Der medizinische Gutachter sollte in einem Haftpflichtschadensfall Begriffe wie Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder MdE vermeiden, da sie im Haftpflichtrecht nicht relevant sind. Einerseits besteht die Gefahr der Ableitung falscher Beurteilungen bzw. Einschätzungen, anderseits könnte beim Auftraggeber der (falschen) Eindruck erweckt werden, der Sachverständige habe die falschen Rechtsgrundlagen angewandt. Wird der Gutachter jedoch ausdrücklich danach gefragt (z. B. nach der Höhe der MdE), so sollte er diese Frage natürlich beantworten. Gerichte und Versicherungsgesellschaften verwenden u. a. die abstrakte MdE-Einschätzung gelegentlich, um einen Anhaltswert für die Schwere einer Körperverletzung zu erhalten.
Der ärztliche Gutachter muss bei einem Haftpflichtschaden die Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten darstellen, soweit diese für die Beurteilung relevant sind. Er sollte angeben, wie sich die verletzungsbedingten krankhaften Veränderungen bei dem Geschädigten auswirken. Sehr wichtig ist es, dass der Gutachter ein
negatives und ein positives Leistungsbild aufzeigt. Er sollte dabei ausführen, welche Verrichtungen und Tätigkeiten infolge der Verletzungsfolgen zur Zeit der Begutachtung bzw. auf Dauer nicht mehr möglich sind, aber auch welche Leistungsfähigkeiten dem Geschädigten noch verblieben sind. Es ist sinnvoll, dass dem Gutachter schriftlich das Berufsbild und die häusliche Situation vorgelegt werden, damit er sich in seinem Untersuchungsbefund konkret darauf beziehen kann. Anhand dieser Darstellung wird die Versicherungsgesellschaft oder das Gericht den konkreten Schaden und damit den Schadensersatz zu beurteilen haben. Bei der Begutachtung in einem Haftpflichtfall steht der medizinische Gutachter vor der schwierigen Aufgabe, nicht nur die schadensbedingte Leistungsbeeinträchtigung und die sich daraus ergebenden konkreten Auswirkungen aufzuzeigen. Er muss regelmäßig auch andere Faktoren, die das Schadensausmaß beeinflusst haben, wie z. B. schadensunabhängige Vorerkrankungen, eine vorbestehende Leistungsminderung oder auch ein Mitverschulden des Geschädigten, darstellen und bewerten. Im Ergebnis muss der Gutachter dem Auftraggeber aufzeigen, inwieweit sich diese ursächlich mitwirkenden Faktoren auf das aktuell vorhandene Schadensausmaß auswirken.
War durch eine schwere Vorerkrankung die
Erwerbsfähigkeit bereits vorher aufgehoben, so führt das schädigende Ereignis des Haftpflichtschadens zu keinem konkreten weiteren Erwerbsschaden
(sog. „Sowieso-Schaden“). Lag zum Schadenszeitpunkt bereits eine schadensunabhängige, fortschreitende Erkrankung vor, die auch ohne das Schadensereignis zu einer vergleichbaren Leistungsbeeinträchtigung oder gar zu einer konkreten Minderung des Erwerbseinkommens (z. B. zu einer Berentung) geführt hätte, dann besteht nur für den haftpflichtschadensbedingten Anteil, evtl. auch nur zeitlich begrenzt, ein Entschädigungsanspruch, nicht aber für den schicksalsbedingten Anteil am Gesamtschaden
(sog. überholende Kausalität). Schreitet dagegen ein vorbestehendes Krankheitsleiden aufgrund eines Haftpflichtschadens weiter fort, dann ist das maßgebliche Ereignis ursächlich adäquat, und der sich daraus ergebende Schadensanteil ist schadensersatzpflichtig.
Da in einem Haftpflichtschaden im Gegensatz zum Sozialversicherungsrecht Schadensersatzanspruch in der Regel nur bei einem Verschulden (mindestens Fahrlässigkeit) des Schädigers besteht, kann ein
Mitverschulden des Geschädigten diese Ansprüche mindern, z. B. wenn der Schadensumfang durch sein nachträgliches Handeln oder Unterlassen vergrößert wurde. Als Beispiel sei der geschädigte Patient genannt, der sich durch das Haftpflichtereignis eine Wundinfektion zugezogen hat. Stellt sich dieser Geschädigte wider besseres Wissen erst verspätet bei seinem Arzt zur Behandlung vor, so muss er sich einen dadurch mitverursachten Verschlimmerungsanteil ggf. als Mitverschulden anrechnen lassen
Die Beweislast für alle Tatsachen bzw. Indizien, die einen Schadensersatzanspruch begründen (u. a. Körperschaden, Kausalität, Verschulden), trägt im Zivilrecht in der Regel der Geschädigte (Anspruchsteller) die Beweislast (sog. „haftungsbegründende Tatsachen“). Für alle Tatsachen bzw. Indizien die den Anspruch reduzieren oder gar entfallen lassen (z. B. Vorschaden, überholende Kausalität, Mitverschuldensanteil liegt die Beweislast beim der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung (sog. haftungsausschließende Tatsachen). In bestimmten Rechtgebieten gibt es vom Versicherungsträger bzw. vom Gericht zu beurteilen sind und nicht zum Gegenstand des medizinischen Gutachtens gehören. Besonderheiten gelten vor allem auch im Rahmen der Arzthaftpflicht. Im Falle eines nachgewiesenen groben Behandlungsfehlers (ein Fehlverhalten, dass „schlechterdings nicht unterlaufen darf“) bzw. bei Verletzung der
Aufklärungspflichten kommt es zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes als potenziellen Schädigers.
In einem Haftpflichtfall ist es Aufgabe des medizinischen Gutachters, den Auftraggeber neutral und sachverständig zu beraten bzw. ein gerichtlich angefordertes Gutachten entsprechend zu erstellen. Die juristischen Wertungen des Haftpflichtschadens gehören nicht zu seinen Aufgaben; vielmehr muss er sie vermeiden, auch um sich nicht unnötig Vorwürfen nach Überschreitung seiner Kompetenzen bzw. ggf. sogar der Befangenheit auszusetzen.