der Gewebe. Dabei sind das Gehirn und das Herz insbesondere bei bestehenden arteriosklerotischen Gefäßprozessen besonders gefährdet. Die pathogenetische und die prognostische Bedeutung einer
Hypoxie sind bei akutem Auftreten, so etwa beim plötzlichen Ausfall eines Sauerstoffgerätes in großer Höhe oder bei plötzlichem Druckabfall des Kabinendrucks von Verkehrsflugzeugen in großen Höhen einerseits, bei chronischer Hypoxie infolge eines länger dauerndem Höhenaufenthaltes andererseits verschieden.
Folgen von atmosphärischem Überdruck
Schäden durch atmosphärischen Überdruck
betreffen hauptsächlich Taucher und Senkkastenarbeiter, wenn es in zu schnell erreichten oder zu großen Tiefen zu einem Druckgradienten zwischen der wässrigen Phase der Gewebe und den luftgefüllten Hohlräumen, zum Barotrauma der Nasennebenhöhlen, des Mittelohres und der Lungen mit Schleimhautläsionen, Blutungen und sogar Lungenödem kommt (Allan und Kenny
2003). Diese Situation kann beim Sporttauchen ohne Atemgerät bzw. mit zu langem Schnorchel eintreten, wenn unter dem Druckanstieg mit größerer Wassertiefe das in der Lunge befindliche Luftvolumen einen immer kleineren Raum einnimmt.
Kardiologische Auswirkungen
Bei Caisson-Arbeitern beobachtete man eine vermehrte Rechtsdrehung der elektrischen Achse des Herzens und die Ausbildung eines P pulmonale. Pathologische elektrokardiographische Veränderungen sind nur bei älteren Menschen und solchen mit koronarer Herzkrankheit beobachtet worden, sie sind auf die Überlastung des kleinen Kreislaufs während des Druckabfalls zurückzuführen. Es sind aber auch Schenkelblockbilder, Rhythmusstörungen und infarktartige elektrokardiographische Veränderungen beschrieben worden.
Die gelegentlich angenommene Gasembolie in die Herzkranzgefäße wurde bisher nicht sicher belegt, sie ist also mehr als hypothetische Möglichkeit zu betrachten. Die Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Erkrankung im Rahmen einer Berufskrankheitenanzeige (BK 2201 oder Wie-BK) erscheinen aufgrund der unzureichenden wissenschaftlichen Daten bisher nicht ausreichend.
Die wesentlichen kardialen Auswirkungen und elektrokardiographischen Abweichungen dürften durch die Belastung des rechten Herzens bei der gasembolischen Dekompressionskrankheit zustandekommen und meistens vollständig rückbildungsfähig sein, wenn sie nicht akut zum Herztod führen.
Wie-Berufskrankheiten (§ 9 Abs. 2 SGB VII)
Seit Jahren stehen mögliche kognitive (Coco et al.
2019; Hemelryck et al.
2014; Sharma et al.
2023), neurologische (Todnem et al.
1991; Sundal et al.
2022) und otologische (z. B. Gehörgangsexostosen) (Sheard und Doherty
2008; Heinmüller et al.
2012) Langzeitfolgen von Druckluftarbeiten wissenschaftlich immer mehr im Fokus.
Derartige Erkrankungen die heute gesichert durch die schädigenden Einwirkungen in Druckluftumgebung verursacht sind können als Wie-BK (§ 9 Abs. 2 SGB VII) angezeigt werden und Anerkennung finden.